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Die Hunde des Jagdclubs verbellten um zehn Uhr morgens auf der Farm von Tally Urquhart eine frische Fährte. Rose Hill, eine der ältesten und schönsten Farmen in Albemarle County, war ein belieb­tes Stelldichein, wie die Orte, wo man sich zur Jagd trifft, genannt wurden.

Das Wohnhaus, Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus an Ort und Stelle gebrannten Backsteinen errichtet, strahlte die Patina des hohen Alters aus, ebenso wie Tally selbst mit ihren zweiundneunzig Jahren. Sie sagte zweiundneunzig, obgleich Mim, ihre Nichte, schwor, Tally sei ein bißchen älter. Aber alle waren sich einig, daß sie die Neunzig glorreich überschritten hatte.

Betrat Tally einen Raum - sie ging die meiste Zeit noch aufrecht -, dann drohte sie den Anwesenden mit ihrem Stock, dessen silberner Knauf den Kopf eines Jagdhundes darstellte und erklärte: »Ich bin zwei Jahre älter als Gott, also tut, was ich sage und geht mir aus dem Weg.«

Und die Leute gehorchten. Sogar Mim.

Vor Jahren, in den 1960ern, war Tally Master - Jagdführerin - beim Jefferson Jagdclub gewesen. Wenngleich es den Leuten wider­strebte, sich herumkommandieren zu lassen, hatten Tallys großzügi­ge Spenden für die Kasse ihr eine langjährige Jagdführerschaft gesi­chert. An ihrem achtzigsten Geburtstag war sie schließlich mit gro­ßem Tamtam zurückgetreten.

Alle hatten gedacht, Mim würde bestrebt sein, Master zu werden, aber sie hatte abgelehnt mit der Begründung, sie hätte genug zu tun, was auch stimmte. Aber in Wahrheit wollte Mim die Jagd als pures Vergnügen betreiben, und wenn sie Master wäre, dann wäre es pure Politik. Das praktizierte sie auf anderen Gebieten.

Jane Arnold wurde zur Jagdführerin gewählt und war seither auf dem Posten geblieben.

Die Kühle, die von den Bergen kam, senkte sich auf die Weiden. Harry hatte so kalte Hände, daß sie Poptarts Sattelgurt mit steifen Fingern befestigte. Sie hatte Laura und Joe Gramer mit Jane bekannt gemacht, wie es Brauch war. Es erübrigte sich, Graham Pitsenberger vorzustellen, ehemals Master des Glenmore Jagdclubs, oder Lieute­nant-Colonel Dennis Foster, den Vorsitzenden des amerikanischen Jagdführerverbandes.

Master und Jagdgesellschaft kannten die wahren Gründe für die Anwesenheit der Gäste nicht. Jane forderte diese höflich auf, bei ihr an der Spitze zu reiten.

Harry stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn Joe und Laura vorne waren, konnte, soweit sie voraussah, nicht viel passie­ren. Wenn sie zurückfielen, nun ja, dann war alles möglich.

Tante Tally winkte allen, als sie aufbrachen, dann eilte sie in ihr Haus, bevor ein Frösteln sie überkommen konnte. Zudem richtete sie das Frühstück aus, und das mußte perfekt sein.

Dennis und Graham hatten sich vor der Jagd telefonisch beraten. Ein jeder trug eine 38er unter seinem Jagdrock, nahe am Gürtel, da­mit sie die Waffe notfalls leicht ziehen konnten.

Susan, Little Mim und Harry ritten hinter Big Mim, die unmittelbar hinter den Cramers und den zwei Männern ritt. Es war nicht ratsam, Big Mim im Jagdfeld zu überholen, aber da ihre Vollblutpferde schnell waren und sie meisterlich ritt, bestand wenig Aussicht, daß das geschehen würde.

