Fast zehn Jahre hatte Ivo Palazzi damit zugebracht, sich nach allen Regeln der Kunst ein Doppelleben aufzubauen, von dem nicht einmal seine engsten Freunde etwas wussten.
Max Hornung und seine römischen Computerfreunde brauchten weniger als vierundzwanzig Stunden, um ihm auf die Schliche zu kommen. Max befragte den Computer im Anagrafe-Gebäude, wo die Bevölkerungsstatistiken und die Daten der Stadtverwaltung gespeichert waren. Außerdem besuchte er die elektronischen Giganten des SID und der Banken. Überall war er willkommen.
Erzählt mir von Ivo Palazzi, bat er.
Und der Klatsch begann.
... Eine Lebensmittelrechnung von Amici... Schönheitssalon von Sergio in der Via Condotti... ein blauer Anzug von Angelo. Blumen von Carducci... zwei Abendkleider aus dem Atelier Irene Galitzine. Schuhe von Gucci. eine Pucci-Handtasche. Lebenshaltungskosten.
Max las die Angaben, prüfte und analysierte sie. Sein Instinkt sagte ihm: Hier stimmt etwas nicht. Da waren Schulgeldzahlungen für sechs Kinder.
Habt ihr euch geirrt? fragte Max.
Pardon. Inwiefern geirrt?
Die Computer im Anagrafe haben behauptet, Ivo Palazzi wäre als Vater von drei Kindern registriert. Und ihr besteht darauf, dass er für sechs Kinder Schulgeld zahlt?
Allerdings tun wir das.
Und ihr sagt, Ivo Palazzi wohnt in Olgiata?
Stimmt.
Aber er zahlt Miete für ein Appartement in der Via Montemignaio.
Ja.
Gibt es etwa zwei Ivo Palazzi?
Nein. Einen Mann dieses Namens. Zwei Familien. Drei Töchter von seiner Frau. Drei Söhne von Donatella Spolini.
Als Max seine Befragung beendet hatte, kannte er alle Gewohnheiten von Ivo Palazzis Geliebter, ihr Alter, den Namen ihres Friseurs und die Namen der unehelichen Kinder. Er wusste, Simonetta war eine Blondine, Donatella eine Brünette. Ihm war bekannt, welche Kleider-, Schuh- und Büstenhaltergrößen jede hatte und wieviel die Kleidungsstücke kosteten.
Unter den allgemeinen Ausgaben fielen Max mehrere Posten auf. Die Summen waren klein, aber die Verwendungszwecke blinkten ihn wie Leuchtfeuer an. Es gab Quittungen für eine Drehbank, eine Hobelmaschine und eine Säge. Ivo Palazzi hatte handwerkliche Hobbys. Und ein Architekt, überlegte Max, verstand bestimmt allerhand von Aufzügen.
In letzter Zeit hat Ivo Palazzi um ein großes Bankdarlehen nachgesucht, informierten ihn die Computer.
Hat er es bekommen?
Nein. Die Bank verlangte, dass seine Frau mit unterzeichnet. Daraufhin zog er den Antrag zurück.
Herzlichen Dank.
Mit dem Bus fuhr Max zur Zentrale der Polizia Scientifica, wo der gigantische Computer in einem kreisrunden Saal stand.
Hat Ivo Palazzi ein Vorstrafenregister? erkundigte sich Max.
Jawohl. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren wurde Ivo Palazzi wegen Körperverletzung verurteilt. Sein Opfer musste ins Krankenhaus, Ivo für zwei Monate hinter Gitter.
Sonst noch was?
Ivo Palazzi hält eine Geliebte in der Via Montemignaio aus.
Danke. Das weiß ich schon.
Aber das ist nicht alles. Es liegen mehrere polizeiliche Meldungen über Beschwerden von Nachbarn vor.
Welche Art Beschwerden?
Ruhestörung. Tätlichkeiten, lautes Schreien. An einem Abend wurde das gesamte Geschirr zertrümmert. Ist das für Sie wichtig?
Und wie, erwiderte Max. Verbindlichen Dank.
Also war Ivo Palazzi jähzornig. Und Donatella Spolini ebenfalls. War zwischen den beiden etwas geschehen? Drohte sie ihm mit Bloßstellung? War das der Grund für sein plötzliches Ersuchen um ein Bankdarlehen? Wie weit ging ein Mann wie Ivo Palazzi, um seine Familie zu verteidigen, seinen Lebensstil?
Noch ein letztes Detail erwies sich als höchst aufschlussreich. Die italienischen Behörden hatten Ivo Palazzi eine beträchtliche Summe überwiesen. Es handelte sich um eine Belohnung, um den ihm zustehenden Prozentsatz des Betrages, der bei dem von Ivo ans Messer gelieferten Minister gefunden worden war. Wenn Ivo derart verzweifelt Geld brauchte, was würde er sonst noch alles dafür tun?
Max sagte seinen Computern Lebewohl und bekam gerade noch die Nachmittagsmaschine der Air France nach Paris.