45. Kapitel

Mrs. Rhys Williams.

Elizabeth konnte es nicht glauben. Alles war so unwirklich, wie eine Szene aus einem Jungmädchentraum. Sie erinnerte sich an die Kritzelei in ihrem Schulheft: Mrs. Rhys Williams. Jetzt blickte sie auf ihre Hand: ein Ehering.

»Warum lächelst du?« fragte Rhys. Er saß ihr gegenüber im Sessel. Die luxuriöse Boeing 707-320 schwebte in zwölftausend Meter Höhe irgendwo über dem Atlantik. Sie speisten iranischen Kaviar zu exquisit gekühltem Dom Perignon. Das Ganze war ein solcher Abklatsch von La dolce vita, dass Elizabeth laut lachen musste.

Rhys lächelte. »Hab’ ich was Komisches gesagt?«

Elizabeth schüttelte den Kopf. Sie sah ihn an. Wie attraktiv er doch war. Ihr Mann. »Nein«, sagte sie. »Ich bin nur einfach glücklich.«

Wie glücklich sie in Wirklichkeit war, das würde er nie erfahren. Auf welche Weise sollte sie ihm auch deutlich machen, wieviel ihr diese Ehe bedeutete? Er würde sie nicht verstehen; denn für Rhys war das keine Ehe, sondern ein geschäftliches Arrangement. Sie aber, sie liebte Rhys. Elizabeth kam es so vor, als hätte sie ihn immer geliebt. Sie wollte den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen, Kinder mit ihm haben, ihn besitzen und selbst sein Besitz sein. Sie sah ihn an und dachte daran, dass an ihrem Glück noch eine Kleinigkeit fehlte: Sie musste ihn dazu bringen, sich in sie zu verlieben.

Am Tag ihrer letzten Begegnung mit Julius Badrutt hatte sie Rhys mit ihrem Heiratsantrag überfallen. Sobald der Bankier sich verabschiedet hatte, machte sie sich sorgfältig zurecht, marschierte in Rhys’ Büro, holte tief Luft und sagte: »Rhys, würden Sie mich heiraten?«

Seine Überraschung war ihr nicht verborgen geblieben, und bevor er ein Wort erwidern konnte, fuhr sie schnell fort, bemüht, ihre Stimme geschäftsmäßig kühl klingen zu lassen: »Das wäre natürlich eine rein geschäftliche Abmachung. Die Banken verlängern uns die Kredite, wenn Sie den Vorsitz von Roffe und Söhne übernehmen. Und das geht nur auf eine Weise.« Zu ihrem Entsetzen merkte Elizabeth, wie ihre Stimme zu zittern begann. »Nämlich, wenn Sie ein Mitglied der Familie heiraten. Und ich - ich bin offenbar die einzige, die dafür in Frage kommt.«

Sie fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie hätte ihn jetzt nicht anblicken können.

»Selbstverständlich wäre es keine echte Ehe, im landläufigen Sinn...« Jetzt gingen ihr auch noch die Floskeln aus. »... im Sinne, ich meine, natürlich würde ich nicht erwarten. Na ja, Sie könnten kommen und gehen, wie es Ihnen beliebt.«

Er sah sie unverwandt an, kam ihr keinen Schritt entgegen. Wenn er doch nur etwas sagen würde, dachte Elizabeth verzweifelt. Nur ein Wort!

»Rhys -«

»Verzeihung. Sie haben mich überrumpelt.« Sie sah, wie er plötzlich lächelte. »Schließlich bekommt man nicht jeden Tag einen Heiratsantrag von einem schönen Mädchen.«

Natürlich: Er spielte auf Zeitgewinn, suchte nach einem Ausweg, wie er ihr entschlüpfen konnte, ohne ihre Gefühle zu verletzen. Es tut mir schrecklich leid, Elizabeth, aber -

Sie hörte seine Stimme. »Einverstanden!«

Und auf einmal fühlte sie sich befreit, als wäre ihr eine riesige Bürde von den Schultern genommen worden. Bis zu jenem Augenblick hatte sie sich gar nicht klargemacht, wie wichtig die Angelegenheit tatsächlich war. Jetzt hatte sie Zeit gewonnen, Zeit, um herauszubekommen, wer der verborgene Feind war. Sie und Rhys konnten gemeinsam all den entsetzlichen Vorkommnissen ein Ende bereiten, ein für allemal. Aber eins musste sie ihm ganz deutlich machen.

