18

»Autsch.« Harry faßte an ihre Stiche. Cynthia Cooper fuhr sie in ihrem Transporter nach Hause.

Als sie durch die Küchentür traten, kamen die zwei Katzen und der Hund, alle zugleich redend, zu ihrem Menschen gerannt. Sie kniete sich hin, streichelte jedes Tier, versicherte ihnen, daß es ihr gut gehe.

»Wir können das Frühstück auslassen, wenn du dich mies fühlst«, bot Tucker ihr an.

»Nein, können wir nicht.« Pewter maunzte so laut, daß Cynthia la­chend zur Anrichte ging und eine Dose Futter öffnete.

»Das mach ich schon.«

»Harry, setz dich hin. Ich kann die Katzen und den Hund füttern.«

»Danke.«

Mrs. Murphy, die jetzt auf Harrys Schoß saß, leckte ihr das Ge­sicht.»Wir haben uns Sorgen gemacht. Wir wußten nicht, wo du warst.«

»Ja, verlaß uns nicht. Du brauchst einen tapferen Hund, der dich beschützt.« Besorgnis lag in Tuckers schönen braunen Augen.

Harry stand auf, um eine Kanne Kaffee zu machen. Mrs. Murphy trat neben sie.

»Setz dich. Ich mach das.« Cynthia mußte über sich selbst lachen. Es fiel Harry schwer, Hilfe anzunehmen. »Im Übrigen muß ich wis­sen, was passiert ist, und dafür brauche ich deine volle Konzentrati­on.«

»Ich kann mich beim Kaffeekochen konzentrieren.«

»Na gut.« Coop stellte Pewter, die auf den Hinterbeinen tänzelte, das Futter hin.

Dann stellte sie Tuckers Futter auf den Boden.

»Danke schön.« Tucker machte sich darüber her.

»Okay. Ich war auf derGottes Liebe<-Versammlung. Die üblichen Personen. Auf dem Nachhauseweg dachte ich, warum nicht am Krankenhaus vorbeifahren.« Harry bemerkte, daß Mrs. Murphy nicht von ihrer Seite wich. »Murphy, es geht mir gut. Geh essen.« Die Tigerkatze gesellte sich zu Pewter am Futternapf.

»So weit kann ich dir folgen.« Coop lächelte und fragte sich, wie Harry ihre Schnüffelei im Keller erklären würde.

»Also, ich bin auf den Parkplatz eingebogen. Und da kam mir ir­gendwie die Idee, ich könnte mal hinten rum fahren. Wie ich hinkam, war da niemand und da dachte ich, warum nicht mal 'nen Blick reinwerfen? Ich hab keine makabre Ader, wollte bloß den Raum sehen, wo Hank ermordet wurde.«

»Um welche Zeit war das?«

»Ah, halb neun oder neun.«

»Und weiter?« Cynthia begann Spiegeleier zu braten.

»Okay. Ich hab den Wagen geparkt. Bin ausgestiegen. Die Tür war nicht abgeschlossen. Ich hab sie aufgemacht. Mann oh Mann, ist das Licht fonzelig da unten. Geizhälse. Ich bin durch den Flur gegangen, kam an einer geschlossenen Tür zu meiner Rechten vorbei. Weiter vorne flutete Licht in den Flur, und ich hab Stimmen gehört. Leise. Klangen wie Männerstimmen. Ich war ganz starr. Allzu viel konnte ich nicht hören, weil ich draußen vor dem Heizungskeller war. Ich hab mich hingeschlichen, hab reingeguckt, und da war niemand drin. Sie waren weg, aber ich weiß nicht, wie sie verschwunden sind. Ich meine, ich hab da drin Türen gesehen, aber ich hab keine auf- oder zugehen gehört. Bin auf Zehenspitzen zu den Kreidemarkierungen von Hanks Leiche geschlichen. War nicht mehr viel zu sehen. Ich hab mich hingekniet und auf die Wand geguckt. Jedenfalls glaube ich, daß das die Wand war, wo das Blut hingespritzt ist. Die Be­leuchtung im Heizungskeller ist ganz gut. An der Wand ist eine Ver­färbung. Ich wollte aufstehen und - an mehr kann ich mich nicht erinnern.«

»Der dich geschlagen hat, hat so fest zugeschlagen, daß du das Be­wußtsein verloren hast, aber nicht fest genug, um dir wirklich zu schaden. Das sagt mir einiges.«

»Oh?«

»Ja.« Coop ließ die Eier auf einen Teller gleiten, den Harry ihr hin­hielt. »Entweder ist dein Angreifer ein Mediziner, der sich auskennt, oder er kennt dich und wollte nicht, daß du stirbst. Oder beides. Wer dich kennt weiß, daß du einem Geheimnis nicht widerstehen kannst, Harry. Aber Tatsache ist, daß der Angreifer gnädig war, falls du den Ausdruck in Anbetracht der Stiche ertragen kannst.«

»Ah.« Daran hatte Harry nicht gedacht, aber sie hatte ja auch keine Zeit gehabt an irgendwas zu denken.

