36

1. Januar 1354


Plaza de Santa María del Mar


Barcelona


Wo anders sollte ein solches Ereignis stattfinden als vor der Kirche Santa María, dachte Arnau, während er von einem Fenster seines Hauses aus beobachtete, wie sich ganz Barcelona auf dem Platz und in den angrenzenden Straßen drängte, auf den Gerüsten und auch in der Kirche selbst. Aller Augen waren auf ein Podest gerichtet, das der König dort hatte errichten lassen. Pedro III. hatte nicht die Plaza del Blat gewählt, nicht die Kathedrale, nicht die Börse und auch nicht die prächtige Werft, die er selbst errichten ließ. Nein, er hatte die Kirche Santa María gewählt, die Kirche des Volkes, die durch die vereinten Kräfte und das Opfer seiner Untertanen erbaut wurde.

»Es gibt keinen Ort in ganz Katalonien, der den Geist der Bewohner Barcelonas besser widerspiegelt«, sagte Arnau an diesem Morgen zu Guillem, während sie beobachteten, wie die Handwerker das Podest errichteten. »Und der König weiß das. Deshalb hat er sie gewählt.«

Arnau durchlief ein Schauder. Sein ganzes Leben hatte sich um diese Kirche gedreht!

»Es wird uns Geld kosten«, entgegnete der Maure knapp.

Arnau drehte sich zu ihm um und wollte widersprechen, doch Guillem sah unverwandt zu dem Podest hinüber, und Arnau entschied sich, es dabei zu belassen.

Fünf Jahre waren vergangen, seit sie die Wechselstube eröffnet hatten. Arnau war nun dreiunddreißig Jahre alt, und er war glücklich … und reich, sehr reich. Er führte ein einfaches Leben, doch seine Bücher verzeichneten ein ansehnliches Vermögen.

»Lass uns frühstücken«, sagte er und legte Guillem eine Hand auf die Schulter.

Unten in der Küche wurden sie von Donaha und dem Mädchen erwartet, das ihr half, den Tisch zu decken.

Die Sklavin blickte nicht auf, sondern bereitete weiter das Frühstück zu, doch als Mar die beiden hereinkommen sah, kam sie zu ihnen gerannt.

»Alle sprechen vom Besuch des Königs!«, rief sie. »Können wir ihn von ganz nahe sehen? Hat er seine Ritter dabei?«

Guillem setzte sich seufzend an den Tisch.

»Er kommt, um mehr Geld von uns zu fordern«, erklärte er dem Mädchen.

»Guillem!«, rief Arnau angesichts von Mars ungläubigem Gesichtsausdruck.

»Aber es stimmt«, verteidigte sich der Maure.

»Nein. Das ist nicht wahr«, sagte Arnau und wurde mit einem Lächeln belohnt. »Der König kommt, um unsere Unterstützung bei der Eroberung Sardiniens zu erbitten.«

»Und Geld? Will er auch Geld?«, fragte das Mädchen, nachdem es Guillem zugezwinkert hatte.

Arnau betrachtete zuerst das Mädchen und dann Guillem. Die beiden lächelten ihn verschmitzt an. Wie groß Mar geworden war! Sie war schon fast ein junges Mädchen, hübsch, klug, von einem Liebreiz, der jeden entzückte.

»Und Geld? Will er auch Geld?«, fragte das Mädchen erneut und riss ihn aus seinen Gedanken.

»Jeder Krieg kostet Geld!«, musste Arnau zugeben.

»Aha!«, sagte Guillem und breitete die Arme aus.

Donaha begann ihre Teller zu füllen.

»Warum erzählst du ihr nicht, dass uns der Krieg im Grunde kein Geld kostet, sondern dass wir in Wirklichkeit an ihm verdienen?«, fuhr Arnau fort, als Donaha sie bedient hatte.

Mar sah Guillem mit großen Augen an.

Guillem zögerte.

»Seit drei Jahren zahlen wir Sonderabgaben«, erklärte er, nicht gewillt, Arnau recht zu geben. »Drei Jahre Krieg, die uns Barcelonesen Geld kosten.«

Mar verzog den Mund zu einem Lächeln und sah Arnau an.

