47


Es war eine Rache, die von langer Hand geplant war, und Elionor war nicht alleine. Die Beschuldigungen gegen Arnau und die Jüdin Raquel waren erst der Anfang.

Arnaus Entscheidungen als Baron von Granollers, Sant Vicenç dels Horts und Caldes de Montbui führten zu Aufruhr unter den übrigen Adligen, die bereits den Sturm des Aufstands unter ihren Bauern erwachen sahen. Mehr als einer sah sich genötigt, härter als bisher nötig gegen aufmüpfige Untertanen vorzugehen, die lautstark die Abschaffung gewisser Privilegien forderten, die Arnau, dieser als Leibeigener geborene Baron, für aufgehoben erklärt hatte.

Unter diesen gedemütigten Adligen befand sich auch Jaume de Bellera, der Sohn des Herrn von Navarcles, den Francesca als Kind gesäugt hatte. Und an seiner Seite stand jemand, dem Arnau sein Zuhause, sein Vermögen und sein Ansehen genommen hatte: Genis Puig, der nach der Enteignung in das alte Haus in Navarcles ziehen musste, das einmal seinem Großvater, Graus Vater, gehört hatte. Diese Hütte hatte wenig Gemeinsamkeiten mit dem Palast in der Calle Monteada, wo er den größten Teil seines Lebens verbracht hatte. Die beiden hatten sich stundenlang ihr Unglück geklagt und Rachepläne geschmiedet. Pläne, die nun, wenn die Briefe seiner Schwester Margarida nicht trogen, Früchte zu tragen schienen …


Arnau unterbrach den Seemann, der soeben seine Aussage machte, und wandte sich dem Gerichtsdiener des Seekonsulats zu, der die Verhandlung gestört hatte.

»Ein Hauptmann und mehrere Soldaten der Inquisition wünschen Euch zu sprechen«, flüsterte er ihm zu.

»Was wollen sie?«, fragte Arnau. Der Gerichtsdiener hob die Schultern. »Sie sollen bis zum Ende der Verhandlung warten«, befahl er, bevor er den Seemann bat, in seinen Erklärungen fortzufahren.

Ein anderer Matrose war während der Fahrt gestorben, und nun weigerte sich der Besitzer des Schiffes, seinen Hinterbliebenen mehr als zwei Monate Heuer auszuzahlen, während die Witwe behauptete, es habe sich nicht über einen Vertrag über eine bestimmte Anzahl von Monaten gehandelt, und folglich stehe ihr die Hälfte der ausgehandelten Heuer zu, da ihr Mann auf See gestorben sei.

»Fahrt fort«, ermunterte Arnau den Zeugen, während er die Witwe und die drei Kinder des Gestorbenen betrachtete.

»Kein Matrose heuert für eine bestimmte Anzahl von Monaten an …«

Plötzlich wurden die Türen des Gerichtssaals aufgestoßen, und sechs bewaffnete Soldaten der Inquisition drangen, angeführt von ihrem Hauptmann, in den Saal ein, wobei sie den Gerichtsdiener vor sich herstießen.

»Arnau Estanyol?«, wandte sich der Hauptmann direkt an ihn.

»Was hat das zu bedeuten?«, beschwerte sich Arnau. »Wie könnt Ihr es wagen, eine Gerichtsverhandlung zu stören?«

Der Hauptmann blieb genau vor Arnau stehen. »Bist du Arnau Estanyol, Seekonsul von Barcelona und Baron von Granollers?«

»Das wisst Ihr ganz genau, Hauptmann«, entgegnete ihm Arnau brüsk, »aber …«

»Im Namen der Heiligen Inquisition, Ihr seid verhaftet. Kommt mit mir!«

Die Missatges, die sich im Gerichtssaal befanden, wollten ihrem Konsul zu Hilfe eilen, doch Arnau gebot ihnen Einhalt.

»Seid so freundlich und tretet beiseite«, forderte Arnau den Inquisitionsbeamten auf.

Der Mann zögerte. Der Konsul bedeutete ihm ruhig, an der Tür zu warten. Ohne den Verhafteten aus den Augen zu lassen, trat der Hauptmann schließlich so weit beiseite, dass Arnau die Angehörigen des toten Seemanns wieder sehen konnte.

