53


Das Klirren der Waffen und Rüstungen der Soldaten, die ihn eskortierten, hallte in den endlosen hohen Gängen des Bischofpalasts wider. Es war ein martialischer Auftritt: Vorneweg marschierte der Hauptmann. Er selbst hatte je zwei Soldaten vor und hinter sich. Als sie das Ende der Treppe erreichten, die von den Verliesen nach oben führte, blieb Arnau stehen, um seine Augen an das Tageslicht zu gewöhnen, das den Palast durchflutete. Ein heftiger Stoß in den Rücken zwang ihn, mit den Soldaten Schritt zu halten.

Arnau ging an Mönchen, Priestern und Schreibern vorbei, die zur Seite traten, um sie vorbeizulassen. Niemand hatte ihm eine Auskunft geben wollen. Der Kerkermeister war gekommen und hatte ihm die Ketten abgenommen. »Wohin bringst du mich?« Ein Dominikanermönch bekreuzigte sich, als er vorüberging, ein anderer hielt ein Kruzifix hoch. Die Soldaten gingen unbeeindruckt weiter. Schon bei ihrem Anblick wichen die Leute zurück. Seit Tagen hatte er nichts mehr von Joan oder der Frau mit den braunen Augen gehört. Wo hatte er diese Augen schon einmal gesehen? Er fragte die alte Frau, erhielt jedoch keine Antwort. »Wer war diese Frau?«, rief er ihr viermal zu. Einige der Schemen, die an den Wänden festgekettet waren, murrten, andere waren ebenso gleichgültig wie die Alte, die sich nicht einmal rührte. Doch als der Kerkermeister ihn unsanft aus dem Verlies stieß, schien es ihm, als bewegte sie sich unruhig.

Arnau lief gegen einen der Soldaten, die vor ihm hergingen. Sie hatten vor einer beeindruckenden hölzernen Flügeltür angehalten. Der Soldat stieß ihn zurück. Dann klopfte der Hauptmann an die Tür, öffnete sie, und sie betraten einen riesigen, mit kostbaren Wandteppichen geschmückten Raum. Die Soldaten führten Arnau in die Mitte des Raums und nahmen dann Aufstellung an der Tür.

Hinter einem langen, reich geschnitzten Tisch saßen sieben Männer und sahen ihn an. Nicolau Eimeric, der Generalinquisitor, und Berenguer d'Erill, der Bischof von Barcelona, saßen in der Mitte. Sie trugen kostbare, goldbestickte Gewänder. Arnau kannte die beiden. Zur Linken des Inquisitors saß der Schreiber des Sanctum Officium. Arnau war ihm bereits früher begegnet, hatte jedoch nie mit ihm zu tun gehabt. Zur Linken des Schreibers und zur Rechten des Bischofs vervollständigten je zwei schwarz gekleidete Dominikanermönche das Tribunal.

Arnau hielt schweigend ihren Blicken stand, bis einer der Mönche abschätzig das Gesicht verzog. Arnau hob die Hand zum Gesicht und betastete den verfilzten Bart, der ihm im Gefängnis gewachsen war. Die ursprüngliche Farbe seiner zerrissenen Kleidung war nicht mehr zu erkennen. Sie starrte genauso vor Dreck wie seine nackten Füße und seine langen Fingernägel. Ein unangenehmer Geruch ging von ihm aus. Er ekelte sich vor sich selbst.

Eimeric lächelte, als er Arnaus angewiderte Miene bemerkte.


»Zunächst lässt man ihn auf die vier Evangelien schwören«, erklärte Joan Mar und Aledis, während sie an einem Tisch im Gasthof saßen. »Der Prozess kann sich über Tage oder gar Monate hinziehen«, sagte er, als sie darauf drängten, zum Bischofspalast zu gehen. »Besser, wir warten im Gasthof.«

»Wird er einen Verteidiger haben?«, fragte Mar.

Joan schüttelte müde den Kopf.

»Sie werden ihm einen Anwalt zur Seite stellen, der ihn jedoch nicht verteidigen darf.«

»Was?« riefen die beiden Frauen wie aus einem Munde.

»Es ist den Anwälten und Advokaten untersagt, den Ketzern zu helfen, sie zu beraten oder zu unterstützen. Ebenso wenig dürfen sie ihnen Glauben schenken oder sie verteidigen.« Mar und Aledis sahen Joan ungläubig an. »So steht es in einer Bulle Papst Innozenz' III.«

»Aber wozu?«, fragte Mar.

»Die Aufgabe des Anwalts ist es, ein freiwilliges Geständnis des Ketzers zu erreichen. Würde er den Ketzer verteidigen, so verteidigte er damit die Ketzerei.«


»Ich habe nichts zu gestehen«, antwortete Arnau dem jungen Priester, den man zu seinem Anwalt bestimmt hatte.

»Er ist ein Kenner des weltlichen und kanonischen Rechts«, sagte Nicolau Eimeric. »Und ein glühender Anhänger des Glaubens«, setzte er lächelnd hinzu.

Der Priester breitete in einer hilflosen Geste die Arme aus, wie bereits zuvor im Verlies, als er Arnau in Gegenwart des Kerkermeisters gedrängt hatte, seine Ketzerei zu gestehen. »Du solltest es tun«, riet er ihm, »und auf die Gnade des Tribunals vertrauen.« Er breitete erneut die Arme aus – wie oft hatte er das bereits als Ketzeranwalt getan? –, dann verließ er auf ein Zeichen Eimerics den Raum.