»Gnädig, von wegen«, knurrte Tucker.»Warte, bis ich ihm meine Fangzähne ins Bein schlage.«

»Ich kratz ihm die Augen aus«, zischte Mrs. Murphy.

»Ich kotz auf ihn drauf«, erklärte Pewter.

»Igitt!« Mrs. Murphy trat vom Futternapf zurück, als Pewter so tat, als würde sie würgen.

»Haha«, kicherte Pewter.

»Ihr habt euch aber viel zu erzählen«, zog Harry ihre Tiere auf.

Coop, die jetzt am Tisch saß, beugte sich etwas vor. »Harry, was hast du gedacht, was du da finden würdest?«

Harry legte die Gabel hin, ihre Augen leuchteten auf. »Ich hab mich gefragt - was geht in einem Krankenhaus vor? Leben oder Tod. Tag für Tag. So ist es doch, oder?«

»Ja.« Coop streute Pfeffer auf ihre Eier.

»Was, wenn es da einen unfähigen Arzt oder Techniker gibt? Ein falscher Handgriff des Anästhesisten und.« Sie schnippte mit den Fingern, um den augenblicklichen Tod des Patienten anzudeuten. »Eine falsch verabreichte Arznei bei einem Schwerkranken, oder ein Todesengel.« Als sie merkte, daß Coop nicht verstand, erklärte sie schnell: »Eine Schwester, die Patienten von ihren Leiden erlösen will oder die befindet, alte Leute sollen einfach sterben, dann sind sie aus dem Weg. In einem Krankenhaus gibt es Hunderte von Geheimnis­sen und, könnte ich mir vorstellen, Hunderte von latenten Gerichts­verfahren. Wir wissen alle, daß Ärzte sich gegenseitig decken.«

»Ja.« Cynthia kaute nachdenklich. »Aber ich denke, das ist normal, weil sie ja eng zusammenarbeiten müssen. Polizisten decken sich auch gegenseitig.«

»Aber du siehst, worauf ich hinaus will. Ich meine, was ist, wenn es da so einen Problemmenschen gibt, einen unfähigen Arzt?«

»Verstehe. Ich versuche, das mit Hank Brevard in Verbindung zu bringen.«

»Ja, ich auch. Der für die Wartung Verantwortliche würde nicht unbedingt Bescheid wissen, wären es medizinische Probleme.« Sie hielt inne. »Es sei denn, er mußte Beweise verstecken oder vergra­ben, oder er hat Drogen geklaut.«

»Dürfte verdammt schwer sein, eine Leiche oder Leichen aus dem Krankenhaus zu karren. Oder in den Keller runter. Tja, Drogen, das ist was anderes.« »Und manche Leute geraten ja auch einfach in was rein. Tauchen zur falschen Zeit am falschen Ort auf.« Harry stach in ihre Eier.

»Stimmt.«

»Oder vielleicht hatte Hank ein Problem. Spielschulden. Nur mal so als Beispiel. Sie haben ihn bei der Arbeit in die Enge getrieben. Es muß nicht mit dem Krankenhaus zusammenhängen, aber ich glaube doch. Ich denke, wenn er Schulden hatte, dann hätte ein Mörder ihn woanders erschossen. Es gibt einfachere Methoden, jemanden los­zuwerden, als die Art, wie er ermordet wurde.«

Coop nahm sich einen Toast. »Das denke ich auch. Rick sagt nicht viel. Aber wir bewegen uns alle in dieselbe Richtung.«

»Ich dachte sogar, es könnte etwas mit dem Entwenden von Kör­perorganen zu tun haben. Ein Patient stirbt. Wie sollten die Angehö­rigen merken, daß eine Leber oder die Nieren entfernt wurden?«

»Der Leichenbestatter würde auf alle Fälle merken, ob eine Autop­sie vorgenommen wurde, aber nicht unbedingt, ob Organe entfernt wurden.«

»Wenn die Angehörigen eine Autopsie verlangen, und die meisten tun das, wäre es ganz einfach. Und sind in manchen Krankenhäusern Autopsien nicht selbstverständlich?«

»Das weiß ich nicht. In Crozet jedenfalls nicht.« Coop klopfte mit ihrer Gabel auf den Tellerrand, eine zerstreute Geste.

