Vom Flughafen Charles de Gaulle bis zur Gegend von Notre-Dame zahlt man für ein Taxi siebzig Francs, ohne Trinkgeld. Mit dem Bus Nummer 351 kostet dieselbe Strecke siebeneinhalb Francs - Trinkgeld nicht nötig. Inspektor Hornung nahm den Bus. Er stieg im bescheidenen Hotel Meuble ab und fing unverzüglich an zu telefonieren.
Er sprach mit den Leuten, in deren Händen sich die intimsten Geheimnisse der Bürger Frankreichs befinden. Die Franzosen, normalerweise noch misstrauischer und zurückhaltender als die Schweizer, ließen sich von Max Hornung nicht zweimal bitten. Für ihren Kooperationseifer gab es zwei Gründe. Einmal galt Hornung als Virtuose auf seinem Gebiet, wurde überall bewundert, und man rechnete es sich zur Ehre an, einem solchen Mann behilflich zu sein. Zweitens hatten alle schlicht Angst vor ihm. Vor Max ließ sich nichts geheimhalten. Der komische kleine Kerl mit der seltsamen Aussprache zog jedem das Fell über die Ohren. »Aber gern, mein Lieber«, hörte er überall. »Selbstverständlich haben Sie freie Hand mit unseren Computern. Doch alles muss streng vertraulich behandelt werden.«
»Natürlich.«
Max machte seine Besuchsrunde: bei den Inspecteurs des Finances, beim Credit Lyonnais, der Assurance Nationale. Und er bediente sich der Computer des Finanzamtes, der Elektronengehirne der Gendarmerie in Rosnysous-Bois und der Anlagen der Polizeipräfektur auf der Ile de la Cite.
Es begann wie bei einem Stammtisch-Schwatz zwischen alten Kumpeln. Wer sind eigentlich Helene und Charles Roffe-Martel? erkundigte sich Max.
Charles und Helene Roffe-Martel, wohnhaft Rite Francois Premier 5, Le Vesinet, Eheschließung 24. Mai 1970 in der Mairie von Neu illy, keine Kinder, Helene dreimal geschieden, Mädchenname Roffe, Bankkonto Credit Lyonnais, Avenue Montaigne, Konto-Inhaber Helene Roffe-Martel, durchschnittliches Guthaben über zwanzig-tausend Francs.
Ausgaben?
Eine Rechnung der Librairie Marceau für Bücher...Zahnarztrechnung, Wurzelbehandlung, Charles Martel... Krankenhausrechnungen, Charles Martel... Arztrechnung: Untersuchung, Charles Martel...
Liegt ein Diagnose-Ergebnis vor?
Moment bitte. Muss bei einem Computer-Kollegen nachfragen.
Und der Computer, bei dem die Arztberichte eingespeichert waren, fing zu tickern an. Diagnose: Nervöse Disposition.
Sonst noch was?
Schwere Prellungen und Quetschungen, Schenkel und Gesäß, beidseitig.
Ursachen?
Keine Angaben.
Bitte weiter mit den Ausgaben.
Rechnung für ein Paar Herrenschuhe von Pinet. Hut von Rose Valois... Foie Gras von Fauchon... Carita Schönheitssalon... Maxim’s: Souper, acht Personen... Herren-Morgenmantel von Sulka... Max stoppte den Computer. Irgend etwas irritierte ihn; die Rechnungen waren sonderbar. Dann fiel bei ihm der Groschen. Jeder Kauf war von Madame Roffe-Martel gegengezeichnet, auch die Rechnungen für Herrenbekleidung und die der Restaurants, die Lieferantenlisten - alles mit ihrem Namen. Interessant.
Und dann, unweigerlich, das erste lose Ende.
Eine Firma namens Belle Paix hatte Grunderwerbssteuer beglichen. Einer der Eigentümer von Belle Paix war mit Charles Dessain angegeben. Und Charles Dessain hatte dieselbe Sozialversicherungsnummer wie Charles Martel. Vernebelungsmanöver?
Bitte mehr über Belle Paix.
Die Antwort kam prompt. Belle Paix gehört Rene Duchamps und Charles Dessain, auch bekannt unter Charles Martel.
Was steckt hinter Belle Paix?
Die Firma ist Eigentümerin eines Weinguts.
Wie hoch ist das Betriebskapital?
Vier Millionen Francs.
Woher hat Charles Martel seinen Kapitalanteil?
Von Credit Municipal.
Wirft das Weingut Erträge ab?
Nein. Bankrott.
Max genügte das alles noch nicht. Er setzte seinen Freunden weiter zu, versuchte alle Tricks, stocherte überall herum, ließ nicht locker. Beim VersicherungsComputer wurde er schließlich wieder fündig. Der verriet Max, dass Verdacht auf Versicherungsbetrug bestand. In Max regte sich etwas: Jagdfieber. Ein herrliches Gefühl!
Nur raus mit der Sprache, ermunterte er den Maschinenfreund.
Und sie tratschten miteinander wie Waschweiber.
Danach suchte er einen gewissen Juwelier namens Pierre Richaud auf.
In weniger als einer halben Stunde wusste er bis auf den letzten Centime, wie viele von Helene Roffe-Martels Schmuckstücken imitiert worden waren: knapp über zwei Millionen Francs Schmuckwert, fast genau die Summe, die Charles in das Weingut investiert hatte. Mithin war Charles Dessain-Martel in einer so prekären Lage, dass er nicht einmal vor Diebstahl zurückschreckte. Er hatte die Juwelen seiner Frau gestohlen.
Zu welchen Verzweiflungstaten hatte er sich außerdem hinreißen lassen?
Da gab es noch ein Detail, das von Bedeutung sein konnte. Er verstaute die Information sorgfältig in seinem Gedächtnis. Es handelte sich um die Rechnung für ein Paar Bergstiefel. Max legte eine Denkpause ein. Bergsteigen und Charles Dessain-Martel: Das passte seinem Eindruck nach nicht zusammen. Ein Mann, der so unter dem Pantoffel seiner Frau stand, dass er nicht einmal auf eigene Faust einkaufen durfte, kein eigenes Bankkonto besaß und stehlen musste, um zu Geld zu kommen...
Nein, Charles Martel im Kampf mit einer Bergwand, das konnte sich Max einfach nicht vorstellen. Da musste er noch mal seine Computer befragen.
Gestern war da eine Rechnung vom Timewear-Sportgeschäft. Könnt ihr die spezifizieren?
Aber klar.
Das Ergebnis leuchtete vor ihm auf dem Bildschirm auf. Die Rechnung für die Stiefel. Größe 36, eine Frauengröße. Also war Helene Roffe-Martel die Bergsteigerin in der Familie.
Und Sam Roffe war in einer Bergwand umgekommen.