Paris
Montag, 5. November, 18 Uhr
Im Augenblick, da Charles Martel die Schwelle des Hauses überschritt, wusste er: Es ging ihm an den Kragen. Helene wartete schon auf ihn, und, was schlimmer war, in ihrer Gesellschaft befand sich Pierre Richaud, der Juwelier, der die Duplikate der gestohlenen Juwelen angefertigt hatte. Charles blieb wie versteinert in der Tür stehen.
»Komm nur rein, Charles«, sagte Helene. In ihrer Stimme lag ein Unterton, der ihm Schauder des Entsetzens durch den Körper trieb. »Soviel ich weiß, kennst du Monsieur Richaud.«
Charles starrte sie nur wortlos an. Er wusste, was immer er sagte, würde die Sache nur noch schlimmer machen. Der Juwelier blickte angestrengt auf den Boden, wünschte sich offenbar weit weg.
»Setz dich doch, Charles.« Es war ein Befehl. Charles nahm Platz.
Helenes Stimme war hart wie Stahl. »Was dich erwartet, mon cher, ist eine Anklage wegen schweren Diebstahls. Du hast meine Juwelen gestohlen und die Stücke durch plumpe Imitationen ersetzt, angefertigt von Monsieur Richaud.«
Charles wollte in den Boden versinken, aber er konnte nichts dagegen tun: Er fühlte, wie er sich in die Hosen machte. Das war ihm das letztemal als kleiner Junge passiert. Er lief rot an. Verzweifelt wünschte er sich, den Raum verlassen zu können, um sich zu säubern, nur für einen Moment. Für einen Moment? Nein, er wollte fliehen und nie im Leben zurückkehren.
Helene wusste alles. Wie sie es herausbekommen hatte, spielte keine Rolle. Es würde weder ein Entrinnen geben noch Gnade. Schlimm genug, dass Helene seine Tat kannte, den Diebstahl. Was aber würde passieren, wenn sie sich erst über das Motiv im klaren war? Dass er das Geld hatte dazu benutzen wollen, ihr zu entkommen! Der Begriff Hölle würde eine völlig neue Bedeutung erhalten. Niemand kannte Helene, wie er sie kannte. Sie war une sauvage, zu allem fähig. Sie würde ihn vernichten, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, würde ihn zum Clochard machen, einer jener traurigen Gestalten, die in Lumpen auf den Straßen von Paris nächtigten. Sein Leben hatte sich plötzlich in ein emmerdement verwandelt, in einen Regen von Scheiße.
»Hast du wirklich geglaubt, du könntest so davonkommen?« fragte Helene.
Charles blieb still, ein jämmerliches Schweigen. Er fühlte, wie die Nässe sich in den Hosen ausbreitete, wagte aber nicht, nach unten zu sehen.
»Ich habe Monsieur Richaud überredet, mich mit allen Fakten bekanntzumachen.«
Überredet! Charles mochte sich gar nicht ausmalen, was das bedeutete.
»Ich besitze Fotokopien von den Quittungen für das Geld, das du mir gestohlen hast. Ich kann dich für die nächsten zwanzig Jahre hinter Gitter bringen.« Sie schwieg einen Moment. Dann fügte sie hinzu: »Wenn ich mich dazu entschließe.«
Ihre Worte vergrößerten nur Charles’ Panik. Eine milde Helene war eine schreckliche Helene, das hatte die Erfahrung ihn gelehrt. Er hatte Angst, ihr in die Augen zu sehen. Was sie wohl von ihm wollte? Bestimmt etwas Unbeschreibliches.
Helene wandte sich Pierre Richaud zu. »Und Sie werden über die Angelegenheit nicht sprechen. Zu niemandem ein Wort. So lange nicht, bis ich mich entschieden habe, was ich unternehme.«
»Selbstverständlich nicht, Madame Roffe-Martel, da können Sie sich ganz auf mich verlassen.« Der Mann konnte nur noch stammeln. Hoffnungsvoll blickte er zur Tür. »Darf - darf ich jetzt gehen?«
Helene nickte, und Pierre Richaud enteilte wie ein Wiesel.
Helene sah ihm nach, wirbelte dann herum und starrte ihren Mann an. Sie konnte seine Furcht wittern. Und noch etwas anderes. Urin. Sie lächelte. Charles hatte sich aus lauter Angst vollgepinkelt. Na, bravo: Sie hatte ihn wirklich ausgezeichnet dressiert. Helene war recht angetan von Charles. Eine äußerst zufriedenstellende Ehe. Erst hatte sie Charles eingeritten, ihn dann zu ihrer Kreatur gemacht. Die Neuerungen, die er bei Roffe und Söhne eingeführt hatte, waren genial. Denn sie stammten allesamt von Helene. Mit ihrem Mann als Werkzeug beherrschte sie einen kleinen Teil von Roffe und Söhne, aber das war ihr bei weitem nicht genug. Schließlich war sie eine Roffe. Sie war von jeher vermögend, und ihre verflossenen Ehen hatten sie noch wohlhabender gemacht. Aber sie war nicht auf Geld aus. Was sie wollte, war die Herrschaft über den Konzern. Sie hatte alles so schön geplant. Mit dem Erlös aus ihren Anteilen wollte sie noch mehr Aktien erwerben, die Beteiligungen der anderen aufkaufen. Sie hatte schon mit ihnen darüber gesprochen. Alle waren einverstanden. Man würde eine Sperrminorität zusammenbringen. Aber leichter gesagt als getan. Zuerst hatte Sam ihren Plänen im Weg gestanden, jetzt war es Elizabeth. Aber Helene hatte nicht die Absicht, Elizabeth oder irgend jemand anderen zwischen sich und ihren Zielen zu dulden. Sie würde bekommen, was sie wollte. Und Charles würde es ihr ermöglichen. Sollte etwas dabei schiefgehen, war er der geeignete Sündenbock.
Zunächst jedoch musste er für seine petite revolte bestraft werden. Sie beobachtete sein Gesicht und sagte: »Mich bestiehlt niemand, Charles. Niemand. Du bist erledigt. Wenn ich mich nicht entschließen sollte, dich zu retten.«
Da saß er, ein Häufchen Elend. Er wünschte sie sich tot, hatte unbeschreibliche Angst vor ihr. Sie kam zu ihm herüber. Ihre Schenkel fuhren an seinem Gesicht entlang.
»Möchtest du, dass ich dich rette, Charles?« fragte sie.
»Ja.« Seine Stimme war heiser. Sie stieg aus ihrem Rock, die Augen glänzend vor boshafter Gier, und er dachte: Oh, mein Gott! Nicht jetzt!
»Dann hör mir gut zu. Roffe und Söhne ist mein Konzern. Ich will die Aktienmehrheit.«
Jämmerlich sah er sie von unten an. »Du weißt doch, Elizabeth verkauft nicht.«
Helene streifte die Bluse ab und ließ das Höschen fallen. Da stand sie vor ihm, animalisch nackt, ihr Körper schmal und makellos, Brüste mit harten Titten. »Dann musst du dich um Elizabeth kümmern, das heißt, wenn du die nächsten zwanzig Jahre deines Lebens nicht im Kittchen verbringen willst. Ich werde dir sagen, was du zu tun hast. Aber jetzt komm erst mal her zu mir, Charles.«