37


Zur Beruhigung von Arnaus Familie beschloss Joan, im Kloster Santa Caterina zu wohnen.

»Dort ist mein Platz«, sagte er zu seinem Bruder, »aber ich werde euch jeden Tag besuchen kommen.«

Arnau, dem nicht entgangen war, dass sich sowohl sein Mündel als auch Guillem während des Essens am Vorabend unwohl gefühlt hatten, insistierte nicht länger als unbedingt notwendig.

»Weißt du, was er mich gefragt hat?«, flüsterte er Guillem nach dem Mittagessen zu, als alle vom Tisch aufstanden. Guillem beugte sich näher zu ihm. »Was wir unternommen hätten, um Mar zu verheiraten.«

Guillem erstarrte und sah zu dem Mädchen hinüber, das Donaha half, den Tisch abzuräumen. Sie verheiraten? Aber sie war doch noch …! Guillem sah Arnau an. Keiner der beiden hatte sie jemals so betrachtet, wie sie es nun taten. Tatsächlich: Sie war eine Frau geworden!

»Wo ist unser kleines Mädchen geblieben?«, flüsterte Arnau seinem Freund zu.

Die beiden betrachteten Mar. Sie war flink, schön, heiter und selbstsicher. Während sie die Teller abtrug, blickte Mar immer wieder zu ihnen herüber.

Ihr Körper zeigte bereits die Sinnlichkeit einer Frau. Ihre Kurven waren nicht zu übersehen und ihre Brüste zeichneten sich unter dem Hemd ab. Sie war vierzehn Jahre alt.

Mar blickte erneut zu ihnen und bemerkte ihre Verwirrung. Diesmal lächelte sie nicht. Für einen kurzen Moment schien es, als errötete sie.

»Was schaut ihr so?«, warf sie ihnen dann vor. »Habt ihr nichts zu tun?«, setzte sie hinzu, während sie sich ernst vor den beiden aufbaute.

Die beiden nickten gleichzeitig. Kein Zweifel: Sie war eine Frau geworden.

»Sie wird eine Mitgift bekommen wie eine Prinzessin«, sagte Arnau zu Guillem, als sie wieder am Wechseltisch saßen. »Geld, Kleider, ein Haus … nein, einen Palast!« Er wandte sich brüsk zu seinem Freund um. »Was ist mit den Puigs?«

»Sie wird uns verlassen …«, murmelte Guillem, ohne auf Arnaus Frage zu achten.

Die beiden schwiegen.

»Sie wird uns Enkel schenken«, sagte Arnau schließlich.

»Mach dir nichts vor. Sie wird ihrem Mann Kinder schenken. Außerdem haben Sklaven keine Kinder und folglich auch keine Enkel.«

»Wie oft habe ich dir die Freiheit angeboten?«

»Was sollte ich als freier Mann tun? Es geht mir gut so, wie es ist. Aber Mar und heiraten! Ich weiß nicht, warum, aber ich versichere dir, dass ich ihn jetzt schon hasse, wer auch immer es sein mag.«

»Ich auch«, murmelte Arnau.

Sie sahen sich erneut an, grinsten und brachen in Lachen aus.

»Du hast mir nicht geantwortet«, sagte Arnau, als sie sich wieder beruhigt hatten. »Was ist mit den Puigs? Ich will diesen Palast für Mar.«

»Ich habe Anweisungen nach Pisa geschickt, zu Filippo Tescio. Wenn es jemanden gibt, der unsere Pläne ausführen kann, dann ist das Filippo.«

»Was hast du ihm gesagt?«

»Dass er Piraten anheuern soll, wenn es nötig ist, aber die Warenlieferungen der Puigs unter keinen Umständen in Barcelona ankommen dürfen. Genauso wenig wie jene, die Barcelona mit entgegengesetztem Ziel verlassen haben. Er soll die Waren stehlen oder anzünden, ganz wie er will, nur ihr Ziel dürfen sie nicht erreichen.«

