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9. Juni 1359


Barcelona


Arnau hatte in der Wechselstube zu tun. Es war mitten in der Schifffahrtssaison und die Geschäfte liefen gut. Arnau war mittlerweile einer der reichsten Männer der Stadt, doch er bewohnte nach wie vor gemeinsam mit Mar und Donaha das kleine Häuschen an der Ecke Canvis Vells und Canvis Nous. Arnau wollte nichts von Guillems Vorschlag wissen, in den Stadtpalast der Puigs umzuziehen, der seit vier Jahren leer stand. Mar wiederum war nicht weniger halsstarrig als Arnau und hatte sich in all der Zeit einer Eheschließung strikt verweigert.

»Weshalb willst du mich loswerden?«, fragte sie ihn eines Tages, in ihren Augen standen Tränen.

»Ich will dich doch nicht loswerden!«, stammelte Arnau.

Mar weinte immer noch und lehnte sich an seine Schulter.

»Sei ganz ruhig«, sagte Arnau und strich ihr über den Kopf. »Ich werde dich nie zu etwas zwingen, was du nicht willst.«

Und so blieb Mar bei ihnen.

Als an diesem 9. Juni auf einmal eine Glocke zu läuten begann, hielt Arnau in der Arbeit inne. Eine weitere Glocke fiel ein, und dann noch viele andere.

»Via fora«, bemerkte Arnau.

Er trat auf die Straße. Die Handwerker an der Kirche Santa María kletterten blitzschnell von den Gerüsten, Maurer und Steinmetzen kamen durch das Hauptportal nach draußen, und die Menschen liefen durch die Straßen, das »Via fora!« auf den Lippen.

In diesem Moment sah er Guillem aufgeregt herbeieilen.

»Es ist Krieg!«, rief er.

»Das Bürgerheer wird einberufen«, sagte Arnau.

»Nein, nein.« Guillem machte eine Pause, um Luft zu schöpfen. »Nicht nur das von Barcelona, sondern die Truppen sämtlicher Städte und Dörfer im Umkreis von zwei Meilen. Es betrifft nicht nur Barcelona.«

Es betraf auch Sant Boi und Badalona, Sant Andreu und Sarrià, Provençana, Sant Feliu, Sant Genís, Cornellà, Sant Just Desvern, Sant Joan Despí, Sants, Santa Coloma, Esplugues, Vallvidrera, Sant Martí, Sant Adrià, Sant Gervasi, Sant Joan d'Horta … Die Glocken waren bis in zwei Meilen Entfernung zu hören.

»Der König macht Gebrauch vom Usatge princeps namque «, erzählte Guillem weiter. »Es ist nicht die Stadt. Es ist der König! Wir befinden uns im Krieg! Wir werden angegriffen. König Pedro von Kastilien greift uns an …«

»Er greift Barcelona an?«, unterbrach ihn Arnau.

»Ja. Barcelona.«

Die beiden eilten ins Haus.

Als sie wieder herauskamen, war Arnau bewaffnet wie damals als Soldat unter Eiximèn d'Esparça. Sie wollten durch die Calle de la Mar zur Plaza del Blat, doch die Leute rannten in die entgegengesetzte Richtung.

»Was ist los?« Arnau versuchte einen der bewaffneten Männer aufzuhalten, die die Straße hinunterliefen.

»Zum Strand!«, rief ihm der Mann zu, während er sich losriss. »Zum Strand!«

»Ein Angriff von See?« Arnau und Guillem sahen sich fragend an, dann schlossen sich die beiden der Menge an, die zum Strand hinunterlief.

Als sie zum Ufer kamen, drängten sich dort bereits zahlreiche mit Armbrüsten bewaffnete Barcelonesen, den Blick zum Horizont gerichtet, während immer noch die Glocken läuteten. Das »Via fora!« verlor an Kraft, und schließlich verstummten die Menschen.

Guillem hielt die Hand vor die Augen, um sich vor der kräftigen Junisonne zu schützen, und begann die Schiffe zu zählen: eins, zwei, drei, vier …

Das Meer war ruhig.

»Sie werden uns vernichten«, hörte Arnau hinter sich.

»Sie werden die Stadt überrennen.«

»Was können wir schon gegen eine ganze Armee ausrichten?«

Siebenundzwanzig, achtundzwanzig … Guillem zählte immer noch.

»Sie werden uns überrennen«, dachte Arnau bei sich. Wie oft hatte er schon mit anderen Händlern und Geschäftsleuten darüber gesprochen? Barcelona lag zum Meer hin schutzlos da. Von Santa Clara bis zum Kloster Framenors gab es keine einzige Verteidigungsanlage! Wenn es eine Flotte bis in den Hafen schaffte …

»Neununddreißig, vierzig. Vierzig Schiffe!«, rief Guillem.

Es waren bewaffnete Galeeren und Segelschiffe, die Kriegsflotte Pedros des Grausamen. Vierzig Schiffe voller alter Haudegen und erfahrener Kämpfer gegen ein paar eilig in Soldaten verwandelte Städter. Wenn es ihnen gelang, von Bord zu gehen, würde es zu Kämpfen am Strand und in den Straßen der Stadt kommen. Arnau wurde ganz anders zumute, wenn er an die Frauen und Kinder dachte … und an Mar. Sie würden sie vernichten! Sie würden plündern. Die Frauen vergewaltigen. Mar! Bei dem erneuten Gedanken an sie stützte er sich auf Guillem. Sie war jung und schön. Die Vorstellung, sie in der Gewalt der Kastilier zu wissen, während sie verzweifelt um Hilfe schrie … Wo würde er dann sein?

