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Der Jubel des Heeres bestätigte ihm, dass er richtig gehört hatte: »Ich stimme zu.« Guillem presste die Lippen fest zusammen. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und fiel in den Jubel ein. »Ich stimme zu.« Guillem sah Arnau an, dann sah er zu dem Ritter, dessen Gesicht entspannt wirkte. Was konnte ein einfacher Sklave wie er unternehmen? Erneut betrachtete er Felip de Ponts. Jetzt grinste dieser. »Ich habe mich mit Mar Estanyol vereint.« Wie konnte Arnau zulassen …?

Jemand hielt ihm einen Weinschlauch hin. Guillem stieß ihn missmutig weg.

»Trinkst du nicht, Christ?«, hörte er jemanden fragen.

Sein Blick begegnete jenem von Arnau. Die Ratsherren gratulierten Felip de Ponts, der immer noch auf seinem Pferd saß. Die Leute tranken und lachten.

»Trinkst du nicht, Christ?«, hörte er erneut jemanden hinter sich fragen.

Guillem gab dem Mann mit den Weinschlauch einen Stoß und sah erneut zu Arnau hinüber. Die Ratsherren gratulierten auch ihm. Von Leuten umringt, reckte Arnau den Kopf, um Guillem anzusehen.

Unterdessen feierte das gesamte Heer die friedliche Einigung. Die Männer hatten Lagerfeuer entzündet und saßen singend um diese herum.

»Trink auf unseren Konsul und das Glück seiner Ziehtochter«, sagte ein anderer und hielt ihm erneut einen Weinschlauch hin.

Arnau war in Richtung Gehöft verschwunden. Guillem schob erneut den Weinschlauch beiseite.

»Du willst nicht auf sie trinken?«

Guillem sah den Mann an. Dann wandte er sich ab und machte sich auf den Rückweg nach Barcelona.

Das Lärmen des Heeres wurde immer leiser und verstummte schließlich ganz. Guillem befand sich alleine auf dem Weg in die Stadt. Er ging schleppend, ganz allein mit seinen Gefühlen und dem bisschen Mannesstolz, der einem Sklaven blieb.

Arnau lehnte den Käse ab, den ihm die zitternde Alte anbot, die sich um Felip de Ponts Gehöft kümmerte. Zunftmeister und Ratsherren drängten sich im Obergeschoss über den Ställen, wo sich der große steinerne Rauchfang des Rittergehöfts befand. Arnau sah sich nach Guillem um. Die Leute redeten und lachten und riefen nach der Alten, damit sie Käse und Wein brachte. Joan und Elionor standen am Kamin; sie wichen Arnaus Blicken aus, als er zu ihnen herübersah.

Als ein Raunen durch die Versammelten ging, sah er zum anderen Ende des Raumes hinüber.

Mar hatte an Felip de Ponts Arm den Saal betreten. Arnau sah, wie sie sich von dem Mann losriss und auf ihn zugerannt kam. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. Mar breitete die Arme aus, während sie auf ihn zuflog, doch dann hielt sie plötzlich inne und ließ die Arme langsam sinken.

Arnau glaubte, einen Bluterguss auf ihrer Wange zu erkennen.

»Was ist los, Arnau?«, fragte ihn das Mädchen.

Arnau drehte sich Hilfe suchend zu Joan um, doch sein Bruder stand mit gesenktem Kopf da. Alle im Raum warteten auf seine Antwort.

»Felip de Ponts hat sich auf das Gesetz Si quis virginem berufen«, sagte er schließlich.

Mar rührte sich nicht. Eine Träne rollte über ihre Wange. Arnau hob die rechte Hand, doch dann zog er sie zurück, und die Träne rann ungehindert den Hals hinab.

»Dein Vater …«, begann Felip de Ponts, bevor Arnau ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen brachte. »Der Seekonsul hat mir vor dem Heer von Barcelona deine Hand versprochen«, erklärte Felip de Ponts, bevor Arnau ihn daran hindern oder sein Wort zurücknehmen konnte.

»Stimmt das?«, fragte Mar.

Alles, was Arnau wusste, war, dass er sie umarmen, sie küssen, sie immer bei sich haben wollte. Waren das die Gefühle eines Vaters?

»Ja, Mar.«

Auf Mars Gesicht erschienen keine weiteren Tränen mehr. Felip de Ponts trat zu dem Mädchen und fasste es wieder beim Arm. Sie wehrte sich nicht. Hinter Arnau brach jemand das Schweigen und alle stimmten mit ein. Arnau und Mar sahen sich an. Man hörte Hochrufe auf das Brautpaar, die Arnau in den Ohren dröhnten. Nun liefen ihm die Tränen über die Wangen. Vielleicht hatte sein Bruder recht. Vielleicht hatte er geahnt, was nicht einmal Arnau selbst wusste. Vor der Jungfrau hatte er geschworen, nie wieder aus Liebe zu einer anderen seiner Ehefrau untreu zu sein, selbst wenn er diese Ehe nicht freiwillig eingegangen war.

»Vater«, sagte Mar, während sie mit der freien Hand seine Tränen abwischte.

