11


Doch Arnaus Leben beschränkte sich nicht auf Santa María und darauf, den Bastaixos zu trinken zu geben. Zu seinen Aufgaben, mit denen er sich Kost und Logis verdiente, gehörte es unter anderem, der Köchin zu helfen, wenn diese in der Stadt ihre Einkäufe erledigte.

Alle zwei oder drei Tage verließ Arnau bei Tagesanbruch Graus Werkstatt, um Estranya, die Sklavin, zu begleiten. Sie ging mit schwankenden, unsicheren Schritten, wobei ihre üppigen Fleischmassen bedenklich wogten. Sobald Arnau in der Küchentür erschien, überreichte ihm die Sklavin wortlos zwei Körbe mit Brotlaiben, die er zum Backhaus in der Calle Ollers Blanc bringen sollte. In dem einen befanden sich die Brotlaibe für Grau und seine Familie. Sie waren aus hellem Weizenmehl geformt und würden ein köstliches Weißbrot ergeben. In dem anderen waren die Brote für die übrigen Haushaltsmitglieder. Diese Brote waren aus Gerste, Hirse oder gar Bohnen- oder Kichererbsenmehl, und sie waren dunkel, fest und hart.

Nachdem sie die Brotlaibe abgegeben hatten, verließen Estranya und Arnau das Töpferviertel und betraten durch die Stadtmauer das Zentrum Barcelonas. Am Anfang war Arnau der Sklavin problemlos gefolgt, während er über das Wogen ihrer dunklen Fleischmassen grinste.

»Was gibt es da zu grinsen?«, hatte ihn die Mulattin mehr als einmal gefragt.

Dann hatte Arnau in ihr rundes, plattes Gesicht gesehen und sich das Lachen verkniffen.

»Du willst lachen? Dann lach«, herrschte sie ihn auf der Plaza del Blat an, während sie ihm einen Sack Mehl aufbürdete. »Und, wo ist dein Grinsen jetzt hin?«, fragte sie ihn an der Bajada de la Llet, als sie ihm die Milch zu tragen gab, die seine Cousins trinken würden. Sie wiederholte ihre Frage noch einmal auf der Plazoleta de les Cols, wo sie Kohl, Hülsenfrüchte oder Gemüse einkauften, und auf der Plaza de l'Oli, wo sie Öl, Wild oder Geflügel erstanden.

Ab da trottete Arnau mit gesenktem Kopf quer durch Barcelona hinter der Sklavin her. An den Fastentagen, die mit hundertsechzig Tagen fast die Hälfte des Jahres ausmachten, wogten die Fleischberge der Mulattin zum Strand hinunter, unweit der Kirche Santa María. Dort kämpfte Estranya auf einem der beiden Fischmärkte der Stadt – dem alten und dem neuen – darum, die besten Delphine, Thunfische, Störe, Makrelen, Zackenbarsche oder Adlerfische zu ergattern.

»Jetzt werden wir deinen Fisch kaufen«, sagte sie lächelnd, wenn sie das Gewünschte bekommen hatte.

Dann gingen sie zum Hinterausgang des Fischmarktes und die Mulattin kaufte die Abfälle. Auch dort standen auf beiden Märkten viele Leute an, doch diesmal stritt sie sich mit niemandem.

Trotzdem waren Arnau die Fastentage lieber als jene, an denen Estranya Fleisch zu besorgen hatte, denn um die Fischabfälle zu kaufen, waren es nur zwei Schritte bis zum Hinterausgang. Für Schlachtabfälle hingegen musste Arnau durch halb Barcelona laufen, bevor er sich, mit den Einkäufen der Mulattin beladen, auf den Heimweg machen konnte.

In den Fleischereien neben den Schlachthäusern der Stadt kauften sie das Fleisch für Grau und seine Familie. Wie alles Fleisch, das innerhalb der Stadt angeboten wurde, war es erstklassige Ware. Es war verboten, tote Tiere in die Stadt zu bringen. Das Fleisch, das in der gräflichen Stadt verkauft wurde, stammte ausnahmslos von lebenden Tieren, die erst in der Stadt geschlachtet wurden.

