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»Überall drübergelaufen, ein Stück von meiner Decke ist runterge­kommen.« Randy Sands, der kalkweiß war, hustete, faßte sich und fuhr fort: »Da hab ich an die Tür gehämmert und gerufen und dann hab ich die Tür aufgemacht. Ich glaub, in dem Moment hab ich ge­merkt, daß da was - faul war.« Er hustete wieder.

Rick legte mitfühlend seinen Arm um Randys schmale Schultern. »Das war ein ziemlicher Schock für Sie, Randy.«

»Ich hab sie gerufen, aber sie gab keine Antwort, drum bin ich ge­radewegs ins Badezimmer gegangen.« Seine Unterlippe zitterte. »Den Rest kennen Sie.«

Im Hintergrund schaffte der Rettungsdienst den Leichnam von Tussie Logan fort. Die Fingerabdruckleute waren gekommen und wieder gegangen.

Coop entnahm dem Zustand der Leiche, daß Tussie vielleicht vier, fünf Stunden in der Wanne gelegen hatte. Derjenige, der sie erschos­sen hatte, war hinter sie getreten und hatte sie mit einem einzigen Schuß niedergestreckt.

»Randy, wie lange gehört Ihnen dieses Haus schon?«, fragte Rick. Coop trat zu ihm.

»Seit Mommas Tod.« Randy hielt diese Auskunft für ausreichend.

»Wann war das?«

»Neunzehnhundertzweiundneunzig.« Als die Leiche auf der Bahre herausgeschoben wurde, zuckte er nervös, obwohl sie in einem Lei­chensack steckte. »Sie war eine hübsche Frau. Furchtbar, sie so zu sehen.«

»Ja.« Rick führte ihn zum Sofa. »Setzen Sie sich, Randy. Ihre er­sten Eindrücke sind wichtig für uns. Ich weiß, Sie sind erschüttert, trotzdem muß ich Ihnen Fragen stellen.«

So erschüttert er auch war, es kam nicht oft vor, daß Randy Sands im Mittelpunkt stand. Er setzte sich auf das Korbsofa, hinter ihm lagen grellbunte Kissen. Rick nahm in einem Sessel gegenüber dem Sofa Platz. Coop untersuchte ruhig alle Zimmer in der Wohnung im Obergeschoß.

Das 1904 erbaute Schindelhaus mit der umlaufenden Veranda lag auf halbem Wege zwischen Charlottesville und Crozet abseits der Garth Road. Das Krankenhaus war von hier aus bequem zu errei­chen, dennoch bot die Lage Abgeschiedenheit und einen Hauch von Landleben. Randy konnte die zweiundvierzig Morgen Grund nicht immer bewältigen. Tussie hatte es Freude gemacht, den Rasen mit dem fahrbaren Rasenmäher zu mähen, die Blumenbeete einzufassen und Balkonpflanzen an die Veranda zu hängen.

»Wo sind Sie heute gewesen?«

»Arbeiten. Ich bin gegen halb sechs nach Hause gekommen. Hab heute ein bißchen früher Schluß gemacht. Und da hab ich Tussie gefunden.«

»Wo arbeiten Sie, Randy?«

»Chromatech. Hinter der Einkaufsstraße in der Stadt. Meine Chefs Lucia und Chuck Morse können meine Arbeitszeit bestätigen.« In seiner Stimme schwang ein leicht aggressiver Ton mit.

»Davon bin ich überzeugt. Haben Sie irgendeine Ahnung, wer In­teresse daran hatte, Tussie umzubringen?«

»Nein.«

»Drogen?«

»Nein. Niemals.«

»Alkohol?«

»Nein. Na ja, in Gesellschaft schon mal, aber ich hab sie nie be­trunken gesehen. Kann mir nicht vorstellen, wer das getan hat.«

»Ist Ihnen aufgefallen, ob was fehlt? Schmuck? Geld? Gemälde?«

»Ich hab nicht in ihren Schmuckkasten geguckt, bin hier im Wohn­zimmer geblieben. Ich.« Er wollte nicht sagen, daß er Angst gehabt hatte, von einem Zimmer zum anderen zu gehen.

»Chef«, rief Cynthia Cooper von der verglasten rückwärtigen Ve­randa, die in alten Zeiten ein luftiger Schlafplatz gewesen war.

»Entschuldigen Sie mich, Randy. Sie warten hier.« Rick ging über den Flur nach hinten.

Von der Veranda sah man auf die Weiden und die Berge dahinter. Lichtdurchflutet, war dies ein herrlicher Arbeitsplatz. Ein Bücher­bord lehnte an der hinteren Wand. Tussies Schreibtisch, eine über zwei Aktenschränke gelegte Tür, stand in der Mitte des schmalen Raums, der trotz des Heizofens auf dem Boden ziemlich kalt war.