Arnau zitterte, als er Mars Berührung spürte. Er drehte sich auf dem Absatz um und floh.

Zur gleichen Zeit blickte irgendwo auf dem einsamen, dunklen Weg nach Barcelona ein Sklave in den Himmel und hatte den Schmerzensschrei des Mädchens in den Ohren, das er wie eine eigene Tochter großgezogen hatte. Er war als Sklave geboren und hatte als Sklave gelebt. Er hatte gelernt, stumm zu lieben und seine Gefühle zu unterdrücken. Ein Sklave war kein Mann, und so hatte er in seiner Einsamkeit – dem einzigen Ort, an dem niemand seine Freiheit einschränken konnte – gelernt, viel tiefer zu sehen als all jene, denen das Leben den Geist vernebelte. Er hatte gesehen, welche Liebe die beiden füreinander empfanden, und er hatte zu seinen beiden Göttern gebetet, dass es diesen Menschen, die er so sehr liebte, gelingen möge, sich von ihren Fesseln zu befreien, die viel stärker waren als die eines einfachen Sklaven.

Guillem schluckte seine Tränen hinunter, denn Weinen war einem Sklaven verboten.


Guillem betrat Barcelona nicht. Er erreichte die Stadt noch in der Nacht und stand vor dem verschlossenen Stadttor San Daniel. Sie hatten ihm sein kleines Mädchen weggenommen. Vielleicht war er sich dessen nicht bewusst gewesen, doch Arnau hatte sie verschachert wie eine Sklavin. Was sollte er noch in Barcelona? Wie sollte er sich dorthin setzen, wo Mar gesessen hatte? Wie sollte er dort entlanggehen, wo er plaudernd und lachend mit ihr spazieren gegangen war und die Geheimnisse seines kleinen Mädchens geteilt hatte? Was blieb ihm in Barcelona anderes, als Tag und Nacht an sie zu denken? Welche Zukunft erwartete ihn im Haus eines Mannes, der ihrer beider Hoffnungen durchkreuzt hatte?

Guillem folgte weiter der Straße in Richtung Küste und erreichte nach zwei Tagen Salou, den zweitwichtigsten Hafen Kataloniens. Dort blickte er übers Meer zum Horizont, und die Meeresbrise trug Erinnerungen an seine Kindheit in Genua zu ihm, Erinnerungen an eine Mutter und mehrere Geschwister, von denen er grausam getrennt wurde, als man ihn an einen Händler verkaufte, bei dem er dann das Geschäft zu erlernen begann. Auf einer Schiffsreise gerieten Herr und Sklave in Gefangenschaft der Katalanen, die im ständigen Krieg mit Genua lagen. Guillem ging von Hand zu Hand, bis Hasdai Crescas schließlich erkannte, dass seine Fähigkeiten weit über die eines einfachen Arbeiters hinausgingen. Guillem sah erneut aufs Meer hinaus, zu den Schiffen und den Reisenden … Warum nicht Genua?

»Wann läuft das nächste Schiff in die Lombardei aus, nach Pisa?«

Der junge Mann blätterte nervös in den Unterlagen, die sich auf dem Schreibtisch des Ladens stapelten. Er kannte Guillem nicht und hatte ihn zunächst mit Herablassung behandelt, wie er es bei jedem schmutzigen, stinkenden Sklaven getan hätte, doch als der Maure sich vorstellte, fielen ihm die Worte ein, die er so häufig von seinem Vater gehört hatte: »Guillem ist die rechte Hand von Arnau Estanyol, des Seekonsuls von Barcelona, von dem wir alle leben.«

»Ich brauche Schreibzeug und einen ruhigen Ort, um einen Brief zu verfassen«, sagte Guillem.

»Ich nehme dein Angebot, mich freizulassen, an«, schrieb er. »Ich werde über Pisa nach Genua reisen, in deinem Namen und als dein Sklave, und dort auf die Freilassungsurkunde warten.« Was gab es noch zu sagen? Dass er ohne Mar nicht leben konnte? Würde Arnau, sein Herr und Freund, das können? Wozu ihn daran erinnern? »Ich mache mich auf die Suche nach meinen Wurzeln, nach meiner Familie«, schrieb er weiter. »Neben Hasdai bist du mein bester Freund gewesen. Gib auf ihn acht. Ich werde dir ewig dankbar sein. Allah und die Jungfrau Maria mögen dich beschützen. Ich werde für dich beten.«

Sobald die Galeere, auf der sich Guillem eingeschifft hatte, den Hafen von Salou verließ, machte sich der junge Mann, der den Mauren bedient hatte, auf den Weg nach Barcelona.


Arnau schrieb langsam Guillems Freilassungsbrief, während er jeden Buchstaben des Schriftstücks betrachtete. Die Pest, der Krieg, die Wechselstube, Tage voller Arbeit, angeregter Gespräche, Freundschaft und Freude … Seine Hand zitterte, als er den letzten Strich machte. Nachdem er unterschrieben hatte, ließ er die Feder sinken. Sie wussten beide, dass es andere Gründe gewesen waren, die Guillem zur Flucht bewegt hatten.

