»Wer bietet fünfzehntausend? Höre ich fünfzehntausend? Neu kriegen Sie den nicht unter fünfunddreißig. Wer bietet fünfzehntausend?«
Während der Versteigerer sang, schimpfte, scherzte und sich aufregte, standen Harry und Blair am Rand des Auktionsgeländes. Ein leichter Regen dämpfte die Aufmerksamkeit; bei den sinkenden Temperaturen konnte der Regen leicht in Schnee übergehen. Die Leute stampften mit den Füßen und rieben sich die Hände. Obwohl Harry eine lange seidene Unterhose, ein T- Shirt, einen dicken Pullover und ihre Daunenjacke trug, spürten Nase, Hände und Füße die schneidende Kälte. Ihren Körper konnte sie immer warm halten, aber bei den Armen und Beinen erwies es sich als schwierig.
Blair trat von einem Fuß auf den anderen. »Meinen Sie wirklich, ich brauche einen Traktor mit siebzig PS?«
»Fünfundvierzig oder so würden Ihnen reichen, aber wenn Sie einen mit siebzig haben, können Sie alles machen. Sie wollen Ihren hinteren Acker umpflügen und düngen, stimmt's? Vielleicht wollen Sie Gestrüpp roden. Sie haben in Foxden eine Menge zu tun. Der John Deere ist alt, ich weiß, aber in gutem Zustand, und wenn Sie auch nur ein kleines bißchen technisches Geschick haben, können Sie ihn problemlos instand halten.«
»Brauche ich einen Planierschild?«
»Um die Zufahrt freizuräumen? Sie könnten ohne Schild durch den Winter kommen. In Virginia schneit es gewöhnlich nicht viel. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.«
Das Leben auf dem Land erwies sich als komplizierter und kostspieliger, als Blair es sich vorgestellt hatte. Zum Glück hatte er die nötigen Mittel, und zum Glück hatte er Harry. Ohne sie wäre er zu einem Händler gegangen und hätte für neue Gerätschaften mitsamt Unmengen Zubehör, das er vorerst nicht brauchte und vielleicht nie benutzen würde, einen Haufen Geld bezahlt.
Auf den grün-gelben John-Deere-Traktor hatten es außer Blair noch mehr Leute abgesehen. Es wurde lebhaft geboten, aber schließlich erhielt er bei 22.500 den Zuschlag. Es war ein sagenhaft günstiger Kauf. Das Bieten besorgte Harry.
Begeistert von Blairs Errungenschaft, kletterte Harry auf den Traktor, ließ ihn an und tuckerte im ersten Gang zu ihrem Anhänger. Sie hatte eine Holzrampe mitgebracht, die irrsinnig schwer war. Sie ließ den Traktor laufen, legte den Leerlauf ein und zog die Bremse an.
»Blair, wir werden wohl einen zweiten Mann brauchen.«
Er hob ein Ende an. »Wie haben Sie das Ding da überhaupt drangekriegt?«
»Ich verwahre die Rampe auf dem alten Heuwagen, und wenn ich sie brauche, bringe ich sie zu der Erdrampe und schiebe sie von dort auf den Anhänger, der rückwärts an der Rampe steht. Ich erweitere dabei allerdings mein Schimpfwörterrepertoire.« Sie bemerkte Mr. Tapscott, der einen Hinterkipper erstanden hatte. »Hey, Stuart, helfen Sie mir mal.«
Mr. Tapscott schlenderte herüber, ein großer Mann mit prachtvollen grauen Haaren. »Wird aber auch Zeit, daß Sie sich einen neuen Traktor zulegen, und heute haben Sie einen wirklich guten Kauf gemacht.«
»Blair hat ihn gekauft. Ich hab bloß geboten.« Harry stellte sie einander vor.
Mr. Tapscott musterte Blair. Da er Harry gern hatte, war sein