Immer mehr Menschen liefen am Ufer zusammen. Auch der König erschien und begann seinen Soldaten Befehle zu erteilen.

»Der König!«, rief jemand.

Was konnte der König schon tun?, hätte Arnau beinahe erwidert.

Seit drei Monaten befand sich der König in der Stadt, um eine Flotte zur Verteidigung Mallorcas auszurüsten, nachdem Pedro der Grausame gedroht hatte, die Insel anzugreifen. Doch lediglich zehn Galeeren ankerten im Hafen von Barcelona – der Rest der Flotte war noch nicht eingetroffen –, und der Kampf würde im Hafen stattfinden!

Arnau schüttelte den Kopf, ohne den Blick von den Segeln zu wenden, die sich der Küste näherten. Es war dem Kastilier gelungen, sie zu narren. In den nunmehr drei Jahren, die der Krieg bereits dauerte, hatten sich Kämpfe und Waffenruhen abgewechselt. Pedro der Grausame hatte zunächst das Königreich Valencia angegriffen und dann Aragon. Dort hatte er Tarazona eingenommen, was eine unmittelbare Bedrohung für Zaragoza darstellte. Die Kirche hatte vermittelt, und Tarazona war an Kardinal Pedro de la Jugie übergeben worden, der darüber entscheiden sollte, welchem der beiden Herrscher die Stadt zustand. Des Weiteren war ein einjähriger Waffenstillstand ausgehandelt worden, der indes keine Gültigkeit für die Grenze zu Murcia und Valencia besaß.

Während des Waffenstillstands hatte Pedro III. seinen Stiefbruder Ferrán, einen Verbündeten Kastiliens, davon überzeugen können, Pedro dem Grausamen die Gefolgschaft aufzukündigen. Daraufhin war der Infant plündernd in Murcia eingefallen und bis Cartagena gelangt.

Am Strand gab König Pedro nun Anweisung, die zehn Galeeren zu bemannen. Dieser Befehl galt nicht nur für die wenigen Soldaten, die er bei sich hatte, sondern ebenso für die Bürger Barcelonas und der umliegenden Ortschaften, die mittlerweile einzutreffen begannen. Sämtliche Schiffe, ob groß oder klein, Handelsschiffe wie Fischerboote, sollten sich der kastilischen Armada entgegenstellen.

»Das ist Wahnsinn«, urteilte Guillem, während er beobachtete, wie die Leute zu den Booten stürzten. »Diese Galeeren werden unsere Schiffe rammen und in Stücke reißen. Viele werden sterben.«

Die kastilische Flotte war noch ein gutes Stück vom Hafen entfernt.

»Er wird uns erbarmungslos vernichten«, hörte Arnau jemanden hinter sich.

Nein, Pedro der Grausame würde kein Erbarmen haben. Sein Ruf eilte ihm voraus. Er hatte seine beiden Halbbrüder ermorden lassen, Federico in Sevilla und Juan in Bilbao, und ein Jahr darauf seine Tante Leonor, die in dieser Zeit seine Gefangene gewesen war. Welches Erbarmen war von einem König zu erwarten, der seine eigenen Verwandten ermordete? König Pedro III. hatte Jaime von Mallorca nicht getötet, trotz seines häufigen Verrats und der Kriege, die sie gegeneinander geführt hatten.

»Es wäre besser, die Verteidigung an Land zu organisieren«, brüllte ihm Guillem ins Ohr. »Auf See ist das unmöglich. Sobald die Kastilier die Sandbänke passiert haben, werden sie uns überrennen.«

Arnau nickte zustimmend. Warum wollte der König die Stadt unbedingt von See verteidigen? Guillem hatte recht – wenn sie die Sandbänke passierten …

»Die Sandbänke!«, entfuhr es Arnau. »Liegt eines unserer Schiffe im Hafen?«

»Was hast du vor?«

»Die Sandbänke, Guillem! Begreifst du nicht? Liegt eines unserer Schiffe vor Anker?«

»Der Walfänger dort drüben«, antwortete Guillem und deutete auf ein großes, schweres, dickbauchiges Schiff.

»Los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Arnau rannte inmitten einer riesigen Menschenmenge, die das Gleiche tat, zum Wasser hinunter. Im Laufen blickte er zurück, um Guillem zur Eile anzuhalten.

Am Ufer wimmelte es von Soldaten und Barcelonesen, die bis zu den Hüften im Wasser standen. Manche versuchten in die kleinen Fischerboote zu klettern, die bereits am Auslaufen waren, andere warteten, bis ein Hafenschiffer sie zu einem der großen Kriegs- oder Handelsschiffe brachte, die im Hafen ankerten.

Arnau sah einen der Hafenschiffer näher kommen.

»Los, mach schon!«, rief er Guillem zu, während er sich ins Wasser stürzte, um den anderen zuvorzukommen, die zu dem Boot wateten.

Als sie das Boot erreichten, war es bereits überfüllt, doch der Hafenschiffer erkannte Arnau und verschaffte ihnen einen Platz.

»Bring mich zu dem Walfänger«, sagte er, als der Schiffer den Befehl zum Losrudern geben wollte.