»Du wirst der Präsident sein«, sagte sie. »Doch das stimmberechtigte Aktienkapital bleibt in meinen Händen.«

Rhys hatte die Stirn kraus gezogen. »Aber wenn ich den Konzern doch leiten soll -«

»Das sollst du auch«, hatte Elizabeth ihn beruhigt.

»Aber die Aktienmehrheit -«

»Bleibt auf meinem Namen. Ich will sichergehen, dass sie nicht veräußert werden kann.«

»Verstehe.«

Sie konnte seine Verärgerung förmlich fühlen. Wie gern hätte sie ihm von ihrer Entscheidung berichtet, zu der sie sich durchgerungen hatte. Sie war entschlossen, das Unternehmen aus dem Familienbesitz zu entlassen. Sollten die Direktoriumsmitglieder ruhig ihre Aktien veräußern. Wenn Rhys Präsident war, hatte Elizabeth keine Angst mehr, dass Fremde Aktien erwerben und das Schicksal des Unternehmens bestimmen könnten. Mit denen würde Rhys schon fertig werden. Aber das alles musste so lange warten, bis sie wusste, wer hinter den Anschlägen auf den Konzern stand. All das hätte sie für ihr Leben gern Rhys mitgeteilt, aber sie wusste: Dafür war die Zeit noch nicht reif. Also sagte sie nur: »Mit dieser einen Ausnahme liegen alle Entscheidungen bei dir.«

Rhys hatte ganz still dagestanden und sie angesehen - eine Ewigkeit lang. Als er endlich den Mund aufmachte, fragte er: »Wann willst du, dass wir heiraten?«

»So bald wie möglich.«

Außer Anna und Walther, der, wie es hieß, krank zu Hause lag, waren alle zur Hochzeit nach Zürich gekommen. Alec und Vivian, Helene und Charles, Simonetta und Ivo. Sie schienen sich aufrichtig zu freuen, und Elizabeth kam sich wie eine Hochstaplerin vor. Sie hatte keine Ehe geschlossen, sondern einen Handel vollzogen.

Alec hatte sie an sich gedrückt. »Du weißt, ich wünsch’ dir alles Liebe.«

»Ich weiß, Alec. Danke dir.«

Ivo war die leibhaftige Ekstase. »Carissima, tanti auguri e figli ma-schi. Reich zu werden ist der Traum des Bettlers; Könige sehnen sich danach, das Glück zu finden.«

Elizabeth lächelte. »Wer hat das gesagt?«

»Ich«, erklärte Ivo. »Hoffentlich weiß Rhys, welches Glück er hat.«

»Das versuch’ ich ihm ja dauernd einzureden.« Elizabeth ließ ihre Antwort beiläufig klingen.

Helene nahm sie beiseite. »Du steckst voller Überraschungen, ma cherie. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr euch überhaupt füreinander interessiert.«

»Das kam auch ganz plötzlich.«

Helene sah sie mit kühlem, abschätzendem Blick an. »Allerdings. Das glaube ich dir.« Und sie ging davon.

Nach der Zeremonie gab das Brautpaar einen Empfang im Baur-au-Lac. An der Oberfläche war alles ungetrübte Fröhlichkeit und Feststimmung, aber Elizabeth spürte, wie es darunter gärte. Über dem Ganzen lag ein Fluch, ein böser Geist, aber sie konnte nicht feststellen, von wem er ausging. Nur eins wusste sie: Eine Person im Raum hasste sie. Das fühlte sie, fast körperlich. Doch wenn sie in die Runde blickte, begegneten ihr nur lächelnde, freundliche Gesichter. Charles hob sein Glas, brachte einen Toast auf sie aus... Elizabeth hatte einen Bericht über die Explosion im Labor vorgelegt bekommen: Der Sprengstoff stammt aus Ihrer Fabrik bei Paris.

