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Das Tribunal war bereits zusammengetreten. Die vier Dominikaner und der Schreiber saßen hinter dem Tisch, die Wachen standen an der Tür, und Arnau wartete in der Mitte des Raumes. Er war genauso schmutzig wie am Tag zuvor.

Kurz darauf betraten Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill, Prunk und Hochmut vor sich hertragend, den Saal. Die Soldaten salutierten, und die übrigen Mitglieder des Tribunals erhoben sich, bis die beiden ihre Plätze eingenommen hatten.

»Die Verhandlung ist eröffnet«, sagte Nicolau, und dann, an Arnau gewandt: »Ich erinnere dich daran, dass du nach wie vor unter Eid stehst.«

»Dieser Mann«, hatte er dem Bischof auf dem Weg zum Gerichtssaal gesagt, »wird eher wegen des geleisteten Eids sprechen als aus Angst vor der Folter.«

»Verlies noch einmal die letzten Worte des Gefangenen«, wandte sich Nicolau nun an den Schreiber.

»Sie folgen nur ihrem Glauben und ihren Überzeugungen, genau wie wir.« Seine eigene Aussage traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Während seine Gedanken ständig bei Mar und Aledis waren, hatte er die ganze Nacht darüber nachgegrübelt, was er gesagt hatte. Nicolau hatte ihm keine Möglichkeit gegeben, sich näher zu erklären, aber was gab es da auch zu erklären? Was sollte er diesen Ketzerjägern sein Verhältnis zu Raquel und ihrer Familie darlegen? Der Schreiber las weiter. Er durfte die Ermittlungen nicht auf Raquel lenken. Die Familie hatte schon genug unter Hasdais Tod gelitten, um ihnen nun auch noch die Inquisition auf den Hals zu hetzen …

»Bist du der Ansicht, der christliche Glaube reduziere sich auf Überzeugungen oder Glaubenslehren, die der Mensch nach Belieben annehmen könne?«, fragte Berenguer d'Erill. »Vermag ein einfacher Sterblicher über die göttlichen Gebote zu urteilen?«

Warum nicht? Arnau sah Nicolau an. Waren er und seinesgleichen keine einfachen Sterblichen? Sie würden ihn verbrennen. Sie würden ihn verbrennen, wie sie Hasdai und so viele andere verbrannt hatten. Es lief ihm kalt den Rücken herunter.

»Ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt«, sagte er schließlich.

»Wie würdest du es denn richtig ausdrücken?«, hakte Nicolau nach.

»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht Eure Kenntnisse. Ich kann nur sagen, dass ich an Gott glaube, dass ich ein guter Christ bin und mich stets an Seine Lehren gehalten habe.«

»Entspricht es für dich der göttlichen Lehre, den Leichnam deines Vaters zu verbrennen?«, brüllte der Inquisitor, während er aufsprang und mit beiden Händen auf die Tischplatte einschlug.


Raquel erschien im Schutz der Dunkelheit im Haus ihres Bruders, wie sie mit diesem vereinbart hatte.

»Sahat!« Mehr brachte sie nicht heraus, während sie in der Tür stehen blieb.

Guillem erhob sich vom Tisch, an dem er mit Jucef gesessen hatte.

»Es tut mir leid, Raquel.«

Die Frau verzog schmerzlich das Gesicht. Guillem stand einige Schritte entfernt, aber eine kaum merkliche Bewegung von ihr genügte, damit er zu ihr trat und sie umarmte. Guillem drückte sie an sich und wollte sie trösten, doch seine Stimme versagte. »Lass den Tränen freien Lauf, Raquel«, dachte er, »damit das Brennen in deinen Augen aufhört.«

Nach wenigen Momenten machte sich Raquel von Guillem los und wischte ihre Tränen weg.