»Hat er dir geantwortet?«

»Filippo? Das würde er nie tun. Weder schriftlich, noch würde er die Nachricht jemandem anvertrauen. Wenn einer davon erführe … Wir müssen das Ende der Seefahrtsaison abwarten. Es ist nur noch ein knapper Monat. Wenn die Lieferungen der Puigs bis dann nicht eingetroffen sind, können sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen und sind ruiniert.«

»Haben wir ihre Kredite gekauft?«

»Du bist Grau Puigs größter Gläubiger.«

»Sie sollen Qualen ausstehen«, murmelte Arnau vor sich hin.

»Hast du sie nicht gesehen?« Arnau fuhr zu Guillem herum. »Sie sind schon eine ganze Weile am Strand. Zuerst nur die Baronin und eines ihrer Kinder; nun ist auch noch Genis hinzugekommen, der soeben aus Sardinien zurückgekehrt ist. Sie blicken stundenlang zum Horizont, um nach einem Mast Ausschau zu halten … Und wenn ein Schiff in den Hafen einläuft, das sie nicht erwartet haben, verflucht die Baronin die Wellen. Ich dachte, du wüsstest das …«

»Nein, das wusste ich nicht.« Arnau ließ einen Augenblick verstreichen. »Gib mir Bescheid, wenn eines unserer Schiffe in den Hafen einläuft.«


»Es kommen mehrere Schiffe auf einmal«, sagte Guillem eines Morgens, als er vom Konsulat zurückkam.

»Sind sie da?«

»Natürlich. Die Baronin steht so nahe am Wasser, dass die Wellen ihre Schuhe berühren …« Guillem verstummte plötzlich. »Es tut mir leid … Ich wollte nicht …«

Arnau lächelte.

»Macht nichts«, beruhigte er ihn.

Arnau ging nach oben in sein Zimmer und zog langsam seine besten Kleider an. Guillem hatte ihn davon überzeugen können, sie zu kaufen.

»Ein angesehener Mann wie du kann nicht schlecht gekleidet in der Börse oder auf dem Konsulat erscheinen. Der König gebietet es, und sogar eure Heiligen. Der heilige Vinzenz zum Beispiel …« Arnau hatte ihn schweigen geheißen, hatte aber nachgegeben.

Jetzt zog er einen ärmellosen, pelzgefütterten Übermantel mit weißer Mechelner Spitze an, einen knielangen Rock aus roter Damaszener Seide, schwarze Strümpfe sowie Seidenschuhe. Dann legte er einen breiten, mit Gold, Silber und Perlen bestickten Gürtel um. Arnau komplettierte seine Erscheinung mit einem eindrucksvollen schwarzen Umhang, den Guillem bei einer Lieferung aus dem fernen Dakien für ihn erstanden hatte. Er war mit Hermelin gefüttert und mit Gold und Edelsteinen bestickt.

Guillem nickte beifällig, als Arnau in die Wechselstube kam. Mar wollte etwas sagen, schwieg dann aber doch. Als sie sah, wie Arnau das Haus verließ, lief sie auf die Straße und sah ihm hinterher, wie er in Richtung Strand ging. Sein Umhang wehte in der Meeresbrise, die nach Santa María hinaufkam, und die Edelsteine funkelten.

»Wohin geht Arnau?«, fragte sie Guillem, als sie in die Wechselstube zurückkehrte und sich ihm gegenüber auf einen der Stühle setzte.

»Eine Schuld begleichen.«

»Es muss sehr wichtig sein.«

»Sehr, Mar.« Guillem verzog den Mund. »Aber das wird nur die erste Rate sein.«

Mar begann, mit dem marmornen Abakus zu spielen. Wie oft hatte sie aus ihrem Versteck in der Küche heimlich zugesehen, wie Arnau mit ihm arbeitete! Ernst und konzentriert war er, während seine Finger über die Kugeln glitten und dann das Ergebnis in die Bücher eintrugen. Mar lief es heiß und kalt den Rücken hinunter.