»Das stimmt«, gab Arnau zu. »Vor genau drei Jahren haben die Katalanen ein Bündnis mit Venedig und Byzanz geschlossen, um Krieg gegen Genua zu führen. Unser Ziel war es, Korsika und Sardinien zu erobern, die laut dem Vertrag von Agnani den Katalanen zustehen und sich doch in der Hand der Genuesen befinden. Achtundsechzig bewaffnete Galeeren!« Arnau erhob die Stimme. »Achtundsechzig bewaffnete Galeeren, dreiundzwanzig katalanische, der Rest venezianische und griechische, trafen im Bosporus auf fünfundsechzig genuesische Galeeren.«

»Und was geschah dann?«, fragte Mar, als Arnau plötzlich verstummte.

»Es gab keinen Sieger. Unser Admiral, Ponç de Santa Pau, starb in der Schlacht, und nur zehn der dreiundzwanzig katalanischen Galeeren kehrten zurück. Was geschah dann, Guillem?« Der Sklave schüttelte abwehrend den Kopf. »Erzähl es ihr, Guillem«, drängte Arnau.

Guillem seufzte.

»Die Byzantiner verrieten uns«, begann er. »Sie paktierten mit den Genuesen und gestanden ihnen das Handelsmonopol zu.«

»Und dann?«, setzte Arnau nach.

»Wir verloren eine der wichtigsten Handelsrouten auf dem Mittelmeer.«

»Und haben wir auch Geld verloren?«

»Ja.«

Mar sah vom einen zum anderen, während sie das Gespräch verfolgte. Sogar Donaha, die am Herd stand, sah zu ihnen hinüber.

»Viel Geld?«

»Ja.«

»Mehr als wir später dem König gaben?«

»Ja.«

»Nur wenn uns das Mittelmeer gehört, können wir in Frieden Handel treiben«, schloss Arnau.

»Und die Byzantiner?«, fragte Mar.

»Im darauffolgenden Jahr stattete der König eine Flotte von fünfzig Galeeren unter dem Kommando von Bernat de Cabrera aus und besiegte die Genuesen in Sardinien. Unser Admiral eroberte dreiunddreißig Galeeren und versenkte weitere fünf. Achttausend Genuesen starben, weitere dreitausendzweihundert wurden gefangen genommen, doch nur vierzig Katalanen kamen ums Leben! Die Byzantiner«, fuhr er fort und sah Mar an, deren Augen vor Neugier funkelten, »lenkten ein und öffneten ihre Häfen wieder für unseren Handel.«

»Drei Jahre Sonderabgaben, und wir zahlen immer noch«, bemerkte Guillem.

»Aber wenn der König Sardinien hat und wir den Handel mit Byzanz, was will er dann noch?«, fragte Mar.

»Die Adligen der Insel, angeführt von einem gewissen Richter von Arborea, haben sich gegen König Pedro erhoben, und nun muss er dorthin, um den Aufstand niederzuschlagen.«

»Der König sollte sich damit zufriedengeben, dass die Handelswege frei sind und er seine Steuern bekommt«, wandte Guillem ein. »Sardinien ist ein raues, hartes Land. Wir werden es nie beherrschen können.«


Der König scheute keinen Prunk, um sich seinem Volk zu präsentieren. Da er auf dem Podest stand, fiel der Menge nicht auf, wie klein er war. Er trug seine prächtigsten Gewänder in einem leuchtenden Karminrot, das in der Wintersonne mit den Edelsteinen, die es zierten, um die Wette leuchtete. Er hatte nicht vergessen, zu diesem Anlass die goldene Krone zu tragen sowie natürlich den kleinen Dolch, den er stets am Gürtel hatte. Sein Gefolge von Adligen und Hofbeamten stand ihm in nichts nach und war ebenso kostbar gekleidet wie sein Herr.

