Kapitel 66

Ich warf Haken aller Art nach Fischen aller Art aus, in jede erdenkliche Tiefe, versuchte es vom Tiefseeangeln mit großen Haken und vielen Gewichten bis hin zum Fischen an der Oberfläche mit kleineren Haken und nur ein, zwei Gewichten. Der Erfolg ließ auf sich warten, und wenn er sich einstellte, freute ich mich gebührend, aber meine Anstrengung stand in keinem Verhältnis zum Fang. Der Zeitaufwand war groß, die Fische waren klein und Richard Parker blieb stets hungrig.

Am Ende erwiesen die Fischhaken sich als das bessere Werkzeug. Sie bestanden aus drei zusammenschraubbaren Teilen: zwei röhrenförmigen Elementen, die den Schaft bildeten - einer davon mit einem Plastikgriff am Ende und einem Ring zum Festbinden der Sicherungsleine -, und einem gebogenen Haken von etwa fünf Zentimetern Durchmesser mit einer messerscharfen, mit Widerhaken versehenen Spitze. Insgesamt war so ein Fischhaken etwa anderthalb Meter lang und fühlte sich so leicht und robust an wie ein Schwert.

Anfangs fischte ich im offenen Wasser. Ich hielt den Fischhaken einen guten Meter tief ins Wasser, bisweilen mit einem Fisch als Köder auf den Haken gespießt, und wartete. Ich wartete stundenlang mit angespannten Muskeln, bis mir der ganze Körper schmerzte. Sobald ein Fisch genau an der richtigen Stelle war, riss ich den Fischhaken so schnell wie möglich mit aller Kraft nach oben. Dabei kam es auf Bruchteile von Sekunden an. Ich erkannte, dass ich nicht wild zuschlagen durfte; ich musste ruhig abwarten, bis die Chance groß genug war, denn auch Fische lernen durch Erfahrung und gehen nur selten zweimal in die gleiche Falle.

Im Idealfall bohrte sich der Haken fest in den Fisch, und ich konnte meinen aufgespießten Fang ohne Schwierigkeiten an Bord ziehen. Doch wenn ich einen großen Fisch nur an Bauch oder Schwanz erwischte, konnte er nicht selten entfliehen; er bäumte sich auf und schnellte mit aller Kraft davon. Mit einer solchen Verletzung wurde er zur leichten Beute, ein unbeabsichtigtes Geschenk für andere Räuber. Deshalb zielte ich bei großen Fischen auf eine Stelle unterhalb der Kiemen und der Seitenflossen, denn ein Fisch, der dort getroffen wird, versucht instinktiv nach oben zu fliehen, fort vom Haken und damit genau dahin, wo ich ihn haben wollte. Dann kam es vor, dass mir ein Fisch, mehr gestochen als tatsächlich aufgespießt, aus dem Wasser heraus geradewegs ins Gesicht sprang. Mein anfänglicher Ekel vor der Berührung mit Meerestieren verlor sich rasch, und die alberne Fischdecke hatte bald ausgedient. Sobald ein Fisch aus dem Wasser sprang, traf er auf einen hungrigen Jungen, der ohne Skrupel und falsche Scheu zupackte. Wenn ich weniger gut getroffen hatte, ließ ich den Haken los - ich hatte ihn ja schließlich mit einem Seil am Floß gesichert - und packte den Fisch mit bloßen Händen. Finger waren zwar stumpf, aber sehr viel wendiger als ein Haken. Dann folgte ein kurzer, erbitterter Kampf. Die Fische waren glitschig und verzweifelt, ich selbst war bloß verzweifelt. Hätte ich doch nur so viele Arme gehabt wie die Göttin Durga - zwei für die Fischhaken, vier für die Fische und zwei für die Beile. Doch ich musste mich mit zweien begnügen. Also bohrte ich Finger in Fischaugen, rammte Hände in Kiemen, zerquetschte weiche Körper unter meinen Knien, biss den Fisch in den Schwanz - kurz, ich hielt ihn mit allen Mitteln so lange fest, bis ich das Beil packen und ihm den Kopf abhacken konnte.

Im Laufe der Zeit wuchs meine Erfahrung, und ich entwickelte mich zum immer geschickteren Jäger. Ich wurde kühner und gewandter. Ein Instinkt stellte sich ein, ein Gefühl für das, was zu tun war.