Ivo: ein einziges Grinsen. Der Minister, den man beim Geldschmuggel aus Italien erwischte, wurde verpfiffen. Die Flughafenpolizei bekam einen Wink. Von Ivo Palazzi.

Alec? Walther? Wer, um Gottes willen? Elizabeth konnte den Gedanken einfach nicht abschütteln.

Am Morgen darauf traf man sich zu einer Direktoriumssitzung, und Rhys Williams wurde einstimmig zum Präsidenten und Generalbevollmächtigten von Roffe und Söhne gewählt. Charles brachte die Frage auf, die allen auf der Seele lag. »Da Sie jetzt Konzernchef sind, gestatten Sie uns nun, unsere Anteile zu verkaufen?«

Elizabeth spürte die Spannung, die sich plötzlich im Raum ausbreitete.

»Die Aktienmehrheit und damit das Stimmrecht liegt weiterhin in Elizabeths Händen«, verkündete Rhys. »Sie hat zu entscheiden.«

Alle Gesichter wandten sich ihr zu.

»Es wird nicht verkauft«, stellte sie lakonisch fest.

Als Elizabeth und Rhys allein waren, fragte er: »Was hältst du von Flitterwochen in Rio?«

Ihr Herz machte einen gewaltigen Sprung, aber er fügte in gleichgültigem Tonfall hinzu: »Unser Manager dort droht mit Kündigung. Wir können es uns nicht leisten, ihn zu verlieren. Ich hatte vorgehabt, morgen hinzufliegen, um die Sache zu bereinigen. Es sähe doch merkwürdig aus, wenn ich ohne meine frischgebackene Ehefrau dort aufkreuzte.«

Elizabeth nickte. »Ja, natürlich.« Du Dummkopf, schalt sie sich selbst. Schließlich war das deine Idee. Das ist eine Geschäftsabmachung, keine Ehe. Du hast kein Recht, von Rhys etwas zu erwarten. Und tief in ihr antwortete eine kleine schüchterne Stimme: Wer weiß, was alles passieren kann?...

Als sie auf dem Galeo-Flughafen aus der Maschine stiegen, kam die Hitze völlig überraschend für Elizabeth, bis ihr einfiel, dass dort Sommer war. Ein Mercedes 600 wartete auf sie. Der Chauffeur war ein dünner, dunkelhäutiger Mann Ende Zwanzig. Beim Einsteigen fragte Rhys ihn: »Wo ist Luis?«

»Luis ist krank, Mr. Williams. Diesmal werde ich Sie und Mrs. Williams fahren.«

»Sagen Sie Luis, ich wünsche ihm gute Besserung.«

Der Chauffeur musterte sie im Rückspiegel. »Ich werde es ausrichten.«

Eine halbe Stunde später fuhren sie die Esplanade entlang, über die farbigen Pflastersteine des breiten Boulevards am Strand von Copacabana. Sie hielten vor dem modernen Hotel Princessa Zuckerhut, und binnen weniger Minuten verschwand ihr Gepäck im Inneren der Luxusherberge, und sie wurden in eine elegante Suite geleitet, mit vier Schlafzimmern, einem mondän ausgestatteten Salon, Küche und großer Terrasse mit Blick auf die Bucht. Überall waren Silbervasen mit Blumen aufgestellt worden; Champagner, Whisky und große Pralinenschachteln erwarteten sie. Der Manager selbst geleitete sie in ihre Räume.

»Wenn Sie irgendeinen Wunsch haben - ich stehe zu Ihrer Verfügung, vierundzwanzig Stunden am Tag.« Und unter Verbeugungen verließ er das Zimmer.

»Die sind hier aber wirklich zuvorkommend«, meinte Elizabeth.