Um die Schlachtabfälle zu kaufen, die den Bediensteten und den Sklaven vorgesetzt wurden, musste man die Stadt über die Carrer de la Portaferrisa verlassen, bis man zu dem Markt kam, auf dem verendete Tiere und allerlei Fleisch unbekannter Herkunft feilgeboten wurden. Estranya lächelte Arnau an, wenn sie dieses Fleisch kaufte. Dann lud sie ihm das Bündel auf, und nachdem sie noch einmal am Backhaus vorbeigegangen waren, um das Brot abzuholen, kehrten sie in Graus Haus zurück, Estranya mit ihren wogenden Hüften, Arnau mit hängender Zunge.


Eines Morgens, als Estranya und Arnau gerade ihre Besorgungen bei dem großen Schlachthof an der Plaza del Blat machten, begannen die Glocken der Kirche Sant Jaume zu läuten. Es war weder Sonntag noch ein Feiertag. Estranya blieb wie angewurzelt stehen, groß und mächtig, wie sie war. Jemand rief etwas über den Platz. Arnau konnte nicht verstehen, was er sagte, doch viele andere stimmten in sein Geschrei ein, und die Menschen begannen, in alle Himmelsrichtungen davonzustieben. Der Junge sah Estranya an, eine Frage auf den Lippen, die jedoch ungestellt blieb. Er legte die Bündel ab. Die Getreidehändler schlugen hastig ihre Stände ab. Die Leute rannten immer noch schreiend hin und her und die Glocken von Sant Jaume hörten gar nicht mehr auf zu läuten. Arnau wollte zur Plaza de Sant Jaume laufen, aber … Läuteten da nicht auch die Glocken von Santa Clara? Er spitzte die Ohren, und in diesem Augenblick begannen auch die Glocken von Sant Pere, von Framenors und von Sant Just zu läuten. Alle Glocken der Stadt! Wie betäubt blieb Arnau mit offenem Mund stehen, während er die Menschen kopflos hin und her laufen sah.

Plötzlich sah er Joanets Gesicht vor sich. Sein Freund konnte nicht stillstehen vor Aufregung.

»Via fora ! Via fora!«, schrie er.

»Was?«, fragte Arnau.

»Via fora!«, brüllte ihm Joanet ins Ohr.

»Was heißt das?«

Joanet bedeutete ihm zu schweigen und zeigte auf das alte Hauptportal des stadtrichterlichen Palasts.

Arnau sah genau in dem Moment zu dem Portal hinüber, als ein Amtsdiener des Stadtrichters auf die Straße trat. Er war zum Kampf gerüstet, trug einen silbern schimmernden Harnisch und ein großes Schwert am Gürtel. In seiner Rechten hielt er eine vergoldete Fahnenstange mit dem Banner von Sant Jordi, einem roten Kreuz auf weißem Grund. Hinter ihm erschien, ebenfalls zum Kampf gerüstet, ein weiterer Mann, der das Banner der Stadt trug. Die beiden Männer gingen zur Mitte des Platzes bis zu dem Stein, der die Stadt in Viertel aufteilte. Dort angekommen, erhoben sie die Banner von Sant Jordi und Barcelona und riefen wie aus einem Munde: »Via fora! Via fora!«

Die Glocken läuteten noch immer und das ›Via fora‹ wurde von den Bürgern durch alle Straßen der Stadt getragen.

Joanet, der das Schauspiel mit ehrfürchtigem Schweigen verfolgt hatte, brach in ein ohrenbetäubendes Geschrei aus.

Endlich schien Estranya zu reagieren und zog Arnau weiter. Doch der Junge riss sich von der Hand der Mulattin los, wie gebannt von den beiden Männern, die in ihren schimmernden Harnischen und mit ihren Schwertern reglos mitten auf dem Platz standen und die bunten Banner hochhielten.

»Wir gehen, Arnau«, befahl ihm Estranya.

»Nein«, widersetzte sich dieser, angestachelt von Joanet.

»Los, komm schon. Das hier geht uns nichts an.«

»Was sagst du da, Sklavin?« Die Worte kamen von einer Frau, die genauso gebannt wie die Kinder gemeinsam mit anderen Frauen die Ereignisse beobachtete und den Wortwechsel zwischen Arnau und der Mulattin mit angehört hatte. »Ist der Junge ein Sklave?« Estranya schüttelte den Kopf. »Er ist also ein Bürger der Stadt?« Arnau nickte. »Wie kannst du es dann wagen, zu behaupten, das ›Via fora‹ gehe den Jungen nichts an?«

Estranya zögerte.