»Du bist wegen Arnau hier, nicht wahr?«, fragte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. Als Guillem nickte, setzte sie hinzu: »Du musst ihm helfen. Wir können nicht viel tun, ohne alles noch schlimmer zu machen.«

»Ich sagte deinem Bruder gerade, dass ich ein Empfehlungsschreiben für den Hof brauche.«

Raquel sah ihren Bruder, der am Tisch sitzen geblieben war, fragend an.

»Und wir werden es bekommen«, beteuerte er. »Infant Don Juan und sein Gefolge, Mitglieder des königlichen Hofstaats und weitere führende Männer des Landes haben sich zum Parlament in Barcelona versammelt, um die Sardinienfrage zu erörtern. Es ist ein guter Augenblick.«

»Was hast du vor, Sahat?«, fragte Raquel.

»Ich weiß es noch nicht. Du hast mir geschrieben, der König sei mit dem Inquisitor verfeindet«, setzte er dann, an Jucef gewandt, hinzu. Dieser nickte. »Und was ist mit seinem Sohn?«

»Der noch viel mehr«, sagte Jucef. »Der Infant ist ein Mäzen der Kunst und der Kultur. Er liebt Musik und Poesie und an seinem Hof in Gerona versammeln sich Dichter und Philosophen. Keiner von ihnen heißt Eimerics Angriff auf Ramon Llull gut. Die Inquisition genießt bei den katalanischen Denkern kein hohes Ansehen. Anfang des Jahrhunderts wurden vierzehn Werke des Arztes Arnau de Vilanova als ketzerisch verurteilt. Eimeric selbst erklärte das Werk des Nicolas de Calabria zur Häresie, und nun verfolgen sie mit Ramon Llull einen weiteren großen Gelehrten. Aus Angst davor, wie Eimeric ihre Texte auslegen könnte, wagen es nur noch wenige, überhaupt zu schreiben. Nicolas de Calabria endete auf dem Scheiterhaufen. Und wenn jemand etwas gegen die Pläne des Inquisitors haben könnte, seine Rechtsprechung auf die jüdischen Gemeinden Kataloniens auszuweiten, so ist es der Infant, bedenkt man, dass dieser von den Steuern lebt, die wir ihm zahlen. Er wird dich anhören«, sagte Jucef überzeugt. »Doch mach dir nichts vor. Er wird sich kaum direkt mit der Inquisition anlegen.«

Guillem nickte still.


Nicolau stand vor Arnau, die Hände auf die Tischplatte gestützt. Sein Gesicht war rot angelaufen.

»Dein Vater«, zischte er, »war ein Teufel, der das Volk aufhetzte. Deshalb wurde er hingerichtet, und deshalb hast du ihn verbrannt, damit er wie ein Teufel stirbt.«

Mit diesen Worten endete Nicolau, während er mit dem Finger auf Arnau zeigte.

Woher wusste er das? Nur eine Person wusste davon … Die Feder des Schreibers kratzte über das Pergament. Es konnte einfach nicht sein. Nicht Joan … Arnau spürte, wie seine Beine nachgaben.

»Bestreitest du, den Leichnam deines Vaters verbrannt zu haben?«, fragte Berenguer d'Erill.

Joan konnte ihn nicht denunziert haben!

»Bestreitest du es?«, donnerte Nicolau.

Die Gesichter der Tribunalsmitglieder verschwammen. Arnau kämpfte mit der Übelkeit.

»Wir hatten Hunger!«, brach es aus ihm heraus. »Habt Ihr schon einmal gehungert?« Das violett verfärbte Gesicht seines Vaters mit der heraushängenden Zunge verschwamm mit den Gesichtern derer, die ihn nun ansahen. Hatte Joan ihn verraten? War er deshalb nicht mehr zu ihm gekommen?