Rhys lachte. »Das sollten sie auch. Schließlich gehört dir das Hotel.«

Elizabeth merkte, wie sie rot wurde. »Ach. Das - das hab’ ich gar nicht gewusst.«

»Hunger?«

»Ich - nein danke.«

»Was zu trinken?«

»O ja, gern.«

Ihre Stimme kam ihr selbst gekünstelt vor. Sie war völlig unsicher, wie sie sich Rhys gegenüber benehmen sollte und was sie von ihm zu erwarten hatte. Plötzlich war er ein Fremder geworden, und es machte sie schrecklich verlegen, dass sie sich beide allein in der Hochzeitssuite eines Hotels befanden. Denn es wurde langsam spät und Zeit zum Schlafengehen.

Sie sah Rhys geschickt eine Champagnerflasche öffnen. Ihm ging alles so glatt von der Hand, mit der Sicherheit eines Mannes, der genau wusste, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Was wollte er?

Rhys brachte ihr ein Glas Champagner und hob das seine zum Toast. »Auf unseren Start.«

»Auf unseren Start.« Elizabeth fühlte sich wie ein Echo. Und auf ein glückliches Ende, fügte sie im stillen hinzu.

Sie tranken.

Eigentlich müssten wir die Gläser in den Kamin werfen, dachte Elizabeth. Das bringt Glück.

Flitterwochen in Rio. Sie wollte Rhys. Nicht nur für den Augenblick, sondern für immer.

Das Telefon klingelte. Rhys nahm den Hörer ab, sprach kurz. Dann legte er wieder auf und wandte sich Elizabeth zu. »Es ist spät. Willst du dich nicht schlafen legen?«

Elizabeth schien es, als hinge das Wort Bett unausgesprochen in der Luft.

»Gut.« Ihre Stimme war ein Piepsen. Sie drehte sich um und ging in das Schlafzimmer, in dem die Pagen das Gepäck abgestellt hatten. Mitten im Raum stand ein großes Doppelbett. Das Mädchen hatte die Koffer ausgepackt und die Kissen gerichtet. Auf einer Seite war eins von Elizabeths Nachthemden aus reiner Seide ausgebreitet und auf der anderen ein blauer Herrenpyjama. Nach kurzem Zögern fing sie an, sich auszuziehen. Nackt betrat sie den mit großen Spiegeln ausgestatteten Ankleideraum und entfernte sorgfältig ihr Make-up. Mit einem Frottiertuch um den Kopf ging sie ins Bad. Das warme, duftende Wasser umschmeichelte ihre Brust, Bauch und Schenkel, wie die Berührung von weichen Fingern.

Die ganze Zeit über versuchte sie krampfhaft, nicht an Rhys zu denken. Und dachte nur an ihn. Sie stellte sich vor, wie er sie in die Arme nahm, fühlte seinen Körper auf dem ihren. Hatte sie Rhys geheiratet, um den Konzern zu retten, oder war der Konzern nur der Vorwand, weil sie ihn für sich haben wollte? Sie konnte es nicht mehr unterscheiden. Ihr Sehnen war zu einer verzehrenden Flamme geworden. Es war, als hätte das fünfzehnjährige Mädchen all die Jahre auf ihn gewartet, ohne es zu wissen, ein Warten, das in unstillbares Verlangen mündete. Sie stieg aus dem Bad, trocknete sich ab, zog das seidene Neglige an, ließ ihr Haar locker über die Schultern fallen und legte sich in das einladende Bett. Da lag sie und wartete. Was würde jetzt kommen, wie würde er sein? Sie merkte, wie ihr Herz hämmerte. Dann hörte sie ein Geräusch. In der Tür stand Rhys, vollständig angezogen.

»Ich muss jetzt gehen«, hörte sie ihn sagen.

Elizabeth setzte sich auf. »Was - wohin gehst du?«

»Eine geschäftliche Angelegenheit, um die ich mich kümmern muss.« Und schon war er verschwunden.