Der König sprach zum Volk. Er schaffte es, die Menge mitzureißen. Wann hatte sich schon einmal ein König an die einfachen Bürger gewandt, um ihnen zu erklären, was er zu tun gedachte? Er sprach von Katalonien, von den katalanischen Besitzungen und Interessen. Er sprach von dem Verrat von Arborea auf Sardinien und die Leute reckten die Fäuste in die Höhe und verlangten nach Rache. Vor dem Hintergrund der Kirche Santa María begeisterte der König das Volk. Als er schließlich um die Hilfe bat, die er benötigte, hätten sie ihm ihre Kinder gegeben, wenn er sie darum gebeten hätte.

Alle Barcelonesen leisteten ihren Beitrag. Arnau bezahlte die Summe, die er als städtischer Geldwechsler zu erbringen hatte, und der König brach mit einer Flotte von hundert Schiffen nach Sardinien auf.

Als das Heer Barcelona verließ, kehrte erneut Normalität in die Stadt ein. Arnau widmete sich wieder seiner Wechselstube, Mar und Santa María und half jenen, die zu ihm kamen, um ihn um ein Darlehen zu bitten.

Guillem musste sich daran gewöhnen, dass Arnau ganz anders war als die Geldwechsler und Händler, die er bisher gekannt hatte. Am Anfang widersetzte er sich häufig und tat Arnau seine Meinung kund, wenn dieser wieder einmal die Börse öffnete, um einem der vielen Arbeiter, die Geld brauchten, ein Darlehen zu geben.

»Zahlen sie etwa nicht? Begleichen sie nicht ihre Schulden?«, fragte Arnau.

»Es sind zinslose Darlehen«, gab Guillem zu bedenken. »Dieses Geld sollte eigentlich Gewinn abwerfen.«

»Wie oft hast du mir gesagt, wir sollten einen Stadtpalast kaufen und besser leben? Wie viel würde das alles kosten, Guillem? Unendlich viel mehr als alle Darlehen, die wir diesen Menschen geben, das weißt du genau.«

Guillem blieb nichts anderes übrig, als zu schweigen. Denn es stimmte. Arnau lebte bescheiden in seinem Haus an der Ecke der Canvis Nous und der Canvis Vells. Das Einzige, woran er nicht sparte, war Mars Erziehung. Das Mädchen wurde im Haus eines befreundeten Händlers von Hauslehrern unterrichtet und natürlich in Santa María. Es dauerte nicht lange, und der Baurat der Pfarrei wurde bei Arnau vorstellig, um finanzielle Hilfe zu erbitten.

»Ich habe bereits eine Kapelle«, antwortete Arnau, als ihm der Rat anbot, als Stifter für eine der Seitenkapellen von Santa María aufzutreten. »Ja doch«, setzte er zur Überraschung der Abordnung hinzu, »meine Kapelle ist die Sakramentskapelle, die Kapelle der Bastaixos, und so wird es immer sein. Ungeachtet dessen«, sagte er und öffnete die Truhe, »was braucht ihr?«

Was braucht ihr? Wie viel willst du? Mit wie viel kommst du zurecht? Genügt das? Guillem musste sich an diese Fragen gewöhnen, bis er es schließlich auch genoss, wenn ihn die Leute grüßten, ihm zulächelten und ihm dankten, während er am Strand entlangging oder durch das Ribera-Viertel schlenderte. Vielleicht hatte Arnau recht, überlegte er. Er war für die Leute da, aber war er nicht auch für ihn und die drei jüdischen Kinder da gewesen, als sie mit Steinen beworfen wurden, obwohl Arnau sie gar nicht kannte? Wäre nicht sein freundlicher Charakter gewesen, er, Raquel und Jucef wären wahrscheinlich tot. Weshalb sollte er sich verändern, nur weil er nun reich war? Und genau wie Arnau begann Guillem den Leuten zuzulächeln, denen er begegnete, und Unbekannte zu grüßen, die seinen Weg kreuzten.

Doch für einige Entscheidungen, die Arnau im Laufe der Jahre getroffen hatte, gab es andere Gründe. Dass er sich nicht an Warengeschäften oder Kauffahrern beteiligen wollte, die mit dem Sklavenhandel zusammenhingen, erschien ihm logisch, doch weshalb, so fragte sich Guillem, schlug er manchmal die Beteiligung an Geschäften aus, die nichts mit Sklaverei zu tun hatten?

