15

An diesem Abend hielten die Gläubigen der lutheranischen St. Lu­kaskirche unter dem Vorsitz von Reverend Herbert C. Jones eine Versammlung ab. Wenngleich Harry sich als vom Glauben abgefal­lene Lutheranerin bezeichnete, bewunderte sie den Rev, wie sie ihn nannte. Ihr gefiel, daß es in der lutheranischen Kirche - wie auch in jeder anderen Kirche im Umkreis - wie in einem Bienenstock zu­ging, sie einer Honigwabe menschlicher Beziehungen glich. Wurde jemand krank, sprach es sich herum, und die Leute machten Kran­kenbesuche. Hatte jemand mit Alkoholismus zu kämpfen, besuchte ein Kirchenmitglied, das bei den Anonymen Alkoholikern war, ihn unweigerlich.

Die großen Konfessionen, die in Crozet vollzählig vertreten waren, kooperierten bei schweren Krisen, etwa wenn jemandes Haus ab­brannte. Es war nicht nötig, daß diejenigen, denen Beistand geleistet wurde, irgendeiner Kirche angehörten. Hauptsache, sie lebten in Crozet und Umgebung.

Reverend Jones, ein warmherziger, weiser Mensch, brachte sogar die Baptisten- und die Pfingstgemeinde zusammen, die sich in der Vergangenheit oft von den>höheren< Kirchen herabgewürdigt fühl­ten.

Mrs. Hogendobber, ein frommes Mitglied derKirche zum Heiligen Licht<, erwies sich auf diesem neuen Feld der Zusammenarbeit als unentbehrlich.

Heute Abend ging es bei der Versammlung um die Lieferung von Lebensmitteln und um die medizinische Versorgung für Menschen, die nicht imstande waren, für sich einzukaufen und die keine Ange­hörigen hatten, die ihnen halfen. Oft waren die Empfänger hochbe­tagt. Sie hatten sozusagen alle ihre Verwandten und Bekannten über­lebt. In anderen Fällen war der Empfänger ein boshafter alter Säufer, der Familie und Freunde vergrault hatte. Die andere Gruppe umfaßte AIDS-Patienten, von denen die meisten ihre Angehörigen verloren hatten, selbstgerechte Angehörige, die sich mißbilligend zurückzo­gen und ihr eigenes Fleisch und Blut einsam und allein sterben lie­ßen.

Harry fühlte sich dieser Gruppe besonders verbunden, weil viele von ihnen jung waren. Sie hatte erwartet, hier vornehmlich schwule Männer anzutreffen und entdeckte erschüttert, wie viele Frauen an der heimtückischen Krankheit starben, Frauen, die Drogen genom­men, Gemeinschaftsspritzen benutzt oder einfach das Pech gehabt hatten, mit dem falschen Mann geschlafen zu haben. Einige waren Prostituierte in Washington, D.C. gewesen, und als sie in der Stadt nicht mehr überleben konnten, hatten sie sich aufs Land zurückgezo­gen.

Harry, die eine gute Bildung genossen hatte, war nicht unbedarft. Sicher, sie zog das Landleben dem Getümmel und Gewimmel der Großstadt vor, aber sie war kaum eine Landpomeranze zu nennen. Das ließ sich ohnehin nur von wenigen Menschen sagen. Die Pome­ranze war eines der Stereotypen, die offenbar den Wunsch der Stadtmenschen stillten, sich denen überlegen zu fühlen, die nicht in der Stadt lebten. Dennoch ließ dieser Liebesdienst Harry erkennen, wie vieles sie über ihr eigenes Land nicht wußte. Es existierte eine ganz eigene Welt, die den Drogen verfallen war. Diese hatte ihre Regeln, ihre Kulturen und letzten Endes ihr Todesurteil.