»Dann wird man ihn nach den Namen seiner Feinde befragen«, fuhr Joan auf Drängen von Aledis fort.

»Warum?«

»Wenn er einen der Zeugen benennt, die ihn angezeigt haben, könnte das Tribunal anerkennen, dass es sich bei der Anzeige um einen Racheakt handelt.«

»Aber Arnau weiß nicht, wer ihn angezeigt hat«, warf Mar ein.

»Vorerst nicht. Danach könnte er es erfahren … falls Eimeric ihm dieses Recht zugesteht. Eigentlich müsste er es erfahren«, setzte er angesichts der empörten Gesichter der beiden Frauen hinzu. »So hat es Bonifaz VIII. verfügt, doch der Papst ist weit weg, und letzten Endes führt jeder Inquisitor die Verhandlung so, wie er es für richtig hält.«


»Ich glaube, meine Frau hasst mich«, antwortete Arnau auf Eimerics Frage.

»Aus welchem Grund sollte Doña Elionor dich hassen?«, fragte der Inquisitor nach.

»Wir haben keine Kinder bekommen.«

»Hast du es versucht? Hast du mit ihr geschlafen?«

Er hatte auf die vier Evangelien geschworen.

»Hast du mit ihr geschlafen?«, wiederholte Eimeric seine Frage.

»Nein.«

Die Feder des Schreibers eilte über die Prozessakten, die vor ihm lagen. Nicolau Eimeric wandte sich an den Bischof.

»Weitere Feinde?«, übernahm nun Berenguer d'Erill.

»Die Adligen auf meinen Besitzungen, insbesondere der Vogt von Montbui.« Der Notar schrieb mit. »Außerdem habe ich als Seekonsul zahlreiche Urteile gefällt, glaube jedoch, gerecht gewesen zu sein.«

»Hast du Feinde beim Klerus?«

Wozu diese Frage? Er hatte sich stets gut mit der Kirche gestanden.

»Abgesehen von einigen der Anwesenden …«

»Die Mitglieder dieses Tribunals sind unparteiisch«, fiel ihm Eimeric ins Wort.

»Davon bin ich überzeugt.« Arnau sah den Inquisitor fest an.

»Noch jemand?«

»Wie Euch wohl bekannt ist, bin ich seit Langem als Geldwechsler tätig. Vielleicht …«

»Es geht nicht darum, darüber zu spekulieren, wer dein Feind sein könnte und warum«, unterbrach Eimeric ihn erneut. »Hast du Feinde, so nenne ihre Namen; hast du keine, dann verneine die Frage. Hast du weitere Feinde oder nicht?«

»Ich glaube, nicht.«


»Und dann?«, fragte Aledis.

»Dann beginnt das eigentliche Inquisitionsverfahren.« Joans Gedanken wanderten zu den Dorfplätzen, den Häusern der Dorfschulzen, den schlaflosen Nächten … Ein heftiger Schlag auf den Tisch riss ihn aus seinen Gedanken.

»Was bedeutet das?«, schrie ihn Mar an.

Joan seufzte und sah ihr in die Augen.

»Das Wort Inquisition bedeutet so viel wie ›Suche‹. Der Inquisitor sucht nach der Häresie, nach der Sünde. Auch wenn Anzeigen vorliegen, beschränkt sich der Prozess nicht auf diese Aussagen. Legt der Angeklagte kein Geständnis ab, muss man nach dieser verborgenen Wahrheit suchen.«

»Auf welche Weise?«, fragte Mar.

Joan schloss die Augen, bevor er antwortete.

»Falls du die Folter meinst: Ja, sie ist eines der Mittel.«

»Was geschieht mit ihm?«

»Möglicherweise kommt es gar nicht zur Folter.«

»Was geschieht mit ihm?«, wiederholte Mar ihre Frage.

»Weshalb willst du das wissen?«, sagte Aledis und nahm ihre Hand. »Es wird dich nur noch mehr quälen.«

»Das Gesetz verbietet, dass die Folter zum Tod oder zum Verlust von Gliedmaßen führt«, erklärte Joan. »Und sie darf nur einmal angewendet werden.«

Joan sah, wie sich die beiden Frauen mit Tränen in den Augen gegenseitig zu trösten versuchten. Doch Eimeric hatte einen Weg gefunden, sich über diese rechtliche Vorgabe hinwegzusetzen. »Non ad modum iterationis sed continuations «, pflegte er mit einem seltsamen Funkeln in den Augen zu sagen. »Nicht Wiederholung, sondern Fortführung«, übersetzte er für die Novizen, die noch kein Latein beherrschten.

»Was geschieht, wenn sie ihn foltern und er immer noch nicht gesteht?«, fragte Mar, nachdem sie die Nase hochgezogen hatte.

»Sein Verhalten wird bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden«, antwortete Joan unumwunden.

»Und das Urteil fällt Eimeric?«, wollte Aledis wissen.

»Ja, es sei denn, die Strafe lautet auf lebenslange Haft oder Tod auf dem Scheiterhaufen. In diesem Fall braucht er die Zustimmung des Bischofs. Befindet das Tribunal indes, dass es sich um einen schwierigen Fall handelt«, kam der Mönch der nächsten Frage der Frauen zuvor, »so berät es sich zuweilen mit den Boni viri , zwischen dreißig und achtzig Laien und Geistliche, damit diese eine Empfehlung hinsichtlich der Schuld des Angeklagten und der angemessenen Strafe abgeben. Dann kann sich der Prozess über Monate hinziehen.«

»In denen Arnau im Gefängnis bleiben wird«, folgerte Aledis.