»Wir hatten Hunger!« Ich an deiner Stelle würde mich nicht unterwerfen, hörte Arnau seinen Vater sagen. »Habt Ihr schon einmal gehungert?«

Arnau wollte sich auf Nicolau stürzen, der immer noch selbstherrlich vor ihm stand und ihn durchdringend ansah, doch bevor er ihn zu packen bekam, waren die Soldaten zur Stelle und schleiften ihn wieder in die Mitte des Raumes.

»Hast du deinen Vater verbrannt wie einen Dämon?«, brüllte Nicolau noch einmal.

»Mein Vater war kein Dämon!«, brüllte Arnau zurück, während er sich zwischen den Soldaten aufbäumte, die ihn festhielten.

»Aber du hast seinen Leichnam verbrannt.«

Warum hast du das getan, Joan? Du warst mein Bruder, und Bernat … Bernat hat dich geliebt wie einen Sohn. Arnau ließ den Kopf hängen und gab seinen Widerstand auf. Warum?

»Hast du auf Befehl deiner Mutter gehandelt?«

Arnau hob willenlos den Kopf.

»Deine Mutter ist eine Hexe, die das dämonische Leiden der Fallsucht weitergibt«, erklärte der Bischof.

Was redeten diese Männer da?

»Dein Vater hat einen Jungen ermordet, um dich zu befreien. Gestehst du das?«, schrie Nicolau.

»Was?«, brachte Arnau heraus.

»Auch du« – mit diesen Worten deutete Nicolau auf ihn – »hast einen Christenjungen getötet. Was hattest du mit ihm vor?«

»Haben deine Eltern es dir befohlen?«, fragte der Bischof.

»Wolltest du sein Herz?«, drang Nicolau in ihn.

»Wie viele Kinder hast du ermordet?«

»In welchem Verhältnis stehst du zu den Ketzern?«

Der Inquisitor und der Bischof bombardierten ihn mit Fragen. Arnau ließ erneut den Kopf hängen. Er zitterte.

»Gestehst du?«

Arnau rührte sich nicht. Das Tribunal ließ die Zeit verstreichen. Arnau hing kraftlos zwischen den Wachen. Schließlich gab Nicolau den Soldaten ein Zeichen, den Gefangenen aus dem Saal zu bringen. Arnau merkte, wie sie ihn davonschleiften.

»Wartet!«, befahl der Inquisitor, als sie schon an der Tür standen. Die Soldaten wandten sich zu ihm um. »Arnau Estanyol!«, rief er, und noch einmal: »Arnau Estanyol!«

Arnau hob langsam den Kopf und sah Nicolau an.

»Bringt ihn weg«, sagte der Inquisitor, nachdem er Arnau prüfend angesehen hatte. »Notiert, Schreiber«, hörte Arnau im Hinausgehen Nicolau sagen: »Der Gefangene leugnete keine der vom Tribunal vorgetragenen Beschuldigungen, verweigerte jedoch ein Geständnis, indem er einen Schwächeanfall vortäuschte. Dass dieser nur gespielt war, zeigte sich, als der Gefangene beim Verlassen des Saales, von weiterer Befragung befreit, durchaus auf die Ansprache des Gerichts reagierte.«

Das kratzende Geräusch der Feder verfolgte Arnau bis in den Kerker.


Guillem wies seine Sklaven an, sein Gepäck zum Handelshof ganz in der Nähe des Hostal del Estanyer zu bringen, dessen Besitzer die Nachricht mit Bedauern hörte. Guillem musste Mar zurücklassen, doch er konnte es nicht riskieren, von Genis Puig erkannt zu werden. Alle Versuche des Wirtes, den reichen Händler in seinem Haus zu halten, wurde von den beiden Sklaven mit einem Kopfschütteln abgelehnt. »Was will ich mit Adligen, die nicht zahlen?«, murmelte er, als er das Geld zählte, das ihm Guillems Sklaven überreicht hatten.

Vom Judenviertel ging Guillem direkt zum Handelshof. Keiner der Händler, die für die Dauer ihres Aufenthaltes dort Quartier bezogen hatten, wussten von seiner früheren Beziehung zu Arnau.