Sie saß in dem schlichten Pfarrhaus Bruce Buxton gegenüber. So unausstehlich er sein konnte, er steuerte seine Zeit und sein Wissen bei und besuchte diejenigen, die medizinische Hilfe brauchten. Wie Herb es geschafft hatte, ihn zur Teilnahme zu überreden, war ihr ein Rätsel.

»... drei Zähne. Aber der Kiefer ist nicht gebrochen«, las Boom Boom Craycroft von der Liste ihrer Klienten ab, wie die Gruppe ihre Schützlinge nannte.

Herb rieb sich das Kinn, lehnte sich zurück. »Können wir mit ihr zum Zahnarzt? Ich meine, kann sie fort von ihm und wird sie mitge­hen, wenn Sie sie holen?«

Boom Boom, die so etwas wie eine Expertin für häusliche Gewalt geworden war, sagte: »Ich kann's versuchen. Er ist pervers genug, um ihr die neuen Zähne auszuschlagen, falls sie welche bekommt.«

Bruce meldete sich zu Wort. Er hatte bis jetzt geschwiegen. »Wie sieht es mit einem Unterlassungsurteil aus?«

»Zu große Angst. Vor ihm und vor dem Verfahren.« Boom Boom hatte gelernt, die Angst und das Mißtrauen der Armen gegenüber den Institutionen der Regierung und dem Gesetzesvollzug zu verstehen. Sie hatte zudem gelernt zu verstehen, daß das Mißtrauen nicht unbe­gründet war. »Ich sehe zu, daß ich sie da rausholen oder zumindest zum Zahnarzt bringen kann. Wenn's nicht geht, dann nicht.«

»Sie haben eine sehr überzeugende Art.« Herb legte seine Hand auf sein Knie und beugte sich ein wenig vor. Der Rücken tat ihm weh. »Miranda.«

»Die Mädels und ich« - sie meinte den Kirchenchor derKirche zum Heiligen Licht< - »werden das Dach auf Mrs. Weymans Haus erneuern.«

»Machen Sie die Arbeit selbst?«, fragte Little Mim. Obwohl sie nicht der lutheranischen, sondern der episkopalischen Kirche ange­hörte, war sie aus zwei Gründen anwesend: Erstens mochte sie Herb und zweitens ärgerte es ihre Mutter, die fand, daß alles, was sich zu tun lohnte, durch die episkopalische Kirche zu geschehen hatte.

»Ah, nein. Wir dachten, wir geben eine Reihe Konzerte, um Geld für das Dach zu sammeln, und finden dann vielleicht ein paar Män­ner, die ihre Arbeit spenden. Das Geld für das Material bringen wir bestimmt zusammen.«

»Ich hatte schon Visionen von Ihnen auf dem Dach, Miranda«, sag­te Herb lachend zu ihr, dann ging er, an Bruce gewandt, zum näch­sten Punkt der Tagesordnung über. »Glück gehabt?«

Bevor Bruce Bericht erstatten konnte, hörten sie die Tür zum Pfarr­haus auf- und zugehen. Larry Johnson, der auf dem Weg von der Diele zu dem freundlichen Versammlungszimmer seinen Mantel auszog, nickte ihnen zu.

»Entschuldigen Sie die Verspätung.«

»Setzen Sie sich, Larry. Schön, daß Sie kommen konnten. Bruce wollte uns gerade Bericht erstatten über die Zusammenarbeit des Krankenhauses mit uns bezüglich unserer Leute, die eine medizini­sche Versorgung nicht bezahlen können.«

Larry nahm neben Miranda Platz. Er faltete die Hände und sah Bruce an.

Bruces angenehme Stimme beherrschte den Raum. »Wie Sie sich denken können, sieht die Verwaltung nur Probleme. Sam und Jordan behaupten beide, es könnten Gerichtsverfahren auf uns zukommen. Was, wenn wir einen bedürftigen Patienten behandeln, der uns ver­klagt und dergleichen. Ihre zweite Sorge betrifft Platz. Beide sagen, das Crozet Hospital hat so schon nicht genug Räume für die Pflege von zahlenden Patienten. Für nichtzahlende Patienten sei im Kran­kenhaus kein Platz.«

Little Mim hob die Hand. Bruce erteilte ihr das Wort.