Joan nickte, und die drei schwiegen. Die Frauen versuchten zu begreifen, was sie soeben gehört hatten, während Joan sich an einen weiteren Grundsatz Eimerics erinnerte: »Der Kerker muss finster sein, ein Kellerloch, in das keinerlei Licht dringt, insbesondere kein Sonnen- oder Mondlicht. Die Haft muss hart und unbarmherzig sein, um das Leben des Gefangenen möglichst abzukürzen, bis er schließlich stirbt.«


Während Arnau schmutzig und zerlumpt in der Mitte des Raumes stand, steckten der Inquisitor und der Bischof die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln. Der Schreiber nutzte die Gelegenheit, um seine Unterlagen zu ordnen, und die vier Dominikanermönche musterten Arnau.

»Wie willst du die Befragung durchführen?«, fragte Berenguer d'Erill.

»Wir beginnen wie immer, und je nachdem, ob wir etwas erreichen, sagen wir ihm, was ihm zur Last gelegt wird.«

»Du willst ihm die Anklagen nennen?«

»Ja. Ich glaube, bei diesem Mann richten wir mit Worten mehr aus als mit körperlichen Schmerzen, obwohl … Wenn uns kein anderes Mittel bleibt …«

Arnau versuchte den Blicken der schwarzen Mönche standzuhalten. Einer, zwei, drei, vier … Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und beobachtete erneut den Inquisitor und den Bischof, die noch immer miteinander flüsterten. Die Dominikaner sahen ihn unverwandt an. Es war völlig still im Raum, abgesehen von dem unverständlichen Geflüster der beiden Kirchenmänner.

»Er beginnt nervös zu werden«, sagte der Bischof, nachdem er kurz zu Arnau gesehen hatte und sich dann wieder dem Inquisitor zuwandte.

»Er ist daran gewöhnt zu befehlen und Gehör zu finden«, erwiderte Eimeric. »Er muss seine tatsächliche Lage begreifen, das Tribunal anerkennen, sich ihm unterwerfen. Erst dann ist er reif für eine Befragung. Die Demütigung ist der erste Schritt.«

Der Bischof und der Inquisitor berieten sich noch eine ganze Weile, in der Arnau unablässig von den Dominikanern beobachtet wurde. Arnau versuchte, seine Gedanken zu Mar und Joan zu lenken, doch jedes Mal, wenn er an einen von ihnen dachte, begegnete er den durchdringenden Blicken eines schwarzen Mönches, als könnte dieser seine Gedanken lesen. Unzählige Male änderte er seine Haltung, fuhr sich mit der Hand über den Bart und durchs Haar und sah an seiner schmutzigen Gestalt herab. Unterdessen saßen Berenguer d'Erill und Nicolau Eimeric in goldfunkelnden Gewändern bequem hinter ihrem Tisch verschanzt und beobachteten ihn unauffällig, bevor sie weitertuschelten.

Schließlich wandte sich Nicolau Eimeric mit donnernder Stimme an ihn: »Arnau Estanyol, ich weiß, dass du gesündigt hast.«

Die Befragung begann. Arnau atmete tief ein.

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Ich bin, so glaube ich, immer ein guter Christ gewesen, der versucht hat …«

»Du selbst hast vor diesem Tribunal zugegeben, niemals körperliche Beziehungen zu deiner Gattin unterhalten zu haben. Verhält sich so ein guter Christ?«

»Ich kann keine fleischlichen Beziehungen unterhalten. Ich weiß nicht, ob Euch bekannt ist, dass ich schon einmal verheiratet war. Auch damals konnte ich keine Kinder bekommen.«

»Willst du damit sagen, dass es sich um ein körperliches Problem handelt?«, erkundigte sich der Bischof.

»Ja.«

Eimeric sah Arnau eine Weile an. Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte die Hände und stützte das Kinn darauf. Dann wandte er sich an den Schreiber und flüsterte ihm etwas zu.

»Aussage von Juli Andreu, Pfarrer an der Kirche Santa María del Mar«, las der Schreiber, über seine Unterlagen gebeugt. »Ich, Juli Andreu, Priester an der Kirche Santa María del Mar, erkläre auf Befragen des Generalinquisitors von Katalonien, im März des Jahres 1364 eine Unterhaltung mit Arnau Estanyol, Baron von Katalonien, geführt zu haben. Dies geschah auf Bitten seiner Frau Doña Elionor, Baronin und Ziehtochter König Pedros, die in großer Sorge war, weil ihr Mann seine ehelichen Pflichten vernachlässigte. Ich erkläre, dass Arnau Estanyol mir gestand, seine Frau ziehe ihn nicht an, und sein Körper weigere sich, Doña Elionor beizuwohnen. Dass er sich körperlich wohl befinde, indes seinen Körper nicht zwingen könne, eine Frau zu begehren, die er nicht begehre. Ihm sei bewusst, dass er eine Sünde begehe«, Nicolau Eimeric sah Arnau scharf an, »weshalb er oft in der Kirche Santa María bete und großzügig für den Bau der Kirche stiftet.«

Es wurde wieder still im Saal. Nicolau ließ Arnau nicht aus den Augen.

»Hältst du immer noch daran fest, dass es sich um ein körperliches Problem handelt?«, fragte der Inquisitor schließlich.

