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Die Menschen erzählen mir 'ne Menge. Klar, ich hab ein nettes Ge­sicht und ich kann gut zuhören, aber im Grunde erzählen sie mir deshalb so viel, weil sie denken, ich kann ihre Geheimnisse nicht weiter quatschen. Da sind sie aber schiefgewickelt.«

»Auch mir erzählen die Menschen Geheimnisse.« Die Corgihündin sah zu Mrs. Murphy hoch, der Tigerkatze, die sich im Postamt auf der Fensterbank räkelte.

»Du raubst einem aber auch alle Illusionen. Hunde plaudern alles aus.« Sie schnippte lässig mit der Schwanzspitze.

»Du hast gerade gesagt, daß die Menschen denken, du kannst ihre Geheimnisse nicht weiterquatschen, und daß sie da schief gewickelt sind. Siehste, du plauderst auch aus.«

»Tu ich gar nicht. Ich kann quatschen, wann ich will, das wollte ich damit sagen, weiter nichts.«

Tucker stand auf, schüttelte den Kopf und trat dicht vor die Fen­sterbank.»Und, weißt du 'npaar Geheimnisse?«

»Nee, Saure-Gurken-Zeit.« Sie seufzte.»Nicht mal Pewter hat was Schmutziges ausgegraben.«

»Das verbitte ich mir.« Eine kleine Stimme kam von unten aus ei­nem Leinenpostsack.

»Warte nur, bis Miranda sieht, was du mit ihrem Garten angestellt hast. Nicht eine einzige Tulpenzwiebel ist ihr geblieben, Pewter. Und alles bloß, weil du letzte Woche gedacht hast, da ist ein Maulwurf drin.«

»Ihre Tulpen waren krank. Ich hab ihr 'ne Menge Ärger erspart.« Sie machte eine kurze Pause.»Und ich hab das Loch sogar mit Mulch zugedeckt. Sie merkt es frühestens in ein, zwei Monaten. Wer weiß, wann der Frühling kommt?«

»Wann der Frühling kommt, weiß ich nicht, aber Mim, die Mächti­ge, kommt jetzt.« Tucker stand auf den Hinterbeinen und sah aus dem Fenster.

Mim Sanburne, die tonangebende und reichste Bürgerin der Stadt, schloß die Tür ihres Bentley Turbo und trat, ganz vorsichtig, weil große Flächen Mittelvirginias von einer Eisschicht bedeckt waren, auf den geräumten Gehweg, der zum Postamt führte.

Eigenartig, daß Mim einen Bentley fuhr, war sie doch in Virginia geboren und aufgewachsen, wo ihre Familie schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts ansässig war. Ein so auffälliges Auto wie einen Bentley zu fahren überschritt die Grenzen des Schicklichen. Nur ein Rolls-Royce wäre noch schlimmer. Und Mim protzte nicht mit ihrem Reichtum. Miranda, die Mim zeit ihres Lebens kannte, mutmaßte, daß es sich hier um eine stumme Rebellion ihrer Freundin handelte. Als sie beide in die Sechziger kamen, was sie natürlich nicht an die große Glocke hängten, war dies Mims Aufruf an die Jugend: Platz da!

Und die Leute machten ihr Platz.

Mary Minor »Harry« Haristeen lächelte, als Mim die Tür aufstieß. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Harry. Hatten Sie heute auf der Fahrt hierher Pro­bleme?«

»Als ich die Zufahrt hinter mir hatte, ging's ganz gut. Die Straßen sind geräumt.«

»Mich hast du nicht gefragt, ob ich welche hatte.« Miranda trat an den Schalter, der das Postpersonal von den Kunden trennte. Da sie gleich hinter dem Postamt wohnte - nur eine Gasse lag dazwischen - , war sie zu Fuß zur Arbeit gerutscht und geschlittert.

