Kapitel 50

Es war exakt dreieinhalb Fuß hoch, acht Fuß breit und sechsundzwanzig Fuß lang. Ich weiß das so genau, weil es an der Seite in schwarzen Lettern angeschrieben stand. Mit anderen Worten, einen guten Meter hoch, knapp acht Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Außerdem hieß es in der Aufschrift, das Boot könne maximal zweiunddreißig Personen aufnehmen. Wäre das nicht schön gewesen, es mit so vielen zu teilen? Stattdessen waren wir nur drei, und selbst zu dritt war es entschieden überfüllt. Das Boot war symmetrisch, mit abgerundeten Enden, die nicht leicht auseinander zu halten waren. Das Heck erkannte man an einem kleinen, fest anmontierten Ruder, kaum mehr als eine hintere Fortsetzung des Kiels, und die - von meinem Vordersteven abgesehen - einzige Besonderheit des Bugs war eine plumpe Spitze, der hässlichste Schiffsbug, der mir je untergekommen war. Der Schiffskörper war aus Aluminiumplatten zusammengenietet und weiß angestrichen.

Soweit das Äußere des Rettungsboots. Innen war es nicht so geräumig, wie man denken konnte, weil die Seitenbänke und darunter die Schwimmtanks viel Platz einnahmen. Die Bänke erstreckten sich auf beiden Seiten über die gesamte Länge des Boots und vereinten sich an Bug und Heck zu beinahe dreieckigen Eckbänken. Die Bänke bildeten zugleich die Oberfläche der fest verschlossenen Schwimmtanks. Sie waren etwa fünfzig Zentimeter tief, die Eckbänke neunzig. In der Mitte des Bootes blieb also ein freier Raum von anderthalb mal sechs Metern - ein Revier für Richard Parker von neun Quadratmetern. Diesen Raum überspannten in der Breite drei Querbänke, eine davon vom Zebra zerschmettert. Diese Bänke waren sechzig Zentimeter tief, in gleichen Abständen voneinander angeordnet. Ebenfalls sechzig Zentimeter mochte der Abstand vom Boden sein - so viel Raum hatte Richard Parker, bevor er sich sozusagen den Kopf an der Decke stieß, wenn er unter einer Bank war. Unter der Plane kamen weitere dreißig Zentimeter hinzu, der Abstand zwischen den Bänken und dem Bootsrand, an dem die Plane befestigt war, alles in allem also neunzig Zentimeter, kaum genug, dass er aufrecht stehen konnte. Der Boden, aus schmalen, imprägnierten Dielen gebildet, war eben, und die Seitenwände der Schwimmtanks standen im rechten Winkel dazu. So kurios das klingen mag, war also das Boot, das außen gerundete Spitzen und gerundete Flanken hatte, innen rechteckig.

Anscheinend gilt Orangerot - eine so schöne Hindufarbe - als Farbe des Überlebens, denn das ganze Innere des Boots und die Plane und die Schwimmwesten und der Rettungsring und die Ruder und die meisten anderen größeren Objekte an Bord waren orange. Sogar die Plastiktrillerpfeifen waren orangerot.

Die Worte Tsimtsum und Panama prangten in gro-ßen schwarzen Lettern auf beiden Seiten des Bugs.

Die Plane bestand aus schwerem Öltuch, das einem die Haut aufscheuern konnte. Sie war bis zu einem Punkt knapp hinter der mittleren Querbank aufgerollt. Eine Bank verbarg sich also noch unter der Plane, in Richard Parkers Höhle; die mittlere Bank lag offen, unmittelbar am Ende der Plane; und die dritte lag zerbrochen unter dem toten Zebra.

Das Boot hatte sechs Ruderdollen, u-förmige Vertiefungen im Dollbord, die als Lager für die Ruder dienten, und fünf Ruder, denn eines hatte ich ja bei dem Versuch Richard Parker fortzustoßen verloren. Drei Ruder waren auf der einen Seitenbank befestigt, eines auf der anderen, und eines war als der Vordersteven, der mir das Leben gerettet hatte, unter die Plane gesteckt. Ich bezweifelte, dass mit diesen Rudern etwas anzufangen war. Das Rettungsboot war schließlich kein Leichtgewicht. Es war eine solide Konstruktion, die vor allem zum Schwimmen, erst in zweiter Linie zur Navigation da war. Obwohl wir wahrscheinlich, hätten zweiunddreißig Mann zum Rudern zur Verfügung gestanden, schon vorangekommen wären.

All diese Einzelheiten - und viele, die noch dazukommen sollten - nahm ich nicht auf Anhieb wahr. Ich bemerkte sie nach und nach, von der Not getrieben. Gerade wenn ich in größter Pein war und allen Glauben an die Zukunft verloren hatte, entdeckte ich eine Kleinigkeit, ein winziges Detail, das mein Verstand plötzlich in neuem Licht sah. Und dann war es keine Kleinigkeit mehr, sondern das Wichtigste überhaupt auf der Welt, das, wovon mein Leben abhing. So geschah es mir ein ums andere Mal. Not macht erfinderisch, wie das Sprichwort so treffend sagt.

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