»Wer bist du, Sklavin«, fragte sie eine andere Frau, »dass du dem Jungen die Ehre verweigerst, die Rechte Barcelonas zu verteidigen?«

Estranya senkte den Kopf. Was würde ihr Herr sagen, wenn er davon erfuhr? Er hielt so große Stücke auf die Ehre der Stadt. Die Glocken läuteten noch immer. Joanet war zu den Frauen getreten und forderte Arnau auf, sich ihm anzuschließen.

»Frauen dürfen nicht mit dem Bürgerheer ziehen«, rief die erste Frau Estranya in Erinnerung.

»Und Sklaven erst recht nicht«, setzte eine andere hinzu.

»Wer, glaubst du, soll sich um unsere Männer kümmern, wenn nicht solche Jungen wie diese beiden?«

Estranya wagte es nicht, den Blick zu heben.

»Wer soll ihnen das Essen kochen, Botengänge erledigen, ihnen die Stiefel putzen oder die Armbrüste säubern?«

»Geh dorthin, wo du hingehörst«, rieten sie ihr. »Sklaven haben hier nichts verloren.«

Estranya nahm die Taschen, die bislang Arnau getragen hatte, und machte sich davon. Joanet lächelte erfreut und sah die Frauen bewundernd an. Arnau stand immer noch an derselben Stelle.

»Lauft schon, Jungs«, forderten die Frauen sie auf, »und kümmert euch um unsere Männer.«

»Und sag meinem Vater Bescheid!«, rief Arnau Estranya hinterher, die erst drei oder vier Meter weit gekommen war.

Joanet merkte, dass Arnau der Sklavin, die sich mühsam vorwärtsschleppte, unverwandt hinterhersah, und erriet seine Zweifel.

»Hast du nicht gehört, was die Frauen gesagt haben?«, erklärte er. »Wir sollen uns um die Soldaten von Barcelona kümmern. Dein Vater wird das verstehen.«

Arnau nickte, zuerst zögerlich, dann immer heftiger. Natürlich würde er das verstehen! Schließlich hatte er doch so dafür gekämpft, dass sie Bürger von Barcelona wurden.

Als sie wieder auf den Platz sahen, stellten sie fest, dass sich zu den beiden ersten Bannern ein drittes gesellt hatte: das Banner der Händler. Der Bannerträger trug keine Rüstung, aber er hatte eine Armbrust auf dem Rücken und ein Schwert am Gürtel. Wenig später kam ein weiteres Banner hinzu, das Banner der Silberschmiede, und nach und nach füllte sich der Platz mit bunten Fahnen, auf denen allerlei Symbole und Figuren zu sehen waren: das Banner der Gerber, der Chirurgen und Barbiere, der Zimmerleute, Kupferschmiede, Töpfer …

Unter den Bannern sammelten sich, nach Berufen geordnet, die freien Bürger der Stadt Barcelona. Alle waren, wie es das Gesetz verlangte, mit einer Armbrust, einem Köcher mit hundert Pfeilen sowie einem Schwert oder einer Lanze bewaffnet. Binnen zweier Stunden war das Bürgerheer Barcelonas bereit auszuziehen, um die Privilegien der Stadt zu verteidigen.

In diesen zwei Stunden erfuhr Arnau, was das alles zu bedeuten hatte. Joanet erklärte es ihm.

»Barcelona verteidigt sich nicht nur, wenn es nötig ist«, sagte er, »wir greifen auch jeden an, der sich uns gegenüber zu viel herausnimmt.« Der kleine Bursche überschlug sich fast, während er auf die Soldaten und die Banner deutete und man ihm seinen Stolz darüber ansah, dass sie alle gekommen waren. »Es ist phantastisch! Du wirst schon sehen. Mit etwas Glück sind wir ein paar Tage unterwegs. Wenn jemand einem Bürger von Barcelona Unrecht tut oder die Rechte der Stadt angreift, kommt der Fall vor … naja, so genau weiß ich das nicht, vor den Stadtrichter oder den Rat der Hundert. Wenn die Obrigkeit zu dem Schluss gelangt, dass der Vorwurf gerechtfertigt ist, wird das Bürgerheer unter dem Banner von Sant Jordi zusammengerufen – das dort drüben, siehst du? Dort, in der Mitte des Platzes, das alle anderen überragt. Die Glocken läuten, und die Leute laufen mit dem Ruf ›Via fora‹ auf die Straßen, damit ganz Barcelona davon erfährt. Die Zunftmeister holen ihre Banner hervor, und die Zunftmitglieder versammeln sich darunter, um in die Schlacht zu ziehen.«

Arnau beobachtete staunend, was um ihn herum geschah, während er sich hinter Joanet durch die auf der Plaza del Blat versammelten Gruppen zwängte.

