3. Kapitel

Rom

Montag, 7. September, 18 Uhr

Ivo Palazzi stand im Schlafzimmer, genau in der Mitte. Blut strömte ihm über das Gesicht. »Mamma mia! Mi hai rovinato!«

»Ruiniert? Damit hab’ ich noch nicht mal angefangen, du mieser figlio di puttanal« kreischte Donatella ihn an.

Beide waren nackt im großen Schlafzimmer ihrer Wohnung in der Via Montemignaio. Donatellas Körper war die Inkarnation der Sinnlichkeit, das Aufregendste, das Ivo Palazzi je gesehen hatte. Sogar jetzt, da ihm aus den Kratzwunden, die sie ihm beigebracht hatte, der rote Lebenssaft rann, spürte er das gewohnte Regen in den Lenden. D/o, war das eine Frau! Die Aura ihrer keuschen Dekadenz raubte ihm die Sinne: das Gesicht einer Leopardin, hohe Backenknochen mit schräg geschnittenen Augen, volle, reife Lippen, Lippen, die an ihm knabberten, lutschten, saugten - aber daran durfte er jetzt nicht denken. Vom Boden hob er ein weißes Tuch auf, um das Blut zu stillen, und bemerkte zu spät, dass es sein Hemd war. Donatella stand mitten auf dem riesigen Doppelbett, kreischte und kreischte. »Hoffentlich blutest du dich zu Tode, dort auf der Stelle! Wenn ich mit dir fertig bin, du lumpiger Hurenbock, dann kann nicht mal mehr ein Kätzchen auf dich scheißen, so wenig bleibt von dir übrig!«

Zum hundertsten Male fragte Ivo Palazzi sich verzweifelt, wie er sich in diese aussichtslose Lage hatte manövrieren lassen können. Hatte er sich nicht immer für den glücklichsten Mann der Welt gehalten, unter lebhafter Zustimmung aller seiner Freunde? Freunde? Alle Menschen gaben ihm recht! Denn Ivo hatte keinen Feind auf der Welt. Seine Junggesellenzeit: Da war er pfeifend durch Rom stolziert, ohne Sorgen und Trübsal, ein moderner Don Giovanni, den halb Italien beneidete, zumindest der männliche Teil. Seine ganze Lebensphilosophie drückte sich in dem alten Sprichwort aus: Farsz onore con una donna - seine Ehre bei einer Frau suchen, und diese Maxime hatte ihn aufs äußerste beschäftigt gehalten. Ivo war ein geborener Romantiker. Er verliebte sich ständig, und jedes Mal half ihm die neue Liebe, die alte zu vergessen. Ivo betete Frauen an, für ihn waren alle schön, von der puttana, die entlang der Via Appia ihrem uralten Gewerbe nachging, bis zu den modischen Geschöpfen auf der Via Condotti. Die einzigen Frauen, aus denen sich Ivo nichts machte, waren Amerikanerinnen. Die waren für seinen Geschmack viel zu unabhängig. Außerdem: Was konnte man von einer Nation erwarten, deren Sprache so unromantisch war, dass man dort Giuseppe Verdi mit Joe Green übersetzte?

Stets brachte Ivo es fertig, ein Dutzend Mädchen in Bereitschaft zu haben, und zwar jeweils in verschiedenen Stufen der Erwartung oder Erfüllung. Insgesamt gab es fünf Stufen. Stufe eins galt den Frauen, denen Ivo eben erst begegnet war. Die bekamen ihren täglichen Telefonanruf, Blumen, kleine Bücher mit Gedichten, erotische Poesie. Den Mädchen in Stufe zwei schickte er kleine Geschenke, Schals von Gucci oder Porzellandosen mit Perugina-Pralinen. Stufe drei hieß Juwelen und Kleider, ferner Abendessen im El Toula oder der Taverna Flavia. Wer in Stufe vier aufgerückt war, durfte Ivos Bett teilen und sich seiner rühmenswerten Fertigkeiten als feuriger Liebhaber erfreuen. Bettabenteuer mit Ivo waren nicht einfach Ereignisse, sondern ausgeklügelte Zeremonien. Seine kleine, geschmackvoll eingerichtete Wohnung in der Via Margutta wurde mit Blumen geschmückt, Nelken oder Mohn, dazu gab es erlesene Musik, Opern, Konzerte oder Rock ‘n’ Roll, je nach Geschmack der glücklichen Auserwählten. Ivo war ein hervorragender Koch, und eine seiner Spezialitäten hieß sinnigerweise pollo alla cacciatora, Hühnchen auf Jägerart. Und nach dem Souper eine Flasche eisgekühlten Champagner, im Bett zu trinken... O ja, Ivo liebte Stufe vier ganz besonders.

