Der Pilot steuerte den Hubschrauber so niedrig wie irgend möglich über die Insel. Damit versuchte er, die gefährlichen Windstöße zu vermeiden. Sie streiften fast die Baumwipfel, aber sogar hier unten gerieten sie von einer Turbulenz in die andere. Ein gutes Stück voraus entdeckte der Pilot den Gipfel von Porto Cervo. Im selben Augenblick sah Max den Berg. »Da ist er!« rief er. »Ich kann die Villa ausmachen.« Und dann erkannte er noch etwas, das ihn vor Schreck erstarren ließ. »Sie brennt!« schrie Max. »Sie brennt lichterloh!«
Auf dem Balkon hörte Elizabeth den herannahenden Hubschrauber. Das Dröhnen der Rotorblätter übertönte sogar den kreischenden Wind. Sie blickte nach oben. Alec schenkte dem Phänomen keinerlei Beachtung. Unverwandt sah er Elizabeth an. Trauer und Schmerz standen ihm in den Augen. »Ich tat es für Vivian. Ich musste es einfach tun. Das verstehst du doch, nicht wahr? Man muss dich im niedergebrannten Haus finden.«
Elizabeth hörte seine Worte gar nicht. Sie konnte nur immer wieder denken: Es war nicht Rhys. Rhys ist unschuldig. Es war Alec. Die ganze Zeit Alec. Der Mörder. Alec hatte ihren Vater umgebracht, hatte alles darangesetzt, auch sie zu töten. Er und kein anderer hatte den Geheimbericht gestohlen und ihn Rhys untergeschmuggelt, um ihn zu belasten. Und damit hatte er Elizabeth dazu getrieben, in Angst und Schrecken vor Rhys zu fliehen. Weil er nämlich genau wusste, dass sie hierherkommen, auf der Insel Schutz suchen würde.
Der Hubschrauber war hinter einer Baumreihe aus dem Blickfeld verschwunden.
Alecs Stimme drang zu ihr durch. »Schließ die Augen, Elizabeth.«
»Nein!« Sie schrie ihre Weigerung in den Wind.
Und von unten rief plötzlich Rhys: »Werfen Sie die Waffe weg, Alec!«
Beide sahen hinab. Auf dem Rasen, im flackernden Schein der Flammen erkannten sie Rhys und den Polizeichef Ferraro und ein halbes Dutzend Polizisten mit entsicherten Gewehren.
»Es ist vorbei, Alec«, rief Rhys. »Lassen Sie Elizabeth gehen!«
Der Scharfschütze spähte durch das Zielfernrohr. »So kann ich nicht schießen. Erst muss sie zur Seite treten.«
Beweg dich! betete Rhys stumm. Nur einen Schritt!
Aus den Bäumen hervor kam Max Hornung angerannt. Er lief auf Rhys zu und blieb wie angewurzelt stehen, als er die Personen auf dem Balkon erkannte. Rhys sagte: »Ich habe Ihre Nachricht erhalten. Aber ich konnte es nicht mehr rechtzeitig schaffen.«
Beide starrten nach oben. Die zwei Gestalten auf dem Balkon wirkten wie Marionetten. Das Feuer, das hinter ihnen in der Villa tobte, gab die gespenstische Bühnenbeleuchtung ab. Der Wind peitschte die Flammen, und das Haus war zu einer gigantischen Fackel geworden. Der Schein reichte bis zu den Bergen, verwandelte die Nacht in ein glühendes Inferno.
Elizabeth drehte sich um und sah Alec an. Das war kein Gesicht: eine Totenmaske, mit Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Er trat einen Schritt zurück in die Balkontür.
Der Scharfschütze unten stieß einen Seufzer aus: »Ich hab’ ihn!« Er drückte ab. Nur einmal. Alec stolperte, fiel durch die Tür und verschwand im Haus.
Jetzt stand nur noch eine Puppe auf der Gespensterbühne.
»Rhys!« schrie Elizabeth.
Aber er rannte schon auf sie zu.
Danach passierte alles wie in einem wirbelnden Kaleidoskop. Rhys war bei ihr, hob sie auf, trug sie nach unten in Sicherheit. Sie klammerte sich an ihn, konnte ihn nicht fest genug halten.
Dann lag sie auf dem Gras, durfte endlich die Augen schließen. Rhys hielt sie in den Armen. Sie hörte seine Stimme. »Ich liebe dich, Liz. Ich liebe dich!«
Seine Worte umfingen sie wie ein wärmender Mantel. Sie wollte sprechen und konnte es nicht. Dann schlug sie die Augen auf und begegnete seinem Blick. Sie sah seine Liebe und die große Angst. Es gab so vieles, das sie ihm sagen wollte. Ein übermächtiges Schuldgefühl lahmte ihr die Zunge. Ihr ganzes Leben lang würde sie nicht aufhören können, ihn und sich selbst vergessen zu machen, welches Unrecht sie ihm angetan hatte.
Aber das kam später. Jetzt war sie viel zu müde, um daran zu denken. Sie konnte an nichts mehr denken. Das entsetzliche Geschehen, der Alptraum der letzten Monate, das alles war so weit weg, als hätte jemand anders ihn geträumt.
Auf der ganzen Welt zählte nur noch eins: Rhys und sie waren vereint, die Mauern endgültig eingerissen, nichts konnte sie mehr trennen. Sie spürte die Kraft in seinen Armen. Er hielt sie fest, würde sie immer festhalten, und mehr verlangte sie nicht vom Leben.