»Zuerst zu den Galeeren. Befehl des Königs.«

»Bring mich zu dem Walfänger!«, beharrte Arnau. Der Hafenschiffer wiegte unschlüssig den Kopf. Die Männer im Boot begannen zu murren. »Ruhe!«, brüllte Arnau. »Du kennst mich. Ich muss unbedingt zu diesem Walfänger. Es geht um Barcelona … Um deine Familie. Um euer aller Familien!«

Der Hafenschiffer sah zu dem großen, bauchigen Schiff hinüber. Er brauchte nur ein klein wenig vom Kurs abzuweichen. Warum nicht? Weshalb sollte er Arnau Estanyol enttäuschen?

»Zum Walfänger!«, befahl er den beiden Ruderern.

Als Arnau und Guillem die Strickleiter erklommen, die ihnen der Kapitän des Walfängers zuwarf, nahm der Hafenschiffer Kurs auf die nächste Galeere.

»Alle Mann an die Riemen«, befahl Arnau dem Kapitän, kaum dass er an Deck stand.

Der Mann gab den Ruderern ein Zeichen, die sich sofort auf ihre Plätze begaben.

»Wo geht es hin?«, fragte er.

»Zu den Sandbänken«, antwortete Arnau.

Guillem nickte.

»Möge Allah – sein Name sei gelobt und gepriesen – wollen, dass es dir gelingt.«

Guillem hatte verstanden, was Arnau vorhatte. Nicht so jedoch das Heer und die Bürger Barcelonas. Als sie sahen, wie sich der Walfänger ohne Soldaten und ohne bewaffnete Männer an Bord in Bewegung setzte, dem offenen Meer zu, sagte einer: »Er will sein Schiff retten.«

»Jude!«, schrie ein anderer.

»Verräter!«

Viele andere fielen in die Verwünschungen mit ein, und nach kurzer Zeit brüllte der ganze Strand gegen Arnau an. Was hatte Arnau Estanyol vor?, fragten sich Bastaixos und Hafenschiffer, während sie zu dem bauchigen Schiff hinübersahen, das unter den Schlägen von über hundert Rudern, die immer wieder ins Wasser tauchten, langsam vorwärtsglitt.

Arnau und Guillem standen im Bug und beobachteten die kastilische Flotte, die mittlerweile gefährlich nahe war, doch als sie an den katalanischen Galeeren vorbeikamen, ging ein Pfeilhagel auf sie nieder, und sie mussten in Deckung gehen. Als sie außer Reichweite waren, nahmen sie wieder ihren Posten ein.

»Es wird gutgehen«, sagte Arnau zu Guillem. »Barcelona darf nicht in die Hände dieses Schuftes fallen.«

Die Tasques , eine Reihe von Sandbänken, die der Küste vorgelagert waren und die Meeresströmungen fernhielten, waren die einzige natürliche Verteidigungsanlage des Hafens von Barcelona. Gleichzeitig jedoch stellten sie eine Gefahr für ankommende Schiffe dar. Diese konnten das Hindernis nur an einer einzigen Stelle passieren, die tief genug war, andernfalls liefen sie auf.

Arnau und Guillem näherten sich den Sandbänken, während ihnen aus Tausenden von Kehlen die übelsten Beschimpfungen hinterhergeschickt wurden. Das Gebrüll der Katalanen übertönte sogar das Läuten der Glocken.

»Es wird gutgehen«, sagte Arnau bei sich. Dann befahl er dem Kapitän, das Rudern einzustellen. Als die Ruder aus dem Wasser tauchten und der Walfänger auf die Sandbänke zuglitt, begannen die Schreie und Beschimpfungen zu verstummen, bis schließlich völlige Stille am Strand herrschte. Die kastilische Flotte kam immer näher. Durch das Glockengeläut hindurch hörte Arnau den Kiel des Schiffes durchs Wasser gleiten, auf die Untiefen zu.

»Es muss gutgehen!«, murmelte er.

Guillem packte ihn am Arm. Es war das erste Mal, dass er ihn anfasste.

Der Walfänger glitt langsam, ganz langsam vorwärts. Arnau blickte den Kapitän an und hob fragend die Augenbrauen. Waren sie in der Durchfahrt? Der Kapitän nickte. Seit Arnau ihm befohlen hatte, das Rudern einzustellen, wusste er, was dieser vorhatte.

Ganz Barcelona wusste es nun.

»Jetzt!«, brüllte Arnau. »Beidrehen!«

Der Kapitän gab den Befehl weiter. Die Backbordruder klatschten ins Wasser, und der Walfänger begann sich zu drehen, bis das Schiff quer in der Durchfahrt lag und sich zur Seite neigte.

Guillem drückte Arnau fest am Arm. Die beiden sahen sich an, und Arnau zog ihn an sich, um ihn zu umarmen, während am Strand und auf den Galeeren Jubel ausbrach.

Die Hafeneinfahrt von Barcelona war unpassierbar.

Vom Ufer aus sah der König, zum Kampf gerüstet, zu dem Walfänger hinaus, der auf den Sandbänken festsaß. Um ihn herum standen schweigend Adlige und Ritter, während der König die Szene betrachtete.

»Auf die Galeeren!«, befahl er schließlich.


Während Arnaus Walfänger auf den Sandbänken festsaß, formierte Pedro der Grausame seine Flotte auf offenem Meer. Pedro III. tat das Gleiche auf der Hafenseite, und bevor es Nacht wurde, lagen sich die beiden Flotten – auf der einen Seite eine waffenstarrende Armada von vierzig Kriegsschiffen, auf der anderen Seite zehn Galeeren und ein buntes Durcheinander Dutzender kleiner Kauffahrer und Fischerboote – über die gesamte Breite des Hafens gegenüber, von Santa Clara bis zum Kloster Framenors. Niemand konnte in den Hafen von Barcelona hinein oder aus diesem heraus.

