Kapitel 73

Mein sehnlichster Wunsch-von der Rettung abgesehen -war ein Buch. Ein langes Buch mit einer unendlichen Geschichte. Eins, das ich immer wieder lesen konnte, immer wieder mit neuen Augen und neuem Verständnis. Leider gehörte keine heilige Schrift zur Ausstattung des Rettungsboots. Ich war wie der verzagte Arjuna in seinem zerbeulten Streitwagen, doch ohne den aufmunternden Beistand von Krishnas Worten. Als ich später zum ersten Mal im Nachttisch eines kanadischen Hotelzimmers eine Bibel fand, brach ich in Tränen aus. Gleich am folgenden Tag schickte ich eine Spende an die Gideon-Gesellschaft, zusammen mit einem Brief, in dem ich sie anspornte, ihre Aktivitäten auf Orte aller Art auszudehnen, an denen ein erschöpfter Reisender sein müdes Haupt betten mochte, nicht nur Hotelzimmer, und dort nicht nur Bibeln bereitzulegen, sondern auch andere heilige Schriften. Ich kann mir gar keinen besseren Weg zur Verbreitung des Glaubens vorstellen. Kein Wettern von der Kanzel, kein kirchliches Strafgericht, kein Druck der Gemeinschaft, nur ein heiliges Buch, das geduldig wartet, bis es den Wanderer willkommen heißt, sanft und bewegend, als habe ein kleines Mädchen ihn auf die Wange geküsst.

Wenn ich wenigstens einen guten Roman gehabt hätte! Aber mir blieb nur das Überlebenshandbuch, und das habe ich in der Zeit meines Schiffbruchs wohl zehntausendmal gelesen.

Ich führte Tagebuch. Es ist schwer zu entziffern. Ich schrieb so klein wie möglich. Ich hatte Angst, das Papier würde nicht reichen. Viel ist es nicht. Gekritzelte Worte, die versuchten, eine Wirklichkeit in Worte zu fassen, die mich überwältigte. Ich begann mit dem Schreiben etwa eine Woche nach dem Untergang der Tsimtsum. Davor war ich zu beschäftigt und durcheinander. Die Einträge sind nicht datiert oder nummeriert. Was mir heute auffällt, ist die Art, wie sie das Vergehen der Zeit festhalten. Mehrere Tage, mehrere Wochen, alles auf einer Seite. Inhaltlich ist es das, was man erwarten würde: Ereignisse und Gefühle, Erfolge und Misserfolge beim Fischen, das Meer und das Wetter, Probleme und Lösungen, Richard Parker. Lauter praktische Dinge.

Загрузка...