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In Barcelona wurde immer noch gefeiert.

Es war ein bescheidenes Haus, wie die Häuser aller Bastaixos, obwohl dieses Bartolomé gehörte, einem der Zunftmeister. Wie die meisten Bastaixos wohnte auch er in einer der engen Gassen, die von Santa María, der Plaza del Born oder dem Pia d'en Llull zum Strand führten. Das Erdgeschoss, in dem sich der Herd befand, war aus Lehmziegeln gebaut, das nachträglich errichtete Obergeschoss aus Holz.

Arnau lief das Wasser im Munde zusammen angesichts des Essens, das Bartolomés Frau zubereitete: Weißbrot aus Weizenmehl, Kalbfleisch mit Gemüse, das zusammen mit Speck vor den Augen der Gäste in einer großen Pfanne auf dem Herd brutzelte, gewürzt mit Paprika, Zimt und Safran. Dazu gab es Honigwein, Käse und süße Kuchen.

»Was feiern wir?«, fragte Arnau. Ihm gegenüber am Tisch saß Joan, zu seiner Linken Bartolomé und zu seiner Rechten Pater Albert.

»Das wirst du noch erfahren«, antwortete der Pfarrer.

Arnau sah Joan an, doch dieser schwieg.

»Du wirst schon sehen«, bestätigte Bartolomé. »Jetzt iss.«

Arnau zuckte ratlos mit den Schultern, während Bartolomés älteste Tochter ihm einen Teller Fleisch und einen halben Laib Brot reichte.

»Meine Tochter Maria«, sagte Bartolomé.

Arnau nickte, doch seine Aufmerksamkeit galt dem Teller.

Als das Essen vor den vier Männern stand und der Pfarrer das Tischgebet gesprochen hatte, begannen sie schweigend zu essen. Bartolomés Frau, seine Tochter und vier weitere Kinder saßen mit ihren Tellern auf dem Fußboden, doch sie aßen lediglich den üblichen Eintopf.

Arnau kostete von dem Fleisch mit Gemüse. Welch unbekannte Genüsse! Paprika, Zimt und Safran – das aßen normalerweise nur die Adligen und reichen Händler. »Wenn wir diese Gewürze entladen«, hatte ihm einer der Hafenschiffer einmal am Strand erzählt, »dann schicken wir ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn sie ins Wasser fallen oder verderben, hätten wir nicht genug Geld, um für den Schaden aufzukommen. Der Kerker wäre uns gewiss.« Er brach ein Stück Brot und führte es zum Mund. Dann ergriff er das Glas mit dem Honigwein. Aber warum sahen sie ihn so an? Die anderen beobachteten ihn, da war er sich sicher. Nur Joan blickte nicht vom Essen auf. Arnau widmete sich wieder dem Fleisch, doch er sah aus den Augenwinkeln, wie Joan und Pater Albert sich Zeichen gaben.

»Also, was ist hier los?« Arnau legte den Löffel hin.

Bartolomé sah ihn an.

»Dein Bruder hat beschlossen, den Habit zu nehmen und in den Franziskanerorden einzutreten«, erklärte Pater Albert.

»Das ist es also.« Arnau erhob sein Weinglas und prostete Joan lächelnd zu. »Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch wunderbar!«

Doch Joan stieß nicht mit ihm an. Genauso wenig wie Bartolomé und der Priester. Arnau zögerte, sein Glas immer noch erhoben. Was war hier los? Abgesehen von den vier kleineren Kindern, die ungerührt weiteraßen, sahen ihn alle an.

Arnau stellte das Glas ab.

»Und?«, wandte er sich direkt an seinen Bruder.

»Ich kann nicht.« Arnau schaute überrascht drein. »Ich will dich nicht alleine zurücklassen. Ich werde nur in den Orden eintreten, wenn ich weiß, dass du … dass du eine gute Frau an deiner Seite hast, die zukünftige Mutter deiner Kinder.«

Joan begleitete seine Worte mit einem Seitenblick auf Bartolomés Tochter, die ihr Gesicht verbarg.

Arnau seufzte.

»Du solltest heiraten und eine Familie gründen«, mischte sich Pater Albert ein.

»Du kannst nicht alleine bleiben«, erklärte Joan.

»Es wäre eine Ehre für mich, wenn du meine Tochter Maria zur Frau nähmest«, sagte Bartolomé mit einem Blick auf seine Tochter, die sich verlegen an ihre Mutter schmiegte. »Du bist ein gesunder, fleißiger Mann, anständig und gottesfürchtig. Ich biete dir eine gute Frau, der ich genügend Mitgift gäbe, damit ihr euch eine eigene Wohnung suchen könntet. Außerdem weißt du ja, dass die Zunft ihren verheirateten Mitgliedern mehr zahlt.«

Arnau traute sich nicht, Bartolomés Blick zu folgen.