»Und was muss man tun? Ist es gefährlich?«, fragte Arnau angesichts der waffenklirrenden Menge.

»Normalerweise ist es nicht gefährlich«, antwortete Joanet und lächelte ihm zu. »Du musst bedenken, dass der Stadtrichter das Heer im Namen der Stadt, aber auch im Namen des Königs einberuft. Es geht also nie gegen die königlichen Truppen. Es kommt immer darauf an, wer der Angreifer ist, aber wenn ein Feudalherr das Bürgerheer von Barcelona anrücken sieht, unterwirft er sich in der Regel ihren Forderungen.«

»Es kommt also gar nicht zum Kampf?«

»Das hängt davon ab, wie die Obrigkeit entscheidet, und von der Haltung des Feudalherrn. Beim letzten Mal wurde eine Festung geschleift. Damals kam es schon zum Kampf, es gab Tote und Angriffe und … Sieh mal! Da drüben ist dein Onkel.« Joanet deutete zu dem Banner der Töpferzunft hinüber. »Los, gehen wir hin.«

Unter dem Banner stand neben den anderen drei Zunftmeistern Grau Puig. Er war für den Kampf gerüstet, in Stiefeln, einem ledernen Waffenrock, der ihm von der Brust bis zu den Waden reichte, und mit einem Schwert am Gürtel. Um die vier Zunftmeister drängten sich die Töpfer der Stadt. Als Grau den Jungen bemerkte, gab er Jaume ein Zeichen, und dieser stellte sich den Kindern in den Weg.

»Wo wollt ihr hin?«, fragte er sie.

Arnau blickte Hilfe suchend zu Joanet.

»Wir kommen, um dem Töpfermeister unsere Hilfe anzubieten«, antwortete Joanet. »Wir könnten die Tasche mit dem Essen tragen … oder was immer er will.«

»Bedaure«, entgegnete Jaume kurz angebunden.

»Und jetzt?«, fragte Arnau, als der Geselle ihnen den Rücken zukehrte.

»Was soll's!«, antwortete Joanet. »Keine Sorge, hier sind genug Leute, die sich freuen, wenn wir ihnen zur Hand gehen. Außerdem werden sie gar nicht merken, dass wir mit ihnen ziehen.«

Die beiden Jungen mischten sich unter die Männer. Sie betrachteten die Schwerter, Armbrüste und Lanzen, staunten über jene, die eine Rüstung trugen, oder versuchten, die angeregten Unterhaltungen aufzuschnappen.

»Wo bleibt denn das Wasser?«, hörten sie plötzlich eine laute Stimme hinter sich.

Arnau und Joanet fuhren herum. Die Gesichter der beiden Jungen begannen zu strahlen, als sie Ramon sahen, der ihnen zulächelte. Neben ihm waren die Augenpaare von zwanzig beeindruckend bewaffneten Bastaixos auf sie gerichtet.

Arnau tastete auf seinem Rücken nach dem Wasserschlauch. Er schien so betreten dreinzuschauen, als er ihn nicht fand, dass mehrere Bastaixos lachend zu ihm traten und ihm ihren anboten.

»Man muss immer vorbereitet sein, wenn die Stadt ruft«, scherzten sie.

Das Heer marschierte hinter dem roten Kreuz des Sant Jordi-Banners aus der Stadt heraus in Richtung Creixell, unweit von Tarragona. Die Einwohner dieser Stadt hielten eine Viehherde zurück, die den Metzgern von Barcelona gehörte.

»Ist das so schlimm?«, fragte Arnau Ramon, dem sie sich angeschlossen hatten.