Elizabeth lag die ganze Nacht wach und warf sich von einer Seite auf die andere. In ihr kämpften Gefühle und Gedanken. Sie war Rhys wirklich dankbar, sagte sie sich, dass er sich an ihre Übereinkunft hielt. Was für eine dumme Ziege sie doch war, antwortete eine andere Stimme. Wie hatte sie anderes von ihm erwarten können? Sie war wütend, zurückgewiesen zu werden.

Es dämmerte schon, als Elizabeth ihn zurückkommen hörte. Seine Schritte bewegten sich auf das Schlafzimmer zu, und Elizabeth schloss schnell die Augen, simulierte friedlichen Schlaf. Sie hörte ihn atmen, als er an das Bett trat. Da stand er, sah lange auf sie herab. Dann drehte er sich um und ging in das Schlafzimmer nebenan.

Wenige Minuten später schlief Elizabeth fest.

Am späten Morgen frühstückten sie auf der Terrasse. Rhys war bester Laune und zum Plaudern aufgelegt. Er erzählte ihr, wie es beim Karneval in der Stadt zuging. Doch kein Wort darüber, wo er die Nacht verbracht hatte. Und Elizabeth fragte ihn nicht. Ein Kellner nahm ihre Frühstücksbestellungen entgegen. Elizabeth fiel auf, dass sie dann ein anderer Kellner bediente, aber sie verschwendete keine weiteren Gedanken daran, ebensowenig wie an die vielen Zimmermädchen, die in der Suite ständig ein und aus gingen.

Elizabeth und Rhys saßen Senor Tumas gegenüber, einem froschgesichtigen Mann in mittleren Jahren, der pausenlos schwitzte. Senor Tumas, der Manager der Zweigstelle von Roffe und Söhne am Stadtrand von Rio.

Er redete auf Rhys ein. »Sie verstehen doch, wie das so geht im Leben, die Firma ist mir teurer als mein eigenes Wohl. Wenn ich gehe, so ist das, als verließe ich mein Haus. Ein Teil meines Herzens wird mir aus der Brust gerissen. Am liebsten würde ich hierbleiben.« Er unterbrach sich und wischte den Schweiß von der Stirn. »Aber ich habe nun einmal das bessere Angebot von der anderen Firma. Und muss ich nicht an meine Frau denken und meine Kinder und meine Schwiegermutter? Das verstehen Sie doch, nicht wahr?«

Rhys saß zurückgelehnt da, die Füße bequem ausgestreckt. »Natürlich, Roberto. Ich weiß doch, was Ihnen unser Konzern bedeutet. Sie haben ihm viele Jahre Ihres Lebens treu gedient. Trotzdem: Ein Mann muss an seine Familie denken.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Roberto erleichtert. »Wusste ich doch, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Senor Rhys.«

»Und Ihr Vertrag mit uns?«

Tumas zuckte die Schultern. »Ein Fetzen Papier. Wir zerreißen ihn einfach, nicht wahr? Was nützt ein Vertrag, wenn einem der Stachel im Herzen sitzt.«

Rhys nickte verständnisvoll. »Eben, eben, Roberto. Deshalb sind wir ja hier, um Ihnen den Stachel aus dem Herzen zu ziehen.«

Tumas seufzte. »Ach, Senor Rhys. Wenn es doch nur nicht zu spät wäre. Aber ich habe der anderen Firma schon fest zugesagt.«

»Wissen die dort denn auch, dass Sie ins Gefängnis müssen?« fragte Rhys, wie nebenbei.