Doch Stufe fünf war wohl die delikateste von allen. Sie bestand aus einer herzzerreißenden Abschiedsansprache, einem großzügigen Abschiedsgeschenk und einem tränenreichen arrivederci.

Doch all das gehörte der Vergangenheit an. Jetzt schielte Ivo Palazzi in den Spiegel über dem Bett und sah sein blutendes, zerkratztes Gesicht. Schrecken packte ihn. Er sah aus, als hätte ihn ein Mähdrescher überfahren.

»Sieh nur, was du angerichtet hast!« rief er. »Cara, ich weiß ja, du wolltest das nicht.«

Er trat auf das Bett zu, wollte Donatella an sich ziehen. Als er sie berührte, schlang sie ihre weichen Arme um ihn, grub ihre langen Fingernägel in seinen Rücken und verkrallte sich wie ein wildes Tier. Ivo schrie auf vor Schmerz.

»Ja, schrei nur!« rief Donatella. »Hätte ich nur ein Messer! Ich würde dir den cazzo abschneiden und ihn dir in den Hals stecken!«

»Bitte, Donatella!« bettelte Ivo. »Die Kinder können dich hören.«

»Na und? Lass sie doch!« kreischte sie in den höchsten Tönen. »Sollen sie doch wissen, was für ein Monster ihr Vater ist.«

Er ging einen Schritt auf sie zu. »Carissima

»Rühr mich nicht an. Eher geb’ ich mich dem ersten besoffenen Matrosen mit Syphilis hin, als dich noch mal an mich heranzulassen.«

Ivo richtete sich zu voller Höhe auf. Sein Stolz war getroffen. »Von der Mutter meiner Kinder erwarte ich eine andere Sprache.«

»Ach so, ich soll also nett mit dir reden? Ich soll aufhören, dich wie das Ungeziefer zu behandeln, das du bist? Dann gib mir endlich, was ich haben will!«

Nervös sah Ivo in Richtung Tür. »Carissima, ich kann doch nicht. Ich hab’s nicht.«

»Dann besorg es dir«, schrie sie. »Du hast’s versprochen!« Abermals machten sich bei ihr Anzeichen von Hysterie bemerkbar, und Ivo entschied: er machte am besten, dass er wegkam, bevor die Nachbarn wieder nach den Carabinieri riefen.

»Eine Million Dollar auf zutreiben, das braucht nun mal seine Zeit«, suchte er sie zu beruhigen. »Aber ich werde einen Weg finden, ja, das werde ich.«

Hastig zog er den Slip an, dann Hose, Socken und Schuhe. Währenddessen stürmte Donatella durch das Zimmer, ihre festen Brüste wogten im Rhythmus, und Ivo dachte wieder: Mein Gott, was für eine Frau! Ich bete sie an! Er langte nach seinem blutbefleckten Hemd. Es gab keinen Ausweg. Er zog es an, fühlte kalten Schweiß auf Brust und Rücken. Dann warf er einen letzten Blick in den Spiegel. Kleine Blutrinnsale liefen immer noch aus den tiefen Kratzwunden, die Donatellas Nägel ihm beigebracht hatten.