»Urteil zugunsten der Witwe und Kinder«, erklärte er ruhig. »Sie erhalten die Hälfte des Lohnes für die gesamte Fahrt und nicht nur für zwei Monate, wie vom Schiffseigner vorgesehen. Anordnung des Gerichts.«

Arnau klopfte mit der Hand auf den Tisch, stand auf und trat vor den Inquisitionsbeamten.

»Gehen wir«, sagte er.


Die Nachricht von Arnau Estanyols Verhaftung verbreitete sich in Barcelona und machte dann über Adlige, Händler und einfache Bauern die Runde in Katalonien.

Einige Tage später erreichte die Neuigkeit auch einen Inquisitor in einem Städtchen im Norden des Prinzipats, wo dieser gerade eine Gruppe von Einheimischen in Angst und Schrecken versetzte.

Joan sah den Inquisitionsbeamten an, der ihm die Nachricht überbrachte.

»Es scheint zu stimmen«, erklärte dieser.

Der Inquisitor sah seine Zuhörer an. Arnau verhaftet? Wie konnte das sein?

Er blickte erneut zu dem Beamten und dieser nickte mit dem Kopf.

Arnau?

Die Leute begannen, unruhig zu werden. Joan versuchte weiterzusprechen, aber er brachte kein Wort heraus. Ein weiteres Mal sah er den Beamten an und bemerkte ein Lächeln auf seinen Lippen.

»Fahrt Ihr nicht fort, Bruder Joan?«, wagte dieser zu sagen. »Die Sünder warten auf Euch.«

Joan betrachtete erneut die Zuhörer.

»Wir brechen nach Barcelona auf«, befahl er dann.


Auf dem Weg in die gräfliche Stadt kam Joan ganz in der Nähe der Besitzungen des Barons von Granollers vorbei. Hätte er nur einen kleinen Umweg gemacht, so hätte er sehen können, wie der Vogt von Montbui und andere, Arnau untergebene Grundherren umherzogen und die Bauern drangsalierten, die nun wieder den Gebräuchen unterworfen waren, die Arnau einst abgeschafft hatte. »Es heißt, die Baronin selbst habe Arnau angezeigt«, behauptete einer.

Doch Joan kam nicht durch Arnaus Besitz. Seit sie aufgebrochen waren, hatte er kein Wort mit dem Hauptmann oder einem anderen aus der Reisegesellschaft gewechselt, nicht einmal mit dem Schreiber. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass er ihre Unterhaltungen mit anhörte.

»Sieht so aus, als hätte man ihn wegen Ketzerei verhaftet«, sagte einer der Soldaten laut genug, damit Joan es hören konnte.

»Den Bruder eines Inquisitors?«, entgegnete ein anderer.

»Nicolau Eimeric wird schon alles aus ihm herausbekommen«, mischte sich nun auch der Hauptmann ein.

Joan erinnerte sich an Nicolau Eimeric. Wie oft hatte er ihn zu seiner Arbeit als Inquisitor beglückwünscht?

»Man muss die Häresie bekämpfen, Bruder Joan … Man muss die Sünde im Gewand des vorgeblich Guten suchen, in den Schlafgemächern der Leute, bei ihren Kindern und Ehepartnern.«

Und das hatte er getan. »Man darf nicht zögern, sie zu foltern, damit sie gestehen.« Auch das hatte er getan, immer wieder. Welche Folter hatte Eimeric wohl bei Arnau angewandt, damit sich dieser als Ketzer bekannte?

Joan ging schneller. Der schmutzige, zerschlissene schwarze Habit schlug ihm gegen die Beine.


»Durch seine Schuld bin ich in diese Lage geraten«, sagte Genis Puig, während er im Raum auf und ab ging. »Früher, da hatte ich alles …«

»Geld, Frauen, Macht«, nahm ihm der Baron das Wort aus dem Mund, doch der andere achtete nicht auf ihn. Aufgebracht durchmaß er weiter den Burgturm von Navarcles.

»Meine Eltern und mein Bruder sind wie einfache Bauern gestorben, von Hunger und Krankheiten geschwächt, die nur die Armen heimsuchen, und ich …«

»… bin nur ein einfacher Ritter ohne Truppen, die ich dem König zur Verfügung stellen könnte«, beendete der Baron gelangweilt den tausendmal gehörten Satz.

Genis Puig blieb vor Jaume, dem Sohn Llorenç de Belleras, stehen.

