Kapitel 71

Allen, die sich jemals in der Notlage finden sollten, in der ich mich befand, würde ich das folgende Programm empfehlen:


Beginnen Sie an einem Tag, an dem die Wellen nicht zu hoch, doch gleichmäßig sind. Man muss die See ordentlich spüren, wenn das Boot quer zu ihr steht, aber es soll natürlich nicht kentern.

Geben Sie dem Treibanker gut Leine, damit das Rettungsboot so stabil wie nur möglich schwimmt. Sorgen Sie dafür, dass Sie eine Zuflucht parat haben (Sie werden sie brauchen). Schützen Sie, soweit möglich, Ihren Körper. Fast alles kann als Schild dienen. Kleider oder Decken, die man sich um die Gliedmaßen wickelt, sind immerhin ein gewisses Maß an Rüstung.

Jetzt beginnt der schwierige Teil: Sie müssen das Tier, das Sie gefährdet, herausfordern. Ob Tiger, Nashorn, Vogel Strauß, ob Wildschwein oder Braunbär - ganz gleich, mit wem Sie es zu tun haben, Sie müssen das Tier zunächst einmal reizen. Das beste Mittel dazu ist erfahrungsgemäß, dass Sie ganz an den Rand Ihres eigenen Territoriums gehen und demonstrativ an die Demarkationslinie treten. Genau das habe ich getan: Ich ging ganz ans Ende der Plane, stampfte auf die Mittelbank und blies meine Pfeife, doch nicht zu laut. Es ist wichtig, dass Sie immer das gleiche Geräusch machen, etwas, das als Zeichen Ihres Angriffs wiedererkennbar ist. Übertreiben Sie nicht. Sie wollen Ihr Tier herausfordern, aber auch nicht zu sehr. Sie wollen ja nicht, dass es sich auf Sie stürzt. Denn wenn es das tut, dann gnade Ihnen Gott. Sie werden zerstückelt, zerfleischt, zu Tode getrampelt und höchstwahrscheinlich gefressen. So weit darf es nicht kommen. Sie wollen ein Tier, das gereizt ist, ungehalten, verärgert, besorgt, bedrückt, bekümmert - aber keinen Mörder. Dringen Sie auf keinen Fall in das Territorium des Tieres ein. Beschränken Sie Ihre Aggression darauf, dass Sie ihm in die Augen starren, machen Sie Lärm, verspotten Sie es.

Wenn das Tier gereizt ist, provozieren Sie eine Grenzverletzung. Nach meiner Erfahrung bewährt es sich, mit dem Gesicht zum Tier langsam rückwärts zu gehen und dazu kräftig zu lärmen. VERLIEREN SIE NICHT DEN BLICKKONTAKT! Sobald das Tier seinen ersten Fuß in Ihr Territorium setzt, ja sobald es auch nur weiter in den neutralen Bereich vordringt, haben Sie Ihr Ziel erreicht. Es kommt darauf an, dass das Tier vermerkt, dass sein Nachbar von oben sehr darauf achtet, dass seine Grenze nicht verletzt wird.

Sobald das Tier erst einmal in Ihren Bereich vorgedrungen ist, kennt Ihr Zorn keine Grenzen. Ob Sie nun Ihre Zuflucht jenseits des Rettungsboots gewählt haben oder nur ganz ans Hinterende Ihres Reviers gegangen sind, BLASEN SIE IHRE PFEIFE AUS LEIBESKRÄFTEN und LICHTEN SIE SOFORT DEN TREIBANKER. Beides ist von entscheidender Bedeutung. Jede verlorene Sekunde gefährdet den Erfolg. Wenn Sie noch nachhelfen können, dass Ihr Rettungsboot sich quer zu den Wellen stellt, mit einem Ruder zum Beispiel, dann tun Sie das, und zwar unverzüglich. Je schneller Ihr Boot ins Schlingern kommt, desto besser.

Das unablässige Trillerpfeifeblasen ist für einen geschwächten Schiffbrüchigen eine schwere Anstrengung, aber Sie dürfen nicht nachlassen. Das verwirrte Tier muss seinen zunehmenden Schwindel mit den schrillen Pfiffen Ihrer Pfeife in Verbindung bringen. Sie können die Wirkung noch verstärken, wenn Sie sich ans Ende Ihres Bootes stellen, die Füße beiderseits auf dem Bootsrand, und im Rhythmus der schwankenden See hin- und herschaukeln. So klein Sie auch sein mögen und so groß Ihr Rettungsboot, Sie werden staunen, welche Wirkung Sie damit erzielen. Glauben Sie mir, binnen kurzem vollführt Ihr Rettungsboot einen Rock 'n' Roll, als wäre es Elvis Presley persönlich. Und denken Sie daran, bei alldem müssen Sie unablässig Ihre Pfeife blasen, und treiben Sie es nicht so weit, dass das Boot kentert.

Machen Sie weiter, bis das Tier, das Ihnen zusetzt — ob Tiger, ob Rhinozeros - grün vor Seekrankheit ist. Sie müssen hören, wie es sich die Seele aus dem Leibe spuckt. Machen Sie weiter, bis es am Boden des Bootes liegt, an allen vieren zuckend, die Augen verdreht, und ein verzweifeltes Röcheln ist alles, was es noch herausbekommt. Und traktieren Sie es unablässig mit der schrillenden Pfeife. Sollte Ihnen selbst schlecht werden, übergeben Sie sich nicht an der Reling. Erbrochenes ist eine ausgezeichnete Grenzmarkierung. Spucken Sie es genau an der Grenze Ihres eigenen Reviers aus.

Sobald Ihrem Tier sterbenselend ist, können Sie aufhören. Seekrankheit stellt sich schlagartig ein, aber es dauert lange, bis sie wieder verfliegt. Sie wollen es ja auch nicht übertreiben. Keiner stirbt an Schwindel, aber er kann einem schon sehr den Lebensmut nehmen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie weit genug gegangen sind, werfen Sie den Treibanker und sehen Sie zu, dass Sie Ihrem Tier Schatten verschaffen, wenn es im grellen Sonnenlicht zusammengebrochen ist. Stellen Sie ihm Wasser hin, das es trinken kann, wenn es ihm besser geht, und lösen Sie Tabletten gegen Seekrankheit darin auf, wenn Sie welche haben. Der Wasserverlust ist zu diesem Zeitpunkt eine ernste Gefahr. Ansonsten ziehen Sie sich in Ihr eigenes Territorium zurück und lassen das Tier in Ruhe. Wasser, Ruhe und Entspannung, dazu ein gleichmäßiger Seegang, werden es bald wieder beleben. Lassen Sie ihm Zeit, bis es sich vollständig erholt hat, dann wiederholen Sie Schritt 1 bis 8.

Setzen Sie die Behandlung fort, bis im Hirn des Tieres der Klang der Pfeife und das Gefühl der entsetzlichsten Übelkeit fest miteinander verbunden sind und die Gedankenverbindung tief eingebrannt ist. Danach wird die Pfeife allein genügen, um es bei Grenzverletzungen oder sonstigen Übergriffen zu disziplinieren. Ein einziger kräftiger Pfeifentriller, und Sie werden sehen, wie Ihrem Tier übel wird und wie es sich unverzüglichst in den sichersten Teil seines Reviers zurückzieht, am weitesten von Ihnen fort. Ist dieser Lerneffekt erst einmal erreicht, sollte die Pfeife nur noch sparsam zum Einsatz kommen.

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