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Er sah sie lächeln. Arnau sah seine Schutzpatronin weiterhin lächeln, und auch das Leben zeigte ihm sein freundliches Gesicht. Er war nun vierzig Jahre alt, und trotz der Krise liefen seine Geschäfte gut und warfen große Gewinne ab, von denen er einen Teil an die Bedürftigen gab oder an die Kirche Santa María stiftete. Mit der Zeit gab Guillem ihm recht: Die einfachen Leute aus dem Volk zahlten ihre Darlehen Münze für Münze zurück. Arnaus Kirche wuchs weiter in die Höhe. Das dritte Mittelschiffjoch und die beiden Achtecktürme an der Hauptfassade waren im Entstehen begriffen. In Santa María wimmelte es vor Handwerkern: Steinmetze und Bildhauer, Maler, Glaser, Zimmerleute und Schmiede. Es gab sogar einen Orgelbauer, dessen Arbeit Arnau aufmerksam verfolgte. Wie würde die Musik in dieser gewaltigen Kirche klingen?, fragte er sich oft. Nach dem Tod des Erzdiakons Bernat Llull und dem vorübergehenden Wirken zweier anderer Kanoniker hatte nun Pere Salvete de Montirac, mit dem Arnau regelmäßig zu tun hatte, dieses Amt inne. Auch der große Baumeister Berenguer de Montagut und sein Nachfolger Ramon Despuig waren gestorben. Nun war Guillem Metge mit der Leitung der Bauarbeiten befasst.
Aber Arnau war nicht nur mit den Pröpsten von Santa María gut bekannt. Durch seine finanzielle Situation und seine neue Aufgabe pflegte er auch einen vertrauten Umgang mit den Ratsherren und Zunftmeistern der Stadt sowie den Mitgliedern des Rats der Hundert. Seine Meinung wurde an der Börse gehört und Händler und Geschäftsleute folgten seinen Ratschlägen.
»Du musst das Amt annehmen«, hatte ihm Guillem geraten.
Arnau bedachte sich kurz. Man hatte ihm einen der beiden Posten als Seekonsul von Barcelona angeboten. Der Seekonsul war der oberste Vertreter des Handels in der Stadt, mit eigener Rechtsbefugnis bei geschäftlichen Auseinandersetzungen, unabhängig von allen anderen Institutionen in Barcelona, dafür zuständig, Probleme im Hafen und unter den Arbeitern zu lösen und darauf zu achten, dass die Vorschriften und Satzungen des Handels eingehalten wurden.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann …«
»Niemand ist besser dafür geeignet als du, Arnau, glaub mir«, unterbrach ihn Guillem. »Du kannst das. Ganz sicher kannst du das.«
Und so willigte Arnau ein, einer der beiden neuen Konsuln zu werden, wenn die Amtszeit der Vorgänger endete.
Santa María, seine Geschäfte, seine künftigen Pflichten als Seekonsul – das alles schuf eine Mauer rund um Arnau, hinter der sich der ehemalige Bastaix wohlfühlte. Wenn er nach Hause in den Palast in der Calle Monteada kam, merkte er nicht, was hinter dem großen Portal vor sich ging.
Arnau hatte sein Versprechen gegenüber Elionor gehalten, doch sein Verhalten bestätigte auch die Gründe, deretwegen er ihr dieses Angebot unterbreitet hatte. Ihr Verhältnis war kühl und distanziert und beschränkte sich auf das Allernötigste. Unterdessen war Mar zwanzig Jahre alt und weigerte sich nach wie vor zu heiraten. Weshalb sollte sie, wo sie doch Arnau hatte? Was würde er ohne sie tun? Wer sollte ihm die Schuhe ausziehen und ihn umsorgen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam? Wer sollte mit ihm reden und sich seine Probleme anhören? Elionor vielleicht? Joan, der sich mehr und mehr in seine Studien vertiefte? Die Sklaven? Oder Guillem, mit dem er bereits den Großteil des Tages verbrachte?
Jeden Tag wartete Mar ungeduldig auf Arnaus Heimkehr. Wenn sie ihn an das große Portal klopfen hörte, schlug ihr Herz schneller, und mit einem Lächeln auf den Lippen stürmte sie los, um ihn oben an der Treppe zur Adelsetage zu erwarten. Während des Tages, wenn Arnau nicht da war, war ihr Leben eintönig und eine ständige Qual.
»Kein Rebhuhn!«, tönte es da durch die Küche. »Heute gibt es Kalbfleisch.«
Mar wandte sich zu der Baronin um, die in der Küchentür stand. Arnau mochte Rebhuhn, also war sie mit Donaha welches kaufen gegangen. Sie hatte das Geflügel selbst ausgewählt, es an einem Balken in der Küche aufgehängt und täglich seinen Zustand geprüft. Schließlich befand sie, dass es abgehangen genug war, und ging frühmorgens nach unten in die Küche, um es zuzubereiten.