»Hast du etwas?«, fragte Guillem.

»Nein, nein.«

Weshalb erzählte sie es ihm nicht? Guillem würde sie verstehen, sagte sich das Mädchen. Mit Ausnahme von Donaha, die sich immer ein Lächeln verkniff, wenn Mar in die Küche kam, um Arnau heimlich zu beobachten, wusste niemand davon. Alle Mädchen, die sich im Haus des Händlers Escales trafen, sprachen nur über das eine. Einige waren sogar bereits versprochen und priesen unaufhörlich die Tugenden ihrer zukünftigen Ehegatten. Mar hörte ihnen zu und wich den Fragen aus, die sie ihr stellten. Wie sollte sie über Arnau sprechen? Und wenn er davon erfuhr? Arnau war dreiunddreißig Jahre alt und sie erst vierzehn. Eines der Mädchen war mit einem Mann verlobt worden, der noch älter war als Arnau! Sie hätte sich gerne jemandem anvertraut. Ihre Freundinnen mochten von Geld schwärmen, von Auftreten, Aussehen, Männlichkeit oder Großzügigkeit, doch Arnau übertraf alle anderen! Hatten die Bastaixos, die Mar gelegentlich am Strand traf, nicht erzählt, dass Arnau einer der furchtlosesten Soldaten im Heer König Pedros gewesen sei? Ganz unten in einer Truhe hatte Mar Arnaus alte Waffen gefunden, seine Armbrust und seinen Dolch. Wenn sie alleine war, nahm sie sie hervor und strich darüber, während sie sich vorstellte, wie Arnau, von Feinden umzingelt, tapfer damit kämpfte.

Guillem betrachtete das Mädchen. Mar hatte den Finger auf eine der Marmorkugeln des Abakus gelegt. Ganz still stand sie da, während ihr Blick sich in der Ferne verlor.

»Hast du bestimmt nichts?«, fragte er noch einmal.

Mar zuckte zusammen und errötete. Donaha behauptete immer, dass jeder ihre Gedanken lesen könne. Sie trage Arnaus Namen auf den Lippen, in den Augen, auf ihrem ganzen Gesicht. Und wenn Guillem ihre Gedanken erraten hatte?

»Nein«, beteuerte sie, »ganz bestimmt nicht.«

Guillem schob die Kugeln des Abakus hin und her. Mar lächelte ihn an … War es ein trauriges Lächeln? Was ging dem Mädchen durch den Kopf? Vielleicht hatte Bruder Joan recht. Sie war im heiratsfähigen Alter, eine junge Frau, die mit zwei Männern unter einem Dach lebte …

Mar nahm den Finger vom Abakus.

»Guillem?«

»Ja?«

»Ach, nichts«, sagte sie schließlich und stand auf.

Guillem sah ihr nach, als sie die Wechselstube verließ. Es gefiel ihm nicht, aber vielleicht hatte der Mönch recht.


Er trat zu ihnen. Er war zum Ufer gegangen, während die Schiffe, drei Galeeren und ein Walfänger, in den Hafen einliefen. Der Walfänger gehörte ihm. Isabel, schwarz gekleidet und mit einer Hand ihren Hut festhaltend, stand mit dem Rücken zu ihm neben ihren Stiefsöhnen Josep und Genis und beobachtete die Ankunft der Schiffe. »Sie bringen euch keinen Trost«, dachte Arnau.

Bastaixos, Hafenschiffer und Händler verstummten, als sie Arnau in seiner Prunkkleidung vorbeigehen sahen.

Sieh mich an, du Hexe! Arnau blieb einige Schritte vom Ufer entfernt stehen. Sieh mich an! Das letzte Mal … Die Baronin drehte sich langsam zu ihm um, dann auch ihre Söhne. Arnau atmete tief durch. Das letzte Mal, als du mich gesehen hast, baumelte mein Vater über meinem Kopf.