An diesem Tag kam es nicht zum Kampf. Fünf Galeeren Pedros III. bezogen in der Nähe von Arnaus Walfänger Stellung. In der Nacht, als der Mond hell am Himmel stand, kamen die königlichen Soldaten an Bord.

»Sieht ganz so aus, als fände die Schlacht rund um unser Schiff statt«, sagte Guillem zu Arnau. Die beiden saßen an Deck, die Rücken gegen die Bordwand gelehnt, wo ihnen keine Gefahr von den kastilischen Armbrustschützen drohte.

»Wir sind nun die Verteidigungsmauer der Stadt, und alle Schlachten beginnen an der Mauer.«

In diesem Augenblick trat ein königlicher Offizier zu ihnen.

»Arnau Estanyol?«, fragte er. Arnau hob die Hand. »Der König gestattet Euch, das Schiff zu verlassen.«

»Und meine Männer?«

»Die Rudersklaven?« Im Halbdunkel konnten Arnau und Guillem den erstaunten Gesichtsausdruck des Offiziers erkennen. Was interessierten den König hundert Sträflinge? »Sie könnten hier gebraucht werden«, sagte er schließlich.

»In diesem Fall bleibe ich hier«, erklärte Arnau. »Es ist mein Schiff und es sind meine Männer.«

Der Offizier zuckte mit den Schultern und teilte weiter seine Truppen ein.

»Möchtest du von Bord gehen?«, fragte Arnau Guillem.

»Gehöre ich denn nicht zu deinen Männern?«

»Nein, und das weißt du.«

Die beiden schwiegen. Ringsum huschten Schatten vorbei, man hörte die Schritte der Soldaten, die ihre Positionen einnahmen, und die leisen, beinahe geflüsterten Befehle der Offiziere.

»Du weißt, dass du schon längst kein Sklave mehr bist«, fuhr Arnau schließlich fort. »Du musst nur deinen Freilassungsbrief verlangen, und du wirst ihn bekommen.«

Mehrere Soldaten bezogen neben ihnen Stellung.

»Geht unter Deck zu den anderen«, zischte ihnen einer der Soldaten zu, während er versuchte, seinen Platz einzunehmen.

»Auf diesem Schiff gehen wir dahin, wo wir wollen«, entgegnete Arnau.

Der Soldat beugte sich über sie.

»Oh, Verzeihung«, entschuldigte er sich dann. »Wir alle sind Euch dankbar für das, was Ihr getan habt.«

Damit suchte er sich ein anderes Plätzchen an der Reling.

»Wann wirst du endlich deine Freiheit wollen?«, fragte Arnau weiter.

»Ich glaube, ich wüsste nicht, wie das geht – frei sein.«

Die beiden schwiegen. Als sich alle Soldaten an Bord des Walfängers befanden und ihre Posten eingenommen hatten, stand ihnen eine lange Nacht bevor. Während ringsum gehustet und geflüstert wurde, dösten Arnau und Guillem vor sich hin.

Im Morgengrauen befahl Pedro der Grausame den Angriff. Die kastilische Armada näherte sich den Sandbänken, und die Soldaten des Königs begannen ihre Armbrüste sowie Steine von kleinen Katapulten abzufeuern, die an der Reling angebracht waren. Die katalanische Flotte auf der anderen Seite der Barriere tat das Gleiche. Entlang der ganzen Küstenlinie wurde gekämpft, vor allem aber rings um Arnaus Walfänger. Pedro III. durfte nicht zulassen, dass die Kastilier das Schiff enterten, und so bezogen mehrere Galeeren, darunter auch die des Königs, neben ihm Stellung.

Viele Männer starben im Pfeilhagel von beiden Seiten. Arnau erinnerte sich an das Zischen der Pfeile aus seiner Armbrust, als er damals hinter einem Felsen vor der Burg Bellaguarda lag.

Schallendes Gelächter riss ihn aus seinen Gedanken. Wer lachte da mitten in der Schlacht? Barcelona war in Gefahr, Männer starben. Wie konnte man da lachen? Arnau und Guillem sahen sich an. Ja, da lachte jemand, und das Lachen wurde immer lauter. Die beiden suchten sich einen sicheren Platz, um die Schlacht beobachten zu können. Die Besatzungen vieler katalanischer Schiffe, die, geschützt vor den Pfeilen, in zweiter oder dritter Reihe lagen, machten sich über die Kastilier lustig, sie riefen ihnen unflätige Dinge zu und lachten über sie.

Von ihren Schiffen aus versuchten die Kastilier, mit den Katapulten zu treffen, doch sie zielten so ungenau, dass die Steine einer nach dem anderen ins Wasser fielen. Einige verursachten eine Wasserfontäne, bevor sie im Meer versanken. Arnau und Guillem sahen sich grinsend an. Die Männer auf den Schiffen spotteten erneut über die Kastilier, und der ganze Strand von Barcelona, an dem sich die kampfbereiten Bürger versammelt hatten, brach in Gelächter aus.

Den ganzen Tag verhöhnten die Katalanen die kastilischen Schützen, die immer wieder ihre Ziele verfehlten.

»Ich wäre jetzt nicht gerne auf der Galeere Pedros des Grausamen«, sagte Guillem zu Arnau.

