26

Mai 1343


Santa María del Mar


Barcelona


Fast zwei Jahre waren vergangen, seit der Stadtrichter von Barcelona das Urteil über Jaime III. König von Mallorca, gesprochen hatte. Die Glocken der ganzen Stadt läuteten ohne Unterlass. In der Kirche Santa María, deren Mauern noch offen waren, hörte Arnau ihr Läuten mit Beklemmung. Der König hatte zum Krieg gegen Mallorca aufgerufen und die Stadt hatte sich mit Adligen und Soldaten gefüllt. Von seinem Platz vor der Sakramentskapelle sah Arnau sie in der Menschenmenge stehen, die sich in der Kirche und auf dem Vorplatz drängte. In sämtlichen Kirchen Barcelonas wurde die Messe für das katalanische Heer gelesen.

Arnau war müde. Der König hatte seine Flotte in Barcelona zusammengezogen und die Bastaixos arbeiteten seit Tagen ohne Unterlass. Hundertsiebzehn Schiffe! Noch nie hatte man so viele Schiffe auf einmal gesehen: zweiundzwanzig große Kriegsgaleeren, sieben bauchige Koggen für den Transport der Pferde sowie acht große Segelschiffe mit zwei oder drei Decks für den Transport der Soldaten. Der Rest waren mittelgroße und kleine Schiffe. Das Meer war mit Masten übersät und die Schiffe fuhren im Hafen ein und aus.

Bestimmt war es eine dieser nun bewaffneten Galeeren gewesen, auf der Joan vor mehr als einem Jahr im schwarzen Habit der Dominikaner nach Bologna aufgebrochen war. Arnau hatte ihn bis zum Ufer begleitet. Joan war in ein Boot gesprungen, hatte sich mit dem Rücken zum Meer auf die Ruderbank gesetzt und ihm zugelächelt. Arnau sah ihn an Bord der Galeere gehen, und als die Ruderer sich in die Riemen legten, merkte er, wie ihm das Herz schwer wurde und Tränen über seine Wangen rollten. Er war allein.

Und daran hatte sich nichts geändert. Arnau blickte sich um. Noch immer läuteten sämtliche Kirchenglocken der Stadt. Adel, Klerus, Soldaten, Händler, Handwerker und das einfache Volk drängten sich in der Kirche Santa María. Seine Zunftbrüder standen fest an seiner Seite, und doch fühlte er sich alleine. Seine Träume, sein ganzes Leben waren vergangen wie die alte romanische Kirche, die dem neuen Gotteshaus Platz gemacht hatte. Sie war verschwunden. Nichts deutete mehr auf den kleinen Bau hin. Von dort, wo er stand, konnte er das gewaltige, breite Mittelschiff sehen, eingerahmt von den Oktogonalpfeilern, auf denen später die Gewölbe ruhen würden. Jenseits der Pfeiler wuchsen die Außenmauern der Kirche Stein für Stein geduldig in den Himmel.

Arnau blickte nach oben. Der Schlussstein des ersten Mittelschiffgewölbes war bereits an seinem Platz, nun wurde an den Gewölben der Seitenschiffe gearbeitet. Als Motiv für diesen zweiten Schlussstein hatte man die Geburt Christi gewählt. Der Chor war bereits vollständig eingewölbt. Das nächste Joch, das erste des riesigen, langgestreckten Mittelschiffs, das noch nicht geschlossen war, erinnerte an ein Spinnennetz: Die vier Gewölberippen zeichneten sich vor dem Himmel ab, und mittendrin saß der Schlussstein wie eine Spinne, die auf Beute zu lauern schien. Arnau betrachtete lange diese feinen Bögen. Er wusste, wie es sich anfühlte, in einem Spinnennetz zu zappeln! Aledis setzte ihm immer heftiger zu. »Ich werde es deinen Zunftmeistern erzählen«, drohte sie ihm, wenn Arnau zweifelte, und er sündigte immer und immer wieder. Arnau sah zu den übrigen Bastaixos hinüber. Wenn sie davon erfuhren … Da standen der Zunftmeister Bartolomé, sein Schwiegervater, und Ramon, sein Freund und Fürsprecher. Was würden sie sagen? Und er hatte nicht einmal Joan an seiner Seite.

Sogar Santa María schien sich von ihm abgewandt zu haben. Nun, da der Bau bereits teilweise eingewölbt war und die Strebepfeiler der Seitenschiffe des zweiten Jochs standen, hatten der Adel und die reichen Händler der Stadt in den Seitenkapellen damit begonnen, sich durch Wappen, Bilder, Sarkophage und in Stein gemeißelte Reliefs zu verewigen.