»Ich habe ein Unternehmen in Pisa«, antwortete er einem sizilianischen Händler, der sich beim Essen an seinen Tisch setzte und sich für ihn interessierte.

»Was hat dich nach Barcelona geführt?«, erkundigte sich der Sizilianer.

»Ein Freund von mir ist in Schwierigkeiten«, hätte er beinahe geantwortet. Der Sizilianer war ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit markanten Gesichtszügen. Er stellte sich als Jacopo Lercardo vor. Guillem hatte lange und ausführlich mit Jucef gesprochen, aber es war immer gut, eine weitere Meinung zu hören.

»Vor Jahren hatte ich gute Kontakte nach Katalonien, und nun nutze ich eine Reise nach Valencia, um ein wenig den Markt zu erkunden.«

»Da gibt es nicht viel zu erkunden«, sagte der Sizilianer, während er unverdrossen weiter sein Essen löffelte.

Guillem wartete, dass er weitersprach, doch Jacopo widmete sich stattdessen seinem Fleischeintopf. Dieser Mann würde nur mit jemandem sprechen, der das Geschäft ebenso gut kannte wie er selbst.

»Ich habe festgestellt, dass sich die Situation seit meinem letzten Aufenthalt sehr verändert hat. Auf den Märkten fehlen die Bauern; ihre Stände bleiben leer. Ich erinnere mich, dass der Marktaufseher vor Jahren zwischen den konkurrierenden Händlern und Bauern schlichten musste.«

»Heute hat er nichts mehr zu tun«, sagte der Sizilianer lächelnd. »Die Bauern produzieren nichts und kommen nicht mehr auf die Märkte, um ihre Waren zu verkaufen. Seuchen haben die Bevölkerung dezimiert und die Erde gibt nichts mehr her. Selbst die Grundherren verlassen ihr Land und lassen ihre Felder veröden. Das Volk strömt dorthin, wo du gerade herkommst: nach Valencia.«

»Ich habe einige alte Bekannte besucht.« Der Sizilianer sah ihn über seinen Löffel hinweg an. »Sie riskieren ihr Geld nicht mehr im Handel, sondern kaufen stattdessen Anleihen der Stadt. Sie sind zu Rentiers geworden. Ihnen zufolge war die Stadt vor neun Jahren mit etwa 169.000 Libras verschuldet; heute sind es um die 200.000 Libras, und es wird immer mehr. Die Stadt kann die Auszahlung der Rendite nicht länger garantieren. Sie wird sich ruinieren.«

Guillem dachte an die ewige Diskussion um das Zinsverbot der Christen. Nach dem Rückgang des Handels und damit der lohnenden Warengeschäfte war es ihnen erneut gelungen, das gesetzliche Verbot zu umgehen, indem sie die Anleihen erfunden hatten. Dabei gaben die Reichen der Stadt eine Summe Geldes, und diese verpflichtete sich zu einer jährlichen Rückzahlung, in der ganz offensichtlich die verbotenen Zinsen enthalten waren. Oft musste bei der Rückzahlung ein Drittel der ursprünglichen Summe zusätzlich gezahlt werden. Zudem barg das Verleihen von Geld an die Stadt wesentlich weniger Risiken als die Handelsschifffahrt … solange Barcelona zahlen konnte.

»Aber bis es zum Ruin kommt«, riss ihn der Sizilianer aus seinen Gedanken, »ist die Situation im Prinzipat ganz hervorragend, um Geld zu verdienen.«

»Wenn man verkauft«, warf Guillem ein.