Arnau erinnert sich an das Gespräch, nicht jedoch an den genauen Wortlaut.

»Ich weiß nicht mehr, was ich damals gesagt habe.«

»Du gibst also zu, mit Pater Juli Andreu gesprochen zu haben?«

»Ja.«

Arnau hörte die Feder des Schreibers über das Pergament kratzen.

»Aber du ziehst die Aussage eines Gottesmannes in Zweifel. Welches Interesse sollte ein Geistlicher daran haben, falsch gegen dich auszusagen?«

»Er könnte sich irren. Sich nicht genau erinnern, was damals gesprochen wurde …«

»Du willst also sagen, dass ein Priester, wenn er Zweifel daran hätte, was gesprochen wurde, so aussagen würde, wie es Pater Juli Andreu getan hat?«

»Ich sage nur, dass er sich irren könnte.«

»Pater Juli Andreu gehört nicht zu deinen Feinden, nicht wahr?«, warf der Bischof ein.

»Ich habe ihn nicht für einen solchen gehalten.«

Nicolau wandte sich erneut an den Schreiber.

»Aussage von Pere Salvete, Kanoniker an der Kirche Santa María del Mar. ›Ich, Pere Salvete, Kanoniker an der Kirche Santa María del Mar, erkläre auf Befragen des Generalinquisitors von Katalonien, dass während der Ostermesse des Jahres 1367 einige Bürger in die Kirche kamen, um von dem Raub einer Hostie durch Ketzer zu berichten. Die Messe wurde unterbrochen, und die Gläubigen verließen die Kirche, mit Ausnahme des Seekonsuls Arnau Estanyol und seiner Gemahlin Doña Elionor.‹«

»Geh doch zu deiner jüdischen Geliebten!« Elionors Worte klangen ihm wieder in den Ohren, und auch jetzt lief es ihm kalt über den Rücken, genau wie damals. Arnau sah auf. Nicolau ließ ihn nicht aus den Augen … Und er lächelte. Hatte er seine Reaktion bemerkt?

Der Schreiber las weiter: »… worauf der Konsul ihr zur Antwort gab, dass Gott ihn nicht zwingen könne, mit ihr zu schlafen …«

Nicolau bat den Schreiber zu schweigen. Sein Lächeln erstarb.

»Lügt der Kanoniker ebenfalls?«

»Geh doch zu deiner jüdischen Geliebten!« Weshalb hatte er den Schreiber nicht zu Ende lesen lassen? Was hatte Nicolau vor? Deine jüdische Geliebte, deine jüdische Geliebte … die Flammen, die an Hasdais Körper emporzüngelten, die Stille, die aufgebrachte Menge, die stumm Genugtuung forderte, Worte schreiend, die ihre Münder nicht verließen, Elionor, die mit dem Finger auf ihn zeigte, Nicolau und der Bischof, die zu ihm herübersahen … und Raquel, die sich an ihn klammerte.

»Lügt der Kanoniker ebenfalls?«, wiederholte Nicolau.

»Ich habe niemanden der Lüge beschuldigt«, verteidigte sich Arnau. Er musste nachdenken.

»Stellst du die göttlichen Gebote in Abrede? Verweigerst du dich den Pflichten eines christlichen Ehemannes?«

»Nein … nein«, stotterte Arnau.

»Also?«

»Also was?«

»Stellst du die göttlichen Gebote in Abrede?« Nicolau erhob die Stimme.

Die Worte hallten von den steinernen Wänden des großen Saales wider. Arnaus Beine waren taub, nach so vielen Tagen im Verlies.

»Das Tribunal kann dir dein Schweigen als Geständnis auslegen«, erklärte der Bischof.

»Nein. Ich stelle sie nicht in Abrede.« Seine Beine begannen zu schmerzen. »Weshalb hat das Sanctum Officium solches Interesse an meinem Verhältnis zu Doña Elionor? Ist es etwa eine Sünde, sich …«

»Damit das klar ist, Arnau«, unterbrach ihn der Inquisitor, »die Fragen stellt das Tribunal.«

»Nun, so fragt.«

Nicolau beobachtete, wie Arnau unruhig von einem Fuß auf den anderen trat und immer wieder seine Haltung änderte.

»Es fängt an, ihm wehzutun«, flüsterte er Berenguer d'Erill ins Ohr.

»Lassen wir ihn darüber nachdenken«, antwortete der Bischof.

Sie begannen erneut zu tuscheln und Arnau spürte wieder die vier Augenpaare der Dominikaner auf sich ruhen. Seine Beine schmerzten, aber er musste durchhalten. Er durfte nicht vor Nicolau Eimeric in die Knie gehen. Was würde geschehen, wenn er zusammenbrach? Er brauchte … einen Stein! Einen Stein auf seinem Rücken, einen langen Weg, den er mit einem Stein für seine Madonna zurücklegen musste. ›Wo bist du jetzt? Sind diese Männer wirklich deine Stellvertreter auf Erden?‹ Er war noch ein Kind gewesen … Warum sollte er jetzt nicht durchhalten? Er hatte einen Stein durch ganz Barcelona geschleppt, der mehr wog als er selbst, er hatte geschwitzt und geblutet, während er die aufmunternden Rufe der Leute hörte. War ihm nichts mehr von dieser Stärke geblieben? Sollte ihn ein fanatischer Pfaffe bezwingen? Ihn, den jungen Bastaix, den alle Halbwüchsigen in der Stadt bewundert hatten? Schritt für Schritt hatte er sich nach Santa María geschleppt, um dann nach Hause zu gehen und sich auszuruhen für den nächsten Tag. Zu Hause … die braunen Augen, große braune Augen. Und da, in diesem Moment wurde ihm klar, dass die Besucherin in dem dunklen Verlies Aledis gewesen war. Die Erkenntnis ließ ihn beinahe zu Boden gehen.

Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill wechselten einen Blick, als sie sahen, wie Arnau sich straffte. Zum ersten Mal schaute einer der Dominikaner zur Mitte des Tisches.

»Er bricht nicht ein«, flüsterte der Bischof nervös.

»Wo befriedigst du deine Instinkte?«, fragte Nicolau mit donnernder Stimme.

Deshalb hatte sie seinen Namen gewusst. Ihre Stimme … ja, natürlich. Das war die Stimme, die er so oft am Hang des Montjuïc gehört hatte.

»Arnau Estanyol!« Die Stimme des Inquisitors brachte ihn in die Realität zurück. »Ich fragte, wo du deine Instinkte befriedigst.«

»Ich verstehe Eure Frage nicht.«

»Du bist ein Mann. Du unterhältst seit Jahren keine fleischlichen Beziehungen zu deiner Frau. Es ist ganz einfach: Wo befriedigst du deine Bedürfnisse als Mann?«

»Seit ebenso vielen Jahren habe ich keinerlei Kontakt zu einer Frau.«

Er hatte geantwortet, ohne zu überlegen. Der Kerkermeister hatte behauptet, sie sei seine Mutter.

»Du lügst!« Arnau zuckte zusammen. »Das Tribunal selbst hat dich in Umarmung mit einer Ketzerin gesehen. Ist das kein Kontakt mit einer Frau?«

»Nicht jener, von dem Ihr spracht.«

»Was kann einen Mann und eine Frau dazu treiben, sich in der Öffentlichkeit zu umarmen, außer …« Nicolau fuchtelte mit den Händen, »außer der Wollust?«

»Schmerz.«

»Welcher Schmerz?«, fragte der Bischof.

»Welcher Schmerz?«, setzte Nicolau angesichts seines Schweigens nach. Arnau schwieg. Die Flammen des Scheiterhaufens erhellten den Raum. »Wegen der Hinrichtung eines Ketzers, der eine geweihte Hostie schändete?«, fragte der Inquisitor und richtete seinen beringten Finger auf ihn. »Ist das der Schmerz, den du als guter Christ empfindest? Wegen der gerechten Vergeltung an einem ruchlosen Verbrecher, einem Gotteslästerer, einem gemeinen Dieb?«

»Er war es nicht!«, schrie Arnau.

Sämtliche Mitglieder des Tribunals, auch der Schreiber, fuhren auf ihren Stühlen hoch.

»Die drei haben ihre Schuld eingestanden. Weshalb verteidigst du die Ketzer? Die Juden …«

»Die Juden! Die Juden!«, entgegnete er. »Was haben die Juden denn verbrochen?«

»Weißt du das nicht?«, fragte der Inquisitor und erhob die Stimme. »Sie haben Jesus Christus ans Kreuz geschlagen!«

»Haben sie nicht oft genug mit ihrem eigenen Leben dafür gebüßt?«

Arnau sah die Blicke sämtlicher Tribunalsmitglieder auf sich gerichtet. Alle hatten sich auf ihren Stühlen aufgerichtet.

»Du plädierst dafür zu verzeihen?«, fragte Berenguer d'Erill.

»Hat es uns der Herr nicht so gelehrt?«

»Der einzige Weg ist die Bekehrung! Man kann niemandem vergeben, der nicht bereut«, brüllte Nicolau.

»Ihr sprecht von etwas, das vor mehr als dreizehnhundert Jahren geschah. Was soll ein Jude bereuen, der in unserer Zeit geboren wird? Er trägt keine Schuld an dem, was damals geschehen sein mag.«

»Jeder, der dem jüdischen Glauben anhängt, ist für das verantwortlich, was seine Vorfahren taten. Er nimmt ihre Schuld an.«

»Sie folgen nur ihrem Glauben, ihren Überzeugungen, genau wie wir …« Nicolau und Berenguer zuckten zusammen. »Genau wie wir«, wiederholte Arnau mit fester Stimme.

»Du setzt den christlichen Glauben mit der Häresie gleich?«, entfuhr es dem Bischof.

»Solche Vergleiche stehen mir nicht zu. Diese Aufgabe überlasse ich Euch, den Männern Gottes. Ich habe lediglich gesagt …«

»Wir wissen genau, was du gesagt hast!«, unterbrach ihn Nicolau Eimeric. »Du hast den einzig wahren, den christlichen Glauben mit den häretischen Lehren der Juden gleichgesetzt.«

Arnau sah das Tribunal an. Der Notar schrieb weiter in seinen Akten. Sogar die Soldaten, die reglos hinter ihm an der Tür standen, schienen zuzuhören, wie die Feder über das Pergament kratzte. Nicolau lächelte, und das Kratzen der Feder verursachte Arnau eine Gänsehaut. Ein Zittern durchlief seinen gesamten Körper. Der Inquisitor bemerkte es und lächelte unverhohlen. Ja, schien sein Blick zu sagen, das ist deine Aussage.

»Sie sind genau wie wir«, beteuerte Arnau.

Nicolau bedeutete ihm zu schweigen.