Arnau kehrte zur Börse zurück, wo er Anweisung gab, die Freilassungsurkunde an seinen Handelsvertreter in Pisa zu übersenden. Dieser legte er eine Anweisung über ein kleines Vermögen bei.


»Warten wir nicht auf Arnau?«, fragte Joan Elionor, nachdem er das Esszimmer betreten hatte, wo die Baronin bereits am Tisch saß.

»Habt Ihr Hunger?« Joan nickte. »Nun, wenn Ihr etwas essen wollt, solltet Ihr es besser jetzt tun.«

Der Mönch nahm Elionor gegenüber am Kopfende des langen Esstisches Platz. Zwei Diener trugen Weißbrot, Wein, Suppe und geschmorte Gans mit Paprika und Zwiebeln auf.

»Sagtet Ihr nicht, Ihr hättet Hunger?«, bemerkte Elionor, als sie sah, dass der Mönch nur im Essen herumstocherte.

Es war der einzige Satz, der während des gesamten Abends gesprochen wurde. Joan sah seine Schwägerin stumm an.

Mehrere Stunden, nachdem er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, hörte Joan Bewegung im Palast. Dienstboten liefen, um Arnau zu empfangen. Sie würden ihm etwas zu essen anbieten, und er würde es ablehnen, wie er es auch die drei Male getan hatte, die Joan beschlossen hatte, auf ihn zu warten: Arnau hatte sich in einen der Salons des Palasts gesetzt, wo Joan auf ihn wartete, und mit einer müden Geste die späte Mahlzeit zurückgewiesen.


Joan hörte die Dienstboten zurückkommen. Dann hörte er Arnau an seiner Tür vorbei langsam zu seinem Schlafzimmer gehen. Was sollte er ihm sagen, wenn er jetzt zu ihm ging? Dreimal hatte er auf ihn gewartet und versucht, mit ihm zu sprechen, doch Arnau war verschlossen gewesen und hatte nur einsilbig auf die Fragen seines Bruders geantwortet. »Geht es dir gut?« »Ja.« »Hast du viel zu tun in der Börse?« »Nein.« »Läuft es gut?« Schweigen. »Und Santa María?« »Gut.« In der Dunkelheit seines Zimmers barg Joan das Gesicht in seinen Händen. Arnaus Schritte waren verklungen. Worüber sollte er mit ihm reden? Über sie? Sollte Arnau aus seinem Munde hören, dass er sie liebte? Wo er es sich selbst nicht eingestand?

Joan hatte gesehen, wie Mar die Träne wegwischte, die Arnau übers Gesicht lief. »Vater«, hatte sie gesagt. Er hatte gesehen, wie Arnau zitterte. Dann hatte Joan sich umgedreht und gesehen, wie Elionor lächelte. War es nötig gewesen, ihn leiden zu sehen, um zu begreifen … Aber wie konnte er ihm die Wahrheit gestehen? Wie sollte er ihm sagen, dass er es gewesen war, der … Wieder sah Joan diese Träne vor sich. So sehr liebte er sie? Würde er sie vergessen können? Niemand tröstete Joan, als er wieder einmal niederkniete und bis zum Morgengrauen betete.


»Ich möchte weg aus Barcelona.«

Der Prior der Dominikaner betrachtete den Mönch eingehend. Er war abgemagert, seine tiefliegenden Augen waren von dunklen Schatten umgeben, und sein schwarzer Habit war zerknittert.

»Siehst du dich imstande, Bruder Joan, das Amt des Inquisitors auszuüben?«

»Ja«, versicherte Joan. Der Prior musterte ihn von oben bis unten. »Ich muss nur aus Barcelona weg, dann werde ich mich erholen.«

»Nun denn. Nächste Woche wirst du in den Norden reisen.«

Sein Ziel war eine Reihe kleiner Bauerndörfer tief im Gebirge, deren Bewohner der Ankunft des Inquisitors mit Angst entgegensahen. Seine Anwesenheit war nichts Neues für sie. Seit Papst Innozenz IV. vor über hundert Jahren Ramon de Penyafort damit beauftragt hatte, die Inquisition in das Königreich Aragón und das Fürstentum Narbonne zu tragen, litten diese Dörfer unter den Nachforschungen der schwarzen Mönche. Die meisten Lehren, die von der Kirche als häretisch betrachtet wurden, kamen von Frankreich nach Katalonien. Zunächst waren es die Katharer und Waldenser gewesen, dann die Begarden und schließlich die vom französischen König verfolgten Templer. Die Grenzgebiete gerieten als erste unter den Einfluss häretischer Lehren, Adlige wurden angeklagt und hingerichtet, etwa der Vicomte Arnau und seine Gemahlin Ermessenda, Ramon de Cadí oder Guillem de Niort, Amtsrichter des Grafen Nunó Sanç in Cerdaña und Coflent – Gegenden, in denen nun auch Bruder Joan seinem Auftrag nachkommen sollte.

»Euer Exzellenz«, wurde er in einem dieser Dörfer von einem Komitee der Dorfältesten empfangen, während diese vor ihm niederknieten.

