»Juhuu!« Harry schlitterte über die vereiste Farmstraße und ruderte dabei wild mit den Armen.
Die Pferde sahen von der Weide aus zu, mehr denn je überzeugt, daß Menschen nicht ganz dicht waren. Mrs. Murphy durchstreifte den Heuboden. Tucker rannte neben Harry her, und Pewter, nicht dumm, räkelte sich behaglich vor dem Kamin in der Küche, den Schwanz über die Nase drapiert.
Susan Tucker, von der Wiege an Harry beste Freundin, schlitterte mit ihr. Die zwei Freundinnen lachten, ihre Augen tränten von der beißenden Kälte.
Sie kamen langsam zum Stehen, faßten sich an den Händen und drehten sich gegenseitig im Kreis, bis Harry Susan losließ und diese dreißig Meter>Eis ließ, ehe sie hinfiel.
»Das war klasse.«
»Du bist dran.« Susan rappelte sich hoch. Anstatt Harry zu drehen, trat sie hinter sie und stieß sie an.
Eine halbe Stunde später sausten die zwei erschöpften Frauen zum Stall. Sie füllten Wassereimer auf, brachten Heu aus und riefen die drei Pferde Poptart, Tomahawk und Gin Fizz in ihre Boxen. Danach eilten sie in die Küche.
»Ich leg Holz nach, wenn du Kakao machst. Das kannst du besser als ich.«
»Bloß, weil du nicht die Geduld hast, die Milch warm zu machen. Du schüttest einfach heißes Wasser über das Kakaopulver. Mit Milch schmeckt's besser, auch wenn du das Fertigzeug nimmst, wo schon Milchpulver drin ist.«
»Ich mag Kakao.« Pewter hob den Kopf.
»Sie hat das Wort Milch gehört.« Harry stocherte im Feuer, dann legte sie ein trockenes Holzscheit auf die aufzüngelnden Flammen. Sobald es brannte, legte sie ein zweites Scheit parallel daneben, dann zwei Scheite quer obenauf.
»Ich hätte gern Milch.« Mrs. Murphy plazierte sich mitten auf den Küchentisch.
»Runter, Murph.« Harry ging auf die schöne Katze zu, die auf einen Stuhl hinuntersprang; ihr Kopf lugte über die Tischplatte.
»Da.« Susan goß für die zwei Katzen Milch in eine große Schüssel, dann holte sie für Tucker Hundeknochen aus der Keramik-Keksdose. Susan, die Tee Tucker gezüchtet hatte, liebte den Hund. Sie hatte ein Tier von dem Wurf behalten und wollte eines Tages wieder welche züchten.
»Hab ich dir erzählt, was Sam Mahanes heute gesagt hat? Das war ungefähr das einzig Interessante, was heute passiert ist.«
»Ich hab Mistpost weggeworfen, zusammen mit dem Popcorn, das in meinem Postfach lag. Das war das große Ereignis meines Tages«, erwiderte Susan.
»Ich hab's nicht reingetan.«
»Warum hast du's dann nicht rausgeräumt? Du hast doch das Postamt picobello sauber zu halten.«
»Weil, wer immer das Popcorn da reingelegt hat, wollte, daß du es kriegst.« Harry lächelte.
»Das reduziert die Missetäter auf meinen geschätzten Ehemann Ned, aber er ist nicht der Typ dafür. Danny, hm, hm, der ist mehr wie sein Vater. Es muß Brooks gewesen sein.« Sie sprach von ihrer Teenager-Tochter.
»Ich verrate nichts.«
»Brauchst du auch gar nicht; denn wenn ich nach Hause komme, wird sie darauf warten, daß ich was sage. Gebe ich nichts von mir, wird sie sagen:>Mom, war heute Post da?< Je länger ich schweige, desto verrückter macht es sie.« Susan lachte. Sie liebte ihre Kinder, und sie trieben sie zum Wahnsinn, wie es nur Heranwachsende können, trotzdem waren sie gute Kinder.
»Das Schwierige war, Mrs. Murphy und Pewter davon abzuhalten, mit dem Popcorn zu spielen.«
»Wie hast du das hingekriegt?«
Mrs. Murphy hob den Kopf von der Milchschüssel.»Katzenminze im Fach von Reverend Jones.«
Beide Frauen lachten, als die Katze sprach.
»Sie hat ihre eigenen Ansichten«, bemerkte Susan.
