Kapitel 44

Die Sonne stieg am Himmel auf, erreichte den Zenit und neigte sich von neuem dem Horizont zu. Den ganzen Tag über hockte ich auf dem Ruder und bewegte mich nur so viel wie nötig war, dass ich in der Balance blieb. Ich war ganz auf den Fleck in der Ferne fixiert, der irgendwann auftauchen musste und der meine Rettung bedeutete. Es war eine angespannte, atemlose Öde. In meiner Erinnerung an diese ersten Stunden höre ich vor allem ein Geräusch, und zwar nicht das, das man vielleicht vermuten würde, nicht das Lachen der Hyäne oder die tosende See: Was ich höre, ist das Brummen von Fliegen. Auf dem Rettungsboot waren Fliegen. Sie kamen hervorgekrochen und flogen umher nach Fliegenart, in gro-ßen, trägen Zirkeln, aus denen sie nur ausbrachen, wenn sie einander zu nahe kamen; dann drehten sie sich miteinander unter großem Gebrumme und in Schwindel erregendem Tempo. Manche waren mutig und kamen zu mir herausgeflogen. Es klang wie die spotzenden Motoren von alten Kampfflugzeugen, wenn sie ihre Loopings flogen, und von da ging es schnurstracks zur Basis zurück. Ob sie an Bord gewesen oder mit einem der Tiere gekommen waren, am ehesten wohl der Hyäne, kann ich nicht sagen. Doch woher sie auch gekommen sein mochten, sie blieben nicht lange: die letzten waren am zweiten Tag verschwunden. Die Hyäne schnappte von ihrem Platz hinter dem Zebra nach ihnen und verschlang einige davon. Einige wehte wahrscheinlich der Wind hinaus aufs Meer. Vielleicht hatten auch einige von ihnen Glück und blieben an Bord bis ans Ende ihrer Tage.

Als der Abend näher kam, wurde ich unruhiger. Dass der Tag zu Ende ging, machte mir Angst. In der Nacht würde ein Schiff mich nur mit Mühen finden. In der Nacht würde die Hyäne wieder aktiv werden und vielleicht auch Orangina.

Es wurde dunkel. Eine mondlose Nacht. Die Sterne blieben hinter den Wolken verborgen. Selbst Umrisse waren kaum noch zu sehen. Alles verschwand, das Meer, das Rettungsboot, mein eigener Körper. Es ging kaum Wind und die See war ruhig, und so hatte ich nicht einmal Geräusche zu meiner Orientierung. Es war, als schwebte ich im reinsten, tiefsten Schwarz. Ich hielt meine Augen weiter auf der Höhe, auf der ich den Horizont vermutete, die Ohren blieben gespitzt, damit mir kein Laut von den Tieren entging. Ich hatte kaum Hoffnung, dass ich die Nacht überstehen würde.

Nach einer Weile begann die Hyäne zu fauchen, das Zebra bellte und schrie, und mehrfach kam etwas wie ein Klopfen. Ich zitterte vor Furcht und - ich will hier nichts verschweigen - machte mir in die Hose. Aber die Laute kamen vom anderen Bootsende. Es war kein Schwanken zu spüren, das auf Bewegung schließen ließ. Der Höllenhund blieb offenbar, wo er war. Näher zu mir hin hörte ich im Dunkel lautes Seufzen und Stöhnen, ein Grunzen und verschiedenerlei Schmatzen. Der Gedanke an das, was geschehen würde, wenn Orangina sich regte, war zu viel für meine Nerven, und ich verbannte ihn einfach. Ich hörte weg. Auch von unter mir kamen Laute, aus dem Wasser, ein plötzliches Platschen und Zischen, das fast im selben Augenblick schon wieder vorbei war. Auch dort kämpften Geschöpfe um ihr Leben.

Die Nacht ging vorüber, Minute um quälende Minute.

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