Die ersten Male ließ sich Arnau auf keine Diskussion ein.

»Ich halte es nicht für ratsam.«

»Es gefällt mir nicht.«

»Ich bin mir nicht im Klaren.«

Schließlich wurde der Maure ungeduldig.

»Es ist ein gutes Geschäft, Arnau«, sagte er, nachdem die Händler die Wechselstube verlassen hatten. »Was ist los? Manchmal schlägst du Geschäfte aus, die uns guten Gewinn bringen könnten. Ich begreife es nicht. Es steht mir nicht zu, dich …«

»Doch, es steht dir zu«, unterbrach er ihn, ohne ihn anzusehen, während sie nebeneinander hinter dem Tisch saßen. »Es tut mir leid. Es ist …« Guillem wartete ab. »Weißt du, ich werde mich nie an einem Geschäft beteiligen, bei dem Grau Puig seine Finger im Spiel hat. Mein Name soll nie mit seinem in Verbindung gebracht werden.«

Arnau sah starr geradeaus, durch die Hauswand hindurch.

»Erklärst du mir das?«

»Warum nicht?«, murmelte Arnau und sah den Mauren an. Und dann begann er zu erzählen.


Guillem kannte Grau Puig, denn dieser hatte geschäftlich mit Hasdai Crescas zu tun gehabt. Der Maure fragte sich, warum der Baron unbedingt mit Arnau zusammenarbeiten wollte, wenn Arnau gar kein Interesse daran hatte. Musste ihre Abneigung nicht gegenseitig sein, nach dem, was ihm Arnau erzählt hatte?

»Kannst du dir das erklären?«, fragte er eines Tages Hasdai Crescas, nachdem er ihm im Vertrauen Arnaus Geschichte erzählt hatte.

»Es gibt viele Leute, die nicht mit Grau Puig zusammenarbeiten wollen. Auch ich gehöre seit längerer Zeit dazu, und es gibt viele andere, denen es genauso geht wie mir. Er ist davon besessen, etwas Besseres zu sein, als ihm von Geburt aus zusteht. Solange er ein einfacher Handwerker war, war er vertrauenswürdig. Heute sind seine Ziele andere … Er wusste nicht, worauf er sich eingelassen hat, als er in den Adel einheiratete.« Hasdai schüttelte den Kopf. »Um adlig zu sein, muss man als Adliger geboren werden. Man muss den Adel mit der Muttermilch aufgesogen haben. Nicht, dass ich das guthieße oder verteidigte, aber nur ein Adliger, dem der Adel in die Wiege gelegt wurde, kann sich dort halten und auch die Gefahren abschätzen. Wer würde es wagen, sich mit einem katalanischen Baron anzulegen, wenn dieser ruiniert ist? Sie sind stolz, überheblich, dazu geboren, zu befehlen und über den anderen zu stehen, auch im Ruin. Grau Puig konnte nur durch Geld seinen Adelstitel wahren. Er hat ein Vermögen für die Mitgift seiner Tochter ausgegeben. Das hat ihn beinahe in den Ruin getrieben. Ganz Barcelona weiß das! Hinter seinem Rücken lacht man über ihn, selbst seine Frau bekommt das mit. Was hat ein einfacher Handwerker in einem Palast in der Calle Monteada zu suchen? Und je mehr sich die anderen lustig machen, umso mehr muss er seinen Einfluss unter Beweis stellen, indem er mit Geld um sich wirft. Was wäre Grau Puig ohne Geld?«

»Willst du damit sagen …?«

»Ich will gar nichts sagen, aber ich würde keine Geschäfte mit ihm machen. Arnau handelt völlig richtig, auch wenn seine Gründe andere sein mögen.«

Von diesem Tag an spitzte Guillem die Ohren, wenn in einer Unterhaltung der Name Grau Puig erwähnt wurde. Und an der Börse, im Seekonsulat, bei Verhandlungen, Warenkäufen und Gesprächen über die Lage des Handels wurde viel über den Baron gesprochen – zu viel.

