8

Am späten Vormittag wurde der Regen wieder stärker. Eher gleichmäßig als sintflutartig, trug er wenig dazu bei, die Stim­mung der Menschen zu heben. Mrs. Hogendobbers schöner rotseidener Regenschirm war der Lichtblick des Tages. Und natürlich ihr Gesprächsdrang. Sie hatte sich bemüßigt gefühlt, alle anzurufen, die in Crozet noch ein funktionierendes Telefon hatten, und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie hatte erfahren, daß Blairs Transformator explodiert war. Die Fenster der Allied National Bank waren zersplittert. Die Schindeln von Herbie Jones' Kirche lagen im Stadtzentrum auf der Straße verstreut. Susan Tuckers Autodach war durch einen Ast be­schädigt worden und, Schrecken aller Schrecken, Mims Pon­tonboot, ihr ganzer Stolz und ihre ganze Freude, lag gekentert auf der Seite. Und das Allerschlimmste, ihr Privatsee war eine einzige Schlammasse.

»Hab ich was vergessen?«

Mit dem spitzen Ende einer Sicherheitsnadel reinigte Harry die Buchstaben und Zahlen ihrer Frankiermaschine. Sie waren mit dunkelroter Stempelfarbe verstopft »Ihren Riesenkürbis?«

»Oh, den hab ich gestern abend reingeholt.« Mrs. Hogendob­ber griff zum Besen und begann, den getrockneten Schlamm zur Eingangstür hinauszukehren.

»Das brauchen Sie nicht zu machen.«

»Ich weiß, aber bei George hab ich das auch immer gemacht. Es gibt mir das Gefühl, nützlich zu sein.« Die Erdklumpen flo­gen in hohem Bogen auf den Parkplatz. »Im Wetterbericht ha­ben sie noch drei Tage Regen vorausgesagt.«

»Wenn die Tiere paarweise gehen, wissen wir, daß uns eine Katastrophe bevorsteht.«

»Harry, machen Sie sich nicht lustig über das Alte Testament. Der Herr läßt sein Licht nicht über Gotteslästerer scheinen.«

»Ich lästere Gott doch gar nicht.«

»Ich dachte, ich könnte Ihnen vielleicht so große Angst einja­gen, daß Sie in die Kirche gehen.« Ein listiges Lächeln huschte über Mrs. Hogendobbers Lippen, die heute bräunlichorange geschminkt waren.

Fair Haristeen kam herein, putzte sich die Stiefel ab und ant­wortete Mrs. Hogendobber. »Harry geht zu Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen in die Kirche. Sie sagt, ihre Kirche ist die Natur.« Er lächelte seine Exfrau an.

»Genau.« Harry war froh, daß ihm nichts passiert war. Zu­mindest nicht in diesem Sturm.

»Bei Little Marilyn und bei Boom Boom ist die Brücke weg­gespült. Kaum zu glauben, daß unser Bach so viel Schaden anrichten kann.«

»Dann müssen sie wohl auf ihrem Ufer bleiben«, sagte Mrs. Hogendobber.

»Sieht ganz so aus.« Fair lächelte. »Es sei denn, Moses kehrt wieder.«

»Ich weiß, was ich vergessen habe zu erzählen«, rief Mrs. Hogendobber, ohne auf die biblische Anspielung einzugehen. »Die Katze hat sämtliche Hostien gefressen!«

»Cazenovia von der episkopalischen St.-Pauls-Kirche?« fragte Fair.

»Ja, kennen Sie sie?« Mrs. Hogendobber sprach von der Katze wie von einem Pfarrkind.

»Ich hab ihr letztes Jahr die Zähne gereinigt.«

Harry lachte. »Ist sie auch an den Wein gegangen?«

Mrs. Hogendobber gab sich alle Mühe, nicht in die Heiterkeit einzustimmen - schließlich waren Brot und Wein der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus -, aber die Vorstellung, daß eine Katze zur Kommunion ging, war schon sehr komisch.

»Harry, hast du Lust, mit mir Mittag zu essen?« fragte Fair.

»Wann denn?« Sie griff geistesabwesend nach einem Kugel­schreiber, der auf dem Schalter lag, und schob ihn sich hinters Ohr.

»Jetzt. Es ist Mittag.«

»Ist mir kaum aufgefallen, es ist so dunkel draußen.«

»Gehen Sie nur, Harry, ich halte solange die Stellung«, erbot sich Mrs. Hogendobber. Scheidungen betrübten sie, und die Scheidung der Haristeens besonders, denn beide Parteien waren anständige Menschen. Sie begriff nicht, daß man sich auseinanderleben konnte, denn sie und George hatten sich in ihrer lan­gen Ehe immer nahegestanden. Es war freilich hilfreich gewe­sen, daß George, wenn sie>spring!< sagte, immer nur gefragt hatte>Wie hoch?<.

»Willst du die Kinder mitnehmen?« Fair nickte zu den Tieren hinüber.

»Ja, nehmen Sie sie mit, Harry. Lassen Sie mich nicht mit die­sem Wildfang von einer Katze allein. Sie versteckt sich in den Postbehältern, und wenn ich vorbeigehe, springt sie raus und krallt sich in meinen Rock. Und dann bellt der Hund. Harry, Sie müssen den beiden Disziplin beibringen.«

»Ach du dickes Ei.« Tucker nieste.