Der Notar schrieb noch eine Weile weiter. Das sind deine Worte, schien ihm der Blick des Inquisitors noch einmal zu sagen. Als der Schreiber die Feder hinlegte, lächelte Nicolau erneut.

»Der Prozess wird auf morgen vertagt«, verkündete er und erhob sich von seinem Platz.


Mar hatte keine Lust mehr, Joan länger zuzuhören.

»Wo gehst du hin?«, fragte Aledis. Mar sah sie an. »Schon wieder? Du warst jeden Tag dort und hast es nicht geschafft …«

»Sie weiß, dass ich dort bin und dass ich nicht vergessen werde, was sie mir angetan hat.« Joan ließ den Kopf hängen. »Ich sehe sie durch das Fenster und gebe ihr zu verstehen, dass Arnau mir gehört. Ich sehe es in ihren Augen, und ich habe vor, sie jeden Tag ihres Lebens daran zu erinnern. Ich will, dass sie in jedem Augenblick merkt, dass ich gewonnen habe.«

Aledis sah ihr hinterher, als sie den Gasthof verließ. Mar ging denselben Weg wie jeden Tag, seit sie in Barcelona war, bis sie vor dem Portal des Stadtpalasts in der Calle Monteada stand. Dort betätigte sie mit Nachdruck den Türklopfer. Elionor würde sich weigern, sie zu empfangen, aber sie sollte wissen, dass sie dort unten stand.

Wie jeden Tag öffnete der alte Diener das Guckloch.

»Señora«, sagte er durch das Fensterchen hindurch, »Ihr wisst doch, dass Doña Elionor …«

»Öffne die Tür. Ich will sie nur sehen, und sei es lediglich durch das Fenster, hinter dem sie sich versteckt.«

»Aber sie will das nicht, Señora.«

»Weiß sie, wer ich bin?«

Mar sah, wie Pere sich zu den Fenstern des Palasts umwandte.

»Ja.«

Mar betätigte erneut den Türklopfer.

»Hört auf, Señora, oder Doña Elionor wird die Soldaten rufen lassen«, riet ihr der Alte.

»Mach auf, Pere.«

»Sie will Euch nicht sehen, Señora.«

Mar spürte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte und sie zur Seite schob.

»Vielleicht will sie ja mich sehen«, hörte sie eine Stimme sagen. Ein Mann trat an das Guckfenster.

»Guillem!«, rief Mar und stürzte sich auf ihn.

»Erinnerst du dich noch an mich, Pere?«, fragte der Maure, während Mar an seinem Hals hing.

»Natürlich erinnere ich mich.«

»Dann sag deiner Herrin, dass ich sie sprechen möchte.«

Als der alte Diener das Fensterchen schloss, fasste Guillem Mar um die Taille und hob sie hoch. Lachend ließ sich Mar herumwirbeln. Dann stellte Guillem sie wieder auf den Boden, fasste sie bei den Händen und schob sie ein Stückchen von sich weg, um sie zu betrachten.

»Mein kleines Mädchen«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Wie oft habe ich davon geträumt, dich so herumzuwirbeln. Aber mittlerweile bist du viel schwerer. Du bist eine Frau geworden …«

Mar machte sich los und schmiegte sich an ihn.

»Warum hast du mich im Stich gelassen?«, fragte sie schluchzend.

»Ich war nur ein Sklave, meine Kleine. Was konnte ein einfacher Sklave schon tun?«

»Du warst wie ein Vater für mich.«

»Und jetzt nicht mehr?«

»Du wirst es immer sein.«

Mar umarmte Guillem innig. »Du wirst es immer sein«, dachte der Maure. »Wie viel Zeit habe ich in der Ferne vergeudet?« Er sah zu dem Fensterchen.

»Doña Elionor will auch Euch nicht sehen«, war von innen zu hören.

»Sag ihr, dass sie von mir hören wird.«


Die Soldaten brachten ihn ins Verlies zurück. Während der Kerkermeister ihn wieder ankettete, sah Arnau unverwandt zu der Gestalt hinüber, die am anderen Ende des düsteren Raumes auf dem Boden kauerte. Er blieb auch noch stehen, als der Wärter den Kerker verließ.

»Was hast du mit Aledis zu tun?«, rief er der alten Frau zu, als die Schritte draußen im Gang verhallten. »Was wollte sie hier? Warum besucht sie dich?«

Die Antwort bestand in Schweigen. Arnau erinnerte sich an jene riesigen, braunen Augen.

»Was haben Aledis und Mar miteinander zu tun?«, bat er die Gestalt.

Arnau versuchte zumindest den Atem der Alten zu hören, doch von überall übertönte Keuchen und Röcheln das Schweigen, mit dem Francesca ihm antwortete. Arnau sah an den Wänden des Verlieses entlang. Niemand schenkte ihm die geringste Beachtung.


Als der Gastwirt Mar in Begleitung eines vornehm gekleideten Mauren hereinkommen sah, hörte er auf, in dem großen Topf zu rühren, der über dem Feuer hing. Seine Nervosität stieg, als hinter ihnen zwei Sklaven erschienen, die Guillems Gepäck schleppten. Weshalb hatte er sich nicht im Handelshof einquartiert wie die anderen Händler?, überlegte der Wirt, während er zu ihm ging, um ihn zu begrüßen.

»Es ist eine Ehre für dieses Haus«, sagte er und machte eine übertriebene Verbeugung.

Guillem wartete, bis der Wirt mit seiner Lobhudelei am Ende war.