»Aber …«, wollte Mar widersprechen.
»Kalbfleisch«, bestimmte Elionor und warf Mar einen vernichtenden Blick zu.
Mar sah Donaha an, doch die Sklavin zuckte beinahe unmerklich mit den Schultern.
»Was in diesem Haus gegessen wird, bestimme ich«, setzte die Baronin hinzu, diesmal an die gesamte Dienerschaft in der Küche gewandt. »In diesem Haus habe ich das Sagen!«
Damit drehte sie sich um und ging.
An diesem Tag wartete Elionor ab, welche Folgen ihr Affront hatte. Würde sich das Mädchen an Arnau wenden oder würde es die Auseinandersetzung für sich behalten? Auch Mar dachte darüber nach, ob sie Arnau davon erzählen sollte. Was gewann sie damit? Wenn Arnau für sie Partei ergriff, würde er Streit mit Elionor bekommen, und sie war ja tatsächlich die Hausherrin. Und wenn er nicht für sie Partei ergriff? Die Vorstellung versetzte ihr einen Stich. Arnau hatte einmal gesagt, dass er den König nicht vor den Kopf stoßen dürfe. Und wenn Elionor sich ihretwegen beim König beschwerte? Was würde Arnau dann sagen?
Am Abend warf Elionor dem Mädchen ein abschätziges Lächeln zu, als sie feststellte, dass Arnau sich ihr gegenüber genauso verhielt wie immer. Mit der Zeit wurde dieses Lächeln zu Mars ständigem Begleiter. Elionor untersagte ihr, mit den Dienern zum Einkaufen zu gehen und die Küche zu betreten. Sie postierte Bedienstete vor den Türen der Wohnräume, wenn sie sich darin aufhielt. »Die Baronin möchte nicht gestört werden«, bekam Mar zu hören, wenn sie hineinwollte. Tag für Tag fand Elionor neue Wege, das Mädchen zu piesacken.
Der König. Sie durften den König nicht vor den Kopf stoßen. Diese Worte hatten sich Mar eingeprägt, und sie rief sie sich immer wieder in Erinnerung. Elionor war seine Ziehtochter und hatte jederzeit Zugang zum König. Sie würde Elionor keinen Anlass geben, sich beleidigt zu fühlen.
Welch großer Irrtum! Die häuslichen Zwistigkeiten stellten Elionor nicht zufrieden. Ihre kleinen Siege verpufften, wenn Arnau nach Hause kam und Mar sich in seine Arme warf. Die beiden lachten miteinander, sie plauderten … und sie berührten sich. Arnau saß in einem Sessel und erzählte von seinem Tag, den Auseinandersetzungen an der Börse, dem Wechselgeschäft, den Schiffen, und Mar kauerte zu seinen Füßen und lauschte andächtig seinen Geschichten. War dies nicht eigentlich der Platz seiner rechtmäßigen Ehefrau? Nach dem Abendessen stand Arnau am Fenster und betrachtete gemeinsam mit Mar, die sich bei ihm untergehakt hatte, die sternenklare Nacht. Hinter ihnen ballte Elionor die Fäuste, bis sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen gruben. Dann stand sie brüsk auf, um sich zurückzuziehen.
In der Einsamkeit ihrer Gemächer überdachte sie ihre Situation. Arnau hatte sie seit der Hochzeit kein einziges Mal berührt. Sie streichelte ihren Körper, ihre immer noch festen Brüste, ihre Hüften, ihre Scham, doch wenn die Lust sie übermannte, wurde ihr stets schmerzlich bewusst, dass es diesem Mädchen gelungen war, ihren Platz einzunehmen.
»Was geschieht, wenn mein Mann stirbt?«
Sie fragte direkt und ohne Umschweife, nachdem sie vor dem mit Büchern beladenen Tisch Platz genommen hatte. Dann hustete sie. Dieses Studierzimmer voller Bücher und Akten, der Staub …
Reginald d'Area betrachtete seine Besucherin in aller Ruhe. Er sei der beste Anwalt der Stadt, hatte man Elionor gesagt, sehr erfahren in der Auslegung der katalonischen Gesetze.
»Wenn ich Euch recht verstanden habe, habt Ihr keine gemeinsamen Kinder mit Eurem Gemahl, ist das richtig?« Elionor runzelte die Stirn. »Ich muss es wissen«, sagte er bedächtig. Seine gesamte Erscheinung – ein beleibter, gutmütiger Herr mit weißen Haaren und weißem Bart – flößte ihr Sicherheit ein.
»Nein, haben wir nicht.«
»Ich nehme an, Eure Anfrage bezieht sich auf den Aspekt der Erbschaft.«
Elionor rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
»Ja«, antwortete sie schließlich.
»Eure Mitgift erhaltet Ihr zurück. Was das Vermögen Eures Mannes angeht, so kann er in einem Testament darüber verfügen, wie er möchte.«
»Mir stünde nichts zu?«
»Der Nießbrauch an seinem Besitz während des Trauerjahres.«
»Mehr nicht?«
Der Ausruf brachte Reginald d'Area aus der Fassung. Wofür hielt sich diese Frau?