»Ich hab Katzenminze in Herbs Postfach gelegt.« Harry kicherte. »Wenn er nach Hause kommt und seine Post auf den Tisch legt, werden seine zwei Katzen sie zerfetzen.«
»Weißt du noch, wie Cazenovia die Hostien gefressen hat?« Susan brüllte vor Lachen, als sie sich daran erinnerte, wie Herbs frechste Katze einmal in den Kirchenschrank gelangte, den man unvorsichtigerweise offen gelassen hatte. »Und wie ich höre, lernt seine jüngere Katze Eloquenz von Cazenovia. Stell dir vor, du kniest an der Kommunionbank und kriegst eine Hostie mit Abdrücken von Fangzähnen gereicht.«
Harry lachte. »Der beste Gottesdienst, den ich je besucht habe. Aber das muß ich Herb lassen, er hat Brotrinde zerbröckelt und die Kommunion fortgesetzt.«
»Was war mit Sam Mahanes?«, fragte Susan. »Ich wollte nicht vom Thema abkommen. Das mach ich dauernd, dabei bin ich noch nicht mal alt. Kannst du dir vorstellen, wie ich mit achtzig sein werde?«
»Kann ich. Du wirst mal so 'ne liebenswürdige Alte, die in anderer Leute Küche geht und sich 'ne Tasse Tee macht.«
»Hm, dann bin ich wenigstens nicht langweilig. Exzentrik hat was für sich. Aber du wolltest mir erzählen, was Sam Mahanes heute im Postamt gesagt hat.«
»Ach ja. Miranda hat ihm erzählt, daß Bruce Buxton kopfüber aufs Eis gestürzt ist. Sam wurde puterrot und sagte:>Zu schade, daß er sich nicht das Genick gebrochen hat<, und dann ist er aus dem Postamt gestürmt.«
»Aha.« Susan stützte ihr Kinn in die Hand, während sie ihren Kakao umrührte. »Ich dachte, die zwei wären dicke Freunde.«
»Ja, obwohl mir unbegreiflich ist, wie jemand Bruce über längere Zeit ertragen kann.«
Susan zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, um ein guter Chirurg zu sein, braucht man ein dickes Ego.«
»Das braucht man als Posthalterin auch.«
»Um gut zu sein, egal wobei, braucht jeder ein gewisses Ego. Der Trick ist, es zu verstecken. Bruce mag ja exzellent sein in seinem Beruf, aber von Menschen versteht er nichts. Das habe ich an Fair immer bewundert. Er ist großartig in seinem Beruf, aber er läßt es nie raushängen.« Sie trank einen Schluck. »Und wie geht's deinem ExMann?«
»Gut. Jetzt ist Zuchtsaison, da werde ich ihn nicht oft zu sehen kriegen, bis die Stuten gedeckt sind. Und die im Vorjahr Gedeckten fohlen.« Fair war Experte für Pferdezucht, ein sehr gefragter Tierarzt.
»Ach Harry.« Empört schlug Susan mit ihrem Löffel auf Harrys Knöchel.
»Du hast gefragt, wie's ihm geht, nicht wie's mit uns läuft.«
»Gott, bist du spitzfindig.«
»Schon gut, schon gut. Bis jetzt haben wir unsere Mittwochabendverabredungen eingehalten. Wir amüsieren uns.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, ob der Blitz zweimal einschlagen kann.«
»Ich auch nicht.«
»Ich hab die Leute so satt, die uns wieder zusammenbringen wollen. Wir sind jetzt vier Jahre geschieden. Das erste Jahr war die Hölle...«
Susan unterbrach sie. »Ich erinnere mich.«
»Ich weiß nicht, ob die Zeit alle Wunden heilt, oder ob man einfach bloß klüger wird. Ob man realistischer wird, was die Ansprüche an andere und sich selbst betrifft.«
»Gott, Harry, das hört sich an wie der Beginn von Reife.« Susan tat erschrocken.
»Beängstigend, nicht?« Harry stand auf. »Noch Kakao?«
»Ja, trinken wir ihn aus.« Susan erhob sich.