Wenn Arnau Zuflucht bei der Jungfrau suchte, lief immer irgendein reicher Händler oder Adliger zwischen den Bauarbeiten herum. Es war, als hätte man ihm seine Kirche geraubt. Sie waren plötzlich da gewesen und beanspruchten voller Stolz von den vierunddreißig im Chorumgang geplanten Kapellen die elf bereits fertiggestellten für sich. Da waren bereits die Wappenvögel der Busquets in der Sakramentskapelle, die Hand und der Löwe der Junquets in der Kapelle San Jaime, die drei Birnen des Boronat de Pera auf dem Schlussstein der spitzbogigen Pauluskapelle, das Hufeisen und die Bänder von Pau Ferran im Marmorboden derselben Kapelle, die Wappen der Duforts und der Dusays und der Brunnen der Fonts in der Kapelle Santa Margarita. Selbst in seiner Kapelle, der Kapelle der Bastaixos, wurde neben den Wappen der Ferrers der Sarkophag des Erzdiakons der Kirche, Bernat Llull, der den Bau veranlasst hatte, aufgestellt.

Arnau schlich mit gesenktem Kopf an Adligen und Händlern vorbei. Er kniete vor der Jungfrau nieder, um sie darum zu bitten, ihn von dieser Spinne zu befreien, die ihn verfolgte.

Als die Messfeierlichkeiten zu Ende waren, strömte ganz Barcelona zum Hafen. Dort wartete Pedro III. zum Kampf gerüstet und von seinen Baronen umgeben. Während Infant Don Jaime, Graf von Urgell, in Katalonien blieb, um die Provinzen Ampurdán, Besalú und Camprodón zu verteidigen, die an die Besitzungen des mallorquinischen Königs auf dem Festland grenzten, brachen die Übrigen mit dem König zur Eroberung der Insel auf. Der Infant Don Pedro, Seneschall von Katalonien, Pere de Monteada, Admiral der Flotte, Pedro de Eixèrica und Blasco de Alagó, Gonzalo Díez de Arenós und Felipe de Castre, Pater Joan de Arborea, Alfonso de Llòria, Galvany de Anglesola, Arcadic de Mur, Arnau d'Erill, Pater Gonzalvo García, Joan Ximénez de Urrea und viele andere Adlige und Ritter waren mit ihren Truppen und jeweiligen Vasallen erschienen, um in den Krieg zu ziehen.

Maria, die sich vor der Kirche mit Arnau getroffen hatte, deutete aufgeregt zu den Männern. Er sah in die Richtung, in die sie wies.

»Der König! Der König, Arnau! Sieh doch nur! Diese Haltung! Und sein Schwert! Ein herrliches Schwert ist das! Und dieser Adlige da. Wer ist das, Arnau? Kennst du ihn? Und die Schilde, die Rüstungen, die Banner …«

Maria zog Arnau den ganzen Strand entlang, bis sie vor dem Kloster Framenors standen. Abseits von den Adligen und Soldaten bestieg dort bereits eine vielköpfige Truppe schmutziger, abgerissener Männer die Boote, die sie zu den Schiffen bringen sollten. Sie besaßen weder Schilde noch Rüstungen, noch Schwerter, sondern trugen lediglich lange, zerschlissene Hemden, Gamaschen und Ledermützen.

Diese Männer waren nur mit Macheten und Lanzen bewaffnet!

»Ist das die Kompanie?«, fragte Maria ihren Mann.

»Ja. Die Almogavaren.«

Die beiden fielen in das respektvolle Schweigen ein, mit dem die Bürger Barcelonas die von König Pedro angeheuerten Söldner betrachteten. Die Eroberer von Byzanz! Selbst die Frauen und Kinder, die von den Schwertern und Rüstungen der Adligen ebenso beeindruckt waren wie Maria, warfen ihnen stolze Blicke zu. Diese Männer kämpften zu Fuß und mit entblößter Brust, einzig und allein auf ihr Geschick und ihr Können vertrauend. Wer wollte da über ihr Äußeres lachen, ihre Hemden oder ihre Waffen?

Die Sizilianer, so hatte ihr Arnau erzählt, hatten sich auf dem Schlachtfeld über sie lustig gemacht. Was sollten diese abgerissenen Gestalten gegen adlige Herren zu Pferde ausrichten? Doch die Almogavaren schlugen sie vernichtend und eroberten die Insel. Auch die Franzosen hatten über sie gespottet; die Geschichte wurde in ganz Katalonien erzählt, und jeder wollte sie hören. Auch Arnau hatte sie schon einige Male vernommen.