»Da du dir nichts gebrochen hast, ist ja alles in Butter.« Mim lehnte sich auf den Schalter. »Grau in grau. Kalt. Gräßlich.«

»Fünfzehn Grad minus waren's letzte Nacht.« Miranda, die Gärtne­rin aus Leidenschaft, behielt das Wetter stets im Auge. »Auf Dalmal­ly war's bestimmt noch kälter.« So hieß Mims Anwesen gleich au­ßerhalb der Stadt. Da einige von Mims Vorfahren aus Schottland geflohen waren, hatten sie ihre Farm zum Gedenken an Heide und Heimat Dalmally genannt.

»Minus siebzehn.« Mim schlenderte zu ihrem Postfach und holte ihren Schlüssel hervor. Das Messingschloß klickte, als sie den Schlüssel herumdrehte.

Neugierig ließ Mrs. Murphy sich von der Fensterbank fallen, sprang auf den Schalter, trat dann gewandt vom Schalter auf das Sims, das hinter den Postfächern entlang verlief und die oberen von den unteren, größeren trennte. Zu gerne spähte sie in die Fächer. Zog ein Tag sich hin, griff sie auch mal hinein, scharrte in der Post und biß gar die Ecken ab.

Heute bemerkte sie, daß auf dem Boden von Susan Tuckers Post­fach Popcorn klebte.

Mims Hand, behandschuht mit erlesenem, weichem, türkisfarbe­nem Wildleder, langte in ihr Fach. Murphy konnte nicht widerstehen, sie linste hinab und packte mit beiden Pfoten - ohne ausgefahrene Krallen - Mims Hand.

»Mrs. Murphy, laß mich meine Post rausholen.« Mim bückte sich und sah sich von zwei schönen grünen Augen angestarrt.

»Gib mir deinen Handschuh. Ich rieche Wildleder so gern.«

»Harry, Ihre Katze läßt mich nicht los.«

Harry ging hinüber, steckte die Finger in das Postfach und befreite Mims Hand aus Murphys Pfoten. »Murphy, nicht alle in Crozet fin­den euch süß.«

»Vielen Dank!«, tönte Pewters Stimme aus dem Postsack.

Harry, eine hübsche Frau, jung und sportlich, setzte ihre Tigerkatze sanft auf den Schalter und streichelte sie.

Miranda sah in den Paketregalen nach. »Mim, hier ist ein Päckchen für dich. Sieht nach deinem Kaffee aus.«

Als Mitglied eines Kaffeeclubs bekam Mim einmal im Monat Boh­nen von verschiedenen weltberühmten Kaffeesorten zugeschickt. »Schön.« Sie stand am Schalter und sortierte ihre Post. Dann zog sie einen Handschuh aus und schlitzte die Umschläge mit dem Daumen­nagel auf, eine Gewohnheit, um die Harry sie beneidete, da ihre Nä­gel von der Farmarbeit arg mitgenommen waren. Die ältere, elegante Frau öffnete einen weißen Umschlag, las ein paar Sätze, dann warf sie Brief und Umschlag in den Abfall. »Schon wieder so ein Ketten­brief. Ich kann die Dinger nicht ausstehen, ich wünschte, sie würden gesetzlich verboten. Sie sind alle nach dem Pyramidenschema aufge­baut. Dieser hier verlangt, daß man fünf Dollar an den Crozet Hospi­tal Fonds für bedürftige Patienten schickt und dann zwanzig Kopien von dem Brief versendet. Ich möchte bloß wissen, wer meinen Na­men auf die Liste gesetzt hat.«

Harry öffnete die Trennklappe, ging zum Papierkorb und angelte den unliebsamen Brief heraus.

»Schwester Sophonisba wird Ihnen Glück bringen.« Sie überflog den Rest. »Da ist keine Namensliste. Hier steht bloß, man soll den Brief an zwanzig Personen weiterleiten,>wenn Sie wollem.« Harrys Stimme wurde lauter. »Schicken Sie fünf Dollar an den Crozet Hos­pital Fonds für bedürftige Patienten, oder Ihre Mikrowelle stirbt.«

»Das steht da doch nicht wirklich, oder?« Miranda dachte, Harry würde sie aufziehen, aber andererseits...

