Sheriff Rick Shaw und Cynthia Cooper stießen die Schwingtür zur Notaufnahme so heftig auf, daß sie fast aus den Angeln sprang.
»Wo ist sie?«, fragte Rick eine erschrockene Krankenschwester.
Die junge Frau deutete wortlos auf eine andere Tür und Rick und Cynthia fegten hindurch.
Benommen lag Harry, mit einer Decke zugedeckt, in einem Bett im Aufwachraum. Es war eine ruhige Nacht im Krankenhaus und Harry war die einzige Patientin in diesem Zimmer.
Jordan Ivanic begrüßte die Beamten mit einem matten Lächeln. »Warum passiert immer alles, wenn ich Dienst habe?«
»Einfach Glück gehabt, vermutlich«, knurrte Dr. Bruce Buxton ihn an. Für Bruce war Jordan ein Brechmittel. Er hatte für alle Verwaltungstypen wenig übrig, aber Jordans ewiges Gejammer stieß ihm sauer auf.
»Nun?« Rick sah Bruce an.
Er zeigte auf die rechte Seite von Harrys Kopf. »Ein Schlag. Stumpfer Gegenstand. Wir haben das Blut abgewaschen und die Wunde gesäubert und rasiert. Ich habe eine Röntgenaufnahme gemacht. Ihr fehlt weiter nichts. Sie ist genäht worden. Schlimmstenfalls eine leichte Gehirnerschütterung.«
Cynthia beugte sich herab, sprach leise. »Harry, kannst du mich hören?«
»Ja.«
»Hast du gesehen, wer dich geschlagen hat?«
»Nein, dieser Saukerl.«
Ihre Antwort brachte Cooper zum Lachen. »Du bist unverbesserlich.«
»Wer hat sie gefunden?«, wollte Rick von Jordan wissen.
»Booty Wyman. Er ist neu auf diesem Posten, und ich nehme an, er hat zufällig gerade den Heizungskeller überprüft. Wir wissen nicht, wie lange sie dort war. Wir wissen auch nicht genau, was passiert ist.«
»Ich kann Ihnen sagen, was passiert ist«, blaffte Rick. »Jemand hat sie auf den Kopf geschlagen, das ist passiert.« »Vielleicht ist sie hingefallen und hat sich den Kopf gestoßen.« Jordan war bemüht, eine andere Lösung zu finden.
»Im Heizungskeller? Der einzige Gegenstand, an dem sie sich hätte den Kopf stoßen können, war der Heizkessel, und dann würden wir Brandwunden sehen. Kommen Sie mir nicht mit so 'nem Scheiß, Ivanic.« Rick fluchte selten, weil er das für unprofessionell hielt, aber er war äußerst beunruhigt und rasende Wut erfüllte ihn. »In diesem Krankenhaus ist was faul. Wenn Sie wissen, was es ist, rücken Sie am besten raus damit, wenn nicht, stelle ich das ganze Haus auf den Kopf!«
Jordan hob beschwichtigend die Hände. »Hören Sie, Sheriff, ich bin genauso aufgebracht wie Sie.«
»Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen.«
Darauf mußte Bruce lachen.
»Dr. Buxton.« Cynthia beugte sich zu dem großen Mann hinüber. »Wann sind Sie hergekommen?«
»Kurz nach der Versammlung der GruppeGottes Liebe< im Pfarrhaus, Herbs Gruppe.«
»Ja.« Sie nickte.
»War noch kurz einkaufen. Ich schätze, daß ich gegen viertel vor neun hier war.«
»Sind Sie selbst in den Heizungskeller gegangen?«, fragte Rick den Arzt.
»Nein, Harry wurde zu mir gebracht. Als Booty Weyman sie fand, hat er geistesgegenwärtig zwei Krankenpfleger gerufen. Er war zu Tode erschrocken.« Bruce erinnerte sich an Bootys kalkweißes Gesicht.
»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich wieder in mein Büro.« Jordan ging zur Tür.