»Carissima«, jammerte Ivo. »Wie soll ich das nur meiner Frau erklären?«

Ivo Palazzis Frau: Simonetta Roffe, Erbin des italienischen Zweigs der Familiendynastie. Als er Simonetta begegnete, war Ivo ein junger Architekt, ausgesandt von seiner Firma, um Renovierungsarbeiten in der Roffeschen Villa in Porto Ercole zu beaufsichtigen. In dem Augenblick, als Simonetta ihn zum ersten Mal sah, waren Ivos Junggesellentage gezählt. Mit ihr hatte Ivo die vierte Stufe gleich in der ersten Nacht erreicht, und wenig später fand er sich als ihr Ehemann wieder. Simonetta war ebenso energisch wie schön, und sie wusste, was sie wollte: Ivo Palazzi. Also sah sich Ivo von einem sorgenfreien Junggesellen in den Mann einer schönen jungen Erbin verwandelt. Ohne Reue hängte er seine Ambitionen als Architekt an den Nagel und stieg bei Roffe und Söhne ein, mit einem großartigen Büro in EUR, jenem Teil von Rom, das der elendig verblichene Duce mit so großen Hoffnungen aus dem Boden hatte stampfen lassen.

Von Anfang an war Ivo in der Firma Erfolg beschieden. Er war intelligent, lernte schnell, und jeder bewunderte ihn. Es war auch schier unmöglich, Ivo seine Bewunderung zu versagen. Stets lächelte er, war charmant von früh bis spät. Seine Freunde neideten ihm sein Naturell und rätselten, wie er sich so strahlend geben konnte. Die Antwort war einfach. Ivo hielt die dunkle Seite seines Wesens verborgen. In Wahrheit war er ein Mensch voller Emotionen, fähig zu hassen, ja sogar zu morden. Ivos Ehe mit Simonetta blühte und gedieh. Hatte er zuerst gefürchtet, die Fesseln einer festen Bindung würden seine Männlichkeit beeinträchtigen, stellte sich diese Angst bald als unbegründet heraus. Er verordnete sich einfach eine Art Sparprogramm, reduzierte die Anzahl seiner Freundinnen, und alles lief nach Wunsch wie zuvor.

Simonettas Vater kaufte ihnen ein wunderschönes Heim in Olgiata, ein großes Anwesen, fünfundzwanzig Kilometer nördlich von Rom, durch Mauern und Tore von der Umwelt abgeschlossen und von uniformierten Wächtern beschützt.

Simonetta war ihm eine großartige Ehefrau. Sie liebte Ivo und behandelte ihn wie einen König, was seiner Ansicht nach genau das war, was er verdiente. In seinen Augen hatte Simonetta nur einen kleinen Makel. Witterte sie Grund zur Eifersucht, verwandelte sie sich in eine Furie. Einmal hatte sie Ivo im Verdacht gehabt, eine Einkäuferin mit auf eine Geschäftsreise nach Brasilien genommen zu haben. Mit tugendsamer Entrüstung wies er die Anschuldigung zurück. Bevor die Auseinandersetzung ausgestanden war, lag das halbe Haus in Trümmern. Weder ein Stück Porzellan war heil noch das Mobiliar, und beträchtliche Teile von beiden waren auf Ivos Kopf zu Bruch gegangen. Schließlich hatte ihn Simonetta mit einem Küchenmesser verfolgt, unter wilden Drohungen, erst ihn und dann sich selbst umzubringen.

Ivo hatte seine ganze Kraft gebraucht, ihr das Mordwerkzeug zu entwinden. Sie landeten auf dem Boden, und Ivo gelang es schließlich, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie ihre Wut vergessen zu machen. Doch nach diesem Zwischenfall legte sich Ivo allergrößte Diskretion auf. Der Einkäuferin verkündete er, leider könne er in Zukunft nicht mehr mit ihr auf Reisen gehen, und er achtete sorgsam darauf, dass auch nicht der Hauch eines Verdachtes auf ihn fiel. Schließlich wusste er ja: Er war der glücklichste Mann auf Gottes Erdboden. Simonetta war jung, schön, gescheit und reich. Sie genossen dieselben Dinge, mochten dieselben Leute. Es war die perfekte Ehe, und manchmal, wenn er ein Mädchen von Stufe drei nach Stufe vier avancieren ließ und eine andere von vier nach fünf, fragte sich Ivo selbst, warum er eigentlich ständig fremdging. Aber dann zuckte er philosophisch die Schultern und sagte sich: Irgendwer muss diese armen Dinger ja glücklich machen.