»Können wir bei dir unterkommen?«

»Ja. Die Sklaven können im Stall …«

»Wir sind zu dritt«, unterbrach Guillem ihn. »Zwei Zimmer. Eins für mich und eins für sie.«

Der Wirt sah die beiden Jungen mit den großen dunklen Augen und dem krausen Haar an, die stumm hinter ihrem Herrn warteten.

»Ganz wie Ihr wünscht«, antwortete er. »Folgt mir.«

»Sie werden sich um alles kümmern. Bringt uns ein wenig Wasser.«

Guillem führte Mar zu einem der Tische. Sie waren alleine im Schankraum.

»Heute hat der Prozess begonnen, sagst du?«

»Ja, aber genau weiß ich es nicht. Eigentlich weiß ich gar nichts. Ich konnte ihn nicht einmal sehen.«

Guillem merkte, wie Mars Stimme versagte. Er streckte die Hand aus, um sie zu trösten, doch dann ließ er sie wieder sinken. Sie war kein Kind mehr, und er … letztendlich war er nur ein Maure. Niemand sollte auf falsche Gedanken kommen. Vor Elionors Palast war er schon zu weit gegangen. Mars Hand kam näher und legte sich auf die seine.

»Ich bin noch dieselbe. Für dich werde ich immer dieselbe sein.«

Guillem lächelte.

»Und dein Mann?«

»Er ist gestorben.«

Mars Gesicht ließ keinen Kummer erkennen. Guillem wechselte das Thema.

»Wurde etwas für Arnau unternommen?«

Mar verzog den Mund, ihre Augen verengten sich.

»Wie meinst du das? Wir konnten nichts tun …«

»Und Joan? Joan ist Inquisitor. Hast du etwas von ihm gehört? Ist er nicht für Arnau eingetreten?«

»Dieser Pfaffe?« Mar lächelte nur müde und schwieg. Warum sollte sie ihm davon erzählen? Die Sache mit Arnau genügte, und schließlich war Guillem seinetwegen hier. »Nein, er hat nichts unternommen. Schlimmer noch: Er hat den Generalinquisitor gegen sich. Er wohnt hier bei uns.«

»Bei euch?«

»Ja. Ich habe eine Witwe namens Aledis kennengelernt, die mit ihren beiden Töchtern hier wohnt. Sie ist eine Freundin von Arnau aus Kindertagen. Offensichtlich war sie zufällig auf der Durchreise in Barcelona, als er verhaftet wurde. Ich teile das Zimmer mit ihnen. Sie ist eine sehr angenehme Frau. Beim Essen wirst du alle kennenlernen.«

Guillem drückte Mars Hand.

»Und wie ist es dir ergangen?«, fragte sie ihn.


Mar und Guillem erzählten sich, was in den fünf Jahren, die sie getrennt gewesen waren, geschehen war, wobei Mar es vermied, über Joan zu sprechen. Als die Sonne bereits hoch am Himmel über Barcelona stand, erschienen zunächst Teresa und Eulàlia. Sie waren erhitzt, aber glücklich, doch das Lächeln verschwand von ihren hübschen Gesichtern, als sie Mar sahen und wieder an Francesca dachten, die im Kerker saß.

Sie waren durch die ganze Stadt gelaufen und hatten die neue Identität genossen, die ihnen ihre Verkleidung als jungfräuliche Waisenmädchen verschaffte. Noch nie zuvor hatten sie sich so frei bewegen können, denn sie waren von Gesetz wegen gezwungen, farbige Seidenstoffe zu tragen, damit sie für jeden als Huren zu erkennen waren. »Sollen wir?«, schlug Teresa vor und deutete auf den Eingang der Kirche Sant Jaume. Sie flüsterte, als befürchtete sie, allein der Gedanke könne den Zorn von ganz Barcelona entfesseln. Doch nichts geschah. Die Gläubigen, die sich in der Kirche befanden, schenkten ihnen genauso wenig Beachtung wie der Pfarrer, an dem sie mit gesenktem Blick und eng aneinandergedrückt vorbeihuschten.

Von der Calle de la Boquería gingen sie plaudernd und lachend in Richtung Meer. Wären sie die Calle del Bisbe entlanggegangen bis zur Plaza Nova, hätten sie dort Aledis getroffen, die zu den Fenstern des Bischofspalasts hinaufsah und in jeder Gestalt, die sich hinter den Scheiben abzeichnete, Arnau oder Francesca zu erkennen versuchte. Sie wusste nicht einmal, hinter welchen Fenstern Arnau der Prozess gemacht wurde! Ob Francesca ausgesagt hatte? Joan wusste nichts von ihr. Aledis blickte von Fenster zu Fenster. Bestimmt, aber wozu ihm von ihr erzählen, wenn er doch nichts tun konnte. Arnau war stark, und Francesca … Diese Leute kannten Francesca nicht.

»Was lungerst du hier herum?« Neben Aledis stand ein Soldat der Inquisition. Sie hatte ihn nicht kommen sehen. »Was schaust du so neugierig?«

Aledis fuhr zusammen und lief davon, ohne zu antworten. »Ihr kennt Francesca nicht«, dachte sie. »Keine Folter wird sie dazu bringen, das Geheimnis zu verraten, das sie ein Leben lang für sich behalten hat.«

Bevor Aledis den Gasthof erreichte, traf Joan ein. Er trug einen sauberen Habit, den er im Kloster Sant Pere de les Puelles erhalten hatte. Als er Guillem bei Mar und den beiden Mädchen sitzen sah, blieb er mitten im Schankraum stehen.