»Ich bin keine Exzellenz«, entgegnete Joan und bedeutete ihnen, sich zu erheben. »Nennt mich einfach Bruder Joan.«

Seine kurze Erfahrung zeigte ihm, dass sich diese Szene stets wiederholte. Die Nachricht von der Ankunft des Inquisitors, des Schreibers, der ihn begleitete, und eines halben Dutzends Soldaten des Sanctum Officium war ihnen vorausgeeilt. Sie standen auf dem kleinen Dorfplatz. Joan betrachtete die vier Männer, die noch immer die Köpfe gesenkt hielten. Sie hatten ihre Kopfbedeckungen abgenommen und traten nervös von einem Fuß auf den anderen. Sonst befand sich niemand auf dem Platz. Doch Joan wusste, dass heimlich viele Augen auf ihn gerichtet waren. So viel hatten sie zu verbergen?

Nach der Begrüßung würde das Übliche kommen. Man würde ihnen die beste Unterkunft im Dorf anbieten, wo ein reichgedeckter Tisch auf ihn warten würde, zu reich gedeckt für die Möglichkeiten dieser Leute.

»Ich möchte nur ein Stück Käse, Brot und Wasser. Tragt den Rest wieder ab und sorgt dafür, dass meine Männer verpflegt werden«, sagte er ein weiteres Mal, nachdem er sich zu Tisch gesetzt hatte.

Auch das Haus war wie die Male zuvor. Einfach, aber aus Stein erbaut, im Gegensatz zu den Hütten aus Lehm oder morschem Holz, die es in diesen Dörfern gab. Ein Tisch und einige Stühle waren das gesamte Mobiliar des Raums, in dessen Mitte sich der Herd befand.

»Euer Exzellenz werden müde sein.«

Joan betrachtete den Käse, der vor ihm stand. Sie waren mehrere Stunden über steinige Pfade durch die morgendliche Kälte gewandert, die Füße voller Schlamm und nass vom Raureif. Unter dem Tisch rieb er sich die schmerzende Wade und den rechten Fuß.

»Ich bin keine Exzellenz«, wiederholte er monoton, »und ich bin auch nicht müde. Gott kennt keine Müdigkeit, wenn es darum geht, seinen Namen zu verteidigen. Wir werden in Kürze beginnen, sobald ich etwas gegessen habe. Versammelt die Leute auf dem Dorfplatz.«

Vor seiner Abreise aus Barcelona hatte Joan in Santa Caterina um das Traktat Papst Gregors IX. aus dem Jahr 1231 gebeten und sich mit der Vorgehensweise der reisenden Inquisitoren vertraut gemacht.

»Sünder, übt Buße!« Zunächst die Predigt an das Volk. Die wenig mehr als siebzig Personen, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatten, senkten die Blicke, als sie seine ersten Worte hörten. Die Blicke des schwarzen Mönchs ließen ihnen das Blut in den Adern gefrieren. »Das ewige Feuer erwartet euch!« Beim ersten Mal hatte er an seiner Fähigkeit gezweifelt, zu den Menschen zu sprechen, doch die Worte waren ihm leichtgefallen, umso mehr, als ihm bewusst wurde, welche Macht er über diese verängstigten Bauern besaß. »Keiner von euch wird ihm entgehen! Gott duldet keine schwarzen Schafe in seiner Herde.« Reden sollten sie; er musste die Häresie ans Licht bringen. Das war sein Auftrag: Die Sünde zu entdecken, die im Verborgenen begangen wurde, von der nur der Nachbar, der Freund, die Ehefrau wusste …

»Gott sieht alles. Er kennt euch. Er wacht über euch. Wer der Sünde tatenlos zusieht, wird im ewigen Feuer brennen, denn wer eine Sünde zulässt, ist schlimmer als jener, der sündigt. Wer sündigt, kann Vergebung erlangen, doch wer die Sünde für sich behält …«

Er beobachtete die Zuhörer. Eine Bewegung zu viel, ein flüchtiger Blick … Sie würden die Ersten sein.

»Wer die Sünde für sich behält –«, Joan schwieg erneut, zögerte sein Schweigen so lange heraus, bis er sah, wie sie unter seiner Drohung zusammenbrachen, »– wird keine Vergebung finden.«

Angst. Feuer, Schmerz, Sünde, Strafe … der schwarze Mönch tobte und wetterte, bis er ihre Seelen erreichte, eine Verbindung, die er schon bei seiner ersten Predigt verspürte.

»Ihr habt eine Frist von drei Tagen«, sagte er schließlich. »Jeder, der kommt und seine Sünden freiwillig bekennt, wird mit Milde behandelt. Nach diesen drei Tagen werde ich ein Exempel statuieren.« Er wandte sich an den Beamten. »Stellt Nachforschungen über diese blonde Frau, den barfüßigen Mann und den mit dem schwarzen Gürtel an. Und über das Mädchen mit dem Kind …« Joan deutete unauffällig auf die Benannten. »Wenn sie sich nicht freiwillig melden, bringt sie zusammen mit einigen anderen, zufällig Ausgewählten zu mir.«


Während der dreitägigen Bedenkfrist saß Joan reglos neben dem Schreiber und den Soldaten, die sich nicht von der Stelle rührten, am Tisch, während langsam und lautlos die Stunden verstrichen.