Ivo und Simonetta waren drei Jahre verheiratet, als er auf einer Geschäftsreise nach Sizilien Donatella Spolini traf. Es war mehr eine Explosion als eine Begegnung, wie eine Kollision zwischen zwei Planeten. Besaß Simonetta die schlanke, süße Gestalt einer jungen Frau, moduliert wie von Manzu, so prunkte Donatella mit dem sinnlichen, reifen Körper einer Figur von Rubens. Ihr Gesicht war exquisit, und ihre grünen feurigen Augen setzten Ivo lichterloh in Brand. Eine Stunde nach ihrer ersten Begegnung lagen sie im Bett, und Ivo, der sich immer viel auf seine Fähigkeiten als Liebhaber eingebildet hatte, sah zu seinem Staunen sich selbst als Schüler und Donatella als Lehrmeisterin. Sie ließ ihn Höhen erklimmen wie nie zuvor, ihr Körper brachte dem seinen Ekstasen, von denen er nie hätte träumen können. Sie erwies sich als unerschöpfliches Füllhorn der Lust. Und Ivo, als er dort im Bett lag, die Augen geschlossen, noch voll unglaublichen Entzückens, wusste eines: Nur ein vollendeter Idiot würde sich Donatella entgehen lassen.

Also wurde Donatella Ivos Geliebte. Sie stellte nur eine Bedingung: Er musste allen anderen Frauen in seinem Leben entsagen, mit Ausnahme seiner angetrauten. Ivo willigte ein. Das war vor acht Jahren gewesen, und in dieser Zeit hatte Ivo weder seine Frau noch seine Geliebte ein einziges Mal mit einer anderen betrogen. Zwei hungrige Frauen zu befriedigen hätte jeden gewöhnlichen Mann um seine ganze Kraft gebracht, aber in Ivos Fall trat genau das Gegenteil ein. Liebte er Simonetta, schweiften seine Gedanken zu Donatella ab, mit ihrem reifen, vollen Körper, und seine Lust wuchs um so mehr. Schlief er aber mit Donatella, hatte er Simonettas süße junge Brüste vor Augen und ihren kleinen Hintern und wurde zum wilden Mann. Mit welcher Frau er jeweils auch zusammen war, immer fühlte er, dass er die andere betrog. Und das steigerte sein Begehren.

Ivo kaufte Donatella ein hübsches Appartement in der Via Montemignaio und verbrachte dort mit ihr jeden Augenblick, den er erübrigen konnte. Er arrangierte unvorhergesehene »Geschäftsreisen«, und anstatt wegzufahren, genoss er die Zeit mit Donatella im Bett. Der Weg ins Büro, die mittägliche Siesta, nichts war ihm zu kurz für einen Abstecher zu seiner Geliebten. Als Ivo einmal mit Simonetta auf der Queen Elizabeth II nach New York reiste, brachte er Donatella in einer Kabine ein Deck tiefer unter. Es waren die fünf stimulierendsten Tage seines Lebens.

Eines Abends eröffnete ihm Simonetta, sie sei schwanger, und Ivo war außer sich vor Freude. Eine Woche später enthüllte ihm Donatella, sie bekäme ein Kind, und Ivos Freudenbecher lief über. Warum, so fragte er sich, sind mir die Götter so gnädig? Denn in aller Bescheidenheit argwöhnte Ivo manchmal, am Ende sei er der übergroßen Segnungen, die ihm zuteil wurden, doch nicht ganz würdig.

Zu gegebener Zeit schenkte Simonetta einem Mädchen das Leben, eine Woche darauf Donatella einem Knaben. Was konnte sich ein Mann noch mehr wünschen? Aber die Götter waren Ivo weiterhin gnädig. Wenig später beschied ihm Donatella, sie erwarte abermals ein Baby, und die Woche darauf entpuppte sich Simonetta als schwanger. Neun Monate danach schenkte Donatella ihm den zweiten Sohn und Simonetta die zweite Tochter. Kaum waren wieder vier Monate ins Land gegangen, sahen beide Frauen erneut Mutterfreuden entgegen, und diesmal gebaren sie am selben Tag. Wie ein Irrer raste Ivo zwischen dem Salvatore Mundi, wo Simonetta entband, und der Klinik Santa Chiara, wo er Donatella untergebracht hatte, hin und her. Mit Vollgas preschte er über den Raccordo Anulare, winkte den Mädchen zu, die am Straßenrand unter rosa Sonnenschirmen auf Kundschaft warteten. Ivo fuhr viel zu schnell, um ihre Gesichter wahrnehmen zu können, doch er bezog sie alle in seine überschäumende Freude ein und wünschte ihnen nur das Beste.