»Das habt Ihr Eurem Vormund König Pedro zu verdanken«, entgegnete er trocken.
»Wie meint Ihr das?«
»Bis zur Thronbesteigung Eures Vormunds war in Katalonien ein Gesetz König Jaimes I. in Kraft, nach dem die Witwe ein Lebtag lang in den Nießbrauch des gesamten Erbes ihres Mannes kam, solange sie sich ehrbar verhielt. Doch die Händler in Barcelona und Perpignan sind sehr misstrauisch, was ihr Vermögen angeht, selbst gegenüber ihren Ehefrauen, und setzten ein königliches Privileg durch, demzufolge dieser Nießbrauch nur für das Trauerjahr gelten sollte. Euer Vormund hat dieses Privileg in den Stand eines Gesetzes erhoben, das für das gesamte Prinzipat Gültigkeit hat …«
Elionor hatte genug gehört und stand auf, bevor der Anwalt zu Ende gesprochen hatte. Sie hustete erneut und ließ ihren Blick durch die Studierstube schweifen. Was wollte er mit all diesen Büchern? Reginald erhob sich ebenfalls.
»Wenn Ihr noch etwas benötigt …«
Elionor, die sich bereits zum Gehen gewandt hatte, winkte lediglich ab.
Die Sache war klar: Sie brauchte ein Kind von ihrem Mann, um ihre Zukunft abzusichern. Arnau hatte Wort gehalten und Elionor hatte ein anderes Leben kennengelernt: Ein Leben im Luxus, den sie bei Hofe zwar gesehen hatte, der ihr aber nach unzähligen Kontrollen durch die königlichen Schatzmeister stets verwehrt geblieben war. Nun gab sie so viel Geld aus, wie sie wollte, hatte alles, was sie sich wünschte. Doch was, wenn Arnau starb? Die Einzige, die ihr im Weg stand, die Einzige, die ihn von ihr fernhielt, war diese wollüstige Hexe. Wenn die Hexe nicht mehr da wäre … wenn sie verschwände … dann würde Arnau sicherlich ihren Reizen erliegen. Oder sollte sie etwa nicht in der Lage sein, einen geflohenen Bauern zu verführen?
Einige Tage später ließ Elionor den Mönch zu sich rufen, den einzigen Estanyol, mit dem sie einen gewissen Umgang pflegte.
»Ich kann das nicht glauben!«, sagte Joan.
»Aber es ist so, Bruder Joan«, beteuerte Elionor, die Hände immer noch vors Gesicht geschlagen. »Seit unserer Hochzeit hat er mich nicht einmal berührt.«
Joan wusste, dass es keine Liebe zwischen Arnau und Elionor gab und dass sie in getrennten Zimmern schliefen. Aber was besagte das schon? Niemand heiratete aus Liebe und die meisten Adligen schliefen getrennt. Doch wenn Arnau Elionor nicht angefasst hatte, war die Ehe nicht vollzogen.
»Habt Ihr darüber gesprochen?«, wollte er von ihr wissen.
Elionor nahm die Hände vom Gesicht und sah Joan aus geröteten Augen an.
»Ich traue mich nicht. Ich wüsste nicht, wie. Außerdem glaube ich …«
Elionor ließ ihren Verdacht in der Luft stehen.
»Was glaubt Ihr?«
»Ich glaube, Arnau hat mehr Augen für Mar als für mich.«
»Ihr wisst doch, dass Arnau das Mädchen vergöttert.«
»Ich meine nicht diese Art von Liebe, Bruder Joan«, sagte sie und senkte die Stimme. Joan richtete sich in seinem Sessel auf. »Ich weiß, dass es Euch schwerfallen wird, mir zu glauben, doch ich bin überzeugt, dass dieses Mädchen, wie Ihr sie zu nennen beliebt, meinem Mann nachstellt. Es ist, als hätte man den Teufel im eigenen Haus, Bruder Joan!« Elionor legte ein Beben in ihre Stimme. »Meine Waffen sind die einer verheirateten Frau, die dem Auftrag der Kirche nachkommen will. Doch immer wenn ich es versuche, stelle ich fest, dass mein Mann von einer Wollust gefangen ist, die ihn daran hindert, mich zu beachten. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!«
Deshalb also wollte Mar nicht heiraten! Konnte das wirklich stimmen? Joan erinnerte sich: Die beiden waren immer zusammen. Und wie sie sich in die Arme fielen! Und diese Blicke, und das Lächeln. Wie dumm er gewesen war! Der Maure wusste davon, keine Frage. Deshalb verteidigte er sie.
»Ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll«, entschuldigte er sich.
»Ich habe einen Plan. Doch dabei benötige ich Eure Hilfe und vor allen Dingen Euren Rat.«