»Ich will das Krankenhaus nicht verteidigen, aber es stimmt. Eines meiner Ziele als Vorstandsmitglied und Ihre zukünftige Bürgermei­sterin« - sie hielt inne und lächelte verhalten - »wird es sein,privat das Geld für den Bau eines neuen Flügels aufzubringen.«

»Danke.« Herbs rauhe Stimme klang warm. Marilyns Kandidatur amüsierte ihn.

»Sicher, es gibt zu wenig Platz«, pflichtete Bruce bei, »aber wenn wir die Leute außerhalb der Sprechzeiten bringen könnten, vor acht Uhr morgens oder nach drei Uhr nachmittags, könnten wir wenig­stens die Apparate für Untersuchungen benutzen. Ich weiß, daß wir keine Krankenhausbetten bekommen können. Das bringt mich zum dritten Punkt der von der Verwaltung geäußerten Bedenken, der Be­nutzung der Krankenhausapparate. Der zunehmende Verschleiß der Geräte, seien es Infusionspumpen, Röntgenapparate, was auch im­mer, wird eine Erhöhung der Betriebskosten des Krankenhauses zur Folge haben. Das Budget kann dies nicht verkraften.« Er holte Atem. »Das ist der augenblickliche Stand der Dinge. Offenbar wollen Sam und Jordan uns keine glatte Absage erteilen. Dafür sind sie politisch zu klug. Aber ich hege keinen Zweifel an ihrem absoluten Mangel an Begeisterung für unser Vorhaben.«

Es wurde still im Zimmer, eine Stille, die durch abermaliges Öff­nen und Schließen der Pfarrhaustür unterbrochen wurde. Man hörte, daß jemand einen Mantel auszog und an den Garderobenständer hängte.

Tussie Logan trat mit abgespanntem Gesicht ins Zimmer. »Ent­schuldigung.«

»Kommen Sie rein. Wir wissen, daß Sie nicht immer frei über Ihre Zeit verfügen können.« Herb winkte sie freundlich heran. »Bruce hat uns gerade seinen Zwischenbericht über die Fortschritte geliefert.«

»Oder ihr Nichtvorhandensein«, sagte Bruce freimütig. »Tussie, Sie sehen müde aus.«

Bruce rückte seinen Stuhl zur Seite, sodaß sie sich zwischen ihn und Boom Boom setzen konnte.

»Einem von meinen Kindern, Dodie Santana, dem kleinen Mäd­chen aus Guatemala, ging es heute nicht gut.« »Das tut uns Leid«, sprach Harry für die Gruppe.

»Wir werden sie in unser Nachtgebet einschließen«, erbot sich Mi­randa.

»Danke.« Tussie lächelte traurig. »Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht unterbrechen.«

»Ich bin froh, daß Sie's getan haben.« Larry heiterte die Stimmung auf. »Das bedeutet, daß ich nicht als Letzter gekommen bin.«

»Kommen wir wieder zur Sache.« Herb wandte sich an Bruce. »Können wir Zugang zur Versicherungspolice des Krankenhauses bekommen?«

»Ja. Ich glaube nicht, daß Sam das abschlagen würde«, erwiderte Bruce.

»Aber wer kann sie verstehen?«, fragte Larry halb im Scherz. »Ich verstehe ja nicht mal die, die Hayden und ich für die Praxis abge­schlossen haben.«

»Ich denke, Ned Tucker wird uns dabei helfen.« Herb sah Cazeno­via und Eloquenz ins Zimmer marschieren. »Harry?«

»Ich ruf ihn an.« Sie erbot sich, Susans Ehemann anzurufen, einen Mann, der bei allen beliebt war außer bei denen, die ihm vor Gericht in die Quere kamen.

