»Schmetterball!«, warnte Isabelle Otey am Spielfeldrand, als Harry, die in der gegnerischen Mannschaft spielte, hoch in die Luft sprang und die Faust gegen den Volleyball stieß. Eigentlich war Basketball Isabelles Sport, aber sie liebte fast alle Mannschaftsspiele, und sie wollte gern die>Townies< kennen lernen, wie die Studenten der Virginia University die Bewohner des Bezirks nannten. Am Spielfeldrand zur Untätigkeit verdammt, unterstützte sie ihre Mannschaft verbal.
Isabelles Mannschaft, die Harrys Geschicklichkeit kannte, machte sich geduckt zur Abwehr bereit, doch Harry war nicht nur kräftig, sie war auch gerissen. Sie schmetterte den Ball dahin, wo niemand stand.
»Spiel aus«, rief die Schiedsrichterin beim Spielstand von 21 zu 18.
»Ein Arm wie eine Rakete.« Cynthia Cooper klopfte Harry auf den Rücken.
Isabelle, deren Krücken an der Tribüne lehnten, rief Harry zu: »Zu gut, Mary Minor. Sie sind einfach zu gut.«
Harry schlang sich ein Handtuch um den Hals und trat zu der Trainerin der gegnerischen Mannschaft. Coop von der Bezirkspolizei kam dazu.
»Isabelle, sie brauchen dich. Die Basketballmannschaft auch.« Cynthia setzte sich neben sie.
»Noch vier Wochen. Es tut ja nicht richtig weh, die Schwellung ist schnell zurückgegangen. Aber ich will das nicht noch mal durchmachen, deshalb tu ich, was Dr. Buxton gesagt hat. Die meiste Angst hab ich, wenn ich mit den Krücken übers Eis zum Auto muß.«
»Morgen soll's regnen.« Harry wischte sich mit dem weißen Handtuch das Gesicht ab. »Dann schmilzt der Schnee ein bißchen. Das ist gut. Er schmilzt aber nicht ganz weg, und am Abend ist alles noch mehr vereist. Das ist weniger gut.«
»Dann geht mir wenigstens die Arbeit nicht aus.« Cynthia grinste. »Ich muß schließlich was tun für mein Geld. Die meisten Leute verhalten sich bei Blechschäden ganz vernünftig. Manche drehen durch.« »Sie kriegen bestimmt 'ne Menge zu sehen.« Isabelle konnte sich nicht vorstellen, Polizeibeamtin zu sein. Sie wollte als Profi- Basketballerin Karriere machen.
»Hauptsächlich Autounfälle, Saufereien, ein paar Diebstähle und« - sie lächelte diabolisch - »gelegentlich ein Mord.«
»Ich frag mich, ob ich jemanden umbringen könnte.«
»Isabelle, du würdest staunen, wozu du fähig wärst, wenn dein Leben davon abhinge.« Cynthia fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare.
»Sicher. Aus Notwehr, aber ich lese in der Zeitung von Serienmördern oder von Leuten, die einfach mit 'nem Gewehr in einen Laden an der Ecke gehen und alle, die gerade drin sind, über den Haufen schießen.«
»Ich habe ab und zu im Postamt ein paar kaltblütige Gedanken«, sagte Harry kichernd.
»Ach Harry, Sie könnten niemanden umbringen - außer natürlich in Notwehr«, sagte Isabelle.
»Ich hab nicht viel über dieses Thema nachgedacht. Und wie siehst du das, Coop? Du bist hier der Profi.«
»Die meisten Mörder haben ein Motiv. Eifersucht, vererbtes Geld. Das Übliche. Doch hin und wieder kommt einer daher, der einen glauben läßt, daß manche Menschen bereits böse geboren werden. Meiner Ansicht nach gestattet unser System, daß sie damit durchkommen.«
»Wollen wir jetzt über die Aufhebung der Bürgerrechte diskutieren?«, fragte Harry.
»Nein, weil ich unter die Dusche muß. Hab heute Abend 'ne Verabredung.«
Harry und Isabelle horchten auf. »Womit?«
»Mit wem«, verbesserte Harry Isabelle.
»Mit Harrys Ex.«
»Echt?« Isabelle beugte sich vor.
»Nimm ihn. Er gehört dir.« Harry machte eine lässige Bewegung mit der rechten Hand.
»Ach komm, stell dich nicht so an. Er liebt dich und das weißt du.« Coop lachte Harry aus, dann wurde ihre Stimme lebhaft. »Ich hab's. Gib's zu, du hättest Boom Boom Craycroft umbringen können, als die beiden eine Affäre hatten.«
»Ähem, ja«, erwiderte Harry trocken. »Die Affäre, die meine Ehe beendete. Aber eigentlich stimmt das nicht ganz. Ehen enden auf vielerlei Art. Das war nur der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Hätte ich Boom Boom umbringen können? Nein. Sie konnte nicht aus ihrer Haut. Ihn hätte ich umbringen können.«
»Und, warum haben Sie's nicht getan?«, wollte Isabelle wissen, die noch nie verliebt gewesen war.
»Keine Ahnung.«
»Weil du keine Mörderin bist«, antwortete Coop für Harry. »Jeder Mensch auf Erden hat Zeiten, wo er dermaßen provoziert wird, daß er jemanden töten könnte, aber neunundneunzig Prozent von uns tun es nicht. Ich möchte schwören, daß es Menschen gibt, die von ihren Genen her zu Gewalt und Mord neigen. Und es ist mir schnurzpiepegal, wenn ich mich mit dieser Meinung unbeliebt mache.«
»Wieso sitzen wir hier und reden über meine verflossene Ehe?«
»Weil ich heute Abend mit Fair die Runde mache.«
Fair Haristeen hatte Cynthia Cooper eingeladen ihn zu begleiten, als sie Interesse an seiner Arbeit bekundet hatte.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie sich für Pferde interessieren.« Isabelle stand auf und Harry reichte ihr die Krücken.
»Ich mag Pferde, aber eigentlich interessiert es mich, ein paar Gestüte von der anderen Seite zu sehen. Die Stallarbeiter kennen zu lernen. Vielleicht brauch ich mal ihre Hilfe. Und ich möchte mehr über Therapien wissen.«
»Vieles, was später bei Menschen angewendet wird, wird zuvor in der Tierheilkunde getestet.«
»Wie die Operation an meinem Knie.« Isabelle schwang ihr Bein über die unterste Tribüne und trat auf den Holzboden. »Ich möchte wissen, wie viele Hunde, Katzen und Pferde vor mir einen Kreuzbandriß hatten.« Sie hielt kurz inne. »Harry, tut mir Leid, wenn ich Sie in Verlegenheit gebracht habe mit der Frage, wann Ihre Ehe in die Brüche ging.«
»Komm, ich trag dir deine Tasche.« Harry hob die beängstigend große Tasche auf und warf sie sich über die Schulter. »In Crozet wissen alle alles über jeden - oder sie glauben es zu wissen. Er hat sich rumgetrieben und ich hatte es satt. Und mit einem Tierarzt verheiratet sein, ist wie mit einem Arzt verheiratet sein. Man kann sich eigentlich nie was vornehmen. Immer kommt ein Notfall dazwischen, und manchmal gibt es Tage, an denen man sich kaum sieht. Und ich hab zu jung geheiratet.«
Beide sahen gebannt hin, als Boom Boom Craycroft die Tür zur Turnhalle aufstieß. »Wenn man vom Teufel spricht.«
»Hi, Mädels.« Die üppige, gut aussehende Frau winkte ihnen zu.
»Was machst du denn hier?«, fragte Harry, da Boom Boom auf der Highschool immer die Turnstunden geschwänzt hatte. Ihre einzige körperliche Betätigung, abgesehen vom Nächstliegenden, war Golfen.
»Ich hab eure Autos draußen gesehen und dachte, ich verpasse vielleicht was.«
»Hast du auch. Wir haben sie aus dem Feld geschlagen und uns dann darüber unterhalten, ob wir zu Mord fähig sind«, sagte Harry mit Leichenbittermiene.
»Ach. Ja, und außerdem bin ich vorbeigekommen, weil ich Sheriff Shaw in Market Shifletts Laden gesehen habe. Coop, er weiß, daß Sie was vorhaben, aber könnten Sie heute Abend arbeiten? Bobby Yount hat Grippe, und der Sheriff meint, daß heute Nacht viel los sein wird. Sie möchten ihn bitte in seinem Wagen anrufen.«
»Verdammt. Na gut. Danke, Boom.« Cynthia wandte sich an Harry und Isabelle. »Da geht sie hin, meine Verabredung mit Fair.« Sie wußte, daß dies Boom Booms rasende Neugierde anstacheln würde.
Mit weit aufgerissenen Augen rückte Boom Boom dicht an Coop heran in der Hoffnung, sie unauffällig von den zwei anderen Frauen fortzuziehen und Pikantes zu erfahren über das, was ganz nach einer Romanze oder zumindest einer ernsthaften Verabredung aussah.
Harry hintertrieb dies, indem sie sagte: »Mensch Boom, vielleicht solltest du einspringen.«
»Gott, kannst du fies sein. Richtig fies.« Boom Boom machte auf dem Absatz eines teuren, in Aspen gekauften Winterstiefels kehrt und stürmte hinaus.
Isabelle klappte bei den Mätzchen der Erwachsenen die Kinnlade runter.
»Schmetterball.« Coop klopfte Harry auf den Rücken.