Die Hunde wurden gleich hinter den Viehställen losgelassen, und Minuten später preschten alle den Hügel hinter den Ställen hinauf, in die enge Schlucht hinunter, durch den Bach. Und dann donnerten sie über offene Wiesen, die bald mit Hafer besät sein würden.

Sam Mahanes ritt in der Mitte des Feldes wie die meisten. Ein paar Versprengte, die sich am Bach abmühten, bildeten die Nachhut.

Dr. Bruce Buxton ritt im hinteren Feld, weil er ein neues Pferd aus­probierte. Als umsichtiger Reiter war er nicht willens, mit einem neuen Pferd in vorderster Front zu reiten.

Sie preschten fünfzehn Minuten lang vorwärts, dann hielten sie an. Die Hunde, die Nasen am Boden, versuchten auszumachen, wo Rei­neke sie abgehängt hatte. Ein hübsches dreifarbiges Weibchen lief auf einem großen Baum entlang, den ein Sturm gefällt hatte. Die oberen Zweige hatten sich mit den Ästen eines anderen hohen Bau­mes verfangen. Der Winkel des gestürzten Baumes mußte dreißig Grad betragen haben. Der Wipfel des Baumes hing über einem brei­ten, schnell fließenden Bach.

Schließlich stürzte sich ein tapferer Hund in den Bach und bearbei­tete die andere Seite.

»Er ist hier drüben«, rief der Hund seinen Gefährten zu.

»Ich hab 's gewußt!«, rief das dreifarbige Weibchen, das noch auf dem Baum war.»Er ist über diesen Baum gelaufen und hat sich in den Bach fallen lassen. Ist auf die andere Seite geschwommen. Oh, der ist ein ganz Schlauer.«

Eine Minute später hatte die gesamte Meute den Bach durchquert. Die Menschen und Pferde jedoch schlitterten und rutschten auf der Suche nach einer passablen Stelle zum Durchqueren. Jane, die die Reiter anführte, ritt etwa hundert Meter stromabwärts, um eine bes­sere Stelle zu finden. Sie winkte den anderen, ihr rasch zu folgen; denn die Hunde sausten bereits über die Wiese.

Laura Gramer, die in schöner Haltung auf ihrem Pferd saß, trabte durch den Bach und sprang dann heraus. Ihr Mann folgte ihr. Mim ritt natürlich hindurch, als wäre sie im Madison Square Garden. Alle schafften es, bis auf ein kleines Mädchen auf einem Pony. Das Was­ser wirbelte über den Sattel. Sie stieß einen Schrei aus. Ihre Mutter fischte sie heraus und sie gingen nach Hause. Die Kleine weinte sich die Augen aus, nicht weil sie kalt und naß war, sondern weil ihre Mutter sie die Jagd nicht fortsetzen ließ. Es machte ihr nichts aus, wenn sie sich erkältete. Da würde sie nur ein paar Tage die Schule versäumen. Mütter konnten ja so gemein sein.

Harry und Poptart nahmen aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Der Fuchs hatte kehrtgemacht und hielt wieder auf den Bach zu.

Harry blieb stehen, wendete ihr Halbblut in Richtung Fuchs, nahm ihre Jagdkappe ab, zählte bis zwanzig, um dem Fuchs eine faire Chance zu geben und sagte dann: »Horridoh.«

Jane hob die rechte Hand und hielt das Feld an. Es bot sich eine herrliche Sicht auf einen mittelgroßen Rotfuchs, der dahin trottete. Er erreichte den Bach, sprang hinein, tauchte aber nicht auf der anderen Seite wieder auf. Er schwamm stromaufwärts, sprang schließlich heraus und ging dann über einen Baumstamm, sah sich nach den Hunden um. Dann beschloß er, einen Abstand zwischen sich und die Hunde-Vettern zu bringen.