»Der Sohn, Genis Puig«, sagte der Maure eines Tages zu Arnau, als sie von der Börse kamen und aufs Meer hinausblickten – ein ruhiges, stilles, ungewöhnlich friedliches Meer. Arnau wandte sich zu ihm um, als er diesen Namen hörte. »Genis Puig musste einen Kredit aufnehmen, um dem König nach Mallorca zu folgen.«

Hatten seine Augen gefunkelt? Guillem forschte in Arnaus Blick. Er hatte nicht geantwortet, aber hatten seine Augen gefunkelt?

»Möchtest du darüber hören?«

Arnau sagte noch immer nichts, doch schließlich nickte er. Er hatte die Augen zusammengekniffen, seine Lippen waren aufeinandergepresst. Er nickte immer weiter.

»Erlaubst du mir, die Entscheidungen zu treffen, die ich für richtig halte?«, fragte Guillem, nachdem er geendet hatte.

»Ich erlaube es dir nicht. Ich bitte dich darum, Guillem. Ich bitte dich darum.«

Diskret begann Guillem, sein Wissen und die vielen Kontakte zu nutzen, die er sich im Laufe der Jahre erworben hatte. Dass der Sohn, Don Genis, eines der Sonderdarlehen für Adlige in Anspruch nehmen musste, bedeutete, dass der Vater die Kosten für den Krieg nicht mehr tragen konnte. Für diese Darlehen, dachte Guillem, wurden beträchtliche Zinsen verlangt. Sie waren die einzigen Darlehen, bei denen Christen Zinsen nehmen durften. Weshalb sollte ein Vater zulassen, dass sein Sohn Zinsen bezahlte, es sei denn, dass er selbst nicht über dieses Kapital verfügte? Und Isabel? Diese Harpyie, die Arnau und seinen Vater vernichtet hatte, die Arnau gezwungen hatte, auf Knien vor ihr zu rutschen? Wie konnte sie das zulassen?

Guillem warf über mehrere Monate seine Netze aus. Er sprach mit seinen Freunden, mit Menschen, die ihm einen Gefallen schuldeten, und sandte Botschaften an all ihre Handelspartner, in denen er sich nach der Situation von Grau Puig, dem katalanischen Baron und Händler, erkundigte. Was wussten sie über ihn, seine Geschäfte, seine Finanzen … und seine Solvenz?

Als sich die Seefahrtsaison dem Ende zuneigte und die Schiffe in den Hafen von Barcelona zurückkehrten, trafen die ersten Antworten auf Guillems Briefe ein. Es waren wertvolle Informationen. Als sie eines Abends das Geschäft schlossen, blieb Guillem am Tisch sitzen.

»Ich habe noch etwas zu erledigen«, sagte er zu Arnau.

»Was denn?«

»Das erzähle ich dir morgen.«

Am nächsten Tag setzten sich die beiden noch vor dem Frühstück an den Wechseltisch, und Guillem berichtete: »Grau Puig befindet sich in einer kritischen Lage.« War da wieder dieses Funkeln in Arnaus Augen? »Alle Geldwechsler und Händler, mit denen ich gesprochen habe, sind sich einig, dass sein Vermögen zerronnen ist …«

»Vielleicht sind es nur böse Gerüchte«, wandte Arnau ein.

»Warte. Hier, nimm.« Guillem überreichte ihm die Antwortschreiben der Handelspartner. »Hier ist der Beweis. Grau Puig ist in der Hand der Lombarden.«

Arnau dachte an die Lombarden: Es waren Bankiers und Händler, Vertreter der großen Handelshäuser in Florenz und Pisa, eine geschlossene Gruppe, die ihre eigenen Interessen verfolgte und deren Mitglieder untereinander oder mit ihren Mutterhäusern Handel trieben. Sie besaßen das Monopol auf den Handel mit kostbaren Tuchen: Schurwolle, Seide und Brokat, Taft aus Florenz, feine Wolle aus Pisa und vieles mehr. Die Lombarden halfen niemandem. Wenn sie einen Teil ihres Marktes oder ihrer Geschäfte abtraten, dann einzig und allein, um nicht aus Katalonien vertrieben zu werden. Es war nicht gut, von ihnen abhängig zu sein. Er blätterte in den Papieren und legte sie dann auf den Tisch.