»Vor allem.« Guillem merkte, dass der Sizilianer Vertrauen fasste. »Aber man kann auch kaufen, solange man auf die richtige Währung setzt. Das Verhältnis des Goldflorins zum Silbercroat ist völlig abwegig und nicht mit den Wechselkursen auf ausländischen Märkten zu vergleichen. Das Silber wird förmlich aus Katalonien herausgeschwemmt, der König indes hält trotzdem gegen den Markt am Wert des Florins fest. Das wird ihn sehr teuer zu stehen kommen.«

»Weshalb glaubst du, dass er daran festhalten wird?«, fragte Guillem neugierig. »König Pedro ist stets ein kluger Herrscher gewesen …«

»Aus rein politischem Interesse«, erklärte Jacopo. »Der Florin ist die königliche Münze und wird unter direkter Aufsicht des Königs in Montpellier geprägt. Der Croat hingegen wird mit königlicher Konzession in Städten wie Barcelona oder Valencia geprägt. Der König will den Wert seiner Münze halten, selbst wenn es ein Fehler ist. Für uns jedoch ist es der beste Fehler, den er begehen kann. Der König hat den Wert des Goldes im Vergleich zum Silber dreizehnmal höher angesetzt, als dieses tatsächlich auf anderen Märkten kostet!«

»Und die königlichen Schatullen?«

Das war der Punkt, auf den Guillem hinauswollte.

»Dreizehnfach überbewertet!«, lachte der Sizilianer. »Der König befindet sich nach wie vor im Krieg mit Kastilien, auch wenn es ganz danach aussieht, als wäre er bald beendet. Pedro der Grausame hat Probleme mit seinen Adligen, die sich auf die Seite Heinrich von Trastámaras gestellt haben. Dem hiesigen König halten nur die Städte und, wie es aussieht, die Juden die Treue. Der Krieg gegen Kastilien hat den König ruiniert. Vor vier Jahren gewährten ihm die Cortes von Monzón eine Unterstützung von 270.000 Libras im Gegenzug für weitere Zugeständnisse an Adlige und Städte. Der König steckt dieses Geld in den Krieg, verliert dabei aber immer weitere Privilegien. Nun gibt es auch noch einen neuen Aufstand in Korsika. Solltest du Geld im Königshaus investiert haben – vergiss es.«

Guillem hörte dem Sizilianer nicht länger zu und beschränkte sich darauf, mit dem Kopf zu nicken oder zu lächeln, wenn es ihm angebracht erschien. Der König war ruiniert und Arnau war einer seiner größten Gläubiger. Als Guillem Barcelona verlassen hatte, hatten die Darlehen an das Königshaus über zehntausend Libras betragen. Wie viel mochte es heute sein? Er konnte nicht einmal die Zinsen bezahlt haben. »Sie werden ihn hinrichten.« Joans Urteil kam ihm wieder in den Sinn. »Nicolau wird Arnau benutzen, um seine Macht zu stärken«, hatte Jucef zu ihm gesagt. »Der König bleibt dem Papst die Abgaben schuldig und Eimeric hat ihm einen Anteil an Arnaus Vermögen versprochen.« Würde König Pedro bereit sein, in der Schuld eines Papstes zu stehen, der soeben einen Aufstand in Korsika unterstützt hatte, indem er das Recht der aragonesischen Krone an der Insel bestritt? Aber wie sollte er es anstellen, dass der König sich mit der Inquisition anlegte?


»Euer Vorschlag interessiert uns.«

Die Stimme des Infanten verlor sich in der Weite des Salón del Tinell. Der Infant war erst sechzehn Jahre alt, stand aber seit Kurzem im Namen seines Vaters dem Parlament vor, das über den korsischen Aufstand beraten sollte. Guillem betrachtete verstohlen den Thronfolger. Er saß auf seinem Thron, neben ihm standen seine beiden Ratgeber Juan Fernández de Heredia und Francesc de Perellós. Es hieß von ihm, er sei schwach, doch vor zwei Jahren hatte dieser Junge einen Mann verurteilen und hinrichten müssen, der von Geburt an sein Vormund gewesen war: Bernat de Cabrera. Nachdem er seine Enthauptung auf dem Marktplatz von Zaragoza angeordnet hatte, musste der Infant das Haupt des Vicomte seinem Vater König Pedro übersenden.