Bastaixos und Hafenschiffer tuschelten miteinander.

»Brauchst du etwas, Arnau?«, fragte ihn einer der Zunftmeister. Arnau schüttelte den Kopf, den Blick starr auf die Augen der Frau gerichtet. Die Leute zerstreuten sich, während er vor der Baronin und seinen Cousins stehen blieb.

Er atmete noch einmal tief durch. Seine Augen fixierten Isabel, nur für wenige Sekunden. Dann glitt sein Blick über seine Cousins hinweg zu den Schiffen, und er lächelte.

Die Frau presste die Lippen aufeinander, bevor sie sich, Arnaus Beispiel folgend, dem Meer zuwandte. Als sie erneut zu ihm hinschaute, sah sie ihn davongehen. Die Edelsteine auf seinem Umhang funkelten.


Joan bemühte sich weiterhin, Mar zu verheiraten, und schlug mehrere Kandidaten vor. Sie zu finden, fiel ihm nicht schwer. Bei der bloßen Erwähnung von Mars Mitgift kamen Adlige und Händler herbeigerannt, nur … Wie sollte man es dem Mädchen beibringen? Joan erbot sich, diese Aufgabe zu übernehmen, doch als Arnau Guillem davon erzählte, war der Maure strikt dagegen.

»Das musst du tun«, sagte er, »nicht ein Mönch, den sie kaum kennt.«

Seit Guillem das gesagt hatte, verfolgte Arnau Mar auf Schritt und Tritt mit Blicken. Kannte er sie wirklich? Sie lebten seit Jahren unter einem Dach, aber eigentlich hatte sich Guillem um sie gekümmert. Er hatte einfach nur ihre Gesellschaft genossen, ihr Lachen und ihre Scherze. Nie hatte er mit ihr über eine ernste Angelegenheit gesprochen. Und nun stand er jedes Mal, wenn er zu dem Mädchen gehen und sie bitten wollte, mit ihm einen Spaziergang am Strand oder nach Santa María zu machen, jedes Mal, wenn er ihr sagen wollte, dass sie etwas Ernstes zu besprechen hätten, vor einer unbekannten Frau. Dann zögerte er so lange, bis sie ihn ertappte und ihn anlächelte. Wo war das kleine Mädchen geblieben, das auf seinen Schultern geritten war?


»Ich will keinen von ihnen heiraten«, gab sie ihnen zur Antwort.

Arnau und Guillem sahen sich an. Arnau hatte sich schließlich an den Sklaven gewandt.

»Du musst mir helfen«, bat er ihn.

Mars Augen begannen zu strahlen, als die beiden ihr von Ehe erzählten. Sie saß ihnen gegenüber am Wechseltisch, als ginge es um ein Geschäft. Doch dann schüttelte sie bei jedem der fünf Kandidaten, die ihnen Bruder Joan vorgeschlagen hatte, den Kopf.

»Aber Mädchen«, wandte Guillem ein, »du musst dich für einen entscheiden. Jedes Mädchen wäre stolz bei den Namen, die wir dir genannt haben.«

Mar schüttelte erneut den Kopf.

»Sie gefallen mir nicht.«

»Nun, etwas muss geschehen«, sagte Guillem, an Arnau gewandt.

Arnau betrachtete das Mädchen. Es war kurz davor zu weinen. Mar verbarg ihr Gesicht, aber das Zittern ihrer Unterlippe und der hastige Atem verrieten sie. Weshalb reagierte ein Mädchen so, dem man soeben solche Heiratskandidaten vorgeschlagen hatte? Immer noch herrschte Schweigen. Schließlich sah Mar Arnau an. Es war ein kaum merklicher Augenaufschlag. Warum sie leiden lassen?