»Bleiben wir bei meiner These. Organe. Eine gesunde Niere ist fünftausend Dollar wert. Jede Woche sterben in einem Krankenhaus von der Größe des Crozet Hospitals, einem kleinen, aber guten Haus, wenigstens drei Personen mit gesunden Organen. Ich denke, das ist nicht weit hergeholt. Ein Schwarzmarkt für Organe.«

»Nein, ich nehme nicht an, daß das weit hergeholt ist. Wir können uns heute klonen. So viel zur Fortpflanzung.« Ihre hellen Augen blitzten.

»Keine Bange. Die alte Methode ist die Beste.«

Die zwei Frauen lachten.

»Wo versteckt man die Organe, bevor man sie abtransportiert?« Cynthia wußte, wie Harry dachte.

»Ich habe die Behälter gesehen. Sie sind nicht groß, werden mit Trockeneis voll gepackt. Es wäre ganz leicht, sie im Keller zu verstauen. Oben könnte eine Schwester oder ein Arzt die Niere fin­den, aber wer geht schon in den Keller? Hank hing da mit drin. Die Lösung liegt im Keller. Vielleicht war dieser Trakt früher tatsächlich Teil der Underground Railroad. Dann dürfte es da jede Menge Stel­len zum Verstecken geben.«

»Hm, das ist eine Theorie. Ich glaube aber, Organe halten nicht sehr lange. Und Spender und Empfänger müssen zusammenpassen. Trotzdem muß man dem nachgehen.«

»Und ich kann helfen.«

»Jetzt fängt sie schon wieder an.« Tucker schüttelte den Kopf.

»Ich bitte dich inständig: Halt den Mund. Wag es bloß nicht, ohne mich noch mal ins Krankenhaus zu gehen. Ich denke, daß derjenige, der dich geschlagen hat, dich kennt. Läßt du dich noch mal blicken, dann könnte der Schlag...« Coops Stimme erstarb.

»Ist Rick sauer auf mich?«

»Na klar. Er wird drüber wegkommen.«

»Wer hat mich gefunden?«

»Booty Weyman, er ist neu auf diesem Posten. Armer Kerl. Er war halb tot vor Schreck.«

»Wer hat mich genäht?«

»Bruce Buxton - und unentgeltlich.«

Überrascht sagte sie: »Das war nett von ihm.« Nach einem Blick auf die alte Bahnhofsuhr an der Wand meinte Harry: »Ich muß die Pferde füttern, nach draußen bringen und dann zur Arbeit.«

»Geht es dir wirklich so gut, daß du zur Arbeit gehen kannst?«

»Ja. Es tut weh, ist aber nicht weiter schlimm. Ich stopf mich mit Schmerztabletten voll.«

»Soll ich dir beim Füttern helfen? Und noch eine Kleinigkeit, er­zähl nicht rum, wo du warst oder was du gemacht hast. Bis du ins Postamt kommst, mußt du dir eine gute Geschichte ausgedacht ha­ben. Das Letzte, was wir in diesem Fall gebrauchen können, ist, die Leute mit der Nase auf den Keller zu stoßen. Es ist viel besser, dem oder den Mördern eine Verschnaufpause zu gönnen. Was sie auch tun, wenn das Krankenhaus tatsächlich mit drinsteckt, laß sie dahin zurückkehren. Rick zögert es sogar um vierundzwanzig Stunden hinaus, Sam zu verständigen. Der Trick ist, alle so weit zu bringen, daß sie nachlässig werden.«

»Du brauchst jemanden da drinnen.«

»Ich weiß.« »Larry Johnson geht immer noch ins Krankenhaus. Er ist durch und durch verläßlich.«

»Larry ist über siebzig. Ich brauche einen Jüngeren«, erwiderte Coop.

»Der alte Doc mag über siebzig sein, aber er ist ein zäher Bursche und ungeheuer schlau. Ich würde jederzeit meine Hand für ihn ins Feuer legen.«

»Hm, ich werde mit Rick sprechen.«

»Hinzu kommt, Larry ist verschwiegen wie ein Grab.«

»Das ist wahr. Los, komm. Wenn du zur Arbeit willst, müssen wir jetzt in den Stall.«

»Hey Coop, danke. Danke für alles.«

»Du würdest für mich dasselbe tun.«

Als die Menschen sich anzogen, sagte Mrs. Murphy zu ihren Freundinnen:»In einem hat sie Recht. Ein Krankenhaus ist Leben und Tod.«

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