»Es heißt«, flüsterte er Maria zu, »einige französische Ritter hätten einen Almogavaren gefangen genommen und ihn vor den Fürsten Karl von Salerno geführt. Dieser beleidigte ihn, indem er ihn einen armen Lumpen und Wilden schmähte, und machte sich über die katalanischen Truppen lustig.« Weder Arnau noch Maria wandten einen Blick von den Söldnern, die dort in die Boote stiegen. »Daraufhin forderte der Almogavare in Gegenwart des Fürsten und seiner Ritter den Besten seiner Männer heraus. Er selbst würde zu Fuß kämpfen, nur mit seiner Lanze bewaffnet, der Franzose zu Pferde und mit seiner ganzen Rüstung.« Arnau schwieg einen Moment, doch Maria sah ihn an und drängte ihn fortzufahren. »Die Franzosen lachten über den Katalanen, gingen jedoch auf die Herausforderung ein. Man begab sich auf ein freies Feld in der Nähe des französischen Feldlagers, und dort besiegte der Almogavare seinen Widersacher, nachdem er das Pferd getötet hatte und sich die mangelnde Beweglichkeit des Ritters im Zweikampf zunutze machte. Als er sich anschickte, den Unterlegenen zu enthaupten, schenkte Karl von Salerno ihm die Freiheit.«

»Es stimmt«, sagte eine Stimme hinter ihnen. »Sie kämpfen wie leibhaftige Teufel.«

Arnau spürte, wie Maria sich an ihn schmiegte und seinen Arm umklammerte, ohne indes den Blick von den Söldnern zu wenden. Was suchst du, Maria? Schutz? Wenn du wüsstest! Ich bin nicht einmal in der Lage, mich meinen eigenen Schwächen zu stellen. Glaubst du, einer von ihnen könnte dir mehr Leid zufügen, als ich es tue? Sie kämpfen wie die Teufel. Arnau sah sie an: Männer, die frohen Mutes in den Krieg zogen und ihre Familien zurückließen. Warum … Warum sollte er nicht dasselbe tun?

Die Einschiffung der Männer zog sich über Stunden hin. Maria ging nach Hause und Arnau schlenderte durch die Menschenmenge am Strand. Hin und wieder traf er einige seiner Zunftbrüder.

»Warum so eilig?«, fragte er Ramon und deutete zu den Booten, die unablässig hin- und herfuhren, voll beladen mit Soldaten. »Das Wetter ist gut. Es sieht nicht nach Sturm aus.«

»Du wirst schon sehen«, entgegnete Ramon.

In diesem Augenblick war das erste Wiehern zu hören. Bald waren es Hunderte. Die Pferde hatten außerhalb der Stadtmauern gewartet, und nun waren sie an der Reihe, verschifft zu werden. Von den sieben Koggen, die zum Transport der Tiere vorgesehen waren, waren einige bereits mit Pferden beladen. Diese waren entweder mit den Adligen aus Valencia gekommen oder in den Häfen von Salou, Tarragona oder im Norden Barcelonas eingeschifft worden.

»Lass uns verschwinden«, drängte Ramon. »Das hier wird eine regelrechte Schlacht werden.«

Als sie eben den Strand verließen, erschienen die ersten Pferde am Zügel ihrer Stallburschen. Es waren riesige Streitrösser, die ausschlugen, unruhig tänzelten und die Zähne bleckten, während ihre Pfleger alle Mühe hatten, sie im Zaum zu halten.

»Sie wissen, dass es in den Krieg geht«, bemerkte Ramon, während sie zwischen den am Strand liegenden Booten Schutz suchten.

»Sie wissen es?«

»Natürlich. Immer wenn sie an Bord eines Schiffes gebracht werden, geht es in den Krieg. Sieh nur.« Arnau blickte zum Meer. Vier bauchige Koggen, die nur geringen Tiefgang hatten, kamen so nahe wie möglich ans Ufer und öffneten die Rampen am Achterdeck. Diese schlugen auf dem Wasser auf und gaben den Blick ins Innere der Schiffe frei. »Und die, die es nicht wissen«, fuhr Ramon fort, »lassen sich von den Übrigen anstecken.«

Bald war der Strand voller Pferde, Hunderte großer, stämmiger, für den Kampf ausgebildete Schlachtrösser. Die Stallburschen und Knappen rannten hin und her, während sie versuchten, den Tritten und Bissen der Tiere zu entgehen. Arnau sah mehr als einen durch die Luft fliegen, nachdem er getreten oder gebissen worden war. Es herrschte heilloses Durcheinander und ein ohrenbetäubender Lärm.