»Wir werden weitersuchen, bis wir einen finden, der ihr gefällt«, sagte er zu Guillem. »Bist du damit einverstanden, Mar?«

Das Mädchen nickte, stand auf und ging. Die beiden Männer blieben allein zurück.

Arnau seufzte.

»Und ich dachte, die Schwierigkeit bestünde darin, es ihr zu sagen!«

Guillem antwortete nicht. Er sah immer noch zu der Küchentür hinüber, durch die Mar verschwunden war. Was war hier los? Was verbarg das Mädchen? Als es das Wort Heirat hörte, hatte es gelächelt, ihn mit funkelnden Augen angesehen, und dann …

»Mal sehen, was Joan sagt, wenn er davon erfährt«, sagte Arnau.

Guillem sah Arnau an, aber er beherrschte sich rechtzeitig. Was tat es zur Sache, was der Mönch dachte?

»Du hast recht. Am besten, wir sehen uns weiter um.«


Arnau wandte sich zu Joan um.

»Bitte«, sagte er. »Das ist nicht der richtige Moment.«

Er war in die Kirche Santa María gegangen, um zur Ruhe zu kommen. Es gab schlechte Nachrichten, und hier bei seiner Jungfrau, wo stets das Hämmern der Handwerker zu hören war und alle, die an dem Bau mitwirkten, ein Lächeln für ihn hatten, fühlte er sich wohl. Doch Joan hatte ihn aufgespürt und sich an seine Fersen geheftet. Mar hier, Mar dort, Mar und noch einmal Mar. Außerdem ging es ihn gar nichts an!

»Welche Gründe kann sie haben, sich einer Heirat zu widersetzen?« Joan ließ nicht locker.

»Das ist nicht der richtige Moment«, sagte Arnau noch einmal.

»Warum?«

»Weil man uns erneut den Krieg erklärt hat.« Der Mönch erschrak. »Wusstest du das nicht? König Pedro der Grausame von Kastilien hat uns den Krieg erklärt.«

»Weshalb?«

Arnau schüttelte den Kopf. »Weil ihm schon seit geraumer Zeit danach war«, schimpfte er, während er die Arme hob. »Als Vorwand diente ihm die Tatsache, dass unser Admiral Francesc de Perellós vor der Küste von Sanlúcar zwei genuesische Schiffe aufgebracht hat, die Öl geladen hatten. Der Kastilier forderte ihre Freilassung, und als der Admiral nicht darauf einging, hat er uns den Krieg erklärt. Dieser Mann ist gefährlich«, murmelte Arnau. »Soweit ich weiß, hat er sich seinen Beinamen redlich verdient; er ist nachtragend und rachsüchtig. Ist dir bewusst, Joan, dass wir uns zur Zeit mit Genua und Kastilien gleichzeitig im Krieg befinden? Findest du, dass dies der geeignete Moment ist, sich Gedanken um das Mädchen zu machen?«

Joan zögerte. Sie standen unter dem Schlussstein des zweiten Mittelschiffjochs, inmitten der Gerüste, von denen aus das Rippenwerk emporwuchs.

»Erinnerst du dich?«, fragte Arnau, während er zu dem Schlussstein hinaufdeutete. Joan blickte nach oben und nickte. Sie waren noch Kinder gewesen, als sie zugesehen hatten, wie der allererste Schlussstein – der des Chores – nach oben gezogen wurde! Arnau wartete einen Augenblick, dann sprach er weiter. »Katalonien wird das nicht tragen können. Wir zahlen immer noch für den Feldzug gegen Sardinien, und schon eröffnet sich eine neue Front.«

»Ich dachte, ihr Händler würdet die Eroberungen befürworten?«

»Kastilien bietet uns keine neuen Handelswege. Es sieht schlecht aus, Joan. Guillem hatte recht.« Der Mönch verzog das Gesicht, als er den Namen des Mauren hörte. »Wir haben Sardinien noch nicht erobert, und die Korsen haben sich bereits erhoben, kaum dass der König die Insel verlassen hat. Wir befinden uns im Krieg gegen zwei Mächte und die Mittel des Königs sind erschöpft. Sogar die Ratsherren der Stadt scheinen verrückt geworden zu sein!«

Sie gingen zum Hauptaltar.