»Bruce und ich haben darüber gesprochen«, erklärte Tussie, »und - ich kann es nicht schonend ausdrücken. Jordan Ivanic fürchtet, daß arme Patienten stehlen - nicht nur Medikamente, was wohl der erste Gedanke der meisten Leute wäre, oh nein, er meint, sie würden Toi­lettenpapier, Bleistifte und was sonst noch alles klauen.«

»Hat er das gesagt?« Harry war entrüstet.

Cazzie sprang auf ihren Schoß und schon fühlte sie sich besser. Eloquenz steuerte direkt auf Herb zu.

»Ja. Das hat er deutlich gesagt.« Tussie klopfte mit dem Fuß auf den Boden.

»Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Reichen die größten Diebe sind.« Bruce rieb sich das Kinn, bemerkte Little Mims mißbil­ligende Miene und fügte hastig hinzu: »Denken Sie an Mike Milken, an all die Makler der Wall Street.«

»Hm, ich denke, ich werde mal mit Sam und Jordan reden.« Herb tätschelte seine jüngste Katze, die laut schnurrte.

»Miau.« Eloquenz schloß die Augen.

Bruce sagte: »Ich konnte mich der Kooperation von wenigstens ei­nem Arzt jeder Abteilung versichern. Unser Problem ist nun, Sam Mahanes zu überreden, uns einen Teil des Krankenhauses, und sei es nur ein Raum, für eine Eingangsuntersuchung dieser Leute zu über­lassen. Er hat allerdings noch eine kleine Befürchtung ausgedrückt.« Bruces Stimme triefte von Sarkasmus. »Und das sind die zahlenden Patienten. Er meinte, sie sollten nicht in die Nähe der Wohlfahrtsfälle geraten; es würde böses Blut geben, weil sie zahlen und die anderen nicht. Darum hatte er Bedenken, sofern wir einen Raum finden und das Haftpflichtproblem lösen könnten, wo wir diese Leute so unter­bringen wollten, daß sie unsichtbar blieben?«

»Ah.« Herb atmete aus.

Miranda rutschte auf ihrem Sitz herum, blickte auf den Fußboden, holte tief Luft und sah dann die Gruppe an. »Bruce, Sie sind nicht hier geboren und aufgewachsen, deshalb erwarte ich nicht, daß Sie es wissen, aber die Absonderung oder Isolierung der Armen bringt uns in unmittelbare Nähe der Rassentrennung. In früheren Zeiten waren die Wartezimmer auf der Rückseite immer für Farbige. Das war da­mals die angemessene und höfliche Bezeichnung, und ich sage Ih­nen, kein Weißer ist jemals durch die Hintertür gegangen und umge­kehrt. Es weckt ein beklommenes Gefühl in mir und sicher auch in den Älteren unter den Anwesenden, die sich noch an damals erin­nern. Das zweite Problem ist, daß eine beträchtliche Anzahl unserer Leute afroamerikanischer oder schottisch-irischer Abstammung ist. Dies sind wohl die zwei ethnischen Hauptgruppen, mit denen wir es zu tun haben. Und ich könnte Ihnen nicht sagen warum. Wie auch immer, ich finde, Sam müßte...« Sie sah Herb an und zuckte mit den Achseln.

»Ich weiß.« Herb verstand sie vollkommen. Immerhin war Sam Virginier und sollte es besser wissen. Aber das Problem bei den Vir­giniern war, daß viele von ihnen sich die Zeit Thomas Jeffersons zurückwünschten. Freilich sahen sie sich nicht als Sklaven oder arme weiße geknechtete Dienstboten. Sie sahen sich stets als die Herren und Meister.

Die Gruppe fuhr mit ihren Zwischenberichten fort und bevor sie auseinander gingen, gab es Tee, Kaffee und Mirandas leckeres Ge­bäck.

