1. Episode: WENN MAN ABSCHIED NIMMT...

Der Abend in der Schule war sehr schön. Aber gegen ein Uhr nachts mußte man schließlich doch nach Hause fahren. Denn um sechs Uhr früh begann ja der Arbeitstag. Auch für Nadja. Da konnte sie sich mit Händen und Füßen wehren 3 — sie wollte natürlich noch bleiben — es half ihr aber nichts. Sie mußte ins Bett.

Am frühesten Morgen waren sie dann schon zu dritt auf dem Roten Platz, Kurt mit der Filmkamera. Viele Gruppen fröhlicher Mädchen und Jungen in festlichen Kleidern hatten sich hier eingefunden, machten Spiele, sangen zur Gitarre ihre liebsten Lieder, tanzten zur Ziehharmonika und zogen scherzend und lachend in langen Reihen zum Ufer der Moskwa hinunter.

K u r t (filmt): Diese Szene wird unser deutsches Publikum sehr interessieren. Schöner Brauch! Schade, daß er bei uns in der DDR nicht eingeführt ist.

H e r t a: Du, Kurt, vielleicht beginnen wir unsern Film gerade mit dieser Szene?

1 jemandem Honig um den Bart schmieren — льстить кому-либо

2 einen Imbiß zu sich nehmen (einnehmen) — закусывать

3 sich mit Händen und Füßen wehren — отбиваться руками и ногами (всеми средствами)

30

N a d j a: Glänzender Gedanke! Das wird bei allen sofort Interesse erwecken 1.

H e r t a: Nur eins verstehe ich nicht. Abschied von der Schule, von guten Kameraden, das muß ja eigentlich weh tun. Warum sind denn alle so fröhlich?

N a d j a: Weil sie etwas noch Schöneres erwartet — interessante Arbeit, wie bei mir, oder Studium. Und noch etwas: wir verlieren ja weder die Schule noch die Freunde und Kameraden. Wir werden sie oft sehen, Verzeihung, zu Gesicht bekommen 2. In der Schule findet jedes Jahr ein Treffen früherer Schüler statt.

K u r t: Und warum sagen Sie wieder «zu Gesicht bekommen» anstatt des einfachen Wortes «sehen»? Das paßt hier gar nicht.

N a d j a: Und wo paßt es?

K u r t: Hm. Stellen Sie sich vor: ein alter Freund hat Sie sehr lange nicht besucht und kommt nun eines Tages zu Ihnen. Sie begrüßen ihn mit den leicht ironischen Worten: «Ein Wunder, daß man dich mal wieder zu Gesicht bekommt!» Ist das klar? — Nadja, ich bitte Sie von ganzem Herzen: nehmen Sie Abschied von solchen unnötigen Redewendungen, wenigstens in der Umgangssprache.

N a d j a: Aha, «Abschied nehmen»! Das ist doch auch Phraseologie!

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