Donatella gebar noch einen Jungen, Simonetta ein weiteres Mädchen.

Zuweilen wünschte sich Ivo, es wäre andersherum gekommen. Irgendwie empfand er es als Ironie, dass seine Frau ihm nur Töchter, seine Geliebte nur Söhne beschert hatte. Er hätte sich einen männlichen Erben zur Erhaltung des Familiennamens gewünscht. Dennoch war er ein zufriedener Mensch. Er hatte sechs gesunde Kinder, drei im Innen- und drei im Außendienst gezeugt, sozusagen. Er betete alle an, war ihnen ein großzügiger Vater, vergaß nie ihre Geburts- und Namenstage. Die Mädchen hießen Isabella, Benedetta und Camilla, die Jungen Francesco, Carlo und Luca.

Als die Kinder älter wurden, gestaltete sich für Ivo das Leben komplizierter. Seine Frau und seine Geliebte eingeschlossen, musste er sich acht Geburts- und acht Namenstage merken und die Ferien doppelt meistern. Er schickte die Kinder wohlweislich in weit voneinander entfernt gelegene Schulen. Die Mädchen besuchten Saint Dominique, das französische Konvent in der Via Cassia, während die Jungen in die Jesuitenschule Massimo gingen. Ivo pflegte Kontakt mit allen Lehrkräften, entzückte sie sämtlich mit seinem Charme, half den Kindern bei den Hausaufgaben, spielte mit ihnen, reparierte ihr Spielzeug. Es bedurfte seines ganzen Geschicks und eines respektablen Organisationstalents, um beide Familien gleich aufmerksam zu behandeln und sie noch dazu streng auseinanderzuhalten, aber er meisterte es. Er war, wahrhaftig, ein beispielgebender Vater, Ehemann, Liebhaber. Weihnachten blieb er zu Hause bei Simonetta, Isabella, Benedetta und Camilla. Zum Dreikönigsfest am 6. Januar verkleidete sich Ivo als Hexe und verteilte Geschenke und Zuckerwerk an Francesco, Carlo und Luca.

Seine Frau und seine Mätresse waren göttliche Wesen, die Kinder gescheit und hübsch. Er war auf sie alle ungeheuer stolz. Das Leben konnte nicht schöner sein.

Und dann schissen die Götter Ivo Palazzi mitten ins Gesicht.

Wie immer bei Katastrophen kam auch diese ohne Vorwarnung.

Am Morgen, vor dem Frühstück, hatte Ivo Simonetta geliebt. Nachdem er sich gestärkt hatte, war er gleich ins Büro gefahren, wo er den Vormittag gewinnbringend verbrachte. Punkt ein Uhr erklärte er seinem Sekretär -Simonetta bestand auf männlichem Vorzimmerpersonal -, dass er den Rest des Tages außerhalb auf einer Konferenz verbringen würde.

In Gedanken ganz auf die Freuden des Nachmittags eingestellt, umrundete er die Baustelle, welche die Straße am Lungo Tevere blockierte, wo seit sechzehn Jahren an einer Untergrundbahn gebaut wurde. Er überquerte die Brücke zum Corso Francia und fuhr eine halbe Stunde später in seine Garage an der Via Montemignaio. Sobald er die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, war ihm klar, dass irgend etwas ganz und gar nicht stimmte. Schluchzend klammerten sich Francesco, Carlo und Luca an ihre Mutter, und als Ivo auf Donatella zuging, sah sie ihn mit Augen so voller Hass an, dass er einen Moment glaubte, er befände sich in der falschen Wohnung.

»Strozzino!« kreischte sie ihm entgegen.