»Nein«, antwortete dieser lachend. »Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er mit diesen Anfängern machen wird.«

Diese Nacht verlief ganz anders als jene davor. Arnau und Guillem halfen, die zahlreichen Verwundeten auf dem Walfänger zu versorgen, ihre Wunden zu verbinden und ihnen in die Boote zu helfen, die sie an Land bringen sollten. Eine frische Abteilung Soldaten kam an Bord, und als die Nacht schon fast vorüber war, versuchten sie, ein wenig für den nächsten Tag auszuruhen.

Mit dem ersten Tageslicht erwachten auch die Kehlen der Katalanen und erneut hallten Schmährufe und Hohngelächter durch den Hafen von Barcelona.

Arnau hatte alle seine Pfeile verschossen und ging in Deckung, um mit Guillem die Schlacht zu beobachten.

»Sieh nur, sie kommen viel näher heran als gestern«, sagte sein Freund und deutete zu den kastilischen Galeeren.

Tatsächlich. Der König von Kastilien hatte beschlossen, dem Spott der Katalanen ein Ende zu bereiten, und hielt direkt auf den Walfänger zu.

»Sag ihnen, sie sollen aufhören zu lachen«, sagte Guillem, den Blick auf die herannahenden kastilischen Galeeren gerichtet.

Das Schiff Pedros III. kam so nahe heran, wie es die Sandbänke zuließen, um den Walfänger zu verteidigen. Nun entbrannte die Schlacht rings um Guillem und Arnau. Die königliche Galeere war zum Greifen nahe. Sie konnten ganz deutlich den König und seine Ritter erkennen.

Die beiden gegnerischen Galeeren auf beiden Seiten der Sandbänke drehten bei. Die Kastilier feuerten mehrere Katapulte ab, die am Bug befestigt waren. Arnau und Guillem sahen zu der königlichen Galeere. Es hatte keine Schäden gegeben. Der König und seine Männer standen an Deck und das Schiff schien nicht von den Schüssen getroffen worden zu sein.

»Ist das eine Bombarde?«, fragte Arnau mit Blick auf die Kanone, zu der Pedro III. nun ging.

»Ja«, bestätigte Guillem.

Er hatte gesehen, wie man sie auf die Galeere gebracht hatte, als der König seine Flotte ausrüstete, weil er dachte, die Kastilier wollten Mallorca angreifen.

»Eine Bombarde auf einem Schiff?«

»Ja«, bestätigte Guillem noch einmal.

»Es muss das erste Mal sein, dass eine Galeere mit einer Bombarde bewaffnet ist«, bemerkte Arnau, während er aufmerksam beobachtete, wie der König den Männern an dem Geschütz Befehle gab. »Ich habe noch nie gesehen, dass …«

»Ich auch nicht …«

Ihre Unterhaltung wurde von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen, mit dem die Bombarde einen großen Stein abfeuerte. Die beiden sahen zu der kastilischen Galeere herüber.

»Bravo!«, riefen sie wie aus einem Munde, als das Geschoss die Masten des Schiffes kappte.

Auf sämtlichen katalanischen Schiffen brach Jubel aus.

Der König gab Befehl, die Bombarde erneut zu laden. Durch die Überraschung und die herabstürzenden Masten war es den Kastiliern unmöglich, das Feuer mit ihren Katapulten zu erwidern. Der nächste Schuss schlug ins Achterdeck ein und zerstörte es vollständig.

Die Kastilier begannen, sich von den Sandbänken zurückzuziehen.

Der ständige Spott und die Bombarde auf der königlichen Galeere brachten den Kastilier zum Nachdenken, und nach einigen Stunden befahl er seiner Flotte, die Belagerung aufzuheben und Segel nach Ibiza zu setzen.


Vom Deck des Walfängers aus beobachteten Arnau und Guillem gemeinsam mit mehreren königlichen Offizieren den Abzug der kastilischen Armada. Die Glocken der Stadt begannen zu läuten.

»Jetzt müssen wir das Schiff wieder freibekommen«, sagte Arnau.

»Das übernehmen wir«, hörte er eine Stimme hinter sich sagen. Arnau drehte sich um und stand vor einem Hofbeamten, der soeben an Bord gekommen war. »Seine Majestät erwartet Euch auf der königlichen Galeere.«

Der König hatte zwei ganze Tage Zeit gehabt herauszufinden, wer dieser Arnau Estanyol war.

»Er ist reich, Majestät«, berichteten ihm die Ratsherren von Barcelona, »unermesslich reich.« Der König nickte gleichgültig, während ihm die Ratsherren von Arnau erzählten, von seiner Zeit als Bastaix, seinem Kampf unter dem Befehl Eiximèn d'Esparças, seiner Verehrung für die Jungfrau Maria. Doch als er hörte, dass er verwitwet war, leuchteten seine Augen auf. »Ein reicher Witwer«, dachte der Monarch. »So könnten wir sie loswerden …«

»Arnau Estanyol, Bürger der Stadt Barcelona«, kündigte ihn ein Kämmerer des Königs an.

Der König saß in einem Lehnstuhl an Deck, flankiert von zahlreichen Adligen, Ratgebern und Ratsherren der Stadt, die nach dem Abzug der Kastilier an Bord der königlichen Galeere gekommen waren. Guillem blieb an der Reling stehen, hinter all den Menschen, die Arnau und den König umringten.

»Wir sind sehr zufrieden mit Eurem Handeln«, sagte der König. »Euer Wagemut und Eure Klugheit hatten entscheidenden Anteil am Gewinn dieser Schlacht.«

Der König verstummte. Arnau war verunsichert. Sollte er etwas sagen oder abwarten? Aller Blicke waren auf ihn gerichtet.