»Worauf warten sie?«, schrie Arnau.

Ramon wies erneut auf die Koggen. Mehrere Knappen wateten mit einigen Pferden durch das brusttiefe Wasser.

»Das sind die erfahrensten Tiere. Wenn sie erst einmal drin sind, laufen ihnen die anderen hinterher.«

Und so war es. Als die Pferde das Ende der Rampen erreichten, drehten die Knappen sie in Richtung Strand, und die Tiere begannen laut zu wiehern.

Das war das Signal.

Die Herde stürzte sich in die Fluten. Das Wasser schäumte und für einen Moment war nichts mehr zu erkennen. Hinter und neben den Tieren liefen einige Pferdeknechte, um die Herde einzukesseln und unter Peitschenknallen zu den Koggen zu treiben. Die Burschen hatten die Zügel ihrer Pferde verloren und die meisten Tiere preschten zügellos durchs Wasser, während sie sich gegenseitig anstießen. Es herrschte ein völliges Chaos: Schreie und Peitschenknallen, wiehernde Pferde, die verzweifelt versuchten, die Koggen zu erklimmen, während die Leute sie vom Strand aus anfeuerten. Dann herrschte wieder Stille im Hafen. Als die Pferde auf den Koggen verladen waren, wurden die Rampen hochgezogen, und die bauchigen Schiffe waren seeklar.

Die Galeere von Admiral Pere de Monteada gab das Zeichen zum Aufbruch und die hundertsiebzehn Schiffe setzten sich in Bewegung. Arnau und Ramon gingen wieder zum Wasser hinunter.

»Da fahren sie dahin«, bemerkte Ramon, »um Mallorca zu erobern.«

Arnau nickte wortlos. Ja, da fuhren sie dahin. Ließen ihre Sorgen und Nöte hinter sich. Als Helden verabschiedet, in Gedanken beim Kampf, nur beim Kampf. Was hätte er darum gegeben, an Bord einer dieser Galeeren zu sein!


Am 21. Juni desselben Jahres hörte Pedro III. die Messe in der Kathedrale von Mallorca in sede majestatis , ausgestattet mit den Gewändern, den Insignien und der Krone des Königs von Mallorca. Jaime III. war in seine Besitzungen im Roussillon geflohen.

Die Nachricht erreichte Barcelona und verbreitete sich von dort über die gesamte spanische Halbinsel. König Pedro hatte den ersten Schritt getan, um die nach dem Tode Jaimes I. geteilten Reiche wieder zu vereinen, wie er es versprochen hatte. Nun musste er nur noch die Grafschaft Sardinien und die katalanischen Gebiete jenseits der Pyrenäen erobern: das Roussillon.

Während des langen Monats, den der Feldzug nach Mallorca dauerte, konnte Arnau das Bild nicht vergessen, wie die königliche Flotte aus dem Hafen von Barcelona ausgelaufen war. Als die Schiffe sich entfernten, hatten sich die Leute zerstreut und waren nach Hause gegangen. Wozu sollte er nach Hause gehen? Um in den Genuss einer Liebe und Zärtlichkeit zu kommen, die er nicht verdiente? Er setzte sich in den Sand, und dort saß er immer noch, als das letzte Segel schon längst am Horizont verschwunden war. »Diese Glücklichen! Sie können ihre Probleme zurücklassen«, sagte er sich. Den ganzen Monat hindurch hörte Arnau immer wieder die Rufe und das Gelächter der Almogavaren und sah die Flotte davonsegeln, wenn Aledis ihn auf dem Weg zum Montjuïc abfing oder er danach Marias Fürsorge über sich ergehen lassen musste. Eines Tages würden sie ihn ertappen. Vor Kurzem hatte jemand vom Weg aus gerufen, als Aledis über ihm stöhnte. Hatte man sie gehört? Die beiden hatten eine Weile mucksmäuschenstill verharrt. Dann hatte Aledis gelacht und sich wieder auf ihn gestürzt. Wenn man ihn erwischte … Der Spott, der Ausschluss aus der Zunft. Was sollte er dann tun? Wovon sollte er leben?

