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»Du willst mich doch nicht hier zurücklassen!«

Elionor stürzte wie eine Furie die Treppe hinunter. Arnau saß in dem großen Saal am Tisch und unterzeichnete die Dokumente, mit denen er die Leibeigenschaft auf seinem Land abschaffte. »Sobald sie unterschreibt, reise ich ab«, hatte er zu Joan gesagt. Der Mönch und Mar standen hinter Arnau und beobachteten die Szene.

Arnau hörte auf zu schreiben und sah Elionor an. Es war wohl das erste Mal seit ihrer Hochzeit, dass sie miteinander sprachen. Arnau stand nicht auf.

»Was liegt dir daran, ob ich bleibe?«

»Wie kannst du wollen, dass ich an einem Ort bleibe, wo man mich derart gedemütigt hat?«

»Dann lass es mich anders ausdrücken: Was könnte dir daran liegen, mit mir zu kommen?«

»Du bist mein Mann!« Ihre Stimme überschlug sich. Sie hatte alle Möglichkeiten tausendmal erwogen. Sie konnte nicht hierbleiben, aber sie konnte auch nicht an den königlichen Hof zurück. Arnau machte ein ungehaltenes Gesicht. »Wenn du fortgehst und mich zurücklässt, werde ich mich an den König wenden«, setzte Elionor hinzu.

Ihre Worte klangen Arnau drohend in den Ohren. »Wir werden uns an den König wenden!«, hatten ihm die Adligen gedroht. Den Angriff der Adligen glaubte er abwehren zu können, doch … Er betrachtete die Dokumente, die er soeben unterzeichnet hatte. Wenn sich seine eigene Frau, die Ziehtochter des Königs, den Klagen der Adligen anschloss …

»Unterschreib«, bat er sie und schob ihr die Dokumente hin.

»Weshalb sollte ich das tun? Wenn du die Leibeigenschaft aufhebst, haben wir keine Einnahmen mehr.«

»Unterschreib, und du wirst in einem Palast in der Calle de Monteada in Barcelona leben. Du wirst nicht auf diese Pachtzinsen angewiesen sein. Du wirst so viel Geld haben, wie du willst.«

Elionor trat an den Tisch, nahm die Feder und beugte sich über die Dokumente.

»Was garantiert mir, dass du Wort hältst?«, fragte sie plötzlich und sah Arnau an.

»Die Tatsache, dass ich dich umso seltener sehe, je größer das Haus ist. Das ist die Garantie. Je besser du lebst, umso weniger wirst du mich belästigen. Reichen dir diese Garantien? Ich habe nicht vor, dir eine andere zu geben.«

Elionor sah Mar und Joan an, die hinter Arnau standen. War das ein Lächeln auf dem Gesicht des Mädchens?

»Werden sie bei uns leben?«, fragte sie und deutete mit der Feder auf die beiden.

»Ja.«

»Auch das Mädchen?«

Mar und Elionor tauschten einen eisigen Blick.

»Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Elionor? Unterschreibst du jetzt oder nicht?«

Sie unterschrieb.


Arnau wartete nicht, bis Elionor ihre Vorbereitungen getroffen hatte. Er reiste noch am selben Tag nach Barcelona ab, in den Abendstunden, um der Augusthitze zu entkommen, und zwar genauso, wie er gekommen war: auf einem gemieteten Wagen.

Keiner von ihnen blickte zurück, als der Wagen durch das Burgtor rumpelte.

»Weshalb müssen wir mit ihr zusammenleben?«, fragte Mar Arnau auf der Rückfahrt.

»Ich darf den König nicht vor den Kopf stoßen, Mar. Man weiß nie, wie die Antwort eines Königs aussieht.«

Mar schwieg nachdenklich.