»Nee.« Harry grinste sie schief an.

»Sehr komisch.« Mim streckte die Hand nach dem Brief aus und Harry gab ihn ihr. »Gewöhnlich ist da eine Namensliste und der obe­re bekommt Geld. Der eigene Name rutscht nach und nach auf der Liste nach oben.« Sie las den Brief noch einmal, dann lachte sie schallend. »Das ist die Stelle, die mich immer fertig macht bei die­sem Zeug.« Sie las vor: »Mark Lintel hat fünf Dollar geschickt und der Herr hat ihn mit einer Beförderung am Arbeitsplatz belohnt. Jer­ry Tinsley hat diesen Brief zum Abfall geworfen und hatte drei Tage später einen Autounfall.« Mim schaute über den Brief hinweg. »Ich meine mich an Jerrys Unfall zu erinnern. Und ich meine mich auch zu erinnern, daß er reichlich Wodka intus hatte. Wenn er stirbt, er­steht er als gammelige Kartoffel wieder auf.«

Harry lachte. »Vermutlich mußte er den alten Camry irgendwie los werden, drum hat er beschlossen, ihn zu Schrott zu fahren.«

»Harry«, sagte Miranda tadelnd.

»Hm, Ihre Todesdrohung gegen Mikrowellen fand ich gut.« Mim reichte Harry den Brief über den abgenutzten Schalter. Harry zielte auf den Papierkorb und beglückwünschte sich zu dem>Korbleger<.

Harry lächelte. »Zwei Punkte.«

»Scheint jemand von hier zu sein. Die Hinweise betreffen Hiesige. Nichts vonHarold P. Beecher aus Davenport, Iowa, hat das große Los gewonnen<«, sagte Mim. »Tja Mädels, da sieht man mal wieder, wie gemächlich es bei uns zugeht, wenn wir so viel Zeit für einen Kettenbrief verschwendet haben.«

»Der Februar ist langweilig.« Harry streckte die Zunge heraus.

»Ist euch schon mal aufgefallen, daß Menschenzungen nicht so ro­sa sind wie unsere?« Tucker, die Corgihündin, legte den Kopf schief und streckte ebenfalls die Zunge heraus.

»Sie sind, was sie sind«, tönte es mit Grabesstimme aus dem Post­behälter.

»Oh, wie tiefsinnig, Pewter.« Mrs. Murphy kicherte.

»Die Weise von Crozet hat gesprochen«, grollte Pewter und ließ ihre Katzenstimme noch tiefer klingen.

»Also, ich weiß gar nichts. Und ihr zwei?«

»Mim, wir dachten, Sie wissen alles. Sie sind die.« Harry hielt eine Sekunde inne; denn ihr lag>die Queen von Crozet<, wie Mim hinter ihrem Rücken genannt wurde, auf der Zunge. »... ah, die An­führerin der Bande.«

»Wenigstens haben Sie nicht Rasselbande gesagt.«

»Wie geht's Jim?«, erkundigte sich Miranda nach Mims Ehemann.

»Viel zu tun.«

»Marilyn?« Miranda fragte jetzt nach Mims Tochter, die in Harrys Alter war, Ende dreißig.

»Immer das selbe, was heißen soll, sie hat kein Ziel in diesem Le­ben, sie hat keinen Liebhaber und existiert nur, um mir zu widerspre­chen. Und was meinen Sohn betrifft, da du gerade die Familie durchgehst, er und seine Frau sind noch in New York. Keine Enkel­kinder in Sicht. Was ist nur mit Ihrer Generation los, Harry? Wir waren mit dreißig voll etabliert.«

Harry zuckte mit den Achseln. »Wir haben mehr Möglichkeiten.«

»Was soll das denn heißen?« Mim stemmte die Hände in ihre schmalen Hüften. »Das bedeutet doch bloß, daß Sie nachgiebiger gegen sich selbst sind. Ich habe nichts gegen Frauen mit Ausbildung. Auch ich habe eine vorzügliche Ausbildung genossen, aber ich kann­te meine Pflicht, und zwar zu heiraten und Kinder zu bekommen und sie zu guten Menschen zu erziehen.«

