Kapitel 82
Regenwasser und das Wasser, das ich mit den Solardestillen gewann, bewahrte ich in den drei 50-Liter-Plastiksäcken auf, im Stauraum, wo Richard Parker sie nicht sah. Ich band sie mit Seil zu. Hätten sie Gold, Saphire, Rubine und Diamanten enthalten, hätten diese Säcke mir nicht mehr bedeuten können. Ununterbrochen machte ich mir Sorgen um sie. Mein schlimmster Alptraum war, dass ich eines Morgens die Klappe zum Stauraum öffnen würde und alle drei waren ausgelaufen, oder schlimmer noch, zerrissen. Um ein solches Unglück zu verhindern, wickelte ich sie in Decken, damit sie sich nicht am Metallrumpf des Rettungsbootes aufscheuerten, und ich bewegte sie so wenig wie möglich, damit sie nicht vor der Zeit zerschlissen. Aber ich sorgte mich um die Hälse. Würde denn nicht gerade das Seil sie durchscheuern? Wenn das Oberende einen Riss bekam, wie sollte ich dann die Säcke verschließen?
Wenn die Wasserversorgung gut war, wenn der Regen kein Ende nahm, wenn ich die Säcke so weit gefüllt hatte, wie ich mich traute, füllte ich das Schöpfgefäß, die beiden Plastikeimer, die zwei Mehrzweckbehälter, die drei Trinkbecher und die leeren Wasserdosen (die ich längst nicht mehr fortwarf). Dann füllte ich eine nach der anderen die Spucktüten, drehte das obere Ende zu und verschloss sie mit einem Knoten. Fiel dann immer noch weiteres Wasser vom Himmel, nahm ich mich selbst als Gefäß. Ich spannte den Regensammler auf, steckte das Ende des Gummischlauchs in den Mund und trank und trank und trank.
Richard Parkers Trinkwasser mischte ich immer ein wenig Meerwasser bei, größere Mengen in den Tagen nach einem Regenguss, weniger in Trockenzeiten. Zu Anfang unserer Reise lehnte er sich noch manchmal über Bord, schnüffelte am Meerwasser und nahm ein paar Schluck, aber das ließ er bald sein.
Trotz allem kamen wir nur mit Müh und Not aus. Auf der ganzen Fahrt war keine andere Sorge so groß und so allgegenwärtig wie die Sorge um Wasser.
Von allem, was ich an Essbarem fing, bekam Richard Parker, wenn ich so sagen darf, den Löwenanteil. Es blieb mir nichts anderes übrig. Er bemerkte es sofort, wenn ich eine Schildkröte oder eine Dorade oder einen Hai ergatterte, und ich musste sie rasch und großzügig mit ihm teilen. Ich glaube, im Aufsägen von Schildkröten habe ich einen Weltrekord aufgestellt. Fische wurden schon zerteilt, wenn sie noch zuckten. Dass ich alles in mich hineinstopfte, was auch nur halbwegs essbar war, lag nicht nur an meinem entsetzlichen Hunger; es lag auch an dem Tempo, das gefordert war. Manchmal konnte ich gar nicht überlegen, was ich da vor mir hatte: entweder ich steckte es in den Mund, oder ich hatte es an Richard Parker verloren, der ungeduldig am Rande seines Reviers stand, mit den Krallen angelte, scharrte und schnaufte. Irgendwann - und besser hätte mir nicht zu Bewusstsein kommen können, wie tief ich gesunken war - merkte ich zu meinem Entsetzen, dass ich fraß wie ein Tier, dass ich meine Beute genauso gierig, geräuschvoll, in großen Brocken herunterschlang wie Richard Parker.