Am Nachmittag hatte Guillem mit Francesc de Perellós sprechen können. Nachdem der Ratgeber ihn aufmerksam angehört hatte, bat er ihn, vor einer kleinen Tür zu warten. Als man ihn nach langem Warten vorließ, stand Guillem auf einmal in dem eindrucksvollsten Raum, den er jemals betreten hatte: Er war über dreißig Meter lang, mit sechs mächtigen Rundbögen, die fast bis zum Boden reichten. Die Wände waren kahl und von Fackeln erleuchtet. Der Infant und seine Ratgeber hatten ihn am Ende des Saals erwartet.

Einige Schritte vom Thron entfernt hatte er das Knie gebeugt und gewartet, bis Francesc de Perellós ihm mit einem Blick zu verstehen gab, dass er sprechen sollte.

»Euer Vorschlag interessiert uns sogar sehr«, sagte der Infant noch einmal, nachdem Guillem geendet hatte. »Aber denkt daran, dass wir uns nicht mit der Inquisition überwerfen können.«

»Das müsst Ihr nicht, hoher Herr.«

»So sei es«, beschloss der Infant. Dann erhob er sich und verließ den Saal in Begleitung von Juan Fernández de Heredia.

»Erhebt Euch«, forderte Francesc de Perellós Guillem auf. »Wann soll es so weit sein?«

»Morgen, wenn möglich. Andernfalls übermorgen.«

»Ich werde dem Stadtrichter Bescheid geben.«


Als Guillem den königlichen Palast verließ, wurde es gerade dunkel. Er sah in den klaren Mittelmeerhimmel hinauf und atmete tief ein. Ihm blieb noch viel zu tun.

Am Nachmittag, noch während des Gesprächs mit dem Sizilianer Jacopo, hatte er eine Nachricht von Jucef erhalten: »Der Ratgeber Francesc de Perellós wird dich heute Nachmittag nach der Parlamentssitzung im königlichen Palast empfangen.« Guillem wusste, wie er das Interesse des Infanten wecken konnte. Es war ganz einfach: Indem man der Krone die umfangreichen Schulden erließ, die in Arnaus Büchern vermerkt waren, damit sie nicht in die Hände des Papstes gelangten. Aber wie konnte man Arnau befreien, ohne dass sich der Herzog von Gerona offen mit der Inquisition überwerfen musste?

Guillem hatte einen Spaziergang unternommen, bevor er zum königlichen Palast gegangen war. Sein Weg hatte ihn zu Arnaus Wechselstube geführt. Sie war geschlossen. Die Bücher musste Nicolau Eimeric an sich genommen haben, um Scheinverkäufe zu verhindern. Von Arnaus Angestellten war nichts zu sehen. Guillem blickte zur Kirche Santa María, die von Gerüsten umgeben war. Wie war es möglich, dass ein Mann, der alles für diese Kirche gegeben hatte …? Sein Weg führte ihn weiter zum Seekonsulat und zum Strand.

»Wie geht es deinem Herrn?«, hörte er eine Stimme hinter sich fragen.

Guillem drehte sich um und stand vor einem Bastaix, der einen riesigen Sack auf dem Rücken trug. Arnau hatte ihm vor Jahren Geld geliehen und er hatte es Münze für Münze zurückgezahlt. Guillem hob die Schultern und machte ein ratloses Gesicht. Plötzlich war er von einer ganzen Reihe Bastaixos umringt, die gerade ein Schiff entluden. »Was ist mit Arnau los?«, wurde er gefragt. »Wie kann man ihn der Ketzerei beschuldigen?« Diesem Mann hatte er ebenfalls Geld geliehen. Für die Aussteuer einer seiner Töchter? Wie viele von ihnen hatten Hilfe bei Arnau gesucht? »Wenn du ihn siehst«, sagte ein anderer, »dann richte ihm aus, dass eine Kerze für ihn vor dem Gnadenbild brennt. Wir sorgen dafür, dass sie nie verlischt.« Guillem versuchte, sich dafür zu entschuldigen, dass er nichts Näheres wusste, doch die Bastaixos ließen ihn nicht zu Wort kommen. Nachdem sie auf die Inquisition geschimpft hatten, setzten sie ihren Weg fort.