Als am 29. Juni 1343 ganz Barcelona zusammenströmte, um die königliche Flotte zu empfangen, die sich an der Mündung des Flusses Llobregat gesammelt hatte, stand Arnaus Entschluss fest. Der König würde das Roussillon und Sardinien erobern, und er, Arnau Estanyol, würde ein Teil seines Heeres sein. Er musste vor Aledis fliehen! Vielleicht würde sie ihn auf diese Weise vergessen, und wenn er zurückkehrte … Wenn er zurückkehrte … Ein Schauder durchfuhr ihn. Das war der Krieg, da starben Männer. Aber falls er zurückkam, konnte er vielleicht ein neues Leben mit Maria anfangen, ohne von Aledis verfolgt zu werden.

Auf Anweisung Pedros III. liefen die Schiffe einzeln und in hierarchischer Reihenfolge in den Hafen von Barcelona ein: zuerst die königliche Galeere, gefolgt von jener des Infanten Don Pedro, dann diejenige von Pater Pere de Montacada, die des Herrn de Eixèrica und so weiter.

Während die Flotte draußen wartete, lief die königliche Galeere langsam in den Hafen ein, damit alle, die sich am Strand von Barcelona eingefunden hatten, sie bewundern und ihr zujubeln konnten.

Arnau hörte die begeisterten Rufe des Volkes, als das Schiff an ihnen vorüberkam. Bastaixos und Hafenschiffer standen am Ufer bereit, um die schwimmende Brücke zu errichten, über die der König von Bord gehen sollte. Neben ihnen standen, gleichfalls wartend, die Ratsherren Francesc Grony, Bernat Santcliment und Galcerà Carbó, flankiert von den Gildemeistern der Zünfte. Die Hafenschiffer begannen ihre Boote aufzustellen, doch die Ratsherren befahlen ihnen zu warten.

Was war los? Arnau sah die übrigen Bastaixos an. Wie sollte der König an Land gehen, wenn nicht über eine Brücke?

»Er darf nicht an Land gehen«, hörte er Francesc Grony zu Bernat Santcliment sagen. »Das Heer muss unverzüglich nach Roussillon aufbrechen, bevor König Jaime sein Heer neu formiert oder mit den Franzosen paktiert.«

Alle Anwesenden pflichteten ihm bei. Arnau blickte zu der königlichen Galeere hinüber, die ihren Triumphzug in den Gewässern der Stadt fortsetzte. Wenn der König nicht an Land ging und die Flotte nach Roussillon weiterfuhr, ohne in Barcelona zu bleiben … Er hatte weiche Knie. Der König musste einfach an Land gehen!

Auch der Graf von Terranova, der Ratgeber des Königs, der zum Schutz der Stadt in Barcelona geblieben war, unterstützte die Idee, auf der Stelle wieder auszulaufen. Arnau sah ihn wütend an.

Die drei Ratsherren, der Graf von Terranova und einige weitere einflussreiche Männer bestiegen ein Boot, das sie zur königlichen Galeere brachte. Arnau hörte, dass auch seine Zunftbrüder die Idee begrüßten: »Er darf nicht zulassen, dass sich der Mallorquiner wieder bewaffnet«, pflichteten sie bei.

Die Gespräche zogen sich über Stunden. Die Leute standen am Strand und harrten der Entscheidung des Königs.

Schließlich wurde die Brücke nicht errichtet, aber nicht, weil die Flotte zur Eroberung des Roussillons oder Sardiniens aufbrach. Der König entschied, dass er den Feldzug unter den gegebenen Umständen nicht fortsetzen konnte. Ihm fehlte das Geld, um den Krieg weiterzuführen, ein Großteil seiner Reiter hatte bei der Überfahrt die Pferde verloren und war von Bord gegangen, und schließlich musste er sich für die Eroberung dieser neuen Gebiete rüsten. Trotz der Bitten der Stadtväter, ihnen einige Tage Zeit zu geben, um die Feiern anlässlich der Eroberung Mallorcas vorzubereiten, weigerte sich der König und erklärte, dass es keine Feierlichkeit geben würde, bis seine Reiche wieder vollständig vereint seien. Deshalb ging König Pedro III. an jenem 29. Juni 1343 wie ein gewöhnlicher Matrose von Bord, indem er vom Boot ins Wasser sprang.

Aber wie sollte Arnau Maria beibringen, dass er daran dachte, sich dem Heer anzuschließen? Wegen Aledis machte er sich keine Sorgen. Was hatte sie davon, wenn sie ihren Ehebruch öffentlich machte? Warum sollte sie ihm und sich selbst schaden, wenn er in den Krieg zog? Arnau erinnerte sich an Joan und seine Mutter. Das war das Schicksal, das sie erwarten konnte, wenn der Ehebruch bekannt wurde, und Aledis wusste das. Aber Maria … Wie sollte er es Maria beibringen?