»Als Dank für Euren Einsatz wollen Wir Uns erkenntlich zeigen.«

Und nun? Sollte er jetzt sprechen? Wie wollte der König sich erkenntlich zeigen? Er hatte alles, was er sich nur wünschen konnte …

»Wir geben Euch Unser Mündel Elionor zur Frau und statten sie anlässlich der Hochzeit mit den Baronien Granollers, Sant Vicenç dels Horts und Caldes de Montbui aus.«

Die Umstehenden begannen zu murmeln, einige klatschten Beifall. Hochzeit? Hatte er Hochzeit gesagt? Arnau sah sich nach Guillem um, konnte ihn jedoch nicht entdecken. Die Adligen und Ritter lächelten ihm wohlwollend zu. Hatte er Hochzeit gesagt?

»Seid Ihr nicht zufrieden, Herr Baron?«, fragte der König, als er Arnaus suchenden Blick bemerkte.

Arnau wandte sich dem König zu. Herr Baron? Hochzeit? Was sollte er damit? Angesichts von Arnaus Schweigen verstummten auch die Adligen und Ritter. Der König warf ihm einen ungnädigen Blick zu. Elionor, hatte er gesagt? Sein Mündel? Er konnte … Er durfte den König nicht kränken!

»Nein … Ich meine, doch, Euer Majestät«, stotterte er. »Ich danke Euch für Eure Güte.«

»So soll es also geschehen.«

Pedro III. erhob sich und wurde sogleich von seinem Hofstaat umringt. Einige klopften Arnau auf die Schulter, als sie an ihm vorbeigingen, und gratulierten ihm mit Worten, deren Sinn ihm verborgen blieb. Schließlich blieb Arnau alleine zurück. Er drehte sich zu Guillem um, der immer noch an der Bordwand lehnte.

Arnau breitete ratlos die Arme aus, doch als der Maure zu dem König und seinem Hofstaat hinüberdeutete, ließ er sie rasch wieder sinken.


Arnaus Ankunft am Strand wurde genauso gefeiert wie die des Königs. Die ganze Stadt strömte zusammen, und er wurde von einem zum anderen weitergereicht, während ihn die Leute beglückwünschten, ihm auf die Schulter klopften oder seine Hand schüttelten. Alle wollten dem Retter der Stadt nahe sein, doch Arnau sah und hörte nichts. Nun, da sein Leben in guten Bahnen verlief und er glücklich war, hatte der König beschlossen, ihn zu verheiraten. Die Barcelonesen nahmen ihn in ihre Mitte und begleiteten ihn vom Strand zu seiner Wechselstube. Nachdem er eingetreten war, blieben sie vor der Tür stehen und riefen immer wieder im Chor seinen Namen.

Als er das Haus betrat, warf sich Mar in seine Arme. Guillem war bereits zurück und saß auf einem Stuhl. Er hatte nichts erzählt. Joan, der ebenfalls vorbeigekommen war, betrachtete ihn so schweigsam wie immer.

Mar war überrascht, als sich Arnau heftiger als gewollt aus ihrer Umarmung befreite. Joan wollte ihn beglückwünschen, doch Arnau achtete nicht auf ihn. Schließlich ließ er sich neben Guillem auf einen Stuhl fallen. Die Übrigen sahen ihn an, trauten sich aber nicht, etwas zu sagen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte Joan schließlich.

»Ich soll heiraten!«, entfuhr es Arnau. »Der König hat beschlossen, mich zum Baron zu machen und mir sein Mündel zur Frau zu geben. Das ist sein Dank dafür, dass ich ihm geholfen habe, seine wichtigste Stadt zu retten. Eine Heirat!«

Joan dachte kurz nach, dann wiegte er den Kopf und lächelte.

»Worüber beklagst du dich?«, fragte er.

Arnau warf ihm einen ungnädigen Blick zu. Mar, die neben ihm stand, hatte zu zittern begonnen. Lediglich Donaha, die in der Küchentür stand, bemerkte ihre Verfassung und eilte zu ihr, um sie zu stützen.

»Was missfällt dir daran?« Joan ließ nicht locker. Arnau sah ihn nur an. Als Mar die Worte des Mönchs hörte, wurde ihr übel. »Was ist schlecht daran zu heiraten? Und dann die Ziehtochter des Königs. Du wirst Baron von Katalonien werden.«

Aus Angst, sich übergeben zu müssen, verschwand Mar mit Donaha in der Küche.

»Was ist mit Mar los?«, fragte Arnau.

Der Mönch antwortete nicht gleich.

»Ich werde dir sagen, was mit ihr los ist«, sagte er schließlich. »Sie sollte ebenfalls heiraten! Ihr solltet beide heiraten. Zum Glück hat der König mehr Verstand als du.«

»Bitte lass mich jetzt in Ruhe, Joan«, sagte Arnau müde.

Der Mönch zuckte mit den Schultern und verließ die Wechselstube.

»Sieh mal nach, was mit Mar los ist«, bat Arnau Guillem.

»Ich weiß nicht, was sie hat«, sagte dieser einige Minuten später zu seinem Herrn, »aber Donaha sagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Frauengeschichten«, setzte er hinzu.

Arnau sah ihn an.