Völlig konsterniert sah Ivo in die Runde. »Carissima -Kinder, was um Gottes willen ist passiert? Was habe ich getan?«

Donatella schnellte hoch. »Was du getan hast, willst du wissen? Das hast du getan!« Und damit schleuderte sie ihm eine Ausgabe der Zeitschrift Oggi ins Gesicht. »Sieh dir’s nur an.«

Verwirrt bückte sich Ivo und hob das Heft auf. Das Titelbild grinste ihn an: ein Foto von ihm selbst, Simonetta und den drei Töchtern. Die Schlagzeile hieß »Padre di Famiglia«.

Dio! Das hatte er völlig vergessen! Monate zuvor hatte die Zeitschrift bei ihm um Erlaubnis nachgesucht, eine Story über ihn zu bringen, und er Narr hatte zugestimmt. Doch im Traum war ihm nicht eingefallen, dass sie die Geschichte so groß aufmachen würden. Völlig verstört sah er auf seine schluchzende Geliebte, die heulenden Kinder. »Das kann ich erklären...«

»Keine Sorge«, schrie Donatella, »du brauchst ihnen nichts mehr zu erklären, das haben ihre Schulkameraden schon gründlich besorgt. Meine Kinder kamen weinend nach Hause, weil sie von allen Bastard geschimpft werden.«

»Cara, ich-«

»Und der Hauswirt behandelt uns wie Aussätzige, und die Nachbarn erst! Wir können den Leuten nicht mehr ins Gesicht sehen. Ich muss die Kinder von hier fortbringen.«

Ivo sah sie schockiert an. »Wovon redest du überhaupt?«

»Ich verlasse Rom. Und meine Söhne nehme ich mit.«

»Das kannst du nicht tun«, protestierte er. »Das sind auch meine Söhne.«

»Versuch nur, mich aufzuhalten. Dann bring’ ich dich um!«

Ivo durchlebte einen Alptraum. Da stand er, sah seine Mätresse und seine drei Söhne ganz aufgelöst und konnte nur denken: So was passiert doch mir nicht!

Aber Donatella war noch keineswegs mit ihm fertig. »Und bevor wir gehen«, eröffnete sie ihm, »will ich eine Million Dollar. In bar.« Ivo konnte nur lachen. »Eine Million« »Entweder du spurst, oder ich ruf deine Frau an.«

Das war vor sechs Monaten gewesen. Donatella hatte ihre Drohung nicht wahr gemacht - bis jetzt jedenfalls noch nicht. Aber Ivo wusste, sie würde es tun. Woche um Woche hatte sie mehr Druck auf ihn ausgeübt. Sie rief im Büro an und sagte: »Ist mir völlig egal, wie du an das Geld kommst. Besorg es.«

Ivo wusste, es gab nur einen Weg, möglicherweise an eine so gigantische Summe zu kommen. Er musste es fertigbringen, den Anteil an Roffe und Söhne zu veräußern. Aber da stand Sam Roffe im Wege, der den Verkauf verhinderte. Sam Roffe, der Ivos Ehe, seine ganze Zukunft in äußerste Gefahr brachte. Dem musste ein Ende bereitet werden. Wenn man nur die richtigen Leute kannte, war alles möglich.

Am meisten kränkte es Ivo, dass Donatella, sein Schatz, seine leidenschaftliche Geliebte, ihn nicht mehr an sich heranließ. Ivo durfte die Kinder besuchen, jeden Tag, aber das Schlafzimmer war Sperrgebiet.

»Wenn du mir das Geld gegeben hast«, versprach Donatella, »kannst du mich haben.«

Aus reiner Verzweiflung rief er eines Nachmittags Donatella an. »Ich komme sofort rüber. Die Sache mit dem Geld geht klar.«

Er würde sie erst nehmen und hinterher besänftigen, hatte er sich vorgenommen. Aber es kam anders. Als er sie entkleidet hatte und sie beide nackt waren, sagte er ihr die Wahrheit. »Noch hab’ ich das Geld nicht, cara, aber eines Tages, ganz bestimmt -«

Da hatte sie ihn angefallen, mit Klauen, wie eine Tigerin.