»Findest du das witzig?«

Der Herr von Bellera rührte sich nicht aus dem Lehnstuhl, von dem aus er Genis' Wanderungen durch den Burgturm beobachtet hatte.

»Ja«, antwortete er dann, »mehr als witzig. Deine Gründe, Arnau Estanyol zu hassen, erscheinen mir lächerlich, verglichen mit den meinen.«

Jaume de Bellera blickte zur Decke.

»Kannst du nicht endlich aufhören, im Kreis zu laufen?«

»Wie lange braucht dein Hauptmann denn noch?«, fragte Genis, während er weiter den Turm durchmaß.

Die beiden warteten auf Bestätigung der Nachrichten, die Margarida Puig in einer vorherigen Botschaft bereits angedeutet hatte. Genis Puig hatte seine Schwester von Navarcles aus überredet, während der vielen Stunden, die Elionor alleine im ehemaligen Palast der Puigs verbrachte, das Vertrauen der Baronin zu gewinnen, was Margarida nicht besonders schwerfiel. Elionor brauchte eine Vertraute, die ihren Ehemann genauso hasste wie sie selbst. Es war Margarida, die Elionor hinterhältig darüber informiert hatte, wo Arnau hinging. Margarida war es, die sich das Liebesverhältnis zwischen Arnau und Raquel ausgedacht hatte. Sobald Arnau Estanyol wegen der Beziehung zu einer Jüdin festgenommen war, würden Jaume de Bellera und Genis Puig den nächsten Schritt unternehmen.

»Die Inquisition hat Arnau Estanyol verhaftet«, bestätigte der Hauptmann, als er den Burgfried betrat.

»Also hatte Margarida recht«, entfuhr es Genis.

»Sei still«, befahl der Herr de Bellera aus seinem Lehnstuhl. »Fahr fort«, wandte er sich an den Hauptmann.

»Er wurde vor drei Tagen während einer Gerichtsverhandlung im Seekonsulat festgenommen.«

»Wie lautet die Anklage?«, fragte der Baron.

»Darüber besteht Unklarheit. Einige behaupten, sie laute auf Ketzerei, andere glauben, wegen Judenfreundlichkeit oder weil er eine Beziehung zu einer Jüdin unterhalten habe. Noch wurde ihm nicht der Prozess gemacht. Er befindet sich in den Verliesen des Bischofspalastes. Die halbe Stadt ist für ihn und die andere Hälfte gegen ihn, doch alle stehen vor seiner Wechselstube Schlange, um ihre Ersparnisse zu retten. Ich habe sie selbst gesehen. Die Leute prügeln sich darum, ihr Geld zurückzubekommen.«

»Bekommen sie denn etwas ausgezahlt?«, fragte Genis.

»Im Moment schon, aber alle wissen, dass Arnau Estanyol viel Geld an mittellose Leute verliehen hat, und wenn er dieses Geld nicht zurückbekommt … Deshalb prügeln sich die Leute auch, weil sie befürchten, dass die Solvenz nicht von langer Dauer ist. Es ist ein großes Durcheinander.«

Jaume de Bellera und Genis Puig sahen sich an.

»Der Fall beginnt«, sagte der Ritter.

»Such die Hure, die mich als Amme genährt hat«, befahl der Baron dem Hauptmann, »und wirf sie ins Burgverlies!«

Genis Puig pflichtete dem Herrn von Bellera bei und trieb den Hauptmann zur Eile an.

»Diese verhexte Milch war nicht für mich bestimmt, sondern für ihren Sohn, Arnau Estanyol«, hatte er ihn immer wieder sagen hören. »Aber während er Geld hat und hoch in der Gunst des Königs steht, leide ich an den Folgen der Krankheit, die seine Mutter an mich weitergab.«

Jaume de Bellera hatte bis zum Bischof gehen müssen, damit die Epilepsie, unter der er litt, nicht als Teufelswerk betrachtet wurde. Doch die Inquisition würde nicht daran zweifeln, dass Francesca vom Teufel besessen war.


»Ich will meinen Bruder sehen«, verlangte Joan von Nicolau Eimeric, kaum dass er den Bischofspalast betreten hatte.

Die Augen des Generalinquisitors verengten sich.

»Du solltest dafür sorgen, dass er seine Schuld bekennt und Reue zeigt.«

»Wie lautet die Anklage?«

Nicolau Eimeric zuckte hinter dem Tisch zusammen, an dem er ihn empfangen hatte.