Boom Boom trat zu Harry. »Ich bin froh, daß wir zusammenarbei­ten.«

»Es ist eine gute Sache.« Harry wußte, daß Boom Boom die Wun­den heilen wollte, und sie gestand sich ein, daß Boom Boom Recht hatte. Doch hin und wieder schlug Harrys gemeine Ader durch, und dann hätte sie am liebsten gesehen, daß Boom Boom sich wie ein Wurm winden würde.

»Wirst du bei Little Mims Wahlkampagne mitarbeiten?«

»Ah, ich weiß nicht, aber ich kann mich nicht zwischen zwei Stüh­le setzen. Ich meine, Jim ist ein guter Bürgermeister.« Sie nahm sich noch ein Biskuit. »Und du?«

»Ich mach's. Ich werde für Little Mim arbeiten. Sie hat Recht, un­sere Generation muß zum Zuge kommen, und da Big Mim nicht mitmacht, werden wir sie nicht kränken.«

»Aber wird Jim nicht gekränkt sein?«, fragte Harry. Cazenovia rieb sich an ihrem Bein.

»Ein Schinkenbiskuit bitte.«

Harry warf der Katze Schinken hin.

»Glaube ich nicht, er wird den Kampf genießen. Er ist seit Jahr­zehnten unangefochten.« Boom Boom lachte.

Bruce, den Blick auf Boom Boom gerichtet - tatsächlich waren die Blicke der meisten Männer auf Boom Boom gerichtet -, trat zu ih­nen. »Meine Damen.«

»Unsere kleine Gruppe hatte noch nie jemand so Dynamischen wie Sie. Wir sind Ihnen so dankbar.« Boom Boom klimperte mit ihren langen Wimpern.

»Oh, danke. Bei einem Dasein als Arzt geht es nicht immer um Geld, müssen Sie wissen.«

»Wir sind Ihnen dankbar«, sprach Harry Boom Booms Lob nach, aber ohne das Wimpernklimpern. »Oh, ich habe von dem Hühnerblut an der Klinge gehört. Sie tun mir Leid. Wer das getan hat, gehört ausgepeitscht.«

»Verdammt wahr«, brummte er.

»Was?« Boom Boom machte große Augen.

Das gab Harry Gelegenheit, sich zu verdrücken. Bruce konnte Boom Boom von seinem Erlebnis erzählen, und sie konnte noch ein bißchen flirten.

»Harry.« Herb reichte ihr ein Brownie.

Als er sich mit dem Rücken zum Tisch stellte, sprangen beide Kat­zen hinauf. Worauf die Leute sich die beiden Racker griffen und wieder auf den Boden setzten.

»Hm, hm, das könnte bei mir einen Zuckerschock auslösen.« Harry lachte.

Er trat ganz nahe an sie heran und senkte die Stimme. »Ich bin stark beunruhigt von Sams Haltung. Ein Teil des Problems könnte darin liegen, daß es Bruce war, der Sam gefragt hat. Sie wissen ja, Sam kann ihn nicht ausstehen.«

»Mit Ihnen wird er reden.«

»Das nehme ich an.« Er nahm sich noch ein Brownie. »Ade Diät. Wie geht's Ihnen denn so? Ich hatte gar keine Zeit, mit Ihnen zu plaudern.«

»Ganz gut.«

»Schön.« Er senkte die rauhe Stimme.

»Rev, tun Sie mir einen Gefallen. Ich weiß, daß Sam mit Ihnen sprechen wird - eher noch als mit Rick Shaw oder Coop. Fragen Sie ihn unumwunden, wer seiner Meinung nach Hank Brevard umge­bracht hat. Irgendwas stimmt da nicht. Ich weiß nicht. Es läßt mir einfach.«

». keine Ruhe.« Er wischte sich die Finger ab. »Ich frage ihn.«

»Ich hab Bruce vor Beginn der Versammlung gefragt, was er von Brevard hielt«, fuhr Harry fort. »Er sagte, er sei ihm mächtig auf den Keks gegangen - und vielleicht könnte das Krankenhaus jetzt einen richtig guten Techniker einstellen. Ziemlich unverblümt.«