Miranda lenkte das Gespräch geschickt in eine andere Richtung. »Nicht hinsehen, aber Dr. Bruce Buxton rodelt auf dem Rücken die Main Street runter.«

»Ha!« Mim lief zum Fenster, Mrs. Murphy und Tucker hinterher. »Hoffentlich ist er von Kopf bis Fuß grün und blau!«

Bruce drehte sich herum und bekam schließlich ein Parkverbots­schild zu fassen. Schwer atmend zog er sich hoch, seine Füße aber wollten partout in verschiedene Richtungen. Als er endlich Halt ge­funden hatte, begab er sich halb rutschend, halb schlitternd zum Postamt.

»Da kommt er.« Mim lachte. »Aufgeblasen wie immer, aber er sieht gut aus, das muß ich ihm lassen.«

Dr. Bruce Buxton stampfte mit den Füßen auf den Stufen, dann stieß er die Tür auf.

Noch ehe er etwas sagen konnte, bemerkte Mim trocken: »Ich gebe Ihnen eine 9,4.« Damit huschte sie an ihm vorbei und winkte Harry und Miranda zum Abschied.

»Eingebildete Ziege«, sagte er, aber erst, als die Tür zu war, denn es war nicht ratsam, Mim öffentlich in die Quere zu kommen. Selbst Bruce Buxton, als Kniespezialist am Crozet Hospital eine Koryphäe, hütete sich,>die Diva<, wie er sie nannte, zu beleidigen.

»Also, Dr. Buxton, von mir haben Sie Punkte für die Strecke be­kommen, von Mim für den künstlerischen Ausdruck.« Harry lachte lauthals.

Bruce, Ende dreißig und allein lebend, konnte einer hübschen Frau nie widerstehen, deshalb lachte er gleichfalls über sich. »Ich bin ganz gut vorangekommen. Wenn's schlimmer wird, ziehe ich meine Golf­schuhe an.«

»Gute Idee.« Harry lächelte, als er sein Postfach öffnete.

»Rechnungen über Rechnungen.« Er öffnete einen weißen Um­schlag, dann warf er ihn weg. »Mist.«

»Doch nicht etwa ein Brief von Schwester Sophonisba?«, fragte Harry.

»Schwester Soundso. Kettenbrief.«

»Mim hat auch einen bekommen. Ich nicht.« Harry lachte über sich. »An mir gehn die guten Sachen immer vorbei. Sagen Sie, wie geht's Isabelle Otey?«

Harry erkundigte sich nach der begabten Stürmerin der Basket­ballmannschaft der Virginia University. Sie hatte sich bei einem harten Spiel gegen Old Dominion einen Kreuzbandriß zugezogen. Die Virginia University hatte das Spiel gewonnen, aber Isabelle für die Saison verloren.

»Gut. Ein arthroskopischer Eingriff wird ambulant vorgenommen. In sechs Wochen ist sie so gut wie neu, vorausgesetzt, sie hält sich in diesen sechs Wochen an die Anweisungen. Das Knie des Menschen ist ein faszinierendes Gebilde.« Als er sich in sein Thema hinein­fand - er war einer der führenden Kniechirurgen im Lande -, hörte Harry aufmerksam zu. Miranda ebenfalls.

»Meine Knie sind besser.« Mrs. Murphy kehrte Bruce, den sie für einen eingebildeten Esel hielt, den Rücken zu.»Alles an mir ist bes­ser. Wenn die Menschen auf vier statt auf zwei Beinen gingen, wür­den sich ihre meisten Probleme in Luft auflösen.« »Deswegen wäre ihr Verstand auch nicht besser«, kam die Stim­me, die jetzt leicht hallte, aus dem Postkarren.

»Dagegen ist kein Kraut gewachsen.« Tucker seufzte, denn sie liebte Harry; doch selbst diese Liebe konnte der Langsamkeit der menschlichen Denkweise nicht beikommen.