»Was schlägst du vor?«

»Was möchtest du?«

»Das weiß du: seinen Ruin!«

»Wie man hört, ist Grau mittlerweile ein alter Mann und seine Geschäfte werden von seinen Söhnen und seiner Frau geführt. Ihre finanzielle Lage ist prekär. Wenn auch nur ein Geschäft schiefgeht, bricht alles zusammen, und sie können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Sie würden alles verlieren.«

»Kauf ihre Schulden.« Arnau sagte das ganz kühl, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Geh diskret vor. Sie sollen nicht wissen, dass ich ihr Gläubiger bin. Sorge dafür, dass eines ihrer Geschäfte scheitert. Nein, nicht eines«, korrigierte er sich. »Alle!« Er schlug so heftig auf den Tisch, dass die Bücher hochhüpften. »So viele wie nur möglich«, setzte er leise hinzu. »Ich will nicht, dass sie mir entkommen.«


20. September 1355


Hafen von Barcelona

Nach der Eroberung Sardiniens traf der siegreiche König Pedro III. mit seiner Flotte in Barcelona ein. Ganz Barcelona strömte zusammen, um ihn zu empfangen. Unter dem begeisterten Jubel des Volkes ging er über die hölzerne Brücke von Bord, die vor dem Kloster Framenors aufs Wasser hinausführte. Ihm folgten Adlige und Soldaten, um im festlich herausgeputzten Barcelona den Sieg über die Sarden zu feiern.

Arnau und Guillem schlossen die Wechselstube und machten sich auf den Weg, um die Flotte zu empfangen. Dann nahmen sie gemeinsam mit Mar an den Festlichkeiten teil, die die Stadt zu Ehren des Königs vorbereitet hatte. Sie lachten, sangen und tanzten, hörten Geschichten und aßen Süßes. Als die Sonne unterging und ein kühler Septemberabend anbrach, gingen sie nach Hause.

»Donaha!«, rief Mar, als Arnau die Tür öffnete.

Das Mädchen stürmte ins Haus, glückstrahlend wegen des Fests, und rief erneut nach Donaha, doch in der Küchentür blieb sie wie angewurzelt stehen. Arnau und Guillem sahen sich an. Was war los? War der Sklavin etwas passiert?

Sie rannten ebenfalls los.

»Was ist los?«, fragte Arnau über Mars Schulter hinweg.

»Ich glaube nicht, dass dieses Geschrei die angemessene Art ist, einen Verwandten zu begrüßen, den du lange nicht gesehen hast, Arnau«, sagte eine Männerstimme, die ihm nicht ganz unbekannt war.

Arnau hatte Mar beiseitegeschoben, doch noch immer lag seine Hand auf ihrer Schulter.

»Joan!«, brachte er nach einigen Sekunden heraus.

Mar sah, wie Arnau stotternd und mit ausgebreiteten Armen auf die schwarze Gestalt zuging, die sie erschreckt hatte. Guillem legte den Arm um das Mädchen, das immer noch auf der Türschwelle stand.

»Das ist sein Bruder«, flüsterte er ihr zu.

Donaha hatte sich in einer Ecke der Küche versteckt.

»Mein Gott!«, rief Arnau und schloss Joan in die Arme. »Mein Gott! Mein Gott!«, wiederholte er immer wieder, während er Joan in die Luft hob.

Lächelnd gelang es Joan, sich von Arnau loszumachen.

»Du wirst mich in Stücke reißen …«

Aber Arnau hörte nicht hin.

»Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben?«, fragte er. Dann fasste er ihn an den Schultern. »Lass dich ansehen. Du hast dich verändert!« Dreizehn Jahre ist es her, wollte Joan sagen, doch Arnau ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Seit wann bist du in Barcelona?«

»Ich …«

»Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben?«

Arnau schüttelte seinen Bruder bei jeder Frage.