»Hast du ihr deshalb diese ganzen Angebote gemacht?«

»Nein … Nun ja, auch, aber vor allem wegen der Bauern. Ich will nicht, dass sie sich beschwert. Der König hat uns vermeintliche Pachteinkünfte zugestanden, obwohl diese in Wirklichkeit nicht existieren oder verschwindend gering sind. Wenn sie nun zum König geht und sich beklagt, dass ich durch mein Vorgehen diese Einkünfte verschleudert hätte, könnte er womöglich meine Anordnungen rückgängig machen.«

»Der König? Warum sollte der König das tun?«

»Du musst wissen, dass der König vor einigen Jahren eine Verfügung gegen die unfreien Bauern erlassen hat und die Privilegien einschränkte, die er und seine Vorgänger den Städten gewährt hatten. Die Kirche und der Adel haben ihn gedrängt, etwas dagegen zu unternehmen, dass die Bauern fliehen und das Land unbestellt zurücklassen … Und das hat er getan.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass er so etwas tun könnte.«

»Er ist auch ein Adliger, Mar. Der Erste unter ihnen.«

Sie übernachteten in einem Gehöft außerhalb von Monteada. Arnau entlohnte die Bauern großzügig. Im Morgengrauen brachen sie auf und erreichten Barcelona, bevor es heiß wurde.

»Die Lage ist dramatisch, Guillem«, erklärte Arnau, als sie nach der ersten Begrüßung alleine zurückblieben. »Um das Prinzipat ist es noch wesentlich schlechter bestellt, als wir dachten. Hier erreichen uns nur vage Nachrichten, doch man muss mit eigenen Augen sehen, in welchem Zustand sich die Felder und das Land befinden. Es sieht nicht gut für uns aus.«

»Ich habe schon längst Maßnahmen ergriffen«, überraschte ihn Guillem. Arnau bat ihn fortzufahren. »Die Krise hat sich schon lange angekündigt. Wir haben bereits einmal darüber gesprochen. Unsere Währung verliert im Ausland immer mehr an Wert, doch der König hier in Katalonien unternimmt nichts dagegen. Die Wechselkurse sind unhaltbar. Die Stadt verschuldet sich immer tiefer, um zu erhalten, was sich Barcelona geschaffen hat. Der Handel wirft keine Gewinne mehr ab und die Leute sehen sich nach sichereren Orten für ihr Geld um.«

»Und unser Geld?«

»Ist im Ausland. In Pisa, in Florenz, sogar in Genua. Dort kann man noch zu vernünftigen Kursen handeln.« Die beiden schwiegen. »Castelló wurde für bankrott erklärt«, erklärte Guillem dann. »Das Unheil nimmt seinen Lauf.«

Arnau erinnerte sich an den freundlichen, dicken, stets schwitzenden Geldwechsler.

»Was ist geschehen?«

»Er war unvorsichtig. Die Leute haben begonnen, ihre Einlagen zurückzuverlangen, und er konnte sie nicht auszahlen.«

»Wird er zahlen können?«

»Ich glaube nicht.«


Am 29. August kehrte der König siegreich von seinem Mallorca-Feldzug gegen Pedro den Grausamen zurück. Als die katalanische Flotte vor den Balearen auftauchte, war der Kastilier von Ibiza geflohen, nachdem er die Insel zuvor erobert und geplündert hatte.

Als einen Monat später Elionor eintraf, bezogen die Estanyols den Palast in der Calle de Monteada. Auch Guillem zog mit ein, obwohl er sich anfänglich geweigert hatte.

Nach zwei Monaten gewährte der König dem Vogt von Montbui eine Audienz. Tags zuvor hatten Gesandte des Königs um ein weiteres Darlehen in Arnaus Wechselstube ersucht. Als man es ihnen gewährte, schickte der König den Vogt weg und ließ Arnaus Anordnungen bestehen.

Nach weiteren zwei Monaten war die Frist von sechs Monaten abgelaufen, die das Gesetz einem Bankrotteur zugestand, um seine Schulden zu begleichen, und der Geldwechsler Castelló wurde vor seiner Wechselstube an der Plaza dels Canvis enthauptet. Sämtliche Geldwechsler der Stadt mussten der Hinrichtung in der ersten Reihe beiwohnen. Arnau sah, wie sich nach einem sicheren Hieb des Henkers Castellós Haupt vom Rumpf trennte. Gerne hätte er wie so viele andere die Augen geschlossen, doch er konnte nicht. Er musste hinsehen. Es war eine Mahnung zur Vorsicht, die er niemals vergessen durfte, sagte er sich, während sich das Blut auf das Schafott ergoss.

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