Nur vier Personen kamen, um ihr Schweigen zu brechen. Zwei Männer, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen waren, an der Messe teilzunehmen, eine Frau, die ihrem Mann nicht immer gehorsam gewesen war, und ein Kind, das mit riesengroßen Augen durch die Tür lugte.

Jemand schob den Knaben vorwärts, der sich sträubte und auf der Türschwelle verharrte.

»Komm herein, Junge«, forderte Joan ihn auf.

Der Junge wich zurück, doch eine Hand stieß ihn erneut in den Raum, dann wurde die Tür geschlossen.

»Wie alt bist du?«, fragte Joan.

Der Junge sah die Soldaten an, den Schreiber, der bereits mit seiner Aufgabe beschäftigt war, und dann Joan.

»Neun Jahre«, stotterte er.

»Wie heißt du?«

»Alfons.«

»Tritt näher, Alfons. Was hast du uns zu sagen?«

»Dass … Also, vor zwei Monaten habe ich Bohnen aus dem Nachbargarten genommen.«

»Genommen?«, fragte Joan.

Alfons blickte zu Boden.

»Ich habe sie gestohlen«, war leise zu hören.


Joan stand auf und entzündete die Kerze. Seit Stunden war es still im Dorf, und genauso lange versuchte er vergeblich, Schlaf zu finden. Er schloss die Augen und döste ein, doch die Erinnerung an die Träne, die über Arnaus Wange rollte, ließ ihn wieder hochschrecken. Er brauchte Licht. Er versuchte es erneut, ein ums andere Mal, doch am Ende stand er immer auf, manchmal hastig, manchmal schweißgebadet, manchmal schwerfällig, benommen von den Erinnerungen, die ihm den Schlaf raubten.

Er brauchte Licht. Er vergewisserte sich, dass Öl in der Lampe war.

Arnaus trauriges Gesicht erschien ihm in der Dunkelheit.

Er legte sich wieder hin. Es war kalt. Es war immer kalt. Für einige Sekunden beobachtete er das Flackern der Flamme und die zuckenden Schatten. Das einzige Fenster der Schlafkammer besaß keine Läden und es zog durch die Ritzen. »Wir alle tanzen unseren Tanz …«

Er wickelte sich in die Decken und zwang sich, an die Zimmerdecke zu sehen.

Wann dämmerte es endlich? Noch ein Tag, und die dreitägige Bedenkfrist war vorbei.

Joan fiel in einen Dämmerschlaf. Nach etwas mehr als einer halben Stunde wachte er schweißgebadet wieder auf.

Die Lampe brannte noch, die Schatten tanzten auf den Wänden, das Dorf lag immer noch still da. Warum wurde es nicht Morgen?

Er wickelte sich in die Decke und trat ans Fenster.

Ein Dorf von vielen. Eine weitere Nacht, in der er darauf wartete, dass es hell wurde.

Dass der nächste Tage kam …


Am Morgen stand, bewacht von den Soldaten, eine Reihe von Dörflern vor dem Haus.

Sie hieß Peregrina. Joan tat, als achtete er nicht auf die blonde Frau, die als Vierte eintrat. Den ersten dreien war nichts zu entlocken gewesen. Peregrina blieb vor dem Tisch stehen, hinter dem Joan und der Schreiber saßen. Das Feuer im Herd knisterte. Sonst war niemand anwesend. Die Soldaten waren vor dem Haus stehen geblieben. Plötzlich blickte Joan hoch. Die Frau zitterte.

»Du weißt etwas, nicht wahr, Peregrina? Gott sieht alles«, sagte Joan. Peregrina nickte, den Blick fest auf den Lehmboden des Hauses geheftet. »Sieh mich an. Du musst mich ansehen. Willst du denn im ewigen Feuer brennen? Sieh mich an. Hast du Kinder?«

Die Frau sah langsam auf.

»Ja, aber …«, stammelte sie.

»Aber sie sind nicht die Sünder«, unterbrach Joan. »Wer ist es dann, Peregrina?« Die Frau zögerte. »Wer ist es, Peregrina?«

»Sie lästert Gott«, sagte sie dann.

»Wer lästert Gott, Peregrina?«

»Sie …«Joan wartete schweigend ab. Es gab keinen Ausweg mehr. »Ich habe sie fluchen gehört, wenn sie wütend ist …« Peregrina sah wieder zu Boden. »Die Schwester meines Mannes, Marta. Sie sagt schreckliche Dinge, wenn sie wütend ist.«

Es war nichts weiter zu hören als das Kratzen der Feder, während der Schreiber mitschrieb.

»Noch etwas, Peregrina?«

Diesmal sah die Frau ruhig auf.