»Ich soll dir sagen, wessen man ihn beklagt? Du bist ein guter Inquisitor, aber … Versuchst du womöglich, deinem Bruder zu helfen?« Joan senkte den Blick. »Ich kann dir lediglich sagen, dass es sich um eine ernste Sache handelt. Ich werde dir gestatten, ihn jederzeit zu besuchen, wenn du versprichst, dass deine Besuche dem Ziel dienen, ein Geständnis von Arnau zu erreichen.«

Zehn Peitschenhiebe, fünfzehn, fünfundzwanzig … Wie oft hatte er in den letzten Jahren diesen Befehl gegeben? »Bis er gesteht!«, hatte er den Büttel angewiesen, der ihn begleitete. Und nun forderte man ihn auf, seinen eigenen Bruder zu einem Geständnis zu bringen. Wie sollte er das erreichen? Joan wollte antworten, doch er kam nicht dazu.

»Es ist deine Pflicht«, erinnerte ihn Eimeric.

»Er ist mein Bruder. Er ist das Einzige, was ich habe …«

»Du hast die Kirche. Du hast uns, deine Brüder im Glauben.« Der Inquisitor ließ einige Sekunden verstreichen. »Bruder Joan, ich habe nur abgewartet, weil ich wusste, dass du kommen würdest. Wenn du nicht auf meinen Vorschlag eingehst, dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.«


Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzog, als ihm der Gestank aus den Verliesen des Bischofspalasts entgegenschlug. Während er den Korridor entlangging, der ihn zu Arnau führen würde, hörte Joan das Wasser von den Wänden tropfen und das Trippeln der Ratten, die vor ihm davonhuschten. Er spürte, wie eine von ihnen an seinen Knöcheln entlangstrich. Diese Berührung stellte ihm die Nackenhaare auf, genau wie zuvor Nicolau Eimerics Drohung: »Dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.« Was hatte Arnau verbrochen? Wie sollte er ihm beibringen, dass er, sein eigener Bruder, sich verpflichtet hatte, ihn zu einem Geständnis zu bringen?

Der Kerkermeister öffnete die Tür des Verlieses. Ein großer, dunkler, übel riechender Raum lag vor Joan. Einige Schemen bewegten sich, und das Rasseln der Ketten, mit denen die Gefangenen an den Wänden festgeschmiedet waren, hallte dem Dominikaner in den Ohren wider. Er merkte, wie sein Magen rebellierte und ihm die Galle hochkam. »Da drüben«, sagte der Kerkermeister und deutete auf eine Gestalt, die in einer Ecke kauerte. Dann verließ er den Kerker, ohne eine Antwort abzuwarten. Als die Tür hinter ihm zuschlug, zuckte Joan zusammen. Er blieb am Eingang des Raumes stehen. Dunkelheit umfing ihn. Durch ein einziges, vergittertes Fenster hoch oben in der Wand fielen einige schwache Lichtstrahlen. Als der Kerkermeister gegangen war, begannen die Ketten zu klirren. Mehr als ein halbes Dutzend Schemen bewegte sich. Waren sie beruhigt, weil man sie nicht abgeholt hatte, oder war genau dies für sie Anlass zur Verzweiflung?, überlegte Joan, während nun ringsum Jammern und Stöhnen zu hören war. Er trat zu einem der Schemen, von dem er glaubte, dass es der war, auf den der Kerkermeister gezeigt hatte, doch als er neben der Gestalt niederkniete, blickte er in das von schwärenden Wunden entstellte, zahnlose Gesicht einer alten Frau.

Joan fiel hintenüber auf den Fußboden. »Arnau?«, wisperte er, während er versuchte, sich aufzurichten. Er rief noch einmal, lauter diesmal, in das Schweigen hinein, das er zur Antwort bekommen hatte.

»Joan?«

Rasch ging er der Stimme entgegen, die ihm den Weg zeigte. Wieder kniete er neben einer Gestalt nieder, nahm den Kopf seines Bruders in beide Hände und zog ihn an seine Brust.

»Heilige Jungfrau Maria! Was haben sie mit dir gemacht? Wie geht es dir?« Joan fuhr Arnau über das zottige Haar, die hervorstehenden Wangenknochen. »Gibt man dir nichts zu essen?«

»Doch«, antwortete Arnau. »Brot und Wasser.«

Joan betastete die Eisenringe um Arnaus Fußknöchel, dann zog er die Hände rasch zurück.