Als er jetzt von Donatellas Wohnung wegfuhr, schoss Ivo dies alles noch einmal durch den Kopf. Das ehedem gemeinsame Liebesnest war für ihn nur noch »Donatellas Wohnung«. Er bog nach Norden auf die belebte Via Cassia ab und steuerte sein Heim an. Im Rückspiegel sah er sein Gesicht; die Kratzwunden sahen fürchterlich aus. Und sein Hemd war voller Blut. Wie würde er das alles nur Simonetta erklären können, die Wunden an Gesicht und Rücken? Einen Moment lang spielte Ivo tatsächlich mit dem Gedanken, reinen Tisch zu machen, die Wahrheit auszupacken, aber er verwarf die wahnwitzige Idee ebenso schnell, wie sie ihm gekommen war. Allenfalls, ja wirklich allenfalls, hätte er Simonetta beichten können, in einem Augenblick geistiger Verwirrung mit einem Mädchen geschlafen und es geschwängert zu haben. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, würde er dieses Geständnis mit heiler Haut überleben. Aber drei Kinder? Über einen Zeitraum von mehreren Jahren? Nein, da war sein Leben kein Fünf-Lire-Stück mehr wert. Er musste jetzt nach Hause, das ließ sich nicht vermeiden, denn sie erwarteten Gäste zum Abendessen. Simonetta war sicher schon ungeduldig. Ivo saß in der Falle. Seine Ehe war ruiniert. Nur San Gennaro, der Heilige der Wundertätigkeit, konnte ihm noch helfen. Sein Blick wurde von einer Hausreklame neben der Via Cassia gefangengenommen. Er trat hart auf die Bremse, bog von der Straße ab und hielt den Wagen an.

Eine halbe Stunde später passierte Ivo in Olgiata das Tor zur Auffahrt des vornehmen Anwesens. Er ignorierte die erstaunten Blicke der uniformierten Wachleute, die seinem zerkratzten Gesicht und dem blutgetränkten Hemd galten, und fuhr über die Allee zu seiner eigenen Einfahrt, hielt schließlich vor dem Haus. Er stieg aus, öffnete die Tür und ging geradewegs ins Wohnzimmer. Dort hielten sich Simonetta und Isabella, die älteste Tochter, auf. Als Simonettas Blicke auf ihren Mann fielen, wurde sie vor Schreck ganz blass.

»Ivo! Um Himmels willen! Was ist geschehen?«

Ivo verzog sein Gesicht mühsam zu einem Lächeln, was ihn höllisch schmerzte. Kleinlaut gestand er: »Ich glaube, ich hab’ was ziemlich Dummes angestellt, cara

Simonetta war näher getreten. Sie musterte die Kratzer auf seinem Gesicht, und Ivo sah, wie ihre Pupillen sich verengten. Als sie sprach, lag Eiseskälte in ihrer Stimme. »Wer hat dein Gesicht zerkratzt?«

»Tiberio«, verkündete Ivo. Und hinter seinem Rücken brachte er eine graue Katze zum Vorschein, hässlich, fauchend. Sie sprang ihm aus dem Arm und rannte quer durch das Zimmer davon. »Ich hab’ sie für Isabella gekauft, aber das verdammte Biest fiel mich an, als ich sie in den Korb stecken wollte.«

Simonettas Stimme verriet besorgte Zärtlichkeit. »Povero amore mio!« Sie umfasste ihn vorsichtig. »Angela mio! Komm nach oben und leg dich sofort hin. Ich rufe den Arzt. Ich werde Jod holen. Ich -«

»Aber nein, nicht doch, mir geht’s prima. Ich fühle mich bestens.« Ivo übertrieb, denn er zuckte zusammen, als sie ihn in die Arme schloss. »Vorsicht, ich fürchte, das Biest hat mich auch am Rücken erwischt.«

»Amore! Wie du leiden musst!«

An der Haustür klingelte es.

»Ich gehe hin«, sagte Simonetta.

»Nein, nein, ich geh’ schon«, entgegnete Ivo schnell. »Ich erwarte wichtige Unterlagen aus dem Büro.«

Er eilte zur Haustür und öffnete.

»Signor Palazzi?«

Ein Bote in grauer Uniform übergab ihm einen Umschlag. Darin befand sich ein Telex von Rhys Williams. Schnell überflog Ivo die Nachricht. Dann stand er lange regungslos an der Haustür.

Schließlich holte er tief Atem und ging nach oben, um sich für seine Gäste umzuziehen.

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