»Was willst du damit sagen?«

»Dass die Kassen nichts mehr hergeben. Der König hält weiter an seinen großen Bauprojekten fest: der königlichen Werft und der neuen Stadtmauer …«

»Aber sie sind notwendig«, unterbrach Joan seinen Bruder.

»Die Werft vielleicht, aber die neue Stadtmauer ist nach der Pest sinnlos geworden. Barcelona braucht keine Erweiterung der Mauer.«

»Und?«

»Der König hört nicht auf, seine Mittel auszuschöpfen. Er hat alle Dörfer in der Umgebung dazu verpflichtet, ihren Beitrag zum Bau der Mauer zu leisten, für den Fall, dass sie eines Tages dort Schutz suchen müssen. Außerdem hat er eine neue Abgabe eingeführt: Der vierzigste Teil jeder Erbschaft muss für die Erweiterung der Stadtmauer aufgebracht werden. Was die Werft angeht, so werden alle Strafen der Konsulate für ihren Bau verwendet. Und nun noch ein weiterer Krieg.«

»Barcelona ist reich.«

»Nicht mehr, Joan, das ist das Problem. Der König hat der Stadt für die Mittel, die sie ihm zur Verfügung stellte, Privilegien gewährt, und die Ratsherren haben sich derart in Unkosten gestürzt, dass sie die Ausgaben nicht mehr bezahlen können. Nun haben sie die Steuern auf Fleisch und Wein erhöht. Weißt du, welchen Anteil diese Steuern am städtischen Haushalt haben?« Joan verneinte. »Fünfundfünfzig Prozent, und jetzt werden sie weiter erhöht. Die Schulden der Stadt treiben uns in den Ruin, Joan. Uns alle.«

Die beiden blieben nachdenklich vor dem Hauptaltar stehen.

»Und was ist mit Mar?«, fragte Joan erneut, als sie schließlich Santa María verließen.

»Sie kann machen, was sie will, Joan.«

»Aber …«

»Kein Aber. Das ist meine Entscheidung.«


»Klopf an!«, sagte Arnau.

Guillem ließ den Türklopfer auf das Holz des Portals fallen. Der Schlag hallte durch die menschenleere Straße. Niemand öffnete.

»Klopf noch einmal!«

Guillem begann, gegen die Tür zu hämmern, einmal, zweimal … Beim neunten Mal wurde das Guckfenster geöffnet.

Was soll das?, schienen die Augen zu fragen, die dahinter auftauchten. Wozu dieser Lärm? Wer seid ihr?

Mar, die Arnaus Arm umklammerte, merkte, wie dieser sich anspannte.

»Aufmachen!«, befahl Arnau.

»Wer sagt das?«

»Arnau Estanyol«, antwortete Guillem mit Nachdruck, »Besitzer dieses Gebäudes und aller Dinge, die sich darin befinden. Auch deiner Person, falls du ein Sklave bist.«

Arnau Estanyol, Besitzer dieses Gebäudes … Guillems Worte hallten in Arnaus Ohren wider. Wie viel Zeit war vergangen? Zwanzig Jahre? Zweiundzwanzig? Die Augen hinter dem Guckloch blickten verunsichert.

»Aufmachen!«, verlangte Guillem noch einmal.

Arnau sah zum Himmel, in Gedanken bei seinem Vater.

»Was ist?«, fragte das Mädchen.

»Nichts, nichts«, antwortete Arnau lächelnd, als sich die kleine Tür öffnete, die in die großen Flügel des Portals eingelassen war.

