44. Kapitel

Auf dem Reiseplan von Max Hornung stand noch eine letzte Station: Berlin.

Auch dort warteten seine Computerfreunde schon auf ihn. Er befragte die Computer der großen Versicherungsgesellschaften und der Schufa, und man bot ihm die gespeicherten Daten des Bundeskriminalamts in Wiesbaden an.

Was steht zu Diensten? fragten sie.

Bitte alles über Walther Gassner.

Und sie spuckten aus. Als sie Max Hornung alle Geheimnisse geliefert hatten, lag Walther Gassners Leben vor ihm ausgebreitet. Max sah den Mann so deutlich vor sich als besäße er ein Foto. Er wusste, wie er sich kleidete, welche Weine er bevorzugte, was er gern aß, in welchen Hotels er abstieg. Walther Gassner: ein gutaussehender junger Skilehrer, der sich von Frauen aushaken ließ und schließlich eine Erbin geheiratet hatte, viel älter als er selbst.

Eine Kleinigkeit regte seine Phantasie an: ein eingelöster Scheck über zweihundert Mark, ausgestellt auf einen Dr. Heissen. Verwendungszweck: Konsultation. Welche Art Konsultation? fragte sich Max. Der Scheck war bei der Dresdner Bank in Düsseldorf vorgelegt worden. Eine Viertelstunde später war Max mit dem Filialleiter der Bank verbunden. Ja, selbstverständlich kannte der Direktor einen Dr. Heissen. Ein geschätzter Kunde des Instituts.

»Um welche Art Doktor handelt es sich, bitte?«

»Dr. Heissen ist Psychiater.«

Max legte auf, schloss die Augen und dachte nach. Ein loses Ende. Er griff wieder zum Telefon.

Eine hochnäsige Sprechstundenhilfe informierte ihn, der Doktor könne nicht gestört werden. Aber Max ließ nicht locker, und schließlich kam Dr. Heissen an den Apparat. Brüsk ließ er Max wissen, er rede nie über seine Patienten, und schon gar nicht am Telefon. Dann legte er auf, ehe Max etwas erwidern konnte.

Der suchte bei seinen Computern Hilfe. Packt mal aus über Dr. Heissen, forderte er sie auf.

Drei Stunden später rief er wieder bei dem Arzt an.

»Ich hab’ Ihnen doch vorhin schon gesagt«, fauchte Dr. Heissen, »wenn Sie etwas über einen meiner Patienten wissen wollen, müssen Sie sich schon herbemühen. Und zwar mit einem Gerichtsbeschluss.«

»Nach Düsseldorf zu kommen passt mir aber im Augenblick gar nicht«, erklärte Max.

»Das ist Ihr Problem. Sonst noch was? Ich bin sehr beschäftigt.«

»Das ist mir allerdings bekannt. Vor mir liegen Ihre Steuererklärungen aus den letzten fünf Jahren.«

»Na und?«

»Herr Doktor, ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Aber Sie hinterziehen fünfundzwanzig Prozent Ihres Einkommens. Wenn es Ihnen lieber ist, brauche ich die Unterlagen nur an das Finanzamt weiterzuleiten und den Leuten zu sagen, wo sie nachforschen sollen. Die könnten zum Beispiel mit Ihrem Bankschließfach in München anfangen oder bei Ihrem Nummernkonto in Basel.«

Am anderen Ende herrschte beredtes Schweigen. Dann fragte der Arzt: »Wie, sagten Sie doch gleich, ist Ihr Name?«

»Max Hornung. Ermittlungsbeamter der Schweizer Kriminalpolizei.«

Wieder eine Pause. Dann, sehr höflich: »Was wollen Sie denn nun genau wissen?«

Max sagte es ihm.

