NÄCHTLICHES TELEFONGESPRÄCH

Wenn man mit einer interessanten Arbeit beschäftigt ist, merkt man nicht, wie die Zeit vergeht. Aber einmal macht man dann doch eine Pause und schaut auf die Uhr. So ging es auch mir an jenem Abend. «Wie spät ist's denn eigentlich?» dachte ich und sah: zehn Minuten vor zwölf — bald Mitternacht! Es ist hohe Zeit 1, zu Bett zu gehen oder, wie es auch heißt 2, sich in die Federn zu machen 3. Aber da klingelt plötzlich das Telefon.

Ich nehme den Hörer auf. «Hallo?»

«Hier Kornejew. Entschuldigen Sie bitte, daß ich so spät anrufe. Es ist eine wichtige Sache. Ich bin im Filmklub, Heute sind zwei Deutsche aus Berlin zu uns gekommen. Filmleute. Eine Regisseurin und ein Kameramann. Sie wollen hier einen Dokumentarfilm drehen 4: ,Sieben Tage in Moskau‘. Da brauchen wir für sie einen guten Ubersetzer. Kennen Sie vielleicht jemanden, der momentan frei ist und diese Arbeit übernehmen kann?»

Ich denke nach. Wer von meinen Bekannten konnte da in Frage kommen? 5 Wer? Ein paar Sekunden und — plötzlich fährt mir ein Gedanke durch den Kopf 6: Nadja Nowikowa! Das ist die beste Kandidatur. Ohne Zweifel! Ich sage also: «Viktor Andrejewitsch, ich glaube, ich kann Ihnen behilflich sein. Ich habe jemanden im Auge 7, ein Mädchen, Nadja heißt sie. Sie hat soeben die zehnte Klasse einer Schule absolviert, wo von der zweiten Klasse an Deutsch unterrichtet wird,

1 Es ist hohe (или höchste) Zeit — Давно пора

2 wie es auch heißt — как говорится

3 sich in die Federn machen (legen) — ложиться спать

4 einen Film drehen — снимать фильм

5 Wer... könnte da in Frage kommen? — О ком... может идти речь?

6 ein Gedanke fährt (schießt, geht) mir durch den Кoрf — мысль мелькнула (пронеслась) у меня в голове

7 jemanden (etwas) im Auge haben — иметь в виду кого-либо (что-либо)

5

und spricht gut deutsch. Ich weiß aber nicht, ob sie frei ist. Ich werde sie morgen anrufen.»

«Nein, nein, ich bitte Sie sehr, heute noch! Die Deutschen stehen hier, neben mir. Sie möchten es sofort wissen. Vielleiсht ist's möglich, die Sache gleich in Ordnung zu bringen?»

«Gut. Rufen Sie mich in fünf Minuten noch einmal an.»

Ich wähle also die Rufnummer Nadjas, obwohl es schon fast zwölf Uhr nachts ist.

«Hallo, Nadja! Bist du noch nicht in den Federn? 1»

«In den Federn?? Heißt das, noch nicht im Bett? Ja? Hurra, eine Redewendung, die ich noch nicht habe!»

«Sammelst du noch immer Redewendungen?»

«Aber natürlich. Ich habe heute die fünfhundertste registriert! Stellen Sie sich vor: die fünfhundertste!»

«Gratuliere! Und dein Ziel?»

«Tausend.»

«Ich kann dir dabei helfen, Nadja. Willst du eine sehr gute Praxis bei echten Deutschen haben, für eine Woche?»

«Praxis bei Deutschen? Ist das wirklich möglich?»

«Ja, wenn du freie Zeit hast.»

«Eine Woche bin ich bestimmt frei. Ich war gestern in der Redaktion der deutschen Zeitung. Man hat mir eine Anstellung als Korrektor versprochen. Aber erst in zwei, drei Wochen.»

Ich teilte das alles sofort Kornejew mit. Wir beschlossen, uns morgen früh im Zentrum der Stadt zu treffen. Kornejew sollte uns mit den Deutschen bekannt machen 2.

Загрузка...