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»Was ist denn mit Ihnen passiert?« Miranda schrie es regelrecht, als Harry durch den Hintereingang zur Arbeit kam.

Harry vertraute Miranda - ein wohlbegründetes Vertrauen -, des­halb erzählte sie ihr alles, während sie die Post sortierten, was an diesem Morgen zum Glück eine leichte Arbeit war.

»Oh, Schätzchen, hoffentlich haben Sie da nicht in ein Wespennest gestochen.« Rasch erfaßte die ältere Frau Bedeutung und Folgen von Harrys Tun.

Tatsächlich arbeitete Mirandas Verstand mit rasender Geschwin­digkeit. Die meisten Menschen, die ihr begegneten, erblickten eine nett aussehende Frau Anfang sechzig, an guten Tagen Ende fünfzig. Sie war korpulent gewesen, aber sie hatte tüchtig abgenommen, als die Leidenschaft zu ihrem Highschool-Verehrer wieder aufgeflammt war. Sie trug satte oder leuchtende Farben, und wie es sich in Virgi­nia gehörte, besaß sie ein gutes Gespür für Auftreten, ohne über Ge­bühr auf sich aufmerksam zu machen. Doch die meisten Menschen, die Mrs. George Hogendobber nicht richtig kannten, merkten kaum, wie intelligent sie war. Sie wußte stets, wo in einem Gebiet Macht und Einfluß lagen, ein wesentliches Rüstzeug zum politischen und gesellschaftlichen Überleben. Sie verstand es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ihr war auch bis ins Mark bewußt, daß Taten Konse­quenzen haben, ein Naturgesetz, das ein großer Teil der amerikani­schen Bevölkerung noch nicht verinnerlicht hatte. Sie plauderte fröh­lich über ihren Garten und über das Kochen, die weiblichen Fertig­keiten, die sie exzellent beherrschte. Sie wurde von den Leuten leicht übersehen. Im Laufe der Jahre ihrer Zusammenarbeit hatte Harry Mirandas Intelligenz, Einfühlungsvermögen und Anteilnahme schät­zen gelernt. Ohne sich dessen voll bewußt zu sein, verließ sie sich auf Miranda. Und Miranda war so etwas wie eine Ersatzmutter ge­worden für Harry, die eine Mutter brauchte.

Natürlich hatten die Katzen und der Hund Miranda von Anbeginn verstanden. Anfangs schätzte Miranda Katzen gar nicht, doch Mrs. Murphy belehrte sie eines Besseren. Die zwei wurden schnell Freun­dinnen, und sogar Pewter, eine weitaus ich-bezogenere Seele, hatte Miranda gern und umgekehrt.

Pewter konnte nicht verstehen, warum die Menschen nicht öfter von Thunfisch sprachen. Sie sprachen meistens über einander, des­halb trat sie oft weg und träumte von Thunfisch.

Heute Morgen jedoch trat niemand weg. Die Tiere waren besorgt und wütend zugleich, weil Harry so ein dummes Risiko eingegangen war. Zumal sie sie zu Hause gelassen hatte. Wären sie bei ihr gewe­sen, wäre das mit dem Schlag auf den Kopf nicht passiert.

Im Laufe des Vormittags machte jeder, der ein Postfach öffnete, eine Bemerkung zu dem rasierten Rechteck und den Stichen auf Har­rys Kopf. Sie tischte die Geschichte auf, sie hätte sich im Stall gesto­ßen. Big Mim, die nicht auf den Kopf gefallen war, betrachtete die Wunde eingehend und wollte wissen, was sie verursacht haben konn­te.

Harry flunkerte, sie hätte eine Sichel über den Balken gehängt, der der Heubodenleiter am nächsten war, und als sie die Leiter runter­rutschte - sie kletterte nie herunter, sondern stemmte je einen Fuß an eine Seite der Leiter und rutschte runter -, habe sie die Sichel ver­gessen. Die Geschichte war dämlich genug, um glaubhaft zu sein.

Als Mim gegangen war, sagte Miranda gequält: »Harry, konnten Sie nicht einfach sagen, Sie hätten sich den Kopf gestoßen?«

»Ja, aber ich mußte ihn mir an etwas stoßen, das so hart war, daß die Haut aufplatzte.« Sie berührte die Stelle. »Tut weh.«

»Das kann ich mir denken, und es wird bestimmt noch länger weh­tun. Versprechen Sie mir, daß Sie so ein Kunststück nicht noch ein­mal machen?«

»Ich fand nicht, daß das ein Kunststück war.«

»Wie sollten Sie auch.« Miranda stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Kind. Ich kenne Sie. Ich kenne Sie, seit Sie aus dem Mutterleib gekommen sind. Sie spazieren mir nicht noch mal allein in dem Krankenhaus herum. Ein Mann ist dort ermordet worden.«

»Sie haben Recht. Ich hätte nicht allein gehen sollen.«

Kurz vor der Mittagspause kam Bruce Buxton herein. »Wie geht's meiner Patientin?«

»Ganz gut.«

Er betrachtete sein Werk. »Ein schöner straffer Stich, wenn ich das mal so sagen darf.«

Wie es der Zufall wollte, schaute Sam Mahanes herein. Da nie­mand Bruce angewiesen hatte, den Mund zu halten, erzählte er Sam, was Harry zugestoßen war.

»Sie haben sie genäht, entlassen und mich nicht informiert?« Sam war bestürzt und fragte sich, warum Rick Shaw ihn nicht sofort ver­ständigt hatte.

»Ich informiere Sie jetzt«, erwiderte Bruce kühl, der sich insgeheim an Sams Empörung weidete.

»Buxton, Sie hätten mich in dem Moment anrufen sollen, als es passierte. Und wer immer da unten war« - er wartete, daß ein Name fallen würde, doch Bruce dachte nicht daran, Booty Weyman zu verpfeifen, woraufhin Sam fortfuhr -, »hätte es mir auch melden müssen.«

»Hören Sie, ich habe die Krankenpfleger angewiesen, Harry nach oben zu bringen, und die Schwester, den Mund zu halten. Ich habe gesagt, ich werde mit Ihnen sprechen. Und ich spreche hier und jetzt mit Ihnen. Wollte Sie heute Morgen anrufen.« Er sah auf die Uhr. »In zwanzig Minuten, um genau zu sein. Bauschen Sie das nicht übermäßig auf.«

»Ich sehe nicht, wie es noch schlimmer werden könnte.« Sams Kinnlade klappte runter.

»Oh, glauben Sie mir, Sam Mahanes, es könnte viel schlimmer sein.«

Diese Bemerkung brachte den Krankenhausdirektor dermaßen in Rage, daß er auf dem Absatz kehrtmachte, ohne den Damen auf Wiedersehen zu sagen, aus dem Postamt marschierte und die Tür hinter sich zuknallte.

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