»Selbstverständlich. Das Vieh der Schlachter von Barcelona besitzt Weide- und Wegrecht in ganz Katalonien. Niemand, nicht einmal der König, darf eine Viehherde aufhalten, die für die Stadt Barcelona bestimmt ist. Unsere Kinder sollen das beste Fleisch des Prinzipats essen«, setzte er hinzu und fuhr beiden durchs Haar. »Der Grundherr von Creixell hat eine solche Herde zurückgehalten und verlangt von dem Hirten Bezahlung für das Weiden und Passieren seines Landes. Stellt euch einmal vor, alle Adligen und Barone zwischen Tarragona und Barcelona würden Geld für das Weiden verlangen. Wir hätten nichts mehr zu essen!«

»Wenn du wüsstest, was für Fleisch uns Estranya vorsetzt«, dachte Arnau. Er war versucht gewesen, seinem Vater zu erzählen, woher das Fleisch kam, das in der Suppe schwamm, die sie an den Tagen zu essen bekamen, an denen kein Fasten vorgeschrieben war. Doch als er ihn mit Genuss essen sah und beobachtete, wie sich Graus Sklaven und Arbeiter allesamt auf die Suppe stürzten, riss er sich zusammen, schwieg und aß ebenfalls.

»Gibt es noch andere Gründe, warum das Heer ins Feld zieht?«, fragte Arnau.

»Natürlich«, antwortete ihm Ramon. »Jeder Angriff auf die Privilegien Barcelonas oder auf einen Bürger der Stadt kann das Ausrücken des Heeres nach sich ziehen. Wird zum Beispiel ein Einwohner Barcelonas entführt, so zieht das Heer aus, um ihn zu befreien.«

Unter derlei Gesprächen zogen Arnau und Joanet die Küste entlang – vorbei an Sant Boi, Castelldefels und Garraf –, argwöhnisch beäugt von den Leuten, denen sie begegneten und die schweigend am Straßenrand stehen blieben, während das Bürgerheer vorüberzog. Selbst das Meer schien Respekt vor der Armee Barcelonas zu haben. Sein Rauschen ging in den Schritten der Hunderte von Männern unter, die hinter dem Banner von Sant Jordi marschierten. Die Sonne war den ganzen Tag ihr Begleiter, und als sich das Meer silbern zu färben begann, machten sie halt, um in Sitges zu übernachten. Der Herr von Fonollar empfing die Ratsherren der Stadt in seiner Burg, der Rest des Heeres kampierte vor den Toren der Stadt.

»Wird es zum Kampf kommen?«, fragte Arnau.

Alle Bastaixos blickten ihn an. In der Stille war das Knistern des Feuers zu hören. Joanet schlief, den Kopf auf Ramons Oberschenkel. Mehrere Bastaixos sahen sich auf Arnaus Frage hin an. Würde es zum Kampf kommen?

»Nein«, antwortete Ramon. »Der Grundherr von Creixell hat uns nichts entgegenzusetzen.«

Arnau wirkte enttäuscht.

»Vielleicht ja doch«, versuchte ihn ein anderer Zunftmeister von der anderen Seite des Lagerfeuers aus zu trösten. »Vor vielen Jahren, als ich noch ein junger Bursche war, ungefähr in deinem Alter«, Arnau brannte darauf, seine Geschichte zu hören, »wurde das Heer einberufen, um nach Castellbisbal zu ziehen. Der dortige Grundherr hatte eine Herde aufgehalten, so wie jetzt der Herr von Creixell. Der Herr von Castellbisbal lenkte nicht ein und stellte sich dem Heer der Stadt entgegen. Vielleicht glaubte er, die Bürger Barcelonas – Händler, Handwerker oder Bastaixos wie wir – seien nicht in der Lage zu kämpfen. Barcelona stürmte die Burg, nahm den Burgherrn und seine Soldaten gefangen und machte die Festung dem Erdboden gleich.«

Arnau sah sich bereits mit gezücktem Schwert eine Sturmleiter erklimmen oder siegreich von den Zinnen der Burg von Creixell herabrufen: »Wer wagt es, sich dem Heer von Barcelona entgegenzustellen?« Sämtliche Bastaixos beobachteten den Jungen, der verträumt in die Flammen starrte, während er mit den Händen einen Stock umklammerte, mit dem er zuvor herumgespielt hatte, und wild in der Glut herumstocherte. »Ich, Arnau Estanyol …« Das Gelächter brachte ihn wieder nach Sitges zurück.

»Leg dich schlafen«, riet ihm Ramon und stand selbst auf, Joanet auf dem Arm. Arnau verzog unwillig das Gesicht. »Du kannst ja vom Krieg träumen«, tröstete ihn ein Bastaix.