»Nein.«

»Sicher?«

»Ich schwöre es Euch. Ihr müsst mir glauben.«

Nur bei dem mit dem schwarzen Gürtel hatte er sich getäuscht. Der barfüßige Mann denunzierte zwei Schäfer, die sich nicht an die Fastentage hielten. Er behauptete, gesehen zu haben, wie sie in der Fastenzeit Fleisch aßen. Das Mädchen mit dem Kind, eine junge Witwe, benannte ihren Nachbarn, einen verheirateten Mann, der ihr ständig unanständige Angebote mache … Er habe ihr sogar an die Brust gefasst.

»Und du? Hast du ihn gewähren lassen?«, fragte Joan. »Empfandest du Lust dabei?«

Das Mädchen brach in Tränen aus.

»Hast du es genossen?«, bohrte Joan weiter.

»Wir hatten Hunger«, schluchzte das Mädchen und hielt das Kind hoch.

Der Schreiber notierte den Namen des Mädchens. Joan sah sie an. Und was hat er dir gegeben?, dachte er. Ein Stück trockenes Brot? So wenig ist deine Ehre wert?

»Geständig!«, urteilte Joan.

Zwei weitere Dörfler denunzierten ihre Nachbarn. Ketzer, so behaupteten sie.

»Manchmal nachts höre ich merkwürdige Geräusche und sehe Lichter im Haus«, erzählte einer. »Sie sind Teufelsanbeter.«

Was hat dir dein Nachbar getan, dass du ihn denunzierst?, dachte Joan. Du weißt ja, dass er den Namen seines Verräters nie erfahren wird. Was bringt es dir ein, wenn ich ihn verurteile? Ein Stück Land vielleicht?

»Wie heißt dein Nachbar?«

»Anton, der Bäcker.«

Der Schreiber notierte den Namen.

Als Joan die Befragung für beendet erklärte, war es bereits dunkel. Er befahl den Hauptmann herein, und der Schreiber nannte ihm die Namen derer, die am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang vor dem Inquisitionstribunal zu erscheinen hatten.


Wieder die Stille der Nacht, die Kälte, das Zittern der Flamme … und die Erinnerungen. Joan stand auf.

Ein Fall von Gotteslästerung, ein Fall von Unzucht und ein Teufelsanbeter. »Wenn es hell wird, gehört ihr mir«, murmelte er. Ob die Sache mit dem Teufelsanbeter stimmte? Schon oft hatte es ähnliche Beschuldigungen gegeben, doch nur in einem Fall hatte die Anzeige Erfolg gehabt. Ob es diesmal stimmte? Wie sollte er das beweisen?

Er war müde und legte sich wieder hin. Ein Teufelsanbeter …


»Schwörst du auf die vier Evangelien?«, fragte Joan, als das erste Tageslicht durch die Fenster im Erdgeschoss des Hauses drang.

Der Mann nickte.

»Ich weiß, dass du gesündigt hast«, behauptete Joan.

Bewacht von zwei Soldaten, erblasste der Mann, der sich von der jungen Witwe einen Augenblick der Lust erkauft hatte. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn.

»Wie ist dein Name?«

»Gaspar«, war leise zu vernehmen.

»Ich weiß, dass du gesündigt hast, Gaspar«, wiederholte Joan.

»Ich … Ich …«, stotterte der Mann.

»Gestehe!« Joan erhob die Stimme.

»Ich …«

»Peitscht ihn, bis er gesteht!« Joan sprang auf und hieb mit beiden Fäusten auf den Tisch.

Einer der Soldaten griff an seinen Gürtel, an dem eine Lederpeitsche baumelte. Der Mann fiel vor dem Tisch mit Joan und dem Schreiber auf die Knie.

»Nein, ich flehe Euch an. Peitscht mich nicht aus.«

»Dann gestehe.«

Der Soldat strich ihm mit der Peitsche über den Rücken.

»Gestehe!«, schrie Joan.

»Ich … Es war nicht meine Schuld. Es war diese Frau. Sie hat mich verhext.« Der Mann sprach hastig. »Ihr Mann fasst sie nicht mehr an.« Joan regte sich nicht. »Sie stellt mir nach, sie verfolgt mich. Wir haben es nur ein paar Mal getrieben. Aber ich werde es nicht wieder tun. Ich werde sie nicht wiedersehen. Ich schwöre es Euch.«

»Hast du mit ihr geschlafen?«

»J … ja.«

»Wie oft?«

»Ich weiß es nicht …«

»Viermal? Fünfmal? Zehnmal?«

»Viermal. Ja, genau. Viermal.«

»Wie heißt die Frau?«

Der Schreiber protokollierte.

»Welche Sünden hast du noch begangen?«

»Keine … Keine, ich schwöre es Euch.«

»Schwöre nicht falsch.« Joan sprach mit Nachdruck. »Peitscht ihn aus.«

Nach zehn Schlägen gestand der Mann, nicht nur mit dieser Frau geschlafen zu haben, sondern auch mit mehreren Prostituierten, wenn er auf dem Markt in Puigcerdà war. Außerdem hatte er geflucht, gelogen und eine Unmenge kleiner Sünden begangen. Fünf weitere Peitschenhiebe genügten, damit er sich an die junge Witwe erinnerte.

