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Ihre Neugierde wurde Harry zum Verhängnis. Nach der Versamm­lung fuhr sie am Krankenhaus vorbei statt nach Hause. Die Pfützen des geschmolzenen Eises auf dem Asphaltparkplatz glitzerten wie Glimmer.

Einer Eingebung folgend, bog sie in den Parkplatz ein, fuhr um das Krankenhaus herum und gelangte zum rückwärtigen Lieferantenein­gang unweit der Bahngleise. Sie hielt einen Moment an, fuhr dann weiter um die Ecke zur hinteren Tür, die in den Keller führte.

Sie parkte, stieg aus und legte vorsichtig die Hand auf den kalten Türknauf. Langsam drehte sie ihn herum, damit der Schnapper nicht knackte. Sie öffnete die Tür. Trübe Lampen brannten an der Decke des Flurs. Die Düsternis war unheimlich. Das Krankenhaus mußte doch sicher nicht sparen, indem es Glühbirnen mit so geringer Watt­leistung verwendete. Sie fragte sich, ob Sam Mahanes wirklich ein guter Krankenhausdirektor war oder ob sie samt und sonders knause­rig waren, wo die Öffentlichkeit es nicht sehen konnte.

Auf Zehenspitzen schlich sie durch den Hauptkorridor, der zum Zentrum des Gebäudes führte, dem ältesten Trakt des Komplexes, der lange vor dem Bürgerkrieg errichtet worden war. Sie zählte die Flure, die von dem Hauptkorridor abzweigten und wünschte sich, sie hätte Brotkrumen ausgestreut wie Hänsel und Gretel, denn wenn sie in den einen oder anderen Nebengang einböge, würde sie nicht leicht wieder heraus finden. Deswegen hielt sie sich an den Hauptkorridor.

Wenn sie es recht bedachte, hätte sie mit dieser nächtlichen Expedi­tion warten sollen, bis sie Mrs. Murphy, Pewter und Tucker mitbrin­gen könnte. Deren Augen waren viel besser als ihre, zudem war Tu­ckers Geruchssinn ein Geschenk des Himmels. Aber sie hatte sie nach der Arbeit nach Hause gebracht, in aller Eile die Stallarbeit erledigt und war zu der Versammlung ins Pfarrhaus gesaust.

Sie meinte irgendwo zu ihrer Rechten Stimmen zu hören. Instinktiv drückte sie sich flach an die Wand. Sie wollte den Heizungskeller finden. Die Stimmen verklangen, Männerstimmen. Rechts neben ihr war eine geschlossene Tür.

Sie schlich weiter. Ein flackerndes Licht zu ihrer Rechten sagte ihr, daß da vorne ein Raum war. Die Stimmen hörten sich jetzt weiter entfernt an und dann - Stille.

Die Tür hinter ihr ließ sich öffnen. Sie schlüpfte in den Heizungs­keller. Sie hatte ihr Ziel gefunden. Wieder drückte sie sich flach an die Wand, lauschte auf Schritte, aber der gluckernde Heizkessel übertönte leisere Geräusche.

Sie bemerkte sofort, daß unmittelbar vor ihr, auf der anderen Seite des Raumes, ein weiterer Ausgang aus dem Heizungskeller lag.

Sie blickte sich um, atmete tief durch, ging zum Heizkessel. Der Kreideumriß von Hanks Leichnam war fast verblaßt. Sie kniete sich hin, blickte dann auf die Wand. Obwohl sie abgeschrubbt worden war, war noch ein schwacher Blutfleck zu sehen. Schaudernd stellte sie sich vor, wie das Blut aus Hanks Hals geschossen und durch den Raum gespritzt war. Sie wollte aufstehen.

Harry kam nicht auf die Füße. Ein dumpfes metallisches Geräusch war das Letzte, was sie hörte.

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