»Wirst du hierbleiben? Sag ja. Bitte!«

Guillem und Mar mussten grinsen. Der Mönch sah ihre belustigten Gesichter.

»Arnau!«, rief er und trat einen Schritt zurück. »Genug, Arnau! Du bringst mich ja um.«

Arnau nutzte den Abstand, um ihn zu betrachten. Nur die Augen waren noch genauso lebhaft und strahlend wie bei jenem Joan, der damals aus Barcelona weggegangen war. Davon abgesehen war er fast kahl, hager und ausgezehrt … Der schwarze Habit, der schlaff von seinen Schultern herabhing, ließ ihn noch unheimlicher aussehen. Er war drei Jahre jünger als Arnau, doch er wirkte wesentlich älter.

»Isst du denn nichts? Wenn das Geld nicht ausgereicht hat, das ich dir geschickt habe …«

»Doch«, unterbrach ihn Joan, »es war mehr als genug. Von deinem Geld habe ich meinen Geist genährt. Bücher sind sehr teuer, Arnau.«

»Du hättest mehr verlangen sollen.«

Joan winkte ab und setzte sich an den Tisch, gegenüber von Guillem und Mar.

»Also, stell mir dein Mündel vor. Wie ich feststelle, ist sie seit deinem letzten Brief gewachsen.«

Arnau gab Mar ein Zeichen und diese trat vor Joan. Das Mädchen senkte den Blick, verstört von der Strenge, die in seinen Priesteraugen zu erkennen war. Als der Mönch sie lange genug betrachtet hatte, stellte Arnau ihm Guillem vor.

»Das ist Guillem«, sagte Arnau. »Ich habe dir in meinen Briefen schon viel von ihm erzählt.«

»Ja.« Joan machte keine Anstalten, ihm die Hand zu reichen, und Guillem zog seine Hand wieder zurück, die er Joan angeboten hatte. »Erfüllst du deine christlichen Pflichten?«, wollte er von ihm wissen.

»Ja …«

»Bruder Joan«, setzte Joan hinzu.

»Ja, Bruder Joan«, wiederholte Guillem.

»Das ist Donaha«, warf Arnau rasch ein.

Joan nickte, ohne sie auch nur anzusehen.

»Und du bist Ramons Tochter, nicht wahr?«, sagte er, an Mar gewandt, und bedeutete ihr, sich zu setzen. »Dein Vater war ein wunderbarer Mann, fleißig und gottesfürchtig wie alle Bastaixos.« Joan sah Arnau an. »Ich habe oft für ihn gebetet, seit Arnau mir mitteilte, dass er gestorben ist. Wie alt bist du, Mädchen?«

Arnau trug Donaha auf, das Essen zu servieren, und setzte sich zu Tisch. Erst jetzt bemerkte er, dass Guillem abseits des Tisches stehen geblieben war, als wagte er es angesichts des neuen Gastes nicht, sich zu setzen.

»Setz dich, Guillem«, bat er ihn. »Mein Tisch gehört dir.«

Joan ließ sich nichts anmerken.

Das Essen verlief schweigsam. Mar war ungewöhnlich still, als hätte der Neuankömmling ihr die Natürlichkeit genommen. Joan seinerseits aß nur wenig.

»Erzähl mir, Joan«, sagte Arnau, als sie fertig gegessen hatten. »Wie ist es dir ergangen? Wann bist du angekommen?«

»Ich habe die Rückreise des Königs genutzt und ein Schiff nach Sardinien genommen, als ich von seinem Sieg erfuhr. Von dort ging es dann weiter nach Barcelona.«

»Hast du den König gesehen?«

»Er hat mich nicht empfangen.«

Mar bat um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Guillem tat es ihr nach. Die beiden verabschiedeten sich von Bruder Joan. Die Unterhaltung zog sich bis in die späte Nacht hin. Bei einer Flasche Dessertwein holten die beiden Brüder die dreizehn Jahre nach, die sie getrennt gewesen waren.

Загрузка...