»Pewter, wie wär's, wenn du deinen Hintern mal aus dem Postkar­ren hieven würdest? Du bist seit heute Morgen acht Uhr da drin, und jetzt ist es halb zwölf. Wir könnten rausgehen und Mäuse aufspüren.«

»Du willst genauso wenig raus in die Kälte wie ich. Du willst bloß, daß ich blöd dastehe.« Es lag ein Fünkchen Wahrheit in Pewters Anschuldigung.

Bruce ging hinaus und trat bedächtig, geradezu respektvoll auf das Eis.

Zehn Minuten später kamen Hank Brevard, der technische Leiter vom Crozet Hospital, und Tussie Logan, die Oberschwester der pä­diatrischen Abteilung, in Tussies kleinen silbernen Tracker vorgefah­ren.

»Guten Morgen.« Tussie lächelte. »Ist schon fast Mittag. Wie geht's, wie steht's im Postamt?«

»Kompostamt«, sagte Hank wehleidig.

Er hatte dauernd was zu meckern.

»Ich muß doch sehr bitten«, empörte sich Mrs. Miranda Hogen­dobber.

»Katzendreck.« Hank schnüffelte.

»Hank, wir haben kein Katzenklo hier drin. Die Tiere gehen nach draußen.«

»Ja, vielleicht bist du's selber«, zog Tussie ihn auf.

Er grunzte, achtete nicht auf die Frauen und öffnete sein Postfach. »Alles nur Rechnungen. Mist.«

Obwohl er über seine Post nörgelte, machte er die Umschläge auf und stapelte sie sorgfältig auf dem Tisch. Er war ein akribischer Mensch, dem nie ein Fehler entging.

Tussie dagegen mischte ihre Umschläge wie Karten und warf Wer­bung, Ankündigungen und Formbriefe in den Papierkorb.

Miranda öffnete die Trennklappe, ging nach vorne, nahm den Pa­pierkorb und wollte zurück in den Postsackraum, wie sie den Ar­beitsbereich des Postgebäudes getauft hatte.

»Warten Sie.« Tussie warf noch zwei Briefe hinein. »Wer Form­briefe nicht öffnet, verlängert sein Arbeitsleben um drei Jahre.«

»Tatsache?« Miranda lächelte.

»Im Ernst«, neckte Tussie sie.

Miranda trug den Metallkorb um den Tisch herum zu Hank. »Noch

was?«

»Ah, nein.« Er blätterte in seinem ordentlich gestapelten Haufen.

»Kannst du nie was spontan tun?« Tussie zog ihre Fäustlinge aus der Manteltasche.

»Eile mit Weile. Du müßtest bloß mal die beschädigten Geräte se­hen, die ich sehe, und alles nur, weil sich irgendein Trottel keine Zeit nehmen kann. Gestern kam eine Trage mit zwei blockierten Rädern runter. Das passiert nur, wenn ein Sanitäter sich nicht die Zeit nimmt, auf die kleine Fußbremse zu tippen. Er drückt, nichts passiert und dann tritt er mit aller Macht drauf.« Hank fuhr fort, erfüllt von der Bedeutung seiner Aufgabe. »Gerade hab ich in der Kantine eine Si­cherung angeguckt, die dauernd rausgeflogen ist. Hängen einfach zu viele Geräte an dem Stromkreis.« Er holte Atem, bereit, von weiteren Problemen zu berichten.

Tussie unterbrach ihn. »Dem Krankenhaus fehlt so manches.«

Er nahm den Faden wieder auf. »Eine komplette Überholung der elektrischen Anlagen. Ein neuer Heizkessel für den Altbau, aber auf mich hört ja keiner. Ich halte den Laden bloß am Laufen. Quäkt aber ein Doktor nach was, ja, dann hört die Erde auf sich zu drehen.«

»Das ist nicht wahr. Bruce Buxton schreit regelrecht nach einem neuen MRT und.«

»Was ist das?«, fragte Harry.