Guillem bedeutete ihm einzutreten.

»Die Türflügel, Guillem. Sie sollen beide Türflügel öffnen.«

Guillem ging hinein, und Arnau und Mar hörten ihn drinnen Befehle erteilen.

»Kannst du mich sehen, Vater? Erinnerst du dich? Hier hat man dir die Geldbörse überreicht, die dich ins Verderben gestürzt hat. Was konntest du damals schon tun?« Der Aufstand auf der Plaza del Blat kam ihm ins Gedächtnis, die Schreie der Leute, die Schreie seines Vaters … Sie alle hatten nach Getreide verlangt! Arnau hatte einen Kloß im Hals. Die Türflügel wurden geöffnet und Arnau trat ein.

Im Eingangshof standen mehrere Sklaven. Rechts führte die Treppe zu den herrschaftlichen Räumen hinauf. Arnau blickte nicht nach oben, aber Mar konnte sehen, wie sich mehrere Schatten hinter den großen Fenstern bewegten. Ihnen gegenüber befanden sich die Stallungen, die Pferdeknechte standen vor dem Eingang. Mein Gott! Ein Zittern durchlief Arnaus Körper und er stützte sich auf Mar. Das Mädchen wandte den Blick von den Fenstern.

»Nimm!«, forderte Guillem Arnau auf und hielt ihm eine Pergamentrolle hin.

Arnau nahm sie nicht. Er wusste, was es war. Er hatte den Inhalt auswendig gelernt, seit Guillem sie ihm am Vortag ausgehändigt hatte. Es war die Inventarliste von Grau Puigs Besitz, den der Stadtrichter ihm zur Begleichung seiner Schulden zusprach: der Palast, die Sklaven – Arnau suchte vergeblich nach Estranyas Namen –, mehrere Besitzungen außerhalb Barcelonas, darunter ein bescheidenes Haus in Navarcles, das er den Puigs als Wohnsitz überlassen wollte. Einige Schmuckstücke, zwei Pferdegespanne samt Geschirren, eine Kutsche, Kleider und Gewänder, Pfannen und Teller, Teppiche und Möbel – alles, was sich in dem Palast befand, war in dieser Pergamentrolle aufgeführt, die Arnau in der vergangenen Nacht immer wieder durchgelesen hatte.

Er betrachtete noch einmal die Pferdeställe, dann wanderte sein Blick über den gepflasterten Hof bis zum Fuß der Treppe.

»Gehen wir hinauf?«, fragte Guillem.

»Gehen wir. Bring mich zu deinem Herrn … nein, zu Grau Puig«, korrigierte er sich, an den Sklaven gewandt.

Sie gingen durch den Palast. Mar und Guillem sahen sich alles genau an. Arnau blickte starr geradeaus. Der Sklave führte sie zum Salon.

»Kündige mich an!«, sagte Arnau zu Guillem, bevor dieser die Tür öffnete.

»Arnau Estanyol!«, rief sein Freund, nachdem er die Tür geöffnet hatte.

Arnau erinnerte sich nicht mehr, wie der große Salon des Palastes ausgesehen hatte. Er hatte nicht darauf geachtet, als er damals dort gewesen war … auf Knien. Auch jetzt hatte er keinen Blick für seine Umgebung. Isabel saß in einem Sessel vor einem der Fenster. Neben ihr standen Josep und Genis. Der Erste hatte, wie auch seine Schwester Margarida, geheiratet. Genis war noch ledig. Arnau sah sich nach Joseps Familie um. Sie war nicht da. In einem weiteren Sessel saß Grau Puig, alt und hinfällig.

Isabels Augen blitzten vor Wut.

Arnau blieb mitten im Salon stehen, neben einem Esstisch aus edlem Holz, der doppelt so lang war wie der Tisch in seiner Wechselstube. Mar stand hinter ihm, neben Guillem. An der Tür des Salons drängten sich die Sklaven.