»Kannst du etwas für mich tun?«, fragte Arnau. Joan schwieg. »Du bist einer von ihnen. Du hast mir immer erzählt, dass der Inquisitor dich schätzt. Es ist unerträglich, Joan. Ich weiß nicht, seit wie vielen Tagen ich hier bin. Ich habe auf dich gewartet …«

»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«

»Hast du schon mit dem Inquisitor gesprochen?«

»Ja.« Trotz der Dunkelheit wich Joan Arnaus Blick aus.

Die beiden Brüder schwiegen.

»Und?«, fragte Arnau schließlich.

»Was hast du getan, Arnau?«

Arnau packte Joan am Arm. »Wie kannst du denken …«

»Ich muss es wissen, Arnau. Ich muss wissen, wessen man dich beschuldigt, damit ich dir helfen kann. Du weißt, dass die Anzeige nicht öffentlich gemacht wird. Nicolau wollte mir nichts sagen.«

»Worüber habt ihr dann gesprochen?«

»Über nichts«, antwortete Joan. »Ich wollte mich nicht mit ihm unterhalten, ohne dich zuvor gesehen zu haben. Ich muss wissen, worauf die Anklage hinausläuft, um Nicolau überzeugen zu können.«

»Frag Elionor.« Arnau sah wieder seine Frau vor sich, wie sie durch die Flammen hindurch, in denen ein Unschuldiger verbrannte, mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte.

»Elionor?«

»Wundert dich das?«

Joan taumelte und musste sich auf Arnau stützen.

»Was hast du, Joan?«, fragte sein Bruder und hielt ihn fest, damit er nicht stürzte.

»Dieser Ort … dich hier zu sehen … Ich glaube, mir wird schlecht.«

»Geh«, bat ihn Arnau. »Draußen nutzt du mir mehr, als wenn du hier versuchst, mich zu trösten.«

Joan stand auf. Seine Beine zitterten.

»Ja. Ich denke schon.«

Er rief den Kerkermeister und verließ die Zelle. Im Korridor ging der dicke Wärter voraus. Joan hatte ein paar Münzen in der Tasche.

»Hier, nimm«, sagte er zu ihm. Der Mann betrachtete die Münzen. »Morgen bekommst du noch mehr, wenn du meinen Bruder gut behandelst.« Nur das Trippeln der Ratten war zu hören. »Hast du gehört?«, fragte er. Die einzige Antwort war ein Grunzen, das durch den Korridor des Verlieses hallte und die Ratten verstummen ließ.


Er brauchte Geld. Vom Bischofspalast ging Joan auf direktem Wege zu Arnaus Wechselstube. Dort fand er eine Menschenmenge vor, die sich an der Ecke der Straßen Canvis Vells und Canvis Nous vor dem kleinen Haus drängte, von dem aus Arnau seine Geschäfte geleitet hatte. Joan wich zurück.

»Da ist sein Bruder!«, rief jemand.

Mehrere Personen stürzten auf ihn zu. Joan wollte die Flucht ergreifen, entschied sich jedoch anders, als er sah, dass die Leute in einigen Schritt Entfernung stehen blieben. Wie konnten sie einen Dominikanermönch angreifen? So aufrecht wie möglich setzte er seinen Weg fort.

»Was ist mit deinem Bruder, Pfaffe?«, fragte einer Joan im Vorübergehen.

Joan blieb vor dem Mann stehen, der ihn um Haupteslänge überragte.

»Mein Name ist Bruder Joan, Inquisitor des Sanctum Officium.« Er erhob die Stimme, als er sein Amt erwähnte. »Für dich bin ich der Herr Inquisitor.«

Joan sah nach oben, dem Mann direkt in die Augen. Und was sind deine Sünden?, fragte er ihn stumm. Der Mann wich zwei Schritte zurück. Als Joan seinen Weg zu dem Haus fortsetzte, machten die Leute ihm Platz. Vor den verschlossenen Türen des Geschäfts musste er erneut rufen: »Hier ist Bruder Joan, Inquisitor des Sanctum Officium!«

Drei Angestellte von Arnau ließen ihn ein. Innen herrschte heilloses Durcheinander. Die Bücher waren auf dem zerknitterten roten Tuch verteilt, das auf dem langen Tisch seines Bruders lag. Wenn Arnau das sähe …

»Ich brauche Geld«, sagte er.

