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»Was soll das?« Mim schob einen Brief über den Schalter.

Blitzschnell ließ Mrs. Murphy ihre Pfote auf das 20 mal 28 Zenti­meter große weiße Blatt Papier sausen, bevor es auf den Boden rutschte.»Ich hab's.«

Pewter, die ebenfalls auf dem Schalter war, guckte auf die mit Ma­schine beschriebene Seite hinunter. Sie las laut:

»Wir müssen uns treffen. Ich werde das nächste Opfer sein. Ich brauche Ihre Hilfe, um zu entkommen. Warum Sie? Sie sind der einzige Mensch, der reich genug ist, um nicht bestechlich zu sein. Wenn Sie mir helfen wollen, schlagen Sie am schwarzen Brett des Postamtes eine Vermißtenmeldung über einen Hund namens Bristol an. Ich werde mich wegen des Wann und Wo mit Ihnen in Verbindung setzen.«

Harry zog das Blatt Papier unter der Pfote der Tigerkatze weg.

»Und?« Miranda kam heran und las über ihre Schulter blickend mit.

»Also, das ist ein Spinner erster Güte.« Miranda schob ihre Brille wieder nach oben auf den Kopf. »Ich rufe den Sheriff an.« Sie öffne­te die Trennklappe.

»Warten Sie. Lassen Sie uns erst kurz drüber sprechen«, sagte Har­ry.

»Es könnte der Mörder sein, der ein abgeschmacktes Spiel treibt.« Mim steuerte aufs Telefon zu.

»Setz dich, Mim. Du hast einen Schock erlitten.« Miranda bugsier­te sie zum Tisch.

»Schock? Ein Erdbeben.« Die schlanke, hübsch gekleidete Frau ließ sich auf den hölzernen Küchenstuhl am Tisch im Hinterzimmer sinken.

»Dieser Brief ist von jemandem, der unsere Gemeinde kennt, gut kennt.« Miranda suchte in ihrem Gedächtnis nach einer Erklärung, konnte aber keine finden.

Harry merkte sich die Zeit, halb neun Uhr morgens. Es war eine Angewohnheit von ihr, auf Uhren zu sehen, an denen sie vorbeiging oder -fuhr, und die Zeit mit ihrer Armbanduhr zu vergleichen, der alten Uhr ihres Vaters. Die lief wie eine Eins. Mim war gewöhnlich morgens vor allen anderen im Postamt. Wie Harry und Miranda war sie Frühaufsteherin, und Frühaufsteher finden zueinander, genau wie Nachteulen. Harry faßte Mim mit Samthandschuhen an, weil sie wußte, wie schwer Larrys Tod sie getroffen hatte.

»Eine Falle.« Tucker fand den Brief beunruhigend.

»Möglicherweise.« Mrs. Murphy juckte sich am Fell entlang ihres Rückgrats.

»Ein Floh?«, fragte Pewter unschuldig.

»Im Februar?« Mrs. Murphy warf ihr einen fiesen Blick zu.

»Wir halten uns viel im Haus auf. Sie legen Eier in den Teppich, die Jungen schlüpfen, und den Rest der Geschichte kennst du.«

»Du findest das wohl prickelnd. Übrigens, wenn ich Flöhe hätte, dann hättest du auch welche.« Die Tigerkatze schlug nach der Grau­en.

»Ich nicht.« Pewter lächelte und zeigte ihre weißen Fangzähne.

»Ich bin gegen Flöhe allergisch.«

»Das heißt nicht, daß du keine kriegst, Pewter, es heißt, wenn du sie erst mal hast, kriegst du obendrein noch die Krätze.« Tucker kicherte.»Dann muß Mutter dich waschen und pudern, und es ist eine Riesenschweinerei.«

»Sie versteckt das Puder, bis sie dich gepackt hat.« Mrs. Murphy weidete sich an Pewters Grauen vor dem Baden.»Zuerst das Wasch­becken, ein bißchen warmes Wasser, Babyshampoo, massenhaft Schaum. Was bist du doch für eine hübsche Katze im Seifenwasser. Dann eine Spülung. Noch mal einseifen. Wieder eine Spülung. Ein Guß mit einer ekligen Medizin. Abtrocknen mit einem Handtuch. Mit deiner Stachelfrisur siehst du wie ein Rapstar aus. Pewter, die Hip­Hop-Queen.«

»Ich hör nicht Hip-Hop.« Die rundliche graue Katze schniefte.