»Geständig«, urteilte Joan. »Morgen erscheinst du zum Sermo generalis auf dem Dorfplatz, wo dir deine Strafe mitgeteilt wird.«

Der Mann hatte nicht einmal Zeit zu widersprechen. Auf Knien wurde er von den Soldaten aus dem Haus geschleift.

Peregrinas Schwägerin Marta gestand ohne weitere Drohungen, und nachdem er sie für den nächsten Tag einbestellt hatte, warf Joan dem Schreiber einen Blick zu.

»Bringt Anton Sinom herein«, befahl dieser dem Hauptmann, nachdem er die Liste durchgesehen hatte.

Als er den angeblichen Teufelsanbeter hereinkommen sah, richtete sich Joan auf seinem harten Holzstuhl auf. Die spitze Nase dieses Mannes, die hohe Stirn, die dunklen Augen …

Er wollte seine Stimme hören.

»Schwörst du bei den vier Evangelien?«

»Ja.«

»Wie heißt du?«, fragte er ihn, noch bevor der Mann vor ihm stand.

»Anton Sinom.«

Dieser kleine, etwas gebeugte Mann verschwand fast zwischen den beiden Soldaten, während er Joans Frage beantwortete. In seiner Stimme lag ein Hauch von Resignation, der dem Inquisitor nicht entging.

»Hast du schon immer so geheißen?«

Anton Sinom zögerte. Joan wartete auf die Antwort.

»Hier kennt man mich schon immer unter diesem Namen«, erklärte er schließlich.

»Und anderswo?«

»Anderswo hatte ich einen anderen Namen.«

Joan und Anton sahen sich an. Der kleine Mann hatte nicht ein einziges Mal den Blick gesenkt.

»Einen christlichen Namen?«

Anton schüttelte den Kopf. Joan verkniff sich ein Lächeln. Wie sollte er es anfangen? Indem er ihm sagte, dass er wisse, dass er gesündigt habe? Dieser konvertierte Jude würde nicht auf das Spiel hereinfallen. Niemand im Dorf hatte ihn durchschaut. Sonst hätte ihn mehr als einer angezeigt, wie es bei Konvertiten sonst geschah. Dieser Sinom musste intelligent sein. Joan betrachtete ihn einige Sekunden, während er sich fragte, was dieser Mann zu verbergen hatte. Weshalb zündete er nachts Lichter in seinem Haus an?

Joan erhob sich und verließ den Raum. Der Schreiber und die Soldaten rührten sich nicht. Als er die Tür hinter sich schloss, erstarrten die Neugierigen, die sich vor dem Haus versammelt hatten. Joan achtete nicht auf sie und wandte sich an den Hauptmann: »Befinden sich Familienangehörige des Mannes unter den Anwesenden?«

Der Hauptmann deutete auf eine Frau und zwei Knaben, die ihn ängstlich ansahen. Da war etwas, das …

»Was arbeitet dieser Mann? Wie ist sein Haus? Was hat er gerade getan, als ihr ihn vor das Tribunal gebracht habt?«

»Er ist Bäcker«, antwortete der Hauptmann. »Seine Backstube befindet sich im Erdgeschoss seines Hauses. Sein Haus war ganz normal, sauber. Wir haben nicht mit ihm gesprochen, als wir ihn einbestellt haben, sondern mit seiner Frau.«

»Er befand sich nicht in der Backstube?«

»Nein.«

»Seid ihr im Morgengrauen dort gewesen, wie ich es euch befohlen habe?«

»Ja, Bruder Joan.«

›Manchmal werde ich nachts wach …‹ So hatte der Nachbar gesagt. Ein Bäcker stand vor Morgengrauen auf. Schläfst du nicht, Sinom? Wenn du frühmorgens aufstehen musst … Joan sah zu der Familie des Konvertiten hinüber, die ein wenig abseits von den übrigen Schaulustigen stand. Er ging eine Weile im Kreis, dann kehrte er ins Haus zurück. Der Schreiber, die Soldaten und der Konvertit hatten sich nicht von der Stelle bewegt.

Joan trat so nah vor den Mann, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz.

»Zieht ihn aus«, befahl er den Soldaten.

»Ich bin beschnitten. Ich sagte ja bereits …«

»Zieht ihn aus!«

Die Soldaten traten zu Sinom. Der Blick, den ihm der Konvertit zuwarf, bevor sie sich auf ihn stürzten, überzeugte Joan davon, dass er recht hatte.

»Und was hast du mir nun zu sagen?«, fragte er ihn, als dieser völlig entkleidet war.

Der Konvertit versuchte, so gut es ging Haltung zu bewahren.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, entgegnete er.

»Ich meine«, Joan senkte die Stimme und betonte jedes einzelne Wort. »Ich meine, dass dein Gesicht und dein Hals schmutzig sind, doch von der Brust abwärts ist deine Haut makellos sauber. Ich meine, dass deine Hände und Handgelenke schmutzig sind, deine Arme jedoch völlig rein. Ich meine, dass deine Füße und Knöchel schmutzig sind, deine Beine jedoch sauber.«

»Über der Kleidung schmutzig, darunter sauber«, bemerkte Sinom.