»Erzähl mir nichts von Frauen.«

»Gegen den Willen des Königs können wir nicht viel ausrichten, Arnau. Vielleicht finden wir mit etwas Zeit eine Lösung.«

Aber ihnen blieb keine Zeit. Pedro III. wollte am 23. Juni in See stechen, um den König von Kastilien nach Mallorca zu verfolgen, und ordnete an, dass sich seine Flotte an diesem Tag im Hafen von Barcelona einfinden sollte. Vorher aber wollte er die Angelegenheit bezüglich der Hochzeit seines Mündels Elionor mit dem wohlhabenden Arnau geklärt haben. So teilte es ein Beamter des Königs dem ehemaligen Bastaix in seiner Wechselstube mit.

»Mir bleiben nur noch neun Tage«, klagte Arnau bei Guillem, als der Beamte gegangen war, »vielleicht weniger!«

Wie mochte diese Elionor wohl sein? Arnau konnte nicht schlafen, wenn er bloß daran dachte. War sie alt? Jung? Schön? Hässlich? Freundlich und umgänglich oder hochmütig und zynisch wie alle Adligen, die er bislang kennengelernt hatte? Wie sollte er eine Frau heiraten, die er nicht einmal kannte?

»Finde heraus, wie diese Frau ist«, bat er Joan. »Du wirst das hinbekommen. Ich muss ständig daran denken, was mich erwartet.«

Noch am selben Tag, nachdem der königliche Beamte in der Wechselstube vorstellig geworden war, erstattete Joan Bericht: »Angeblich ist sie die uneheliche Tochter eines Onkels des Königs, auch wenn sich niemand zu sagen getraut, welcher von ihnen. Ihre Mutter starb bei der Geburt, deshalb wurde sie bei Hof aufgenommen …«

»Aber wie ist sie, Joan?«, unterbrach ihn Arnau.

»Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und bildschön.«

»Und ihr Charakter?«

»Sie ist eine Adlige«, sagte Joan nur.

Warum sollte er Arnau erzählen, was er über Elionor gehört hatte? Gewiss, sie ist schön, hatte man ihm gesagt, doch aus ihrem Gesicht spricht ständiger Verdruss auf die ganze Welt. Sie ist launisch und verwöhnt, hochmütig und ehrgeizig. Der König hatte sie mit einem Adligen vermählt, der kurz darauf starb, und da sie keine Kinder hatte, war sie an den Hof zurückgekehrt. War dies wirklich eine Ehrerweisung für Arnau? Königlicher Großmut? Joans Vertraute lachten. Der König konnte Elionor nicht länger ertragen. Gab es denn eine bessere Partie für sie als einen der reichsten Männer Barcelonas, einen Geldwechsler, an den der König sich wenden konnte, wenn er Geld brauchte? König Pedro gewann in jeder Hinsicht: Er schaffte sich Elionor vom Hals und versicherte sich Arnaus Unterstützung. Doch warum sollte Joan Arnau das alles erzählen?

»Was willst du damit sagen – sie ist eine Adlige?«

»Na, genau das«, antwortete Joan, während er Arnaus Blick auswich. »Dass sie eine vornehme Dame ist, auch von noblem Charakter.«

Auch Elionor hatte ihre Erkundigungen angestellt, und mit jeder weiteren Nachricht wuchs ihr Zorn. Ein ehemaliger Bastaix, ein Angehöriger jener Zunft, die aus den Hafensklaven entstanden war. Wie konnte der König sie mit einem Bastaix verheiraten? Ja, er war reich, sehr reich, wie ihr alle bestätigt hatten, aber was interessierte sie sein Geld? Sie lebte bei Hofe und es fehlte ihr an nichts. Als sie erfuhr, dass Arnau der Sohn eines geflohenen Leibeigenen und von Geburt gleichfalls ein Unfreier gewesen war, beschloss sie, zum König zu gehen. Wie konnte der König verlangen, dass sie, die Tochter eines Infanten, eine solche Person ehelichte?

Doch Pedro III. empfing sie nicht. Die Hochzeit wurde auf den 21. Juni festgesetzt, zwei Tage vor seiner Abreise nach Mallorca.


Am nächsten Tag sollte er heiraten, in der Palastkapelle Santa Agata.

»Es ist eine kleine Kapelle«, erklärte ihm Joan. »Jaime II. ließ sie Anfang des Jahrhunderts nach den Anweisungen seiner Gemahlin Blanca von Anjou erbauen, um dort die Passionsreliquien aufzubewahren, genau wie in der Sainte-Chapelle in Paris, woher die Königin stammte.«

Es sollte eine Hochzeit im kleinen Rahmen werden. Arnau würde nur Joan dabeihaben. Mar weigerte sich mitzukommen. Seit er verkündet hatte, dass er heiraten würde, ging ihm das Mädchen aus dem Weg und schwieg in seiner Gegenwart. Hin und wieder sah sie ihn an, doch ihr Lächeln war verschwunden.

Aus diesem Grund sprach Arnau Mar an diesem Abend an und bat sie, ihn zu begleiten.

»Wohin?«, fragte das Mädchen.

Ja, wohin?

»Ich weiß nicht … Vielleicht nach Santa María? Dein Vater hat diese Kirche bewundert. Weißt du, dass ich ihn dort kennengelernt habe?«

Mar war einverstanden. Die beiden verließen die Wechselstube und spazierten zu der noch unvollendeten Fassade von Santa María. Die Maurer begannen gerade mit dem Bau der beiden flankierenden achteckigen Türme, und die Steinmetzen meißelten eifrig am Tympanon, den Türstürzen, dem Mittelpfosten und den Archivolten. Arnau und Mar traten in die Kirche. Die Rippen des zweiten Mittelschiffjochs reckten sich bereits in den Himmel, dem Schlussstein entgegen. Sie wirkten wie ein Spinnennetz, gestützt von den hölzernen Gerüsten, auf denen sie auflagen.