»Magnetresonanztomograph. Tomographie ist eine Methode, um in den Körper zu gucken, ohne ihn aufzuschneiden«, erklärte Tussie. »Die Technik auf unserem Gebiet explodiert geradezu. Die neuen MRT schaffen es in der Hälfte der Zeit. Aber ich will mich jetzt nicht über die Technik auslassen.« Sie hielt einen Moment inne. »Wir alle werden noch ein Heilmittel für Krebs erleben, für Kinder-Diabetes, für viele Krankheiten, die uns plagen.«

»Ich verstehe nicht, wie du mit kranken Kindern arbeiten kannst. Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen.« Hank runzelte die Stirn.

»Sie brauchen mich.«

»Hört, hört«, sagte Miranda und Harry nickte beifällig.

»Wir brauchen eine Menge Zeug«, bemerkte Hank. »Trotzdem glaube ich, die im OP kriegen, was sie wollen, bevor ich kriege, was ich will.« Er holte Luft. »Ich hasse die Ärzte.« Hank steckte die Um­schläge in die große Innentasche seines schweren Overalls.

»Deswegen verbringst du dein Leben im Keller.« Tussie zwinkerte. »Er sucht noch immer nach Spuren der Underground Railroad.«

»So 'n Krampf.« Hank schüttelte den Kopf. Wäre er draußen gewe­sen, hätte er ausgespuckt.

»Ich hab die Geschichte seit meiner Kindheit gehört.« Miranda beugte sich über die Trennklappe. »Daß der alte Steinbau des Kran­kenhauses der Underground Railroad diente, um Sklaven in die Frei­heit zu schleusen.«

»Jedes Haus und jeder Strauch in Crozet ist von historischer Be­deutung. Kommt man an eine Straßenecke, erklärt einem ein Schild, >Hier hat Jefferson sich die Nase geputzt.< Komm, Tussie. Ich muß wieder an die Arbeit.«

»Was machen Sie hier mit dem Trübsalbläser?« Harry zwinkerte Tussie zu.

Hank unterdrückte ein Lächeln. Er war gerne Mr. Negativ. Man fiel auf bei den Leuten. Meinte er jedenfalls.

»Chuckles Auto ist in der Werkstatt.«

»Nenn mich nicht so«, wies Hank sie zurecht. »Was, wenn meine Frau das hört? Dann nennt sie mich auch so.«

»Oh, ich dachte, du würdest sagen,>die Leute werden reden<.« Tussie zeigte tiefe Enttäuschung.

»Ach, das tun sie sowieso. Man sollte ihnen die Zungen raus­schneiden.«

»Hank, du hättest gut ins neunte Jahrhundert vor Christus gepaßt. Da wärst du in deinem Element gewesen.« Tussie folgte ihm zur Tür.

»Tja, Hank. Warum bei rausgeschnittenen Zungen aufhören? Schneiden Sie den Leuten die Kehle durch.« Harry zwinkerte Tussie zu, die zurück zwinkerte.

Mrs. Murphy lachte.»Mom wird richtig blutrünstig.«

»Ich muß Chuckles wieder in seinen Bau bringen.« Tussie winkte zum Abschied.

»Du sollst mich nicht Chuckles nennen!« Er kabbelte sich mit ihr, als sie in den Tracker stiegen.

»Die sind mir vielleicht ein Paar.« Miranda beobachtete den gesti­kulierenden Hank.

»Ein Paar wovon?« Lachend leerte Harry den Papierkorb in einen großen Müllsack.

Der Tag zog sich hin, kroch geradezu. Der einzige weitere bemer­kenswerte Vorfall ereignete sich, als Sam Mahanes, der Kranken­hausdirektor, seine Post abholte. Miranda erzählte dann ganz neben­bei, daß Bruce Buxton auf dem Rücken über die Main Street ge­rutscht war.

Sams Gesicht lief dunkelrot an und er erwiderte: »Zu schade, daß er sich nicht das Genick gebrochen hat.«

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