25

Das kreiselnde Blaulicht von Ricks Streifenwagen warf einen trüben Schimmer auf die Szenerie. Cynthia stand mit Rick hinter den drei Ställen von Twisted Creek Stables. Der Parkplatz für Pferdeanhänger und Lieferwagen lag außer Sicht hinter den Ställen. Die Leute, die Pferdeboxen gemietet hatten, konnten ihre Fahrzeuge auf dem Platz abstellen.

Larry Johnson, der in der Stadt wohnte, hatte sein Pferd hier in Pflege gegeben. Das hatte er immer so gehalten mit der Erklärung, er sei kein Landmensch und wolle auch keiner werden. Seit er nach dem Krieg seine Praxis eröffnet hatte, waren seine Pferde in Pflege.

Er lag mit dem Gesicht nach unten im Gras, eine Kugel im Rücken, eine zweite hatte ein Stück von seinem hinteren Schädel weggeris­sen. Er war seit Stunden tot. Wie lange, ließ sich schwer sagen, da das Thermometer gefallen war. Er war steif gefroren.

Er hätte die ganze Nacht dort gelegen, wäre nicht Krystal Norton, eine Stallarbeiterin, in den hinteren Stall gegangen, um noch Futter zu bringen. Sie glaubte hinter dem Stall einen Motor zu hören, ging hinaus, und richtig, da parkte Larrys Transporter mit laufendem Mo­tor. Sie hatte Larry erst bemerkt, als sie schon halbwegs beim Wagen war, um den Motor abzustellen.

»Krystal«, fragte Cynthia mitfühlend, »wie ist der Ablauf norma­lerweise? Was würde Larry nach dem Jagdfrühstück getan haben?«

»Er wäre zu dem ersten Stall gefahren, hätte sein Pferd abgeladen und in die Box gebracht, dann wäre er hierhergefahren, hätte seinen Anhänger abgekuppelt und wäre mit seinem Transporter nach Hause gefahren.«

»Und hat er sein Pferd abgeladen?«

»Ja.« Krystal putzte sich die triefende Nase; sie schluchzte aus Er­schütterung und weil sie Dr. Johnson gern hatte. Alle hatten ihn gern.

»Ist niemandem aufgefallen, daß er nicht weitergefahren ist?« Cyn­thia führte Krystal ein paar Schritte fort von dem Toten.

»Nein. Wir hatten alle viel zu tun. In diesem Kostgängerstall gehen die Leute andauernd ein und aus.« Sie benutzte den Ausdruck>Kost­gängerstall<, was so viel bedeutete wie Mietstall.

»Sie haben kein Knacken gehört?« »Nein.«

»Manchmal klingt Gewehrfeuer wie Knacken. Es ist durchaus nicht wie im Kino.« Coop sah Scheinwerferlichter in die lange Zufahrt schwenken und hoffte, es seien die Wunderkinder, wie sie den Fin­gerabdruckmann, den Fotografen und den Gerichtsmediziner nannte.

»Wir lassen das Radio immer laut laufen.« Krystal senkte den Kopf, dann sah sie die Polizistin an. »Wie kann so was passieren?«

»Das weiß ich nicht, aber es ist mein Job, es rauszukriegen. Wie lange arbeiten Sie schon hier?«

»Zwei Jahre.«

»Krystal, gehen Sie wieder in den Stall. Wir sagen Ihnen, wann Sie nach Hause können, aber Sie brauchen nicht hier draußen in der Käl­te zu stehen. Die Sache ist schrecklich und es tut mir so Leid.«

»Ist da - läuft da 'n durchgeknallter Irrer frei rum?«

»Nein«, antwortete Cynthia entschieden. »Wir haben es mit einem kaltblütigen Mörder zu tun, der etwas schützen will, aber ich weiß nicht was. Dies ist kein Verbrechen aus Leidenschaft. Es ist kein Sexualverbrechen oder Raubmord. Ich glaube nicht, daß Sie in Ge­fahr sind. Wenn Ihnen bange sein sollte, rufen Sie mich an.«

»Okay.« Krystal putzte sich noch einmal die Nase und ging in den Stall zurück.