»Typisch Bruce.« Herb legte beschwichtigend den Arm um sie, dann lächelte er. »Sie und Ihre Neugierde.«

Tussie, die mit dem Rücken zu Herb stand, griff nach einem Teller, trat einen Schritt zurück und stieß mit ihm zusammen. »Oh, Verzei­hung.«

»Es gehört mehr als ein kleiner Schubser eines Mädchens wie Sie dazu, um mich umzustoßen.«

»Er hat Recht, Tussie, Sie sind viel zu mager geworden. Sie arbei­ten zu schwer«, meinte Harry.

»Liegt in der Familie. Je älter wir werden, desto dünner werden wir.« »In meiner Familie kommt das bestimmt nicht vor«, rief Miranda von der anderen Seite des Tisches herüber, dann umrundete sie den Salat aus drei verschiedenen Bohnensorten und trat zu ihnen.

»Glauben Sie, daß arme Patienten stehlen?«, fragte Harry Tussie.

»Nein«, sagte sie entschieden.

»Sind Krankenhäuser nicht voll von Medikamenten und Drogen? Ich meine die Drogen, von denen ich immer in der Zeitung lese - Kokain, Morphium.«

»Ja, und die werden hinter Schloß und Riegel gehalten. Jeder Arzt, jede Oberschwester trägt sich ein, notiert die entnommene Dosis und welchem Patienten sie verabreicht wurde, dann schließt der betref­fende Arzt den Schrank wieder ab. So läuft das.«

»Aber jemand wie Hank Brevard weiß doch sicher, wie er an die Medikamentenschränke und die Lagerräume kommt.« Harry zog die Augenbrauen hoch.

»Hm, das nehme ich an, aber wenn etwas fehlte, würden wir's merken.« Tussie schob die Unterlippe ein ganz klein wenig vor.

»Vielleicht. Aber wenn er geschickt war, hätte er das Kokain durch etwas ersetzen können, das genauso aussieht, irgendein Pulver, pul­verisierte Magnesiummilch zum Beispiel.«

Leicht verärgert schlang Tussie einen Happen sahnigen Karottensa­lat hinunter. »Wir würden es merken, wenn der Patient, dem das Medikament verordnet wurde, nicht darauf anspricht.«

»Verdammt, Tussie, wenn sie so krank sind, daß man ihnen Kokain oder Morphium verschreiben muß, dann sind sie vermutlich schon auf dem Weg ins Jenseits. Für einen geschickten Menschen, der sich genau auskennt, der über die Chancen der Patienten im Bilde ist, wäre das, wie einem kleinen Kind Süßigkeiten wegzunehmen.« Har­ry wollte keinen Streit anfangen, in ihrem Kopf drehte sich das Rä­derwerk, das war alles.

»Sie gucken zu viel fern.« Zorn blitzte für eine Sekunde in Tussies Augen auf. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muß mit Boom Boom sprechen.«

Harry, Miranda und Herb sahen sich achselzuckend an.

»Sie ist ein bißchen gereizt«, bemerkte Miranda.

»Streß«, stellte Harry unumwunden fest. »Ich würde auch nicht da arbeiten wollen, wo jemand ermordet wurde. Miranda, stellen Sie sich mal einen Mord im Postamt vor - die Leiche in einen Postsack gestopft.« Ihre Stimme nahm den Tonfall einer Radiosprecherin an. »Vorder- und Hintereingang verriegelt, ein Vermögen an Wertpa­pierzertifikaten in eines der größeren unteren Postfächer geklemmt.«

»Harry, Sie sind unmöglich.« Miranda zwinkerte ihr zu.

»Und denken Sie daran, was ich Ihnen über Ihre Neugierde gesagt habe, junge Dame. Ich kenne Sie, seit Sie auf der Welt sind, und Sie können es nicht ertragen, etwas nicht zu wissen.« Herb legte seinen Arm um sie.

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