Arnau konnte die Nähe des Mädchens spüren. Sie war ebenso groß wie er, das Haar fiel ihr anmutig über die Schultern. Sie roch gut, frisch, nach Kräutern. Die meisten Handwerker bewunderten sie. Er sah es an ihren Augen, selbst wenn sie sich abwandten, nachdem sie Arnaus Blick bemerkten. Ihr Duft drang mit jeder ihrer Bewegungen zu ihm herüber.

»Weshalb willst du nicht zu meiner Hochzeit kommen?«, fragte er unvermittelt.

Mar gab keine Antwort. Sie ließ ihren Blick durch den Kirchenraum wandern.

»Man gestattet mir nicht einmal, in dieser Kirche zu heiraten«, murmelte Arnau.

Das Mädchen sagte noch immer nichts.

»Mar …« Arnau wartete, bis sie ihn ansah. »Ich hätte dich gerne am Tag meiner Hochzeit bei mir gehabt. Du weißt, dass es mir nicht gefällt und ich es gegen meinen Willen tue, aber der König … Ich werde dich nicht weiter drängen, einverstanden?« Mar nickte. »Kann dann alles zwischen uns sein wie immer?«

Mar blickte zu Boden. Es gab so vieles, was sie ihm gerne gesagt hätte. Aber sie konnte ihm seine Bitte nicht abschlagen. Sie hätte ihm nichts abschlagen können.

»Danke«, sagte Arnau. »Wenn du mich im Stich lassen würdest … Ich weiß nicht, was aus mir würde, wenn die Menschen, die ich liebe, mich im Stich lassen!«

Mar spürte, wie sich ihr Herz verkrampfte. Es war nicht diese Art von Zuneigung, nach der sie verlangte. Sie wollte Liebe. Weshalb nur war sie darauf eingegangen, ihn zu begleiten? Sie blickte zum Gewölbe der Apsis von Santa María hinauf.

»Joan und ich haben gesehen, wie dieser Schlussstein gesetzt wurde«, sagte Arnau, ihrem Blick folgend. »Wir waren damals noch Kinder.«

Zurzeit arbeiteten die Glaser in halsbrecherischer Höhe an den Fenstern des Obergadens. Die oberen Fenster der Apsis, die eine kleine Rosette zu bilden schienen, waren bereits fertiggestellt. Danach waren die darunterliegenden großen Spitzbogenfenster an der Reihe. Aus farbigem Glas, das mit dünnen Bleifassungen zusammengefügt wurde, gestalteten sie Figuren und Dekors, durch die wie durch einen Filter das Licht von außen in die Kirche fiel.

»Als Junge«, fuhr Arnau fort, »hatte ich das Glück, mit dem großen Berenguer de Montagut zu sprechen. Ich weiß noch, dass er sagte, wir Katalanen brauchten keinen anderen Schmuck als den Raum und das Licht. Der Baumeister hat zur Apsis hinaufgewiesen – genau dorthin, wo du jetzt hinschaust – und mit einer Handbewegung beschrieben, wie das Licht von dort zum Hauptaltar einfallen sollte. Ich tat so, als hätte ich verstanden, doch in Wirklichkeit war ich nicht in der Lage, mir vorzustellen, wovon er sprach.« Mar sah ihn an. »Ich war noch jung«, entschuldigte er sich, »und er war der Baumeister, der große Berenguer de Montagut. Heute jedoch verstehe ich, was er meinte.«

Arnau trat ganz nahe an Mar heran und deutete auf die Fensterrosette hoch oben. Mar versuchte zu verbergen, dass sie ein Schauder durchfuhr, als Arnau sie berührte.

»Siehst du, wie das Licht einfällt?« Er beschrieb eine Handbewegung bis zum Hauptaltar, so wie es Berenguer damals gemacht hatte, doch diesmal waren tatsächlich bunte Lichtstrahlen zu sehen, die von oben durch die Fenster fielen. Mar folgte Arnaus Handbewegung. »Schau nur. Die der Sonne zugewandten Fenster sind in leuchtenden Farben gehalten, Rot, Gelb und Grün, um die Kraft des Mittelmeerlichts zu nutzen. Die Fenster auf der Schattenseite sind weiß oder blau. Und während die Sonne am Himmel entlangwandert, ändert sich das Licht in der Kirche und wird von den Steinen reflektiert. Der Baumeister hatte ja so recht! Es ist, als stünde man jeden Tag, jede Stunde in einer neuen Kirche, ganz so, als erwachte sie zu immer neuem Leben. Denn auch wenn der Stein tot ist, so ist die Sonne lebendig und jeden Tag anders. Die Lichtreflexe sind nie gleich.«

Die beiden betrachteten gebannt das Licht.

Schließlich fasste Arnau Mar bei den Schultern und drehte sie zu sich um.

»Bitte, Mar, lass mich nicht im Stich.«

Am nächsten Morgen bei der Trauung in der dunklen, überladenen Kapelle Santa Agata versuchte Mar, ihre Tränen zu verbergen.

Arnau und Elionor standen stocksteif vor dem Bischof. Elionor regte sich nicht und blickte erhobenen Hauptes geradeaus. Arnau sah zu Beginn der Zeremonie ein paar Mal zu ihr hinüber, doch Elionor blickte weiter starr nach vorne. Daraufhin betrachtete er sie nur noch verstohlen aus dem Augenwinkel.

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