»Wir haben lange gesucht und glauben, dass Maria die Richtige für dich ist«, setzte der Pfarrer hinzu.

Arnau sah den Priester an.

»Jeder gute Christ sollte heiraten und Kinder in die Welt setzen«, riet ihm Joan.

Arnau sah seinen Bruder an, doch dieser hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Bartolomé ihm ins Wort fiel: »Denk nicht länger nach, Junge!«

»Ich werde nicht in den Orden eintreten, wenn du nicht heiratest«, beteuerte Joan noch einmal.

»Du würdest uns mit einer Heirat alle sehr glücklich machen«, sagte der Pfarrer.

»Die Zunft sähe es nicht gerne, wenn du dich weigertest und dein Bruder deswegen nicht seiner kirchlichen Berufung folgte.«

Dann sagte keiner mehr etwas. Arnau presste die Lippen aufeinander. Die Zunft! Jetzt hatte er keine Ausrede mehr.

»Und, Bruder?«, fragte Joan.

Arnau sah Joan zum ersten Mal mit anderen Augen: Er war inzwischen ein erwachsener Mann geworden. Wie hatte er das nicht bemerken können? Für ihn war er immer noch der lächelnde kleine Junge, der ihm die Stadt gezeigt hatte und mit baumelnden Beinen auf einer Kiste saß, während seine Mutter ihm mit der Hand übers Haar strich. Wie wenig hatten sie in den vergangenen vier Jahren miteinander gesprochen! Er selbst hatte immer gearbeitet, hatte Schiffe entladen, und wenn er abends nach getaner Arbeit erschöpft nach Hause kam, hatte er keine Lust zum Reden gehabt. Doch dies hier war nicht mehr der kleine Joanet von damals.

»Du würdest wirklich meinetwegen auf die Gelübde verzichten?« Plötzlich kam es ihm vor, als wären sie beide alleine.

»Ja, das würde ich.«

Alleine, nur Joan und er.

»Wir haben lange dafür gearbeitet …«

»Ja, ich weiß.«

Arnau stützte das Kinn auf und dachte eine Weile nach. Die Zunft. Bartolomé war einer der Zunftmeister. Was würden die anderen Bastaixos sagen? Er konnte Joan keinen Strich durch die Rechnung machen, nicht nach all der Mühe, die sie auf sich genommen hatten. Und außerdem: Was würde aus ihm werden, wenn Joan wegging? Er blickte zu Maria hinüber.

Bartolomé gab ihr einen Wink und das Mädchen trat schüchtern näher.

Arnau sah ein einfaches Mädchen mit lockigem Haar und sanftem Blick.

»Sie ist fünfzehn«, hörte er Bartolomé sagen, als Maria neben dem Tisch stand. Von den vier Männern beobachtet, verschränkte sie die Hände und sah zu Boden. »Maria!«, rief ihr Vater mahnend.

Das Mädchen blickte errötend zu Arnau, während es unsicher die Hände knetete.

Diesmal wich Arnau ihrem Blick aus. Bartolomé wurde unruhig, als er sein Zögern bemerkte. Das Mädchen seufzte. Weinte sie? Er hatte sie nicht beleidigen wollen.

»Einverstanden«, schlug er ein.

Joan erhob sein Glas und Bartolomé und der Pfarrer taten es ihm rasch nach. Auch Arnau ergriff sein Glas.

»Du machst mich sehr glücklich«, sagte Joan.

»Auf die Brautleute!«, rief Bartolomé.


Hundertsechzig Tage! Nach den Vorschriften der Kirche gab es hundertsechzig Fastentage im Jahr, und an jedem dieser Tage ging Aledis wie alle Frauen in Barcelona zum Strand gleich bei der Kirche Santa María, um auf einem der beiden Fischmärkte der gräflichen Stadt Fisch zu kaufen.

Wenn sie ein Schiff sah, blickte Aledis zum Ufer hinunter, wo die Lastschiffer die Waren ein- oder ausluden. Ein paar Mal hatte sie ihn gesehen, die Muskeln unter der Haut zum Bersten angespannt. Dann durchlief Aledis ein Schauder, und sie begann die Stunden bis zum Abend zu zählen, wenn ihr Mann schlief und sie in der Werkstatt mit ihm und ihrer Erinnerung allein sein konnte. Dank der Fastentage lernte Aledis den Tagesablauf der Bastaixos kennen. Wenn kein Schiff zu entladen war, schleppten sie Steine nach Santa María. Nach der ersten Tour löste sich die Reihe der Bastaixos auf, und jeder machte den Rückweg für sich, ohne auf die anderen zu warten.