Als Dr. Heissen erst einmal zu reden begann, stürzten die Worte wie ein Wasserfall aus ihm heraus. Ja, natürlich konnte er sich an Walther Gassner erinnern. Der Mann war eines Tages in seiner Praxis erschienen, ohne jede Terminabsprache, und hatte darauf bestanden, ihn zu konsultieren. Seinen Namen wollte er partout nicht nennen. Er hatte den Vorwand benutzt, den Fall eines Freundes erörtern zu wollen.

»Natürlich hat mich das sofort alarmiert«, vertraute Dr. Heissen Max an. »Das ist ein klassisches Syndrom bei Leuten, die sich weigern, ihren eigenen Problemen ins Auge zu sehen, also Angst davor haben.«

»Und worin bestanden die Probleme?«

»Sein Freund, sagte er, leide an Schizophrenie und neige zur Gewalttätigkeit. Höchstwahrscheinlich werde er jemanden umbringen, wenn man ihn nicht daran hindere. Er wollte wissen, ob es dagegen eine Behandlungsmethode gebe. Seinen Freund in ein Sanatorium einzuweisen, könne er nicht über sich bringen.«

»Was haben Sie ihm geraten?«

»Selbstverständlich habe ich gesagt, zunächst müsste ich seinen Freund in Augenschein nehmen. Dann klärte ich ihn über die verschiedenen Arten von Geisteskrankheit auf. Ich habe ihm erläutert, wie man heutzutage schon gute Erfolge mit Drogen und psychiatrisch-therapeutischen Behandlungsmethoden erziele, gewisse Formen der Krankheit seien aber unheilbar. Ich erwähnte auch, dass jede Behandlung eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehme.«

»Und wie ging es dann weiter?« fragte Max.

»Überhaupt nicht. Das war alles, wirklich. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Dabei hätte ich ihm wirklich gern geholfen. Er schien mir völlig deprimiert zu sein, ungefähr so wie ein Mörder, der in der Wohnung seines Opfers an die Wand schreibt: Fangt mich, bevor ich weitermorde!«

Eins war Max noch nicht klar. »Herr Doktor, Sie sagten, er hätte sich geweigert, seinen Namen zu nennen. Trotzdem gab er Ihnen einen Scheck.«

»Er stellte fest, dass er kein Geld bei sich hatte. Da geriet er ganz außer sich. Schließlich musste er einen Scheck ausschreiben. Auf diese Art kam ich hinter seinen Namen. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?«

»Nein.« Max bedankte sich.

Irgend etwas passte nicht. Eines der losen Enden baumelte vor ihm, gerade eben außer Reichweite. Er würde schon noch dahinterkommen.

Als Max am nächsten Morgen nach Zürich zurückkehrte, fand er auf seinem Schreibtisch ein Telex von Interpol vor. Es enthielt die Liste der Kunden, an die das Filmmaterial geliefert worden war, mit dem der »Mord-Porno« gedreht wurde.

Acht Namen standen darauf.

Einer davon: Roffe und Söhne.

Chefinspektor Schmied lauschte dem Bericht seines ungeliebten Untergebenen. Kein Zweifel: Der kleine Glückspilz war wieder einmal in einen spektakulären Fall gestolpert.

»Fünf Leute«, sagte Max. »Einer davon muss es sein. Alle haben ein Motiv, und alle hatten die Gelegenheit zur Tat. Am Tag, als der Aufzug abstürzte, waren sie hier in Zürich zu einer Direktoriumssitzung versammelt. Und jeder von ihnen konnte auf Sardinien gewesen sein, als das mit dem Jeep passierte.«

Der Chefinspektor runzelte die Stirn. »Fünf Verdächtige, haben Sie eben gesagt. Aber außer Elizabeth Roffe sitzen nur vier im Direktorium. Wer ist Ihr fünfter Kandidat?«

Max zwinkerte. Mit Vorgesetzten musste man Geduld haben. »Der Mann, der mit Sam Roffe in Chamonix war, als der Mord geschah. Rhys Williams.«

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