Mein Erfolg steigerte sich gewaltig, als ich auf die Idee kam, ein Stück Packnetz zu nehmen. Als Fischernetz war es nicht zu gebrauchen - zu steif und schwer und mit zu großen Maschen. Doch es erwies sich als hervorragendes Lockmittel. Als ich es lose im Wasser treiben ließ, übte es eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Fische aus, und das steigerte sich noch, als sich Seetang darin ansiedelte. Fische, die ein eher sesshaftes Leben führten, machten das Netz zu ihrer Heimat, und die schnelleren, die sonst nur vorbeihuschten, die Doraden, verlangsamten ihr Tempo, um der neuen Ansiedlung einen Besuch abzustatten. Weder die Einheimischen noch die Durchreisenden hegten je den Verdacht, dass das Netz einen Haken haben könnte. Es gab Tage - leider zu wenige -, an denen ich so viele Fische aufspießen konnte, wie ich nur wollte. Bei solchen Gelegenheiten fing ich mehr als ich brauchte, um meinen Hunger zu stillen, mehr als ich trocknen konnte; ich hatte einfach nicht genügend Platz auf dem Rettungsboot, zu wenig Leinen auf dem Floß, um all die Doraden, Fliegenden Fische, Hechte, Barsche und Makrelen in Streifen zum Trocknen aufzuhängen, und schon gar nicht genügend Platz in meinem Magen. Ich behielt so viel ich konnte und gab den Rest Richard Parker. An solchen Tagen des Überflusses legte ich Hand an so viele Fische, dass mein Körper von all den Fischschuppen zu glänzen begann. Ich trug die silbrig glänzenden Flecken wie Tilaks, wie die Farbpunkte, die wir Hindus uns auf die Stirn malen, als Symbole des Göttlichen. Wenn fremde Seeleute mich an einem solchen Tag entdeckt hätten, hätten sie mich für einen Fischgott gehalten, der über sein Königreich gebietet, und wären vorübergefahren. Das waren die guten Tage. Davon gab es nur wenige.

Schildkröten waren tatsächlich eine leichte Beute, genau wie es im Überlebenshandbuch stand. Im Kapitel »Jagen und Sammeln« standen sie unter »Sammeln«. Zwar waren sie solide gebaut wie Schützenpanzer, aber sie konnten weder schnell noch besonders gut schwimmen. Schon mit einer Hand konnte man eine Schildkröte an der Hinterflosse packen und festhalten. Was das Handbuch nicht erwähnte, war die Tatsache, dass man eine gefangene Schildkröte noch längst nicht in seiner Gewalt hatte. Man musste sie immer noch an Bord holen. Und eine zappelnde 130 Pfund schwere Schildkröte in ein Rettungsboot zu ziehen war alles andere als einfach. Ein solches Unterfangen verlangte Kräfte, die eines Hanuman würdig gewesen wären. Ich ging so vor, dass ich das Opfer längsseits holte, bis der Panzer den Schiffsrumpf berührte, und anschließend versuchte, ein Seil um Hals, Vorderflosse und Hinterflosse zu legen. Dann zog ich mit aller Kraft, bis mir beinahe der Kopf platzte und die Arme rissen. Ich wickelte die Seile um die Haken für die Plane an der gegenüberliegenden Seite des Bugs; jedes Mal, wenn ein Seil ein wenig nachgab, sicherte ich meinen Vorteil, bevor es wieder zurückrutschen konnte. Zentimeter für Zentimeter hievte ich die Schildkröte aus dem Wasser. Und das dauerte lang. Ich erinnere mich noch an eine grüne Meeresschildkröte, die zwei Tage lang so an der Seite des Rettungsbootes hing, die ganze Zeit erbittert kämpfte und mit den freien Flossen um sich schlug. Zum Glück kamen die Schildkröten mir in der letzten Phase, wenn sie an die Bootskante gekommen waren, oft unfreiwillig zu Hilfe. Bei dem Versuch, die schmerzhaft verdrehten Flossen zu befreien, zerrten sie daran; wenn ich im gleichen Augenblick ebenfalls zog, vereinte sich unsere gegenläufige Kraft, und auf einmal ging alles ganz leicht: So spektakulär wie man es sich nur vorstellen kann schoss die Schildkröte über den Bootsrand und schlitterte auf die Plane. Ich fiel hintenüber, erschöpft, doch triumphierend.

Grüne Meeresschildkröten hatten mehr Fleisch als Karettschildkröten, und ihr Bauchpanzer war dünner. Aber sie waren meist auch größer, oft so groß, dass ein schwacher Schiffbrüchiger wie ich sie nicht aus dem Wasser ziehen konnte.

Und das alles mir als Vegetarier. Als Kind hatte ich gezittert, wenn ich eine Bananenschale aufriss, denn für meine Ohren klang es, als bräche ich einem Tier das Genick. Ich war auf eine Stufe der Barbarei gesunken, die ich nie für möglich gehalten hätte.

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