Die empörten Bastaixos noch vor Augen, war Guillem entschlossenen Schrittes zum königlichen Palast gegangen.


Nun stand der Maure erneut vor Arnaus Wechselstube, während sich hinter ihm die Umrisse von Santa María vor dem Nachthimmel abzeichneten. Er brauchte die Zahlungsbestätigung, die der Jude Abraham Levi seinerzeit unterschrieben und die er selbst hinter einem Mauerstein versteckt hatte. Die Tür war verriegelt, aber im Erdgeschoss befand sich ein Fenster, das nie richtig geschlossen hatte. Guillem spähte in die Dunkelheit. Es schien niemand da zu sein. Arnau hatte nie von diesem Dokument erfahren. Er hätte dieses Geld nicht angenommen. Das Knarren des Fensters drang durch die nächtliche Stille. Guillem erstarrte. Er war ein Maure, ein Ungläubiger, der mitten in der Nacht in das Haus eines Gefangenen der Inquisition einbrach. Dass er getauft war, würde ihm wenig nutzen, wenn man ihn erwischte. Doch die nächtlichen Geräusche zeigten ihm, dass sich die Welt weiterdrehte. Man hörte das Meer, das Knacken der Gerüste von Santa María, weinende Kinder, Männer, die ihre Frauen anschrien …

Er öffnete das Fenster und kroch hinein. Mit dem Geld, das angeblich von Abraham Levi stammte, hatte Arnau gehandelt und gute Gewinne gemacht, doch nach jeder getätigten Transaktion hatte er ein Viertel der Einnahmen Abraham Levi, dem Anleger des Geldes, gutgeschrieben. Guillem wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und der Mond aufging. Bevor Abraham Levi Barcelona verlassen hatte, war Hasdai mit ihm zu einem Schreiber gegangen und hatte ihn eine Verzichtserklärung über das angelegte Geld unterschreiben lassen. Das Geld gehörte also Arnau, in den Büchern des Geldwechslers jedoch stand es nach wie vor unter dem Namen des Juden vermerkt.

Guillem kniete neben der Wand nieder. Es war der zweite Stein in der Ecke des Raumes. Er versuchte ihn herauszuziehen. Er hatte nie den richtigen Moment gefunden, Arnau von diesem ersten Geschäft zu erzählen, das er hinter seinem Rücken, aber in seinem Namen getätigt hatte, und so war Abraham Levis Vermögen immer weiter angewachsen. Der Stein ließ sich nicht bewegen. »Sei unbesorgt«, hatte ihm Hasdai einmal gesagt, als Arnau in seiner Gegenwart den Juden erwähnte. »Ich habe Anweisungen, dass du genauso weitermachen sollst. Mach dir keine Gedanken.« In einem unbeobachteten Moment hatte Hasdai Guillem angesehen, der nur seufzte und mit den Schultern zuckte. Der Stein lockerte sich. Nein, Arnau hätte niemals eingewilligt, mit Geld zu arbeiten, das aus dem Verkauf von Sklaven stammte.

Der Stein gab nach, und dahinter fand Guillem das sorgfältig in Tuch gewickelte Dokument. Er machte sich nicht die Mühe, es zu lesen. Er wusste, was darin stand. Er setzte den Stein wieder in die Mauerlücke und trat ans Fenster. Als er nichts Ungewöhnliches hörte, schloss er das Fenster und verließ Arnaus Wechselstube.

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