An diesem Morgen war Arnau unterwegs, um einen weiteren Stein zu holen. Alleine. Es war Sommer und er hielt die Capçana in der Hand. Aledis sah ihn mit nacktem Oberkörper am Fischmarkt vorübergehen. Der Schweiß, der seinen Körper bedeckte, glänzte in der Sonne, und er lächelte jedem zu, der ihm begegnete. Aledis verließ die Schlange, in der sie anstand. Es lag ihr auf den Lippen, seinen Namen zu rufen. Doch es ging nicht. Die Frauen in der Schlange sahen sie an. Die Alte, die hinter ihr anstand, zeigte auf den freien Platz, und Aledis ließ sie vor. Wie sollte sie diese ganzen neugierigen Klatschweiber von sich ablenken? Sie täuschte eine Übelkeit vor, und jemand trat zu ihr, um ihr zu helfen. Doch Aledis lehnte ab. Die Frauen lächelten. Sie würgte erneut und lief dann davon, während einige Schwangere vielsagende Blicke tauschten.

Arnau ging am Strand entlang zum königlichen Steinbruch auf dem Montjuïc. Wie sollte sie ihn nur einholen? Aledis lief durch die Calle de la Mar zur Plaza del Blat und von dort nach links durch das alte Stadttor in der römischen Stadtmauer neben dem stadtrichterlichen Palast, dann immer geradeaus zur Calle de la Boquería und dem Stadttor gleichen Namens. Sie musste ihn einfach einholen. Die Leute sahen sie schon an. Das Mädchen lief durch das Stadttor der Boquería und flog den Weg zum Montjuïc hinauf. Er musste dort sein …

»Arnau!«

Arnau blieb mitten auf dem Anstieg zum Steinbruch stehen und wandte sich zu der Frau um, die hinter ihm herlief.

»Aledis? Was machst du denn hier?«

Aledis schnappte nach Luft. Was sollte sie jetzt nur sagen?

»Ist etwas, Aledis?«

Sie krümmte sich, presste die Hände auf den Bauch, und diesmal musste sie die Übelkeit nicht vortäuschen. Sie war zu schnell gerannt, ihr Herz jagte, und ihr Magen verkrampfte sich. Arnau trat zu ihr und fasste sie bei den Armen. Die Berührung ließ das Mädchen erschaudern.

»Was hast du denn?«

Aledis hob das Gesicht und sah sich Arnaus immer noch schweißnasser Brust gegenüber. Sie sog seinen Geruch ein.

»Was hast du?«, fragte Arnau noch einmal und versuchte sie aufzurichten. Aledis fiel ihm in die Arme.

»Mein Gott!«, flüsterte sie.

Sie schmiegte ihren Kopf an seinen Hals und begann ihn zu küssen.

»Was machst du da?«

Arnau versuchte sie wegzuschieben, doch das Mädchen klammerte sich an ihn.

Als Stimmen hinter einer Wegbiegung zu hören waren, erschrak Arnau. Die Bastaixos! Wie sollte er ihnen erklären …? Vielleicht war auch Bartolomé dabei. Wenn sie ihn so fanden, in inniger Umarmung mit Aledis, die ihn küsste … Sie würden ihn aus der Zunft ausschließen! Arnau fasste Aledis um die Taille, hob sie hoch und verließ den Weg, um sich hinter einem Gebüsch zu verstecken. Dort hielt er ihr den Mund zu.

Die Stimmen kamen näher und gingen vorbei, doch Arnau achtete nicht auf sie. Er setzte sich auf den Boden, Aledis auf seinem Schoß. Mit der einen Hand hielt er sie um die Taille gepackt, mit der anderen verschloss er ihr den Mund. Das Mädchen sah ihn an. Diese wunderschönen Augen! Plötzlich merkte Arnau, dass er sie umarmte. Seine Hand ruhte auf Aledis' Bauch, und ihre Brüste drängten sich verlangend gegen ihn. Das Mädchen atmete heftig. Wie viele Nächte hatte er davon geträumt, sie in seinen Armen zu halten? Wie viele Nächte hatte er sich in Gedanken ihren Körper ausgemalt? Aledis sah ihn nur an, blickte mit ihren großen, dunklen Augen bis tief in sein Innerstes.

Er nahm die Hand von ihrem Mund.

»Ich brauche dich«, hörte er sie flüstern.

Dann näherten sich ihre Lippen den seinen und küssten ihn, sanft, weich, voller Verlangen.

Arnau erschauderte.

Aledis zitterte.

Keiner der beiden sprach ein weiteres Wort.

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