»Hier.« Cooper zeigte auf einen sehr teuren Computer und einen Laserdrucker.

»Nanu. Der muß an die sechstausend Dollar gekostet haben.« »Mit diesem Computer und dem Drucker kann man alles machen. Höchste Qualität.«

»Rechnungen?« Rick wollte eine Zigarette, nahm aber davon Ab­stand, nach dem Päckchen in der Innentasche seiner Jacke zu greifen. »Vielleicht.«

»Alles in Ordnung?«, drang Randys quengelige Stimme zu ihnen herüber.

»Ja, alles paletti«, rief Rick zurück. »Coop, können Sie in den Computer rein?«

»Denke schon.«

»Ich lenke Randy ab. Vielleicht gehe ich mit ihm nach draußen. Er kann mir zeigen, ob man von hinten rein kann.« Rick zwinkerte ihr zu und ging wieder zu dem schlanken Mann in der Cordhose.

Coop setzte sich, schaltete den Computer ein. Tussie hatte Unmen­gen E-Mails. Sie war an einen Krankenschwester-Chatroom ange­schlossen. Eine Liste mit Paßwörtern klebte an der Seite ihres Com­puters, vielleicht als Vorbeugung gegen Vergeßlichkeit. Coop pro­bierte die Paßwörter durch und landete schließlich mit>Nightingale< einen Treffer. Coop las die Nachrichten. Dann rief sie das umfang­reiche Grafikprogramm auf.

»Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und spielen«, sagte Coop vor sich hin. Sie wünschte, sie könnte sich auch so ein Gerät leisten.

Tussie hatte einen Code. Coop konnte ihn nicht knacken.

Nachdem sie alles überprüft hatte, was sie konnte, schaltete sie den Computer aus und ging ins Schlafzimmer. Mit behandschuhten Hän­den hob sie den Deckel des ledernen Schmuckkastens. Ohrringe, Armbänder und Halsketten lagen wild durcheinander. Sie zog die obere Kommodenschublade auf. Ein unordentliches Sammelsurium von seidenen Dessous. Unter der auberginenfarbenen Unterwäsche lag ein grünes Sparbuch. Sie zog es hervor, blätterte die weißen Sei­ten bis zum letzten Eintrag durch. »Wow.« Sie stieß einen Pfiff aus.

Tussies Sparguthaben betrug am 25. Februar 139.990,36 Dollar.

»Langsam geht mir ein Licht auf«, dachte Cooper laut.

Sobald sie und Rick im Streifenwagen saßen, informierte sie ihn über ihre Entdeckungen. Sie fragten sich, wo und wie Hank Brevard seine Gewinne versteckt hatte. Bis jetzt hatten sie nichts Derartiges gefunden.

Rick griff zum Telefon und rief im Präsidium an. Er forderte das Computergenie der Dienststelle an, um zu sehen, ob er Tussies Code knacken konnte.

»Verrückt, nicht?« Coop rutschte auf ihrem Sitz nach vorn, zog die Schultern hoch. »Wie gehen wir jetzt vor, Chef?«

»Zuerst gehen wir zu Sam Mahanes, was heißt, daß er seine Anwäl­te anrufen wird.«

»Genau. Dann wird er Trauer bekunden.«

»Danach gehen wir zu Bruce Buxton.«

»Wieder Erschütterung und Entsetzen, aber auf eine andere Art.«

»Wir gehen auf Tussies Kinderstation. Und dann werden Sie und ich uns das Krankenhaus ein letztes Mal gründlich vornehmen. Egal, wie oft es die nächsten Tage, Wochen oder sonst was sein muß. Wir wissen, daß es falsche Abrechnungen gibt. Wir wissen, daß die Infu­sionspumpen gereinigt und überholt werden müssen. Die müssen irgendwo im Krankenhaus sein. Verdammt, es ist direkt vor unserer Nase!«

Coop, die das schon mal gehört hatte, setzte sich aufrecht hin und sagte nichts. Sie fragte sich, warum eine Frau wie Tussie Logan sich überhaupt auf so einen Betrug eingelassen hatte. Tussie war eine richtig nette Person gewesen. Sie konnte Recht und Unrecht unter­scheiden, wußte, daß es unrecht war, was sie tat - auch schon vor den Morden. Vielleicht hatte Tussie einen der Morde begangen. Wie gerät so eine Frau in so eine Sache? Coop wußte, was Tussie Logan getan hatte, war unrecht, und sie wußte, daß Tussie es gewußt hatte.

Coop erwartete von Frauen mehr als von Männern. Zu ihrer eige­nen Überraschung. Sie hielt sich nicht für sexistisch, aber ihre Reak­tion auf Tussies kriminelle Machenschaften verschaffte ihr einen kleinen Einblick in ihr eigenes Ich. Sie war nicht sicher, ob es ihr gefiel.

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