»Warum sagen die Menschen immer dickes Eiach ihr dicken Eierstöcke?<« fragte Mrs. Murphy laut und ver­nehmlich.

Da niemand eine Antwort wußte, ließ sie sich hochheben und zum Schnellimbiß entführen.

Die Unterhaltung zwischen Fair und Harry blieb gelinde ge­sagt oberflächlich. Harrys Fragen nach Fairs Tierarztpraxis wurden pflichtschuldigst beantwortet. Sie erzählte von dem Sturm. Sie lachten über Fitz-Gilberts blonde Haare, und dann lachten sie herzhaft über Mims Pontonboot, das Schlagseite hatte. Mim und das verflixte Boot hatten im Laufe der Jahre eine Menge Aufruhr verursacht - einmal war es ins Nachbar­dock gekracht, und Mim und die Insassen wären beinahe er­trunken. Eine Einladung auf ihre »kleine Yacht«, wie sie das Boot geziert nannte, war mit tödlicher Sicherheit ein Sirenenge­sang. Doch eine Absage bedeutete die Verbannung aus den oberen Rängen der Gesellschaft von Crozet.

Als das Lachen erstarb, sagte Fair mit seinem ernstesten Ge­sicht: »Ich wünschte, du und Boom Boom könntet wieder Freundinnen sein. Früher wart ihr befreundet.«

»Befreundet würde ich nicht sagen.« Harry legte vorsichtshal­ber ihre Plastikgabel hin. »Wir haben gesellschaftlich verkehrt, als Kelly noch lebte. Wir sind miteinander ausgekommen, aber das war auch alles.«

»Sie versteht, warum du nicht ihre Freundin sein willst, aber es tut ihr weh. Sie gibt sich robust, aber sie ist sehr empfind­sam.« Er nahm einen Schluck heißen Kaffee aus dem Styropor­becher.

Harry hätte am liebsten erwidert, daß Boom Boom durchaus empfindsam sei, was sie selbst betraf, aber nicht gegenüber anderen. Und was war eigentlich mit ihren, Harrys, Gefühlen? Vielleicht sollte er besser mit Boom Boom über Harrys Emp­findlichkeiten sprechen. Sie merkte, daß Flair rettungslos ver­knallt war. Boom Boom wickelte ihn in ihre emotionalen An­sprüche ein, die so uferlos waren wie ihre materiellen Ansprü­che. Vielleicht brauchten die Männer Frauen wie Boom Boom, um sich bedeutend zu fühlen. Bis sie vor Erschöpfüng umfielen.

Da Harry schwieg, fuhr Fair zögernd fort. »Ich wünschte, es wäre anders gelaufen, oder vielleicht wünsche ich es auch nicht. Es war Zeit für uns.«

»Vermutlich.« Harry spielte mit ihrem Kugelschreiber.

»Ich bin dir nicht böse. Ich hoffe, du mir auch nicht.« Seine blonden Brauen beschirmten seine blauen Augen.

Harry hatte seit der Kindergartenzeit in diese Augen geblickt. »Das ist leichter gesagt als getan. Immer, wenn Frauen über Emotionen reden wollen, werden die Männer rational, du jeden­falls. Ich kann unsere Ehe nicht einfach ausradieren und sagen, laß uns Freunde sein. Ich habe auch ein Ego. Ich wünschte, wir wären anders auseinandergegangen, aber was geschehen ist, ist geschehen. Ich möchte lieber gut als schlecht von dir denken.«

»Schön, und was ist jetzt mit Boom Boom?«

»Wo ist sie?« Harry wich der Frage einen Moment aus.

»Die Brücke ist doch weggespült.«

»Ach ja, das hatte ich vergessen. Sobald das Wasser zurück­geht, wird sie wohl eine Furt zum Durchwaten finden.«

»Zum Glück sind wenigstens die Telefonleitungen in Ord­nung. Ich hab heute morgen mit ihr gesprochen. Sie hat eine furchtbare Migräne. Du weißt ja, wie niedriger Luftdruck ihr zusetzt.«

»Ganz zu schweigen von Knoblauch.«

»Genau.« Fair erinnerte sich, wie Boom Boom einmal eilends ins Krankenhaus geschafft worden war, nachdem sie den verbo­tenen Knoblauch zu sich genommen hatte.

»Und wir dürfen an diesen kaltfeuchten Tagen auch ihr Rheuma im Rücken nicht vergessen. Oder ihre Neigung zu Hitzschlag, vor allem wenn irgendeine Art von Arbeit ansteht.« Harry lächelte übers ganze Gesicht, das Lächeln des Sieges.

»Mach dich nicht lustig über sie. Du weißt, wie schwer sie es in ihrer Familie hatte. Der Vater war Alkoholiker, und die Mut­ter hatte eine Affäre nach der anderen.«

»Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Harry langte mit ihrem Kugelschreiber hinüber, stieß ein Loch in den Styropor­becher und drehte ihn so herum, daß die Flüssigkeit auf Fairs Kordhose tropfte. Dann stand sie auf und schritt hinaus. Mrs. Murphy und Tucker spurteten hinterher.

Fair blieb wutentbrannt sitzen und wischte sich mit der linken Hand den Kaffee von der Hose, während er mit der rechten versuchte, den Strom aus dem Becher aufzuhalten.

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