Arnau versuchte es. Er versuchte es, als sie ihm den Rücken massierte, doch er hatte Angst vor ihren Tränen. Er versuchte es, als sie ihm das Essen hinstellte, doch ihre sanften Augen hielten ihn davon ab. »Hast du etwas?«, fragte sie ihn. Er schüttelte den Kopf. Er versuchte es sogar, nachdem sie sich geliebt hatten, doch Maria streichelte ihn, und er brachte es nicht fertig.

Unterdessen herrschte in Barcelona helle Aufregung. Das Volk wollte, dass der König auszog, um Sardinien und das Roussillon zu erobern, doch der König brach nicht auf. Die Ritter forderten von ihm den Sold für ihre Soldaten und Entschädigungen für die erlittenen Verluste an Pferden und Rüstungen, doch die königlichen Schatullen waren leer, und der König musste viele seiner Ritter auf ihre Ländereien ziehen lassen.

Daraufhin berief der König das Bürgerheer von ganz Katalonien ein. Die Bürger sollten für ihn kämpfen. Überall im Prinzipat läuteten die Glocken, und auf Befehl des Königs wurden die freien Männer von den Kanzeln herab dazu aufgerufen, sich zu melden. Die Adligen ließen das katalanische Heer im Stich! Pater Albert ereiferte sich, er schrie beinahe und untermalte seine Worte unablässig mit Gesten. Wie sollte der König Katalonien so verteidigen? Und wenn nun der König von Mallorca erfuhr, dass die Adligen König Pedro im Stich ließen, sich mit den Franzosen verbündete und Katalonien angriff? Das war schon einmal passiert! Pater Alberts Stimme hallte durch die Kirche. Wer erinnerte sich nicht an den Feldzug der Franzosen gegen die Katalanen oder hatte davon gehört? Damals hatte man den Angreifer in die Flucht schlagen können. Doch würde es ihnen auch diesmal gelingen, wenn sie zuließen, dass Jaime sich erneut rüstete?

Arnau betrachtete das steinerne Marienbildnis mit dem Kind auf der Schulter. Wenn sie wenigstens ein Kind bekommen hätten. Mit einem Kind wäre das alles nicht passiert. So grausam wäre Aledis nicht gewesen. Wenn sie ein Kind bekommen hätten …

»Ich habe der Jungfrau gerade ein Versprechen gegeben«, flüsterte Arnau Maria plötzlich zu, während der Priester weiterhin vom Hauptaltar aus Soldaten anwarb. »Ich werde mich dem königlichen Heer anschließen, damit sie uns mit einem Kind segnet.«

Maria sah die Jungfrau an, dann ihn. Dann ergriff sie seine Hand und drückte sie ganz fest.


»Das kannst du nicht machen!«, schrie Aledis, als Arnau ihr seine Entscheidung mitteilte. Arnau machte eine beschwichtigende Handbewegung, damit sie leiser sprach, doch sie brüllte weiter. »Du kannst mich nicht verlassen! Ich werde es allen erzählen …«

»Was macht das schon, Aledis?«, fiel er ihr ins Wort. »Ich werde in der Armee sein. Du wirst nur dein Leben ruinieren.«

Im Gebüsch versteckt, sahen sich die beiden an. Aledis' Unterlippe begann zu zittern. Wie schön sie war! Arnau war versucht, die Wange der Frau zu streicheln, über die nun Tränen rannen, doch er beherrschte sich.

»Leb wohl, Aledis.«

»Du kannst mich nicht verlassen«, weinte sie.

Arnau drehte sich zu ihr um. Sie war auf die Knie gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Als er nichts sagte, blickte sie zu Arnau auf.

»Warum tust du mir das an?«, schluchzte sie.

Arnau sah die Tränen, die über Aledis' Gesicht strömten. Sie zitterte am ganzen Körper. Arnau biss sich auf die Unterlippe und blickte den Berg hinauf, wo er immer Steine holte. Warum ihr noch weiter wehtun? Er breitete hilflos die Arme aus.

»Ich muss es tun.«

Sie rutschte auf Knien zu ihm und wollte seine Beine umklammern.

»Ich muss es tun, Aledis!«, wiederholte Arnau, während er zurückwich.

Dann rannte er den Montjuïc hinab.

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