»Du tanzt Hip-Hop. Du schüttelst erst das eine Hinterbein, dann das andere. Echt Disco.« Murphy wieherte vor Lachen.

»Hör mal.« Tucker war auf dem Fußboden auf und ab gegangen, während die Menschen über den Brief sprachen.»Was, wenn diese Bitte so ist wie Mom mit dem Flohpuder? Was ist versteckt?«

Murphy sprang herunter und setzte sich zu ihrer Freundin.»Wir wissen aber, was versteckt ist.«

Pewter legte die Vorderpfoten auf das Holz, dann rutschte, sie langsam hinunter.»Nicht genau, Murphy. Wir wissen, daß diese Geräte, die Infusionspumpen, unter dem Ketterfußboden sind, aber das war womöglich der einzige Platz, um sie zu lagern. Also wissen wir nicht wirklich, was versteckt ist, und wir wissen nicht, was dieser Brief versteckt.«

»Warum Mim? Warum nicht Sheriff Shaw?« Tucker runzelte ver­wundert die Stirn.

»Weil der Schreiber nicht ganz sauber ist. Der Sheriff würde eine Gefahr darstellen. Mim ist mächtig, aber sie ist nicht das Gesetz.« Mrs. Murphy lehnte sich an Tucker. Sie saß oft dicht bei der Hündin oder schlief bei ihr, den Kopf an ihren Kopf gekuschelt.

»Bringen Sie den Anschlag an und auch einen im Supermarkt.« Harry legte die Hände aneinander und bildete mit den Zeigefingern ein Dach. »Alle werden ihn sehen, das wissen wir. Dann tun Sie, was der Brief verlangt: auf Anweisungen warten.«

»Ohne Sheriff Shaw anzurufen!« Mim war empört.

»Nun, glauben Sie nicht, er wird Sie unter Bewachung stellen wol­len? Es wäre ungeschickt. Der Briefschreiber bekäme Wind davon.«

»Schlagen Sie vor, daß ich ein Köder sein soll?« Mim schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Nein.«

»Was schlagen Sie vor, Harry?« Miranda verschränkte die Arme.

»Daß wir auf Anweisungen warten.«

»Wir? Sie wissen nicht, wann und wo ich diese Anweisungen be­kommen werde. Man könnte mich in ein Auto verfrachten und nie­mand würde es merken.«

»Sie hat Recht«, meinte Miranda.

»Ja.« Harry seufzte. »Eile ist geboten. Gefahr in Verzug.«

»Ganz meine Meinung. Harry, überlassen Sie das den Fachleuten.« Mim stand auf und rief Sheriff Shaw an.

»Ich meine trotzdem, wir sollten es mit dem Anschlag über den vermißten Hund versuchen«, sagte Harry zu Miranda, die den Kopf schüttelte. Derweil las Mim Rick Shaw am Telefon den Brief vor.

»Da Larry Johnson ermordet wurde, wird Mutter keine Ruhe ge­ben. Sie will den Mörder vermutlich noch dringender finden als Rick Shaw und Coop.« Murphy war besorgt.»Ich weiß nicht, ob wir sie vom Krankenhaus fern halten können.«

»Aber eins weiß ich«, erklärte Tucker ernst.»Wir bleiben besser bei ihr.«

»Und ich denke, was unter dem Fußboden ist, das ist gefährlich. Pewter, die Infusionspumpen sind nicht wegen Platzmangel da unten. Ich prophezeie, wenn jemand auf den Raum stößt, gibt es wieder einen Toten.« Mrs. Murphy legte die Pfote auf die Briefwaage.

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