Arnau sprach laut genug, damit seine Stimme im ganzen Raum gehört wurde.

»Guillem, diese Schuhe gehören mir«, sagte er und deutete auf Isabels Füße. »Sie sollen sie ihr ausziehen.«

»Ja, Herr.«

Mar sah den Mauren erstaunt an. Herr? Sie kannte Guillems Status, doch noch nie zuvor hatte sie gehört, dass er Arnau mit diesen Worten ansprach.

Guillem winkte zwei der Sklaven heran, die an der Tür standen, und zu dritt traten sie zu Isabel. Die Baronin erwiderte immer noch hochmütig Arnaus Blick.

Einer der Sklaven kniete nieder, doch bevor er sie berühren konnte, streifte Isabel die Schuhe ab und ließ sie zu Boden fallen, ohne den Blick von Arnau abzuwenden.

»Ich will, dass du sämtliche Schuhe in diesem Haus einsammelst und sie im Hof verbrennst«, sagte Arnau.

»Ja, Herr«, antwortete Guillem.

Die Baronin sah ihn immer noch hochmütig an.

»Die Sessel.« Arnau deutete auf die Sitzgelegenheiten der Puigs. »Bring sie weg.«

»Ja, Herr.«

Grau wurde von seinen Söhnen hochgehoben. Die Baronin stand auf, bevor die Sklaven ihren Sessel nahmen und ihn zusammen mit den anderen in eine Ecke trugen.

Aber sie sah ihn immer noch an.

»Dieses Kleid gehört auch mir.«

Hatte sie gezittert?

»Du willst doch nicht …?«, begann Genis Puig und richtete sich auf, seinen Vater immer noch auf den Armen.

»Dieses Kleid gehört mir«, fiel ihm Arnau ins Wort, ohne Isabel aus den Augen zu lassen.

Zitterte sie?

»Mutter«, schaltete sich Josep ein, »geh dich umziehen.«

Sie zitterte.

»Guillem!«, rief Arnau.

»Mutter, bitte.«

Guillem trat zu der Baronin.

Sie zitterte.

»Mutter!«

»Und was soll ich anziehen?«, schrie Isabel ihren Stiefsohn an.

Isabel sah erneut zu Arnau. Auch Guillem sah ihn an. Willst du wirklich, dass ich ihr das Kleid ausziehe?, schien sein Blick zu sagen.

Arnau runzelte die Stirn, und langsam, ganz langsam, blickte Isabel zu Boden. Sie weinte vor Wut.

Arnau gab Guillem ein Zeichen und ließ einige Sekunden verstreichen, während Isabels Schluchzen den Salon des Palasts erfüllte.

»Noch heute Abend«, sagte er zu Guillem, »hat dieses Gebäude leer zu sein. Sag ihnen, sie können nach Navarcles gehen, das sie nie hätten verlassen sollen.« Josep und Genis sahen ihn an, Isabel schluchzte immer noch. »Ich habe kein Interesse an diesem Land. Gib ihnen Sklavenkleider, aber keine Schuhe. Die verbrennst du. Verkaufe alles und verriegle dieses Haus.«

Arnau drehte sich um und begegnete Mars Blick. Er hatte sie ganz vergessen. Dem Mädchen war das Blut ins Gesicht gestiegen. Er nahm sie beim Arm und ging mit ihr hinaus.

»Du kannst das Tor jetzt schließen«, sagte er zu dem Alten, der ihnen geöffnet hatte.

Sie gingen schweigend zur Wechselstube, doch bevor sie eintraten, blieb Arnau stehen.

»Ein Spaziergang am Strand?«

Mar nickte.

»Sind deine Schulden jetzt beglichen?«, fragte sie, als sie das Meer sahen.

Sie gingen weiter.

»Die werden niemals beglichen sein, Mar«, hörte ihn das Mädchen nach einer Weile murmeln. »Niemals.«

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