Kapitel 76

Ich gewöhnte mir an, bei Richard Parker sauber zu machen. Sobald ich merkte, dass er seinen Darm entleert hatte, beseitigte ich es, eine gefährliche Unternehmung, bei der ich den Kot mit dem Fischhaken zu mir heranscharrte und dann auf die Plane holte. Fäkalien können mit Parasiten infiziert sein. Das spielt für frei lebende Tiere keine Rolle, denn sie bleiben in der Regel nicht in der Nähe dieser Fäkalien und kümmern sich nicht weiter darum; Baumbewohner bekommen ihren Kot kaum zu Gesicht, und Landtiere entleeren sich und ziehen dann weiter. Für das kompakte Territorium eines Zoos gelten hingegen andere Regeln, denn wenn man Fäkalien im Gehege eines Tieres liegen lässt, ermuntert man es geradezu, diese zu fressen und sich damit zu infizieren; Tiere verschlingen alles, was auch nur entfernt nach Nahrung aussieht. Deshalb werden die Gehege ständig gereinigt, aus Sorge um die Gesundheit ihrer Bewohner, nicht aus Rücksicht auf Augen und Nasen der Besucher. Aber nicht um den hohen zoohygienischen Standard der Familie Patel zu halten, räumte ich bei Richard Parker auf. Nach wenigen Wochen litt er ohnehin so sehr an Verstopfung, dass sein Darm sich nur noch einmal im Monat entleerte, und meine riskante Pflegerarbeit wäre aus Gesundheitsgründen nicht notwendig gewesen. Es steckte etwas anderes dahinter: Als Richard Parker sich das erste Mal im Rettungsboot Erleichterung verschafft hatte, war mir aufgefallen, dass er versuchte, den Haufen zu verscharren. Die Bedeutung dieser Geste war mir nicht verborgen geblieben. Den Kot offen liegen zu lassen, sodass jeder ihn roch, wäre ein Zeichen der Dominanz gewesen. Ihn zu verscharren oder es zumindest zu versuchen, bedeutete Unterwerfung - er unterwarf sich mir.

Dass es ihn nervös machte, war nicht zu übersehen. Er stand geduckt, den Kopf eingezogen, die Ohren flach angelegt, und stieß ein leises langgezogenes Knurren aus. Ich ging energisch und zielstrebig zu Werke, nicht nur um mein Leben zu schützen, sondern auch, damit ich ihm möglichst schnell das erforderliche Signal gab. Dieses Signal bestand darin, dass ich den Kot in die Hand nahm, ihn einige Sekunden lang hin- und herrollte, ihn mir unter die Nase hielt und hörbar daran schnüffelte, und dabei starrte ich den Tiger ein paar Mal theatralisch an, die Augen weit aufgerissen (vor Furcht, aber das durfte er nicht merken), und das lang genug, dass es ihn ordentlich einschüchterte, aber nicht so lang, dass er sich auf mich stürzte. Und jedes Mal, wenn ich ihn so ansah, blies ich leise drohend auf meiner Pfeife. Indem ich ihm derart mit den Augen zusetzte (denn natürlich ist bei allen Tieren, uns Menschen eingeschlossen, das Anstarren ein Akt der Aggression) und indem ich jenen Pfeifton produzierte, mit dem er in Gedanken so unangenehme Gefühle verband, machte ich Richard Parker klar, dass es mein Recht war, mein Recht als Souverän, seinen Kot in die Hand zu nehmen und daran zu schnüffeln, wenn mir danach war. Nicht die Sorge des Zoowärters trieb mich also an, sondern angewandte Psychologie. Und es funktionierte. Richard Parker starrte nie zurück; er hielt den Blick stets in mittlerer Entfernung, nicht auf mich gerichtet, aber auch nicht von mir abgewandt. Es war etwas, das ich spüren konnte, so wie ich die Kugel in meiner Hand spürte: So entstand Macht. Nach der Anspannung dieser Übung war ich stets schwer erschöpft, aber glücklich.

Wo wir schon bei dem Thema sind: Ich war bald genauso verstopft wie Richard Parker. Das lag an unserer Ernährung, zu wenig Wasser, zu viel Protein. Auch bei mir kam die Entleerung des Darms nur noch einmal im Monat, und eine Erleichterung war es nicht. Es war ein langer, mühsamer und schmerzlicher Kampf, an dessen Ende ich schweißgebadet und bis zur Hilflosigkeit ermattet dalag, eine Tortur, die schlimmer war als das höchste Fieber.

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