Die Rue Armengaud, eine ruhige Pariser Straße, von ein- oder zweigeschossigen Wohnhäusern mit Giebeldächern gesäumt. Nummer 26 ragte über seine Nachbarn hinaus, ein moderner Acht-Stockwerke-Bau aus Glas, Stahl und Beton, Hauptquartier von Interpol, dem Generalstab im Kampf gegen das internationale Verbrechertum.
Im weitläufigen, vollklimatisierten Kellerraum plauderte Max Hornung mit einem seiner geliebten Computer, als einer der diensthabenden Beamten hereinkam. Er sprach den kleinen Inspektor an. »Oben zeigen sie gerade einen >Mord-Porno<. Interessiert Sie das?«
»Ich weiß nicht. Was ist das, ein >Mord-Porno«
»Kommen Sie mit, und sehen Sie ihn sich an.«
Der große Filmvorführraum lag im dritten Stock. Zwei Dutzend Männer und Frauen, Beamte von Interpol, Polizisten der Surete, in Zivil und uniformiert, waren anwesend. Neben einer Leinwand stand Rene Almedin, Assistent des Verwaltungsdirektors von Interpol. Max fand einen Platz in der letzten Reihe.
»... seit ein paar Jahren«, sagte Almedin gerade, »sind uns immer häufiger Gerüchte über sogenannte MordPornos zu Ohren gekommen, das sind pornographische Filme, bei denen zum Schluss das Opfer vor der laufenden Kamera umgebracht wird. Beweise für die tatsächliche Existenz solcher Filme waren bis jetzt nicht zu beschaffen. Der Grund dafür liegt natürlich auf der Hand. Solche Art Filme werden nicht für den normalen Konsumentenkreis produziert, sondern in geheimen Zirkeln reichen Kunden vorgeführt, die sich an derart perversen und sadistischen Darbietungen ergötzen.«
Rene Almedin legte eine Pause ein und nahm vorsichtig die Brille von der Nase. »Aber, wie ich schon sagte, bis jetzt war das alles nur ein Gerücht. Das hat sich nun geändert. Gleich werden Sie einen Original->Mord-Porno< zu sehen bekommen.« Aus dem Zuschauerraum kam erwartungsvolles Raunen. »Vor zwei Tagen ereignete sich in Passy ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht. Das Opfer, ein männlicher Passant, war im Besitz eines Aktenkoffers. Der Mann starb auf dem Weg ins Krankenhaus und konnte bis jetzt nicht identifiziert werden. In seinem Aktenkoffer fand die Surete diese Filmrolle, die im Labor entwickelt wurde.« Auf sein Zeichen verlosch das Licht, und der Film lief an.
Das blonde Mädchen konnte nicht älter als achtzehn gewesen sein. Das Ganze erschien unwirklich: das junge Gesicht, der blühende Frauenkörper, und dann härtester Porno, Fellatio, Analingus und die ganze Palette. Ihr Partner im Bett war ein kräftiger, völlig unbehaarter Kerl. Die Kamera zeigte in Nahaufnahme, wie sein riesenhafter Penis in sie eindrang. Dann wieder das Gesicht im Großformat. Max Hornung hatte dergleichen noch nie gesehen. Aber etwas anderes kam ihm bekannt vor. Er starrte auf das Band um den Hals des Mädchens. In seinem Gedächtnis rumorte es. Ein rotes Band. Wann? Wo? Das Mädchen auf der Leinwand erreichte den Höhepunkt, und als der Orgasmus begann, schlössen sich die riesigen Finger des Mannes um ihren Hals, drückten zu. Das Mädchengesicht: eben noch in Ekstase, jetzt voll tödlichen Entsetzens. Wie ein wildes Tier kämpfte sie, um dem Schicksal zu entkommen, aber die Pranken lagen wie Stahl um ihren Hals, schlössen sich immer fester. Und das Mädchen starb auf dem Höhepunkt ihres Orgasmus. Die Kamera fuhr noch einmal ganz dicht an sie heran; das verzerrte Gesicht füllte die Leinwand aus, dann war der Film zu Ende. Im Raum flammten die Lichter auf. Und Max fiel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich!
Das Mädchen, das sie aus der Limmat gefischt hatten.
Bei Interpol Paris trafen aus ganz Europa Antworten auf eine dringende telegrafische Anfrage ein. Sechs ähnliche Morde waren bekanntgeworden: in Zürich, London, Rom, Portugal, Hamburg und Paris.
Rene Almedin informierte Max. »Die Beschreibungen passen haargenau. Die Opfer waren sämtlich blond, weiblichen Geschlechts, jung. Alle wurden während des Geschlechtsverkehrs erwürgt, und die Leichen waren nackt, trugen nur ein rotes Band um den Hals. Wir haben es hier mit einem Massenmörder zu tun. Soviel ist klar: Er besitzt einen Pass, ist entweder reich genug, um nach Belieben durch die Gegend fahren zu können, oder er reist auf Geschäftskosten.«
Ein Beamter in Zivil betrat das Büro. »Ausnahmsweise haben wir mal Glück gehabt. Das Filmmaterial wird von einer kleinen Firma in Brüssel hergestellt. Zufällig stammt es aus einer bestimmten Serie, bei der es Schwierigkeiten mit der Farbabstimmung gab. Deshalb kann das Zeug leichter identifiziert werden. Sie machen uns eine Aufstellung über alle Kunden, an die diese spezielle Serie geliefert wurde.«
Max sagte: »Wenn Sie die Liste haben, würde ich gern mal einen Blick darauf werfen.«
»Selbstverständlich.« Unauffällig musterte Rene Almedin den kleinen Kollegen. Ein Polizeibeamter wie Max Hornung war ihm noch nie über den Weg gelaufen. Und eben dieser Max Hornung hatte ihnen den Zusammenhang zwischen den Porno-Morden geliefert.
»Schätze, wir stehen ganz schön in Ihrer Schuld«, meinte Almedin.
Max sah ihn augenzwinkernd an. »Wieso?«