Graham richtete sich in seinen Steigbügeln auf und lachte. Er war ein Mann, dem es Spaß machte, von diesem Schurken überlistet zu werden. Dennis sah den ersten Pikör den Hügelkamm entlang pre­schen, vor den Hunden, aber rechts von dem Fuchs. Kein Jäger, we­der Equipage noch die Jagdgesellschaft, will den Fuchs überholen und zur Umkehr treiben.

Der Meuteführer beobachtete stolz, wie seine Hunde im Bogen umdrehten, sich von der Böschung in den Bach gleiten ließen und auf der anderen Seite herauskamen. Jetzt mußten sie die Fährte fin­den, die an der Böschung, aber ein gutes Footballfeld weiter strom­aufwärts war. Der Meuteführer sprang geradewegs die Böschung hinunter.

Laura flüsterte Joe zu: »Denkst du, wir müssen das auch?«

»Du zuerst.« Er lachte.

Jane drehte um, da sie befand, daß Besonnenheit ein Gutteil der Tapferkeit ausmachte. Sie wollte an derselben Stelle, an der sie den Bach durchquert hatten, wieder zurück, dann am Bach entlang ga­loppieren und versuchen, die Meute einzuholen; denn sie wußte, daß der Meuteführer seine Hunde so schnell wie möglich auf eine Fährte ansetzen würde.

Nach wenigen Minuten gaben die Hunde Spurlaut. Harrys Puls ra­ste. Susan kicherte. Sie kicherte immer, wenn das Tempo atemberau­bend wurde.

Sie spritzten durch den Bach, jagten die Böschung hoch und don­nerten an ihr entlang, übersprangen umgestürzte Baumstämme, wi­chen Geröll aus. Der Weg wurde breiter; weiter vorn lockte eine verlassene Weide, die ein paar magere Zedern verunstalteten.

Sie stürmten über die Weide, die Hunde flogen jetzt förmlich. Sie überquerten einen schmalen Bach, der viel leichter zu nehmen war, und ritten einen steilen Hügel hinauf. Die Baumreihe hob sich von dem bedrohlich grauen Himmel ab.

Auf dem Hügelkamm angekommen, wandten sich die Hunde den Bergen zu. Das Feld zog sich jetzt in die Länge. Einige Leute, deren Pferde nicht in Form waren, gaben auf. Andere machten Boden gut, wovon Schlammflecken kündeten. Etwa das halbe Feld ritt noch straff, als der Kamm der Hügelkette ausdünnte und schließlich in eine breite Schlucht abfiel, in der es wieder einen schnell fließenden Bach gab.

Unten in der Schlucht sahen sie die Hunde wie wild bei einem alten Baumstamm scharren. Der Fuchs war in seinen Bau gefahren. Für die Hunde, die viel zu groß für den Bau waren, gab es keine Mög­lichkeit ihn herauszuscheuchen, zumal er jede Menge versteckte Ausgänge hatte, falls ihm die Lage zu brenzlig wurde. Aber der Meuteführer saß ab und blies das SignalFuchs eingefahren. Die Hunde sprangen hoch, scharrten, bellten, ganz von sich eingenom­men.

Äußerst angewidert von dem Lärm, verkroch sich der Fuchs weiter in den Bau. Warum ein Mitglied der Hundefamilie bei Menschen leben wollte, war dem Fuchs ein Rätsel. Menschen rochen schlecht und dumm waren sie obendrein. Kein noch so reichliches regelmäßi­ges Futter konnte diese Makel wettmachen.

Nach dem großen Halali saß der Meuteführer wieder auf. »Soll ich sie nach Hause treiben, Master?«

»Warum nicht?« Jane lächelte.

Auf dem Rückweg nahmen sie eine leichte Witterung auf, als aber Tallys Farm in Sicht kam, sehnten sich Finger und Zehen nach Wär­me.

Alle sattelten ihre Pferde ab, warfen Abschwitztücher und Decken über sie, banden sie an die Anhänger und eilten in Tallys schönes Haus.

Harry dachte sich: »So weit, so gut.«

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