»Nicht einmal Mehl, Bäcker? Willst du mir weismachen, dass die Kleidung eines Bäckers vor Mehl schützt? Willst du mich glauben machen, dass du in dicker Winterkleidung am Backofen arbeitest? Wo ist das Mehl auf deinen Armen? Heute ist Montag, Sinom. Hast du den Tag des Herrn gefeiert?«

»Ja.«

Joan hieb mit der Faust auf den Tisch und sprang auf.

»Aber du hast dich auch gereinigt, wie es deine ketzerischen Riten vorschreiben!«, schrie er.

»Nein«, wimmerte Sinom.

»Wir werden sehen, Sinom, wir werden sehen. Sperrt ihn ein und bringt mir seine Frau und seine Söhne.«

»Nein!«, flehte Sinom, als ihn die Soldaten unter den Armen packten und in den Keller schleiften. »Sie haben nichts damit zu tun!«

»Halt!«, befahl Joan. Die Soldaten blieben stehen und drehten den Konvertiten zu dem Inquisitor um. »Womit haben sie nichts zu tun, Sinom? Womit?«

Sinom gestand, um seine Familie zu schützen. Als er geendet hatte, ließ Joan ihn festnehmen. Ihn und seine Familie. Dann befahl er, die übrigen Angeklagten vorzuführen.


Es war noch dunkel, als Joan auf dem Dorfplatz erschien.

»Schläft der denn nie?«, fragte einer der Soldaten gähnend.

»Nein«, antwortete ein Zweiter. »Oft hört man ihn nachts im Zimmer auf und ab gehen.«

Die beiden Soldaten beobachteten Joan, der die letzten Vorbereitungen für die Abschlusspredigt traf. Der schmutzige, zerschlissene schwarze Habit, der wie Pergament wirkte, weigerte sich, seine Bewegungen mitzumachen.

»Nun, wenn er nicht schläft und nicht isst, von was lebt er dann?«, fragte der Erste.

»Er lebt vom Hass«, erklärte der Hauptmann, der die Unterhaltung mit angehört hatte.

Bei Tagesanbruch trafen die Dorfbewohner ein. Die Angeklagten standen in der ersten Reihe, getrennt von den Zuschauern und von den Soldaten bewacht. Unter ihnen befand sich auch Alfons, der neunjährige Junge.

Joan eröffnete das Autodafé, und die Dorfschulzen traten vor, um der Inquisition Gehorsam zu leisten und zu schwören, dass sie die verhängten Strafen ausführen würden. Der Mönch begann, die Anklageschriften und die Urteile zu verlesen. Diejenigen, die sich während der Bedenkfrist gemeldet hatten, erhielten eine mildere Strafe. Sie mussten zur Kathedrale von Gerona pilgern. Alfons wurde dazu verurteilt, einen Monat lang einen Tag pro Woche unentgeltlich dem Nachbarn zu helfen, den er bestohlen hatte. Als er die Anklage gegen Gaspar verlas, wurde er von einem Schrei unterbrochen: »Du Dirne!« Ein Mann stürzte sich auf die Frau, die mit Gaspar geschlafen hatte. Die Soldaten eilten ihr zu Hilfe. »Das war also die Sünde, von der du mir nicht erzählen wolltest?«, tobte er hinter den Soldaten weiter.

Als der betrogene Ehemann schließlich verstummte, verlas Joan Gaspars Urteil: »Drei Jahre lang sollst du jeden Sonntag im Büßerhemd von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang vor der Kirche knien. Was dich betrifft …«, sagte er dann, an die Frau gewandt.

»Ich beanspruche das Recht für mich, sie zu bestrafen!«, fiel ihm der tobende Ehemann ins Wort.

Joan sah die Frau an. Er hätte sie gerne gefragt, ob sie Kinder hatte. Was konnten ihre Kinder verbrochen haben, um auf einer Kiste stehend durch eine kleine Fensterluke mit ihrer Mutter sprechen zu müssen, nur getröstet von ihrer Hand auf ihrem Haar? Aber dieser Mann war im Recht …

»Was dich betrifft«, fuhr er fort, »so übergebe ich dich der weltlichen Macht, die dafür sorgen wird, dass auf Ersuchen deines Mannes das katalanische Recht angewandt wird.«

Dann verlas Joan die weiteren Anklagen und Urteile.

»Anton Sinom. Du wirst mit deiner Familie dem Generalinquisitor überstellt.«


»Auf geht's«, befahl Joan, nachdem er seine wenigen Habseligkeiten auf einem Maulesel verstaut hatte.

Der Dominikanermönch blickte zu dem Dorf zurück, während seine Worte über den kleinen Dorfplatz hallten. Noch am selben Tag würden sie das nächste Dorf erreichen und danach ein anderes und wieder ein anderes. »Und überall werden mich die Leute verängstigt ansehen und voller Furcht meine Worte hören. Und dann werden sie sich gegenseitig verleumden und ihre Sünden ans Licht zerren. Und ich muss in ihren Bewegungen, ihren Gesichtszügen, ihrem Schweigen, ihren Empfindungen lesen, um die Sünde zu entlarven.«

»Beeilt Euch, Hauptmann. Ich möchte vor Mittag ankommen.«

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