Die drei Männer sahen ihn ungläubig an.

»Wir auch« antwortete der Älteste, Remigi, der Guillem ersetzt hatte.

»Was sagst du da?«

»Es ist kein einziger Sueldo mehr da, Bruder Joan.« Remigi trat an den Tisch und kippte einige Schatullen um. »Nicht ein einziger, Bruder Joan.«

»Mein Bruder hat kein Geld mehr?«

»Nichts Bares, nein. Was glaubt Ihr, was die ganzen Leute dort draußen wollen? Sie wollen ihr Geld. Seit Tagen werden wir belagert. Arnau ist immer noch sehr reich«, versuchte ihn der Angestellte zu beruhigen, »aber es ist alles investiert in Darlehen, Warengeschäfte, Transaktionen …«

»Könnt ihr nicht die Rückzahlung der Darlehen verlangen?«

»Der größte Schuldner ist der König, und Ihr wisst ja, die Truhen Seiner Majestät sind leer.«

»Gibt es sonst niemanden, der Arnau Geld schuldet?«

»Doch, viele, aber die Darlehen sind noch nicht fällig, und falls doch … Wie Ihr wisst, hat Arnau viel Geld an einfache Leute verliehen. Sie können es nicht zurückzahlen. Als sie von Arnaus Lage erfuhren, sind tatsächlich viele gekommen und haben einen Teil ihrer Schulden zurückgezahlt, so viel sie eben haben, aber es war nicht mehr als eine Geste. Wir können die Auszahlung der Einlagen nicht decken.«

Joan deutete zur Tür.

»Und wieso können sie ihr Geld zurückfordern?«

»Eigentlich können sie das nicht. Sie alle haben ihr Geld angelegt, damit Arnau es investiert, aber Geld ist feige, und die Inquisition …«

Joan hatte erneut das Grunzen des Kerkerwächters in den Ohren.

»Ich brauche Geld«, dachte er laut.

»Wie ich Euch bereits sagte: Es ist keines da«, antwortete Remigi.

»Aber ich brauche es«, beharrte Joan. »Arnau braucht es.«

Arnau brauchte Geld, vor allem aber brauchte er Ruhe, dachte Joan und sah erneut zur Tür. Dieser Aufruhr konnte ihm nur schaden. Die Leute würden denken, dass er ruiniert sei, und dann würde niemand mehr etwas auf ihn geben. Sie brauchten Unterstützung.

»Kann man nichts unternehmen, um diese Leute zu beruhigen? Können wir nichts verkaufen?«

»Wir könnten uns aus einigen Warengeschäften zurückziehen und den Anlegern Warengeschäfte vermitteln, an denen Arnau nicht beteiligt ist«, antwortete Remigi. »Aber ohne seine Ermächtigung …«

»Genügt dir meine Ermächtigung?«

Der Angestellte sah Joan an.

»Es muss sein, Remigi.«

»Ich denke schon«, gab der Angestellte schließlich nach. »Im Grunde würden wir kein Geld verlieren. Wir würden lediglich die Geschäfte verlagern. Wenn Arnau nicht beteiligt ist, werden sie beruhigt sein. Aber Ihr müsst mir Eure schriftliche Ermächtigung geben.«

Joan unterschrieb das Dokument, das Remigi vorbereitete.

»Sorge dafür, dass morgen früh Bargeld da ist«, sagte er, während er sein Unterschrift daruntersetzte. »Wir brauchen unbedingt Bargeld«, erklärte er angesichts des Blicks des Angestellten. »Verkaufe irgendetwas unter Preis, wenn es sein muss, aber wir brauchen dieses Geld.«

Nachdem Joan die Wechselstube verlassen und die Gläubiger erneut zum Schweigen gebracht hatte, machte sich Remigi daran, die laufenden Warengeschäfte durchzusehen. Noch am gleichen Tag nahm das letzte Schiff, das den Hafen von Barcelona verließ, Instruktionen für alle Handelsvertreter Arnaus rings um das Mittelmeer mit. Remigi handelte schnell. Am nächsten Tag würden die zufriedengestellten Gläubiger Arnaus neue Geschäftssituation in der Stadt bekannt machen.

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