Tumas blieb der Mund offenstehen. Er starrte ihn an. »Gefängnis?«

»Aber natürlich«, erwiderte Rhys. »Die Regierung der Vereinigten Staaten hat alle Unternehmen mit internationalen Verbindungen angewiesen, eine Liste der Bestechungsgelder einzureichen, die über die letzten zehn Jahre gezahlt wurden. Wer wen bestochen hat und wie hoch. Unglückseligerweise hängen Sie da ganz schön dick mit drin, Roberto. Sie haben hier etliche Male die Gesetze übertreten. Wir wollten Sie eigentlich schützen - als treues Mitglied der Unternehmensfamilie, aber wenn Sie nicht mehr bei uns sind, gibt es dafür keinen Grund, oder?«

Aus Robertos Gesicht war der letzte Rest Farbe gewichen. »Aber - aber ich habe es doch nur für die Firma getan«, protestierte er. »Und nur auf Anweisung.«

Rhys nickte verständnisvoll. »Klar. Das können Sie ja dann in Ihrem Prozess der Regierung auseinandersetzen.« Er stand auf und sagte zu Elizabeth: »Wir müssen jetzt gehen.«

»Halt! Eine Minute!« schrie Roberto. »Sie können doch nicht einfach fortgehen und mich im Dreck sitzen lassen.«

Rhys erwiderte: »Ich glaube, Sie bringen da etwas durcheinander. Sie sind doch derjenige, der geht.«

Tumas wischte sich wieder die Stirn. Sein Mund zuckte. Schweren Schritts trat er ans Fenster, blickte hinaus. Stille lastete über dem Raum. Ohne sich umzudrehen, fragte er schließlich: »Und wenn ich bleibe, werde ich dann geschützt?«

»Da brauchen Sie sich nicht die geringsten Sorgen zu machen«, versicherte ihm Rhys.

Sie saßen im Mercedes, auf dem Weg zurück in die City. »Das war reine Erpressung«, sagte Elizabeth. Rhys nickte. »Wir konnten es uns nicht leisten, ihn gehen zu lassen. Er wollte zur Konkurrenz abwandern. Dafür weiß er einfach zuviel über unseren Konzern. Der hätte uns verkauft, mit Haut und Haaren.«

Elizabeth sah Rhys an und dachte: Ich muss noch eine Menge über ihn lernen.

Am Abend soupierten sie im Mirander. Rhys war charmant, amüsant und ganz und gar unpersönlich. Elizabeth hatte den Eindruck, dass er sich hinter einer Wand von Worten versteckte, mit den Lippen einen Schutzschild aufbaute, um seine Gefühle zu verbergen. Als sie die Mahlzeit beendeten, zeigte die Uhr nach Mitternacht. Sie wollte mit Rhys allein sein und hatte gehofft, er würde mit ihr ins Hotel gehen. Statt dessen verkündete er: »Jetzt zeig’ ich dir das berühmte Nachtleben von Rio.« Und sie machten die große Runde: Nachtklub auf Nachtklub. Überall schien Rhys bestens bekannt. Wo immer sie auftauchten, war er der Mittelpunkt des Interesses; alle erlagen seinem Charme. Ständig wurden sie aufgefordert, an Tischen Platz zu nehmen, Gesellschaft zu leisten; ganze Gruppen guter alter Bekannter kreuzten auf. Elizabeth und Rhys waren keinen Moment allein. Ihr sah das alles nach Absicht aus. Rhys baute jetzt eine Mauer von Leuten zwischen ihnen auf. Vorher waren sie Freunde gewesen. Und jetzt? Was waren sie jetzt? Elizabeth wusste nur: Zwischen ihnen stand eine unsichtbare Barrikade. Wovor hatte er Angst? Und weshalb?

Im vierten Nachtklub, wo sie sich zu einem halben Dutzend von Rhys’ Freunden an den Tisch gesetzt hatten, verlor Elizabeth die Geduld. Sie unterbrach Rhys’ Geplauder mit einer verführerischen Schönen. »Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit meinem Mann zu tanzen. Sie entschuldigen uns wohl.«

Rhys sah sie starr an, Erstaunen im Blick. Dann stand er auf. »Ich fürchte, ich habe meine Frau vernachlässigt«, sagte er, nahm ihren Arm und führte sie auf die Tanzfläche. Sie bewegte sich wie ein Stock, und er sah ihr in die Augen. »Du bist böse.«

Da hatte er vollkommen recht, aber ihr Ärger war nicht gegen ihn gerichtet. Sie war es gewesen, die das Reglement bestimmt hatte, und jetzt passte es ihr nicht, dass sich Rhys daran hielt. Aber natürlich war es mehr als das. Was ihr zu schaffen machte, war die Ungewissheit darüber, was er wirklich empfand. Hielt er sich an die Regeln, weil er das als Ehrensache auffasste, oder hatte er einfach kein Interesse an ihr? Sie musste es herausbekommen.

