22. Kapitel

Hamburg

Freitag, 1. Oktober, 02 Uhr

Der Wind kam vom Meer, die Nachtluft war kalt und feucht. In Sankt Pauli waren die Straßen zum Bersten voll von Touristen, die nach den Freuden des Sündenbabels gierten. Der Kameramann schlenderte langsam die Reeperbahn hinab, war Zielscheibe für Dutzende von Mädchen und grellgeschminkten Knaben. Er schenkte niemandem Beachtung, bis er zu einem Mädchen kam, das nicht älter als achtzehn aussah. Ihr Haar war blond. Sie lehnte an einer Hauswand und unterhielt sich mit einer Freundin. Als der Mann auf sie zukam, drehte sie sich lächelnd zu ihm um. »Wie wär’s mit ‘ner Party, Schatz? Meine Freundin und ich, wir hätten was zu bieten.«

Der Mann sah das Mädchen an und erklärte: »Nur du.«

Die Freundin zuckte die Achseln und ging davon.

»Wie heißt du?«

»Hilde.«

»Würdest du gern beim Film mitmachen, Hilde?« fragte der Kameramann.

Das Mädchen hatte plötzlich verächtlich glitzernde Augen. »Du lieber Gott! Du kommst mir doch wohl nicht mit der alten Masche von wegen Hollywood und so?«

Er lächelte sie aufmunternd an. »Nein, nein. Das Angebot ist reell. Es geht um einen Pornofilm. Den drehe ich für einen Freund.«

»Das kostet dich fünfhundert, und zwar im voraus.«

»Gemacht.«

Sofort bereute sie, nicht mehr verlangt zu haben. Na schön, irgendwie würde sie bei dem noch einen Bonus herausschlagen. »Was muss ich denn tun?« erkundigte sie sich.

Sie war nervös. In der kleinen, schäbig möblierten Wohnung lag sie nackt auf dem Bett ausgestreckt. Sie beobachtete die drei anderen Anwesenden, dachte, irgend etwas stimmt hier nicht. Die Straßen von Berlin, München und Hamburg hatten ihre Instinkte geschärft, und sie war es gewöhnt, auf ihren sechsten Sinn zu achten. Irgend etwas an den dreien weckte ihr Misstrauen. Gern wäre sie abgehauen, aber sie hatten immerhin schon die fünfhundert geblecht und hatten ihr weitere fünfhundert versprochen, wenn sie gut arbeitete. Sie würde gut arbeiten, die sollten sich wundern. Schließlich war sie keine Amateurin in dem Beruf, und man hatte ja seinen Stolz. Sie wandte den Blick zu dem nackten Mann neben sich auf dem Bett. Er war stark und gut gebaut, hatte einen völlig unbehaarten Körper. Was Hilde abstieß, war sein Gesicht. Er war einfach zu alt für diese Art Film. Aber am meisten störte sie der Zuschauer im Hintergrund. Der saß ganz still da, trug einen langen Mantel, einen großen Hut und Sonnenbrille. Genau besehen konnte Hilde sich nicht einmal klarwerden, ob es ein Mann oder eine Frau war. Alles passte nicht so richtig zusammen, dachte sie. Sie fummelte an dem roten Band um ihren Hals. Warum die bloß verlangt hatten, sie sollte es umbinden? Der Kameramann sagte: »Okay, wir sind soweit. Jetzt Action, wenn ich bitten darf.«

Die Kamera begann zu surren. Hilde hatte ihre Regieanweisungen bekommen. Der Mann lag auf dem Rücken, Hilde auf ihm drauf.

Als erstes machte sie mit ihm eine »Reise um die Welt«, zeigte, was Zunge und Lippen hergaben, an Ohren und Hals, dann abwärts über Brust und Bauch, leckte ihm mit schnellen Zungenbewegungen Hoden und Penis, darauf jedes Bein, bis zu den Zehen. Dann rollte sie ihn auf den Bauch und begann dieselbe Reise von rückwärts. Ihre Zunge bewegte sich flink und routiniert, fand alle erogenen Zonen. Der Mann war jetzt voll da, steinhart.

»Zur Sache«, mahnte der Kameramann. Der Mann wälzte sich herum und legte sich auf sie drauf, schob ihre Schenkel auseinander. Sein Penis war zu unglaublichen Ausmaßen angeschwollen, und als er ihn einführte, vergaß Hilde ihre düsteren Ahnungen. Es war einfach herrlich.

»Steck ihn tiefer rein, Schatz«, stöhnte sie.

Sie fühlte ihn noch tiefer in sich, und sie fiel in seinen Rhythmus, ihre Hüften bewegten sich immer schneller.

Im Hintergrund lehnte sich der Zuschauer vor, ließ sich keine Bewegung entgehen. Das Mädchen auf dem Bett schloss die Augen.

Die verdarb ja alles!

»Augen auf!« befahl der Zuschauer.

Sofort wiederholte der Kameramann: »Mach die Augen auf!«

Erschrocken gehorchte Hilde. Sie betrachtete den Mann über sich. Er war Klasse, einsame Spitze. Das war die Art Sex, die sie mochte, hart und mit Wucht. Er bewegte sich jetzt immer schneller, und sie reagierte entsprechend. Normalerweise bekam sie nie einen Orgasmus, außer mit ihrer Freundin. Ihren Kunden spielte sie immer nur etwas vor, aber die hätten den Unterschied sowieso nicht gemerkt. Doch diesmal hatte der Kameramann sie gewarnt: Ohne Orgasmus keinen Bonus. Deshalb entspannte sie sich jetzt und dachte an all die schönen Sachen, die sie sich von dem Geld kaufen wollte. Und sie fühlte sich dem Ziel nahe.

»Schneller!« rief sie. »Schneller!«

Schauder rannen durch ihren Körper. Ihre Stimme kreischte fast: »Es kommt, es kommt!«

Der Zuschauer nickte, und der Kameramann befahl: »Jetzt!«

Der Mann auf dem Bett legte die Hände um den Hals des Mädchens. Seine Riesenfinger drückten ihr die Luftröhre zu. Sie blickte ihn an, direkt in die Augen. Dort las sie, was ihr bevorstand, und Todesangst erfüllte sie. Sie wollte schreien, aber sie bekam keine Luft. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien. Ihr Körper bewegte sich in rasenden Zuckungen, aber der Mann hielt sie fest im Griff. Es gab kein Entrinnen.

Der Zuschauer verschlang die Szene mit den Augen. Es war das Fest aller Feste. Er sah dem sterbenden Mädchen in die Augen, sah, wie sie ihre Strafe bekam.

Noch einmal zuckte Hildes Körper, dann sackte er in sich zusammen.

Загрузка...