»Setz dich.«
»Nein, ich kann dir deine Tasse bringen. Über der Spüle schenkt sich's leichter ein.«
»Ja, schätze, du hast Recht.« Harry nahm den Tiegel und goß vorsichtig den Kakao in Susans Tasse, dann in ihre. »Der Wetterbericht sagt, morgen wird es bis zu zehn Grad warm.«
»Davon ist noch nichts zu spüren. Ich hab nichts gegen Schnee, aber Eis raubt mir den letzten Nerv. Vor allem, wenn die Kinder mit dem Auto unterwegs sind. Ihr Reaktionsvermögen ist gut, aber sie haben noch nicht so viel Erfahrung wie wir, und ich frage mich, was sie machen, wenn sie zum ersten Mal ins Schleudern geraten. Was, wenn ihnen einer entgegenkommt?«
»Susan, sie werden ihre Erfahrungen machen und beschützen kannst du sie sowieso nicht.«
»Stimmt. Aber trotzdem.«
»Findest du es nicht erstaunlich, daß Miranda im tiefsten Winter ihre Diät eingehalten hat?« »Und dabei bäckt sie immer noch für den Laden und für ihre Freunde. Ich hatte keine Ahnung, daß sie so diszipliniert ist.«
»Da sieht man, was die Liebe alles fertig bringt.«
Miranda hatte ihren Mann vor mehr als zehn Jahren verloren. Alles in allem war es eine glückliche Ehe gewesen, und nachdem George Hogendobber das Zeitliche gesegnet hatte, hatte Miranda sich mit Essen getröstet. Es braucht lange, um zehn Jahre Trost zu beseitigen. Der Ansporn war die Wiederkehr ihres Highschool-Freundes, inzwischen verwitwet, der zum Ehemaligentreffen gekommen war. Die Funken flogen, und, wie Miranda es beschrieb, sieleisteten sich Gesellschaft<.
»Die Footballmannschaft.«
»Was?« Harry, die daran gewöhnt war, daß ihre alte Freundin abrupt das Thema wechselte - ihr selbst ging es oft nicht anders -, konnte ihr diesmal jedoch nicht folgen.
»Bestimmt ist Sam Mahanes deswegen wütend auf Bruce Buxton. Weil Bruce alle Footballspieler operiert. Und stand nicht gerade ein lobender Bericht über seine Arbeit in der Zeitung? Du weißt schon, der Junge, von dem alle denken, daß er es nächstes Jahr zum Spitzensportler bringt, wenn sein Knie wieder mitmacht. Und Isabelle Otey, Basketball-Star der Mädchen. Er kriegt alle Stars. Eifersucht?«
»Buxton hatte immer eine gute Presse. Zu Recht, nehme ich an. Man sollte doch meinen, als Direktor des Krankenhauses würde Sam sich freuen, wenn Bruce berühmt wird, oder?«, fragte Harry.
»Da ist was dran. Komisch, jede Stadt, groß oder klein, hat ihre abgeschlossenen kleinen Welten, wo Ego, Eifersucht, verbotene Liebe kollidieren. Sogar die Errettungsgesellschaft von Crozet kann eine stürmische Brutstätte sein. Guter Gott, die vielen alten Damen, und keine will der anderen eine fürchterliche Missetat von 1952 oder wann auch immer verzeihen.«
»Sex, Drogen und Rock 'ri Roll.« Mrs. Murphy kletterte auf den Stuhl, um sich an dem Küchengespräch zu beteiligen.
»Was ist, Miezekatze?« Harry streichelte das glatte Köpfchen.
»Menschen werden wegen Pikanterien - wütend auf andere.«
»Geld. Du hast Geld vergessen.« Tucker putzte den Fußboden, indem sie die Krümel ihres Hundeknochens aufleckte.
»Ein bißchen davon würde hier nicht schaden«, fand Pewter, die aus ihrem Bedürfnis nach Luxus keinen Hehl machte.
»Und?« Mrs. Murphy schob die Schnurrhaare auf einer Seite vor.
»Was, und?« Die rundliche graue Katze sprang auf den letzten freien Küchenstuhl.
»Du willst Geld. Dann beweg deinen dicken Hintern hier raus und verdien welches.«
»Sehr komisch.«
»Du könntest Schutzgelder erpressen. Menschen tun so was. Verlange eine kleine Gebühr dafür, daß du keine Garten verwüstest, keine halb verdauten Mäuse auf Eingangstreppen legst und den Kühlschrank nicht plünderst.«
Bevor wenig schmeichelhafte Worte fallen konnten, beugte Harry sich hinüber, Auge in Auge mit den Katzen. »Ich kann mich nicht denken hören.«
»Sie sind wirklich sehr gesprächig«, sagte Susan. »Genau wie ihre Mutter.«
»Hm, hm.« Harry sah aus dem Fenster. »Verdammt.«
Susan drehte sich um, um zu sehen, was los war.
»Noch mehr Schnee«, jammerte Tucker. Da sie klein war, mußte sie sich regelrecht durch Schnee pflügen. Dann, und nur dann gestattete sie sich, größere Hunde zu beneiden.