Seine Stimme drang an ihr Ohr. »Tut mir leid, Liz, wegen der Leute hier. Aber sie hängen nun mal mit dem Geschäft zusammen und können uns nützlich sein.«

Also wusste er um ihre Gefühle. Sie spürte seine Arme um sich, seinen Körper an ihrem. Äußerlich stimmte alles. Nur äußerlich? Alles an Rhys stimmte für sie. Sie gehörten zusammen, das wusste sie. Aber wusste er, wie groß ihr Verlangen nach ihm war? Ihr Stolz erlaubte ihr nicht, sich zu offenbaren. Trotzdem: Er musste es doch spüren! Sie schloss die Augen und presste sich fester an ihn. Die Zeit stand still, und es gab nichts auf der Welt außer ihnen beiden, der sanften Musik und dem Zauber des Augenblicks. In seinen Armen hätte sie ihr Leben lang weitertanzen können. Plötzlich verschwand die Anspannung, und sie überließ sich ganz ihm, und sie spürte an ihrem Schenkel seine männliche Härte. Sie schlug die Augen auf und sah zu ihm hoch. In seinem Blick stand eine Botschaft, die sie nie zuvor wahrgenommen hatte: ein unbezähmbares Verlangen, das dem ihren entsprach.

Als er sprach, klang seine Stimme heiser. »Komm, wir gehen ins Hotel.«

Sie konnte ihm nicht einmal antworten.

Als er ihr in den Umhang half, brannten seine Finger auf ihrer Haut. Im Fond der Limousine saßen sie so weit wie möglich auseinander, jeder in seiner Ecke, wie schüchterne Unterprimaner. Elizabeth hatte das Gefühl, lichterloh zu brennen. Der Weg in die Hotelsuite erschien ihr wie eine Ewigkeit. Sie glaubte, keine Minute länger warten zu können. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, fanden sie sich in einem verzehrenden Rausch. Sie lag in seinen Armen, spürte sein wildes Drängen, eine entfesselte Wildheit, die sie nie in ihm vermutet hätte. Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Beide konnten nicht schnell genug aus den Kleidern kommen. Wir benehmen uns wie ungeduldige Kinder, dachte Elizabeth und fragte sich nur, warum Rhys so lange gewartet hatte. Aber das war jetzt egal. Nichts zählte mehr außer ihrer beider Nacktheit und dem Gefühl seines Körpers. Sie waren im Bett, entdeckten und erforschten einander. Elizabeth löste sich sanft aus seiner Umarmung, begann, seinen Körper zu küssen, ihre Zunge glitt an seiner schlanken, sportlichen Gestalt entlang, sie liebkoste ihn mit den Lippen, spürte seine samtene Härte in ihrem Mund. Seine Hände lagen auf ihren Hüften, drehten sie auf die Seite, sein Mund fuhr zwischen ihren Schenkeln hinab, öffnete sie seiner Zunge, die dort in die Süße des Paradieses vordrang, und als beide sich keine Sekunde länger beherrschen konnten, lag er plötzlich über ihr und drang langsam in sie ein, in sanften, kreisenden Bewegungen, und sie nahm seinen Rhythmus an, ihrer beider Rhythmus, den Rhythmus der ganzen Welt, und das Universum bewegte sich schneller und schneller und schneller, wirbelte herum, und dann kam die Explosion, wie ein Feuer, und dann stand die Welt wieder still, voller Frieden.

Sie lagen da, hielten sich umschlungen, und Elizabeth hatte nur einen Gedanken: Ich bin seine Frau.

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