»Nicht so eilig.« Rick hielt ihn zurück. »Ich will die Blaupausen des Krankenhauses, den Arbeitsplan von jedem Einzelnen. Es ist mir egal, ob das Ärzte sind, Sprechstundenhilfen oder Wartungsmonteure. Ich will die Berichte über alle Lieferungen und Abfallbeseitigungen des letzten Jahres, und das alles binnen vierundzwanzig Stunden.«
»Hm.« Jordans Gedanken rasten. »Ich werde tun, was ich kann.«
Rick hob die Stimme. »Vierundzwanzig Stunden!« »Ist das alles?« Jordan hatte das Gefühl, an seiner Stimme zu ersticken, die um so dünner und höher wurde, je nervöser er war.
»Nein. Sind bei Ihnen Patienten unter mysteriösen oder ungeklärten Umständen gestorben?«
»Ganz bestimmt nicht!« Jordan legte die Hände aneinander.
»Das müssen Sie ja behaupten«, sagte Rick ihm glattweg ins Gesicht.
»Weil es wahr ist. Und darf ich Sie erinnern, Sheriff« - Jordan fand den Mut zurückzublaffen -, »was immer hier vorgefallen ist, das ist im Keller vorgefallen. Im Keller sind keine Patienten.«
»Raus mit Ihnen.« Rick entließ ihn mit einer letzten brüsken Bemerkung. »Vierundzwanzig Stunden, auf meinem Schreibtisch.«
»Ich bin froh, daß er gegangen ist, bevor er sich in die Hose gemacht hat«, schnaubte Bruce.
»Ich hab mir nicht in die Hose gemacht«, sagte Harry schwerfällig.
»Du nicht, Harry. Beruhige dich.« Cooper nahm ihre Hand.
Rick flüsterte Bruce zu: »Was glauben Sie, ist Harry in Lebensgefahr?«
»Nein. Ihr Puls ist stark. Sie ist stark. Sie wird eine empfindliche Stelle am Kopf haben.« Er deutete auf die drei engen Stiche. »Die werden sie verrückt machen.«
»War es ein sehr harter Schlag?« Cynthia betrachtete eingehend die Wunde.
»Nein. Wenn er so hart gewesen wäre, dann hätten wir eine Schädelfraktur festgestellt. Derjenige, der sie geschlagen hat, wußte genau, wie fest er zuschlagen mußte, was an und für sich interessant ist. Aber die Haut am Schädel ist dünn und reißt leicht auf. Außerdem blutet der Kopf stark, wie Sie wissen. Hätte ich den relativ kleinen Riß nicht genäht, würde die Wunde tagelang sickern. Harry würde daran kratzen, sie infizieren oder weiter aufreißen. Ein Wunde wie diese brennt und juckt mehr, als daß sie pocht.« Er lächelte. Er hatte ein nettes Lächeln. Schade, daß er nicht öfter lächelte.
»Haben Sie eine Ahnung, was sie hier gemacht hat? Hat sie auf der Versammlung erwähnt, daß sie ins Krankenhaus wollte?«, fragte Cynthia.
»Nein.«
Rick stieß frustriert einen langen Seufzer aus. »Mary Minor Haristeen kann verdammt neugierig sein.« »Drogen.« Harry wollte die Stimme heben, aber es ging nicht.
»Was?« Cooper beugte sich zu ihr herunter.
»Drogen. Ich bin sicher, daß jemand Drogen klaut.«
Bruce seufzte. »Die Erklärung ist so gut wie jede andere.« Er rieb die Handflächen aneinander.
»Ich möchte sie gern über Nacht zur Beobachtung hier behalten.«
»Ich bringe sie nach Hause und bleibe bei ihr«, erklärte Cynthia.
»Sie haben gesagt, sie ist nicht in Lebensgefahr.« Rick, der Cynthias Besorgnis verstand, sah Bruce an.
Bruce stützte das Kinn in die Hand. »Vom medizinischen Standpunkt ist sie es nicht, glaube ich. Vielleicht wird ihr ein bißchen schwindelig oder übel. Gelegentlich wird ihr Sehvermögen beeinträchtigt sein. Aber wie gesagt, ich nehme nicht an, daß der Schlag so hart war.«
»Sie hat einen harten Schädel. Einen Dickschädel.« Rick lächelte wehmütig.
»Da haben Sie Recht, Sheriff.« Bruce lächelte zurück.