Die Scheinwerfer gehörten zu Mim Sanburnes dickem Bentley. Sie schlug die Tür zu und rannte zu Larry Johnson. Sie ließ sich auf ein Knie nieder, um ihn in ihre Arme zu nehmen.

Der Sheriff packte sie freundlich, aber fest an den Schultern. »Sie dürfen ihn nicht anfassen, Mrs. Sanburne. Sie könnten einen Beweis vernichten.«

»Oh Gott.« Mim sank in die Knie, barg den Kopf in den Händen. Sie kniete neben dem Leichnam, sah, daß ein Stück Schädel fehlte, sah das Loch in Larrys Rücken.

Rick gab Coop ein Zeichen, rasch herzukommen.

Mit ihren langen Beinen legte Cynthia die Strecke zwischen Stall und Parkplatz schnell zurück. Sie kniete sich neben Mim. »Miz San­burne, kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrem Auto.«

»Nein, nein. Ich will bei ihm bleiben, bis man ihn fortbringt.«

Wieder schlängelten sich Scheinwerferlichter die Zufahrt entlang. Miranda Hogendobber stieg aus ihrem alten Ford Falcon, der noch lief wie eine Eins. Hinter ihr kamen Susan, Harry, die zwei Katzen und der Hund in Susans Audi Kombi.

Rick blinzelte ins Licht. »Verdammt.«

Coop flüsterte: »Sie können helfen.« Sie deutete mit dem Kopf auf Mim.

»Helfen, wobei?«, weinte Mim. »Er ist tot! Der beste Mensch, den Gott je schuf, ist tot.«

Miranda eilte hinüber, nickte Rick einen Gruß zu, kniete sich dann neben Mim. Sie schauderte, als sie Larrys gefrorenen Körper sah. »Mim, ich bring dich zu mir nach Hause.«

»Ich kann ihn nicht verlassen. Du weißt doch, ich hab ihn einmal verlassen.«

Ja, das wußte Miranda. Freundinnen von Geburt an, hatten sie die Geheimnisse ihrer Generation miteinander geteilt. Geheimnisse, die ihre Kinder oder jüngeren Freunde, die immer dachten, erst mit ihrer Ankunft hätte die Welt begonnen, kaum vermuten würden.

Miranda atmete tief durch und legte ihre Wange an Mims. »Du hast getan, was du tun mußtest, Mimsy. Deine Mutter hätte dich sonst umgebracht.«

»Ich war feige!«, schrie Mim so laut, daß alle erschraken.

Susan und Harry hielten sich im Hintergrund. Sie wollten erst nä­her kommen, wenn Miranda Mim von hier fortgebracht hatte.

»Macht einen weiten Bogen, so daß die Menschen nichts merken«, sagte Mrs. Murphy zu Pewter und Tucker.»Wir müssen die Leiche untersuchen, bevor die Menschen die Spur vermasseln.«

»Ich bin nicht scharf auf Tote.« Pewter rümpfte die Nase.

»Er modert ja nicht schon seit Tagen hier draußen vor sich hin«, raunzte Murphy sie an.»Mir nach.«

Die drei Tiere liefen im Bogen zur Rückseite des für zwei Pferde ausgelegten Anhängers. Sie quetschten sich unten drunter durch zu der Leiche, waren aber darauf bedacht, sich nicht zu schnell zu be­wegen.

»Komm, Mim, du kannst nicht hier bleiben. Das hier darf nicht in die Presse. Ich kümmere mich um dich.« Miranda mühte sich, Mim aufzurichten, die, obwohl elegant und schlank, eine schwere Bürde war. Coop nahm sanft Mims rechten Arm und zog sie zusammen mit Miranda hoch.

