Blauer Rauch kringelte sich gemächlich aufwärts, dann wurde er dünner. Wenn Rauch sank, wußten Jäger, die Witterung würde gut sein. Rick, der kein Fuchsjäger war, hätte mit Freuden eine gute Witterung aufgenommen, bildlich gesprochen. Er hatte das Gefühl, daß die Lösung zum Greifen nah war, doch sie entzog sich ihm wie eine zurückweichende Welle.
Die Temperatur hielt sich bei fünf Grad, aber es lag Schnee in der Luft. Rick blickte nach Westen zu den metallgrauen Wolken, die über die Gipfel des Blue-Ridge-Gebirges lugten. Den Jackenkragen hochgeschlagen, stand er etwa achthundert Meter von Mims Stall entfernt auf einer Hügelkuppe. Coop stand neben ihm, mit einem Handy ausgerüstet. Sie warteten auf den Anruf vom Stall.
»Ich finde immer, daß Mörder, genau wie Maler, ein Werkstück zurücklassen, das so unverwechselbar ist, daß man sie identifizieren kann - indem man sich die Leinwand ansieht. Manche töten aus Notwehr. Verständlich. Sogar anerkennenswert und kaum verwerflich.« Dampfender Atem entströmte seinem Mund.
»Solange die Mörder Männer sind. Tötet eine Frau aus Notwehr ihren gewalttätigen Ehemann, finden die Menschen immer Gründe, weshalb sie es nicht hätte tun sollen. Wirklich, Chef, Mord scheint noch immer eine Männerdomäne zu sein.«
»Ja, meistens. Wir wachen eifersüchtig über unseren Hang zu Gewalt. Das ist der eigentliche Grund, weshalb das Militär Probleme hat, Frauen im Kampf einzusetzen. Es macht den Männern Angst.« Er lachte verhalten. »Mit einer Uzzi-Maschinenpistole ist sie so stark wie ich.«
Cooper krümmte sich. Der Wind nahm zu. Sie sah auf die Uhr. Viertel nach neun. Kein Anruf.
Sie warteten bis halb elf, dann gingen sie zum Stall. Mim und die zwei Beamten dort waren schwer enttäuscht.
Mim kehrte in Begleitung eines Beamten in ihr Haus zurück.
»Bleiben Sie bis Mittag im Stall auf dem Posten, falls Sie vorher nichts von mir hören«, wies Rick den anderen Mann an. Dann stapften er und Cooper durch den Wald zum Streifenwagen, den sie in einem Heuschober an einer Farmstraße geparkt hatten. Der Boden war gefroren. Sie würden hinausfahren können, ohne stecken zu bleiben.
Als sie eingestiegen waren, blieben sie einen Moment sitzen, bis die Heizung das Auto gewärmt hatte. Rick drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.
»Chef.« Coop zog den Reißverschluß ihrer Jacke auf. »Harry hatte eine Idee.«
»Auch das noch.« Er stieß einen Pfiff aus.
»Die Cramers jagen mit den Clubs von Middleburg und Orange.«
»Und was heißt das?« Er drehte sich zu ihr, sein dunkler Bartschatten färbte sein Kinn bläulich.
»Laut Harry heißt das, daß sie mit Jagdmeuten jagen, also gute Reiter sind.«
»Na und?«
»Harry schlägt vor, sie hierher zur Jagd einzuladen. Das könnte unseren Mörder nervös machen.«
»Darauf ist Harry gekommen?« Er lehnte sich zurück, legte beide Hände hinter den Kopf. »Erinnern Sie mich dran, daß ich die Frau zum Lunch einlade.«
»Der Anblick der Cramers könnte unseren Täter zu einer Dummheit verleiten.«
»Aber es muß jemand bei ihnen sein. Ich will kein Risiko eingehen. Reiten Sie gut genug, um dicht bei ihnen bleiben zu können?«
»Nein, aber Graham Pitsenberger reitet gut und Lieutenant-Colonel Dennis Foster auch. Beides zähe Burschen. Sie werden bewaffnet sein, ihre Achtunddreißiger in Armhalftern verstaut oder im Kreuz. Wir können uns auf sie verlassen.«
»Haben Sie sie schon gefragt?«
»Ja. Graham wird von Staunton herkommen, Dennis von Leesburg. Harry sagt, sie wird ihnen Pferde zur Verfügung stellen.«
»Klingt aufregend«, bemerkte er gequält.
»Ich werde im hinteren Feld reiten.«
»Gott, Cooper, ich komm mit dem Pferdefachchinesisch einfach nicht klar.«
»Die Reiter im hinteren Feld springen nicht. Ich brauche noch eine Weile, bis ich die Hindernisse überwinden kann. Aber das kommt noch.« Ihr entschlossen gestrafftes Kinn ließ sie so aussehen, wie sie als Kind ausgesehen haben mußte, wenn ihre Mutter>nein< gesagt hatte.
»Ich bleib lieber beim Angeln. Nicht daß ich Zeit dafür hätte. Seit vier Jahren verspreche ich Herb, mit ihm zum Angeln nach Highland County zu fahren.« Er seufzte und ließ hinter dem Kopf die Knöchel knacken.
»Sie haben nicht aus Wut auf Hunde gespuckt oder Christen angemotzt. Dann dürfte alles in Butter sein.«
»Wo haben Sie nur diese Ausdrücke her?« Er lächelte sie an. »Ich bin ein echter Virginier und kenne keinen davon.«
»Ich komme rum.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Wann kommen die Cramers?«
»Diesen Samstag.«
»Ich werde nicht dabei sein. Wäre zu auffällig, aber nehmen Sie Ihr Handy mit. Ich bin nicht weit weg.«
»Roger.«
»Fahren wir los.« Er legte den Gang ein. »Wenn wir Glück haben, werden wir den Täter schnappen, bevor noch mehr passiert.«
Sie konnten nicht wissen, daß es schon zu spät war.