Kapitel 28

Ich liebte meinen Gebetsteppich. Es war zwar nichts Besonderes daran, aber für mich war es ein Stück von großer Schönheit. Ich bin heute noch unglücklich, dass ich ihn verloren habe. Wo immer ich ihn ausbreitete, gewann ich sogleich das Fleckchen Erde darunter und die Umgebung lieb, und das ist für mich ein eindeutiges Zeichen, dass es ein guter Gebetsteppich war, weil er mir immer ins Gedächtnis rief, dass die Erde von Gott geschaffen ist und dass jeder Flecken auf ihr gleichermaßen heilig ist. Das Muster, golden auf rotem Untergrund, war schlicht: ein einziges schmales Rechteck, auf der einen Seite eine dreieckige Spitze, die die Qibla anzeigte, die Richtung, in die man sich zu verneigen hatte, umgeben von kleinen Schnörkeln wie Rauchwölkchen oder die Akzentzeichen einer fremden Sprache. Der Flor war weich. Wenn ich betete, waren die kurzen, unverknoteten Quasten am einen Ende des Teppichs nur Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt, am anderen Ende nur Zentimeter von den Zehenspitzen - eine anheimelnde Größe, mit der man sich überall auf dieser weiten Erde zu Hause fühlen konnte.

Ich betete im Freien, weil ich es schön fand. Meistens rollte ich meinen Teppich hinter dem Haus aus, in einer Ecke des Gartens. Es war ein ferner Winkel im Schatten eines Korallenbaums, an einer Mauer, die ganz mit Bougainvilleen bedeckt war. In Blumentöpfen stand entlang der Mauer eine lange Reihe von Weihnachtssternen. Auch in den Baum waren die Bougainvilleen schon hineingewachsen. Der Kontrast zwischen den violetten Tragblättern und den scharlachroten Blüten des Baums war wunderschön anzusehen. Und wenn der Baum blühte, war er der reinste Vogelbauer mit Krähen, Hirten- und Rosenstaren, mit Schwätzern, Honigsaugern und Papageien. Die Mauer erstreckte sich im stumpfen Winkel rechts von mir. Vor mir und nach links hin, jenseits des weichen, durchbrochenen Baumschattens, lag die sonnenverbrannte offene Fläche des Gartens. Natürlich sah es nicht immer gleich aus; alles wandelte sich nach Wetter, Tages- und Jahreszeit. Aber in meinem Gedächtnis habe ich ein so klares Bild, als sei alles unveränderlich gewesen. Nach einer Linie, die ich in den blassgelben Boden geritzt hatte und sorgfältig pflegte, verneigte ich mich gen Mekka.

Anfangs blickte ich oft nach dem Gebet auf und sah, dass Vater, Mutter oder Ravi mich beobachteten, aber nach einer Weile hatten sie sich an den Anblick gewöhnt.

Bei meiner Taufe ging es ein wenig beklommen zu. Mutter fügte sich ins Unvermeidliche, Vater stand mit steinerner Miene dabei und Ravi konnte zum Glück nicht mitkommen, weil er auf einem Cricketmatch war (was ihn allerdings nicht davon abhielt, die Sache ausgiebig zu kommentieren). Das Wasser rann mir über Gesicht und Nacken, und auch wenn es nur ein Becher voll war, erquickte es mich wie ein Monsunregen.

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