Die Nacht war kühl und jemand gab den beiden Jungen eine Decke.

Am nächsten Morgen machten sie sich schon früh wieder auf den Weg nach Creixell. Sie kamen durch La Geltrú, Vilanova, Cubelles, Segur und Barà, alles Orte mit eigener Burg. In Barà ließen sie die Küste hinter sich und wandten sich landeinwärts nach Creixell. Der Ort lag eine knappe Meile vom Meer entfernt auf einem Hügel, an dessen höchstem Punkt sich die Burg des Herrn von Creixell erhob, eine Festungsanlage auf einer elfeckigen Steinwehr mit mehreren Verteidigungstürmen, um die sich die Häuser des Dorfes drängten.

Es waren noch einige Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die Zunftmeister wurden zu den Ratsherren und dem Stadtrichter gerufen. Das Heer von Barcelona nahm in Kampflinie Aufstellung vor Creixell, die Banner stets voran. Arnau und Joanet liefen durch die Reihen und boten den Bastaixos Wasser an, doch fast alle lehnten ab, den Blick fest auf die Burg gerichtet. Niemand sprach, und die Jungen wagten es nicht, das Schweigen zu brechen. Dann kehrten die Zunftmeister zurück und begaben sich zu ihren Leuten. Das ganze Heer konnte sehen, wie sich drei Gesandte Barcelonas dem Ort Creixell näherten, während die gleiche Anzahl Männer die Burg verließ. Sie trafen sich in der Mitte.

Wie alle Barcelonesen beobachteten Arnau und Joanet die Unterhändler schweigend.

Es kam nicht zum Kampf. Dem Herrn von Creixell war hinter dem Rücken des Heeres die Flucht durch einen Geheimgang geglückt, der von der Burg zum Meer herunterführte. Der Dorfschulze gab angesichts der zum Kampf formierten Bürgerschaft Barcelonas den Befehl, sich den Forderungen der gräflichen Stadt zu beugen. Seine Mitbürger gaben das Vieh zurück, ließen den Schäfer frei, akzeptierten die Zahlung einer satten Entschädigung und verpflichteten sich, zukünftig die Privilegien der Stadt zu achten. Dann lieferten sie zwei ihrer Einwohner aus, denen sie die Schuld an dem Streit gaben. Diese wurden augenblicklich verhaftet.

»Creixell hat sich ergeben«, teilten die Ratsherren dem Heer mit.

Ein Raunen ging durch die Reihen. Die verhinderten Soldaten steckten ihre Schwerter zurück in die Scheiden, senkten die Armbrüste und Lanzen und legten die Rüstungen ab. Überall war Lachen, Rufen und Scherzen zu hören.

»Her mit dem Wein, Jungs!«, forderte Ramon sie auf. »Was ist denn mit euch los?«, fragte er, als sie sich nicht von der Stelle rührten. »Ihr hättet wohl gerne einen Kampf gesehen, stimmt's?«

Die Gesichter der Jungen waren Antwort genug.

»Jeder von uns hätte verwundet werden oder gar sterben können. Hätte euch das gefallen?« Arnau und Joanet schüttelten rasch den Kopf. »Ihr solltet es anders sehen: Ihr gehört zu der größten und mächtigsten Stadt des Prinzipats, und alle haben Angst, sich mit uns anzulegen.« Arnau und Joanet hörten Ramon mit großen Augen zu. »Jetzt geht und holt den Wein, Jungs. Auch ihr sollt auf diesen Sieg anstoßen.«

Das Banner von Sant Jordi kehrte ehrenvoll nach Barcelona zurück und mit ihm die beiden Jungen, die voller Stolz waren auf ihre Stadt, ihre Mitbürger und darauf, Barcelonesen zu sein. Die Gefangenen aus Creixell wurden in Ketten durch die Straßen Barcelonas geführt. Die Frauen und alle, die sich dort drängten, ließen das Heer hochleben und spien vor den Gefangenen aus. Arnau und Joanet begleiteten den Zug auf seinem ganzen Weg, voller Ernst und Stolz, und so traten sie auch vor Bernat, nachdem die Gefangenen schließlich in den Palast des Stadtrichters gebracht worden waren. Erleichtert, seinen Sohn gesund und munter wiederzusehen, vergaß Bernat die Standpauke, die er den Jungen hatte halten wollen, und lauschte lächelnd ihren Erzählungen.

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