Guillem sah ihn aufmerksam an. War das eben ein Lächeln gewesen oder ein Ausdruck des Missfallens?

Joan hätte es selbst nicht sagen können. Ob Mar ihm von der Entführung erzählt hatte?

Guillem kam wieder in den Sinn, wie der Mönch ihn behandelt hatte, als er noch bei Arnau gewesen war, doch dies war nicht der richtige Moment, um nachtragend zu sein. Sie mussten gemeinsam handeln, um Arnau zu helfen.

»Wie geht es dir, Joan?«, erkundigte er sich und fasste den Mönch bei den Schultern. »Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«, setzte er hinzu, als er die blauen Flecke bemerkte.

Joan blickte zu Mar herüber, doch die sah ihn genauso hart und ausdruckslos an wie stets, seit er sie aufgesucht hatte. Aber Guillem konnte nicht so zynisch sein zu fragen, obwohl er wusste …

»Eine unangenehme Begegnung«, antwortete er. »So etwas kommt auch bei Mönchen vor.«

»Ich vermute, du hast die Missetäter bereits exkommuniziert – steht es so nicht im Landfrieden?«, sagte Guillem lächelnd, während er den Mönch zum Tisch führte. Joan und Mar wechselten einen Blick. »Ist es nicht so, dass jeder aus der Kirche ausgeschlossen wird, der den Frieden gegen unbewaffnete Geistliche bricht? Du warst doch nicht etwa bewaffnet, Joan?«

Guillem hatte keine Gelegenheit, die Spannung zwischen Mar und dem Mönch zu bemerken, denn in diesem Moment erschien Aledis. Die Vorstellung fiel kurz aus, denn Guillem wollte mit Joan sprechen.

»Du bist Inquisitor«, sagte er zu ihm. »Wie schätzt du Arnaus Lage ein?«

»Ich glaube, Nicolau will ihn unbedingt verurteilen, aber er kann nicht viel gegen ihn in der Hand haben. Meiner Meinung nach wird er mit öffentlicher Buße und einer empfindlichen Geldstrafe davonkommen, denn das ist es, was Eimeric interessiert. Ich kenne Arnau. Er hat niemandem etwas zuleide getan. Selbst wenn Elionor ihn angezeigt haben sollte, können sie nicht …«

»Und wenn Elionors Aussage von mehreren Priestern gestützt würde?« Joan erschrak. »Würde ein Priester eine Nichtigkeit zur Anzeige bringen?«

»Was genau meinst du damit?«

»Das tut nichts zur Sache«, sagte Guillem und dachte an Jucefs Brief. »Antworte mir. Was geschieht, wenn die Anzeige von mehreren Priestern gestützt wird?«

Aledis hörte nicht, was Joan antwortete. Sollte sie erzählen, was sie wusste? Konnte dieser Maure etwas unternehmen? Er war reich, und offenbar … Eulàlia und Teresa sahen sie an.

»Es geht noch um viel mehr«, unterbrach Aledis Joans Mutmaßungen.

Die beiden Männer und Mar sahen sie an.

»Ich werde euch nicht sagen, wie ich davon erfuhr, und ich werde nie wieder über die Sache sprechen, nachdem ich alles erzählt habe. Seid ihr damit einverstanden?«

»Was soll das heißen?«, fragte Joan.

»Das ist doch völlig klar«, fuhr Mar ihn an.

Guillem sah Mar überrascht an. Weshalb sprach sie so mit ihm? Er beobachtete Joan, doch der hatte den Blick gesenkt.

»Fahr fort, Aledis. Wir sind einverstanden«, erklärte Guillem.

»Erinnert ihr euch an die beiden Adligen, die hier im Gasthof wohnen?«

Als Guillem den Namen Genis Puig hörte, unterbrach er Aledis.

»Er hat eine Schwester namens Margarida«, erklärte ihm diese.

Guillem schlug die Hände vors Gesicht.

»Wohnen sie noch hier?«, fragte er.

Aledis berichtete weiter, was ihre Mädchen herausgefunden hatten. Eulàlias Schäferstündchen mit Genis Puig war nicht vergebens gewesen. Nachdem er, vom Wein berauscht, sein Verlangen mit ihr befriedigt hatte, hatte er sich damit gebrüstet, welche Vorwürfe sie vor dem Inquisitor gegen Arnau erhoben hatten.

»Sie behaupten, Arnau habe den Leichnam seines Vaters verbrannt«, erzählte Aledis. »Ich kann das nicht glauben …«

Joan würgte. Alle drehten sich zu ihm um. Der Mönch presste die Hand auf den Mund. Er sah elend aus. Die Dunkelheit, Bernats Körper, der auf dem improvisierten Schafott baumelte, die Flammen …

»Was sagst du nun, Joan?«, hörte er Guillem fragen.

»Sie werden ihn hinrichten«, brachte er heraus, bevor er aus dem Raum stürzte, die Hand auf den Mund gepresst.

Joans Urteil hing in der Luft. Alle starrten vor sich hin.

»Was ist da zwischen Joan und dir?«, fragte Guillem Mar leise, als der Mönch nach einer ganzen Weile immer noch nicht wieder erschienen war.

»Nichts«, antwortete sie. »Du weißt doch, dass wir uns noch nie gut verstanden haben.«

Mar wich Guillems Blick aus.

»Erzählst du es mir irgendwann einmal?«

Mar senkte den Blick.

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