»Es ist mir egal. Ist mir egal, wer es erfährt.« »Das kannst du später entscheiden«, riet Miranda weise.

Mim blickte über die Schulter auf den Ermordeten. »Ich habe ihn geliebt. Es ist mir egal, wer es erfährt. Ich habe ihn geliebt. Er war der einzige Mann, den ich aufrichtig geliebt habe, und ich habe ihn fallen lassen. Wofür?«

»Es waren andere Zeiten. Wir haben getan, was man uns gesagt hat.« Miranda zog sie weiter.

Mim wandte sich an Cynthia. »Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Liebe ist, aber ich habe es gewußt. Wenn Sie sich verlieben, geben Sie die Liebe nicht auf, nur weil jemand Ihnen sagt, er ist kein geeig­neter Ehemann.«

»Das werde ich nicht tun, Mrs. Sanburne.« Coop fragte Miranda: »Welcher Wagen?«

»Mims. Ich fahre. Bitten Sie Harry, mein Auto später nach Hause zu fahren.«

»Ja.« Coop half Mim auf den Beifahrersitz. Mims Augen waren glasig. Sie schaute nach vorn, ohne etwas zu sehen.

Miranda ließ den Wagen an, fand den Hebel zum Verstellen des Sitzes, fuhr den Sitz zurück, dann griff sie nach Mims linker Hand. »Das wird eine sehr, sehr lange Nacht, mein Herz. Ich weiß nicht, wie man dieses Ding hier bedient.« Sie zeigte auf das Autotelefon. »Wenn du Jim oder Marilyn anrufst, sag ich ihnen, daß du bei mir übernachtest. Ich kümmere mich um dich.«

Wortlos wählte Mim die Nummer und reichte Miranda den Hörer.

Als sie die Zufahrt entlang fuhren, kam ihnen der Gerichtsmedizi­ner entgegen.

Die Nase am Boden, schnupperte Tucker rings um den Toten. Rick sah es und verscheuchte sie. Die Katzen kletterten in die Sattelkam­mer des Pferdeanhängers.

Obwohl die Nacht dunkel war, sahen sie genug. Auf dem Boden des Anhängers glitzerten keine Geschoßhülsen. Ein roter Plastikei­mer mit einem Putzlappen und einer Bürste stand auf dem Boden der kleinen Sattelkammer. Das schmutzige Zaumzeug hing noch am Haken, auf dem Boden lag ein Stück Glyzerinseife.

»Er wollte wohl Sattel und Zaumzeug sauber machen, bevor er nach Hause fuhr«, vermutete Pewter.

»Ich rieche nichts außer dem Pferd und Larry. Hier war kein ande­rer Mensch drin«, sagte Mrs. Murphy leise.»Allerdings kann Tucker besser riechen als wir.«

Tucker, die abermals von Rick verscheucht worden war, kam in die Sattelkammer gesprungen.»Nichts.«

»Schnupper mal hier drin«, bat Pewter.

Schnell, aber sorgfältig ging die Corgihündin den Anhänger durch.

»Nichts.«

»Das haben wir uns gedacht.« Mrs. Murphy sprang aus der offenen Sattelkammertür und rannte fort von dem Parkplatz und den Ställen.

»Wo will sie hin?« Tuckers Ohren stellten sich senkrecht.

Nach einer Sekunde des Zögerns meinte Pewter:»Das werden wir gleich sehn.«

Harry bekam nicht mit, daß ihre Tiere über die Koppel flitzten. Sie ging mit Susan zu Larrys Leichnam.

»Ich bring den um, der das getan hat!« Harry fing an zu weinen.

»Das hab ich überhört.« Rick seufzte; denn auch er hatte den älte­ren Herrn verehrt.

»Er hat mich auf die Welt geholt.« Auch Susan weinte. »Warum ausgerechnet Larry?«

»Er war zu dicht dran.« Coop, der es normalerweise nicht lag, un­aufgefordert ihre Meinung zu äußern, knöpfte ihren Mantel zu.

»Es ist meine Schuld.« Der Sheriff wurde von schrecklichen Ge­wissensbissen übermannt. »Ich hatte ihn gebeten, im Krankenhaus Augen und Ohren offen zu halten, und das hat er getan. Er hat es ganz bestimmt getan.«

»Wenn wir's nur wüßten. Chef, er hat heute beim Frühstück bei Harry etwas gesagt. Er hatte ein bißchen getrunken, ist etwas laut geworden. Er sagte...« Sie überlegte einen Augenblick, bemüht, ihn wortwörtlich zu zitieren. »Ja, er sagte:>Ich habe Ihnen morgen etwas mitzuteilend «

»Wer hat es gehört?« Rick war froh, als Tom Yancy angefahren kam. Er hatte volles Vertrauen zu dem Gerichtsmediziner.

»Alle«, antwortete Harry an Coopers Stelle. »Er hat kein großes Geheimnis draus gemacht. Er war fröhlich, ausgesprochen fröhlich und aufgeregt.«

»Harry, ich möchte eine Liste von allen, die heute Morgen zum Frühstück bei Ihnen waren«, verlangte Rick.

»Ja, Sir.«

»Setzen Sie sich ins Auto, um sich aufzuwärmen, und schreiben Sie's auf. Susan, Sie helfen ihr. Ein gespitzter Bleistift ist besser als ein langes Gedächtnis.« Er deutete auf Susans Kombi.

Die zwei Frauen gingen zu Susans Wagen. Tom Yancy beugte sich über den Toten. Auch er war betroffen, aber er war ein Profi. Sein alter Freund Dr. Larry Johnson hätte nichts anderes von ihm erwar­tet.

Mrs. Murphy blieb auf einem mittel hohen Hügel etwa vierhundert Meter vom Stall entfernt stehen.

»Und?«, fragte Tucker, die im Dunkeln nicht so gut sehen konnte.

»Der Mörder hätte an zwei Stellen stehen können. Oben auf dem Stall. Auf diesem Hügel - oder er lag flach auf dem Bauch.«

»Woran erkennst du das?«, fragte Pewter.

»Schmauchspuren. Es gibt keine Schmauchspuren, sonst hätte Tu­cker es erwähnt. Er muß mit einem Hochleistungsgewehr ermordet worden sein - mit Zielfernrohr. Ganz einfach.«

»Von hier aus zu schießen wäre einfacher, als auf das Dach von einem Stall zu klettern«, mutmaßte Pewter.»Und der Mörder konnte sein Auto verstecken.«

Die drei Tiere blickten hinter sich, wo sich eine alte Farmstraße in den Wald schlängelte.

»Es wäre leicht gewesen. Das Auto verstecken, zu Fuß hierher gehn. Auf die günstige Gelegenheit warten. Einer, der genau wußte, wie Larry üblicherweise vorging.« Tucker pflichtete Mrs. Murphys Logik bei.

»Ja. Und es ist Jagdsaison. Die Leute laufen mit Gewehren und Handfeuerwaffen rum. Das fällt nicht weiter auf.« Pewter plusterte ihr Fell auf. Sie war keine Katze, die sich in der Kälte wohl fühlte.

»Laßt uns lieber zurückgehn, bevor Harry sich Sorgen macht.« Mrs. Murphy hob den Kopf zum Himmel. Die Sterne strahlten kalt, wie sie es nur im Winter taten.»Wer immer der Kerl ist, er kann sich schnell bewegen. Er war bei dem Frühstück. Garantiert hat er Larry gehört.«

»Glaubst du, es war derselbe, der Mutter auf den Schädel geschla­gen hat?«, fragte Pewter.

»Schon möglich.« Mrs. Murphy sprang den Hügel hinunter. »Das gibt mir nicht gerade ein warmes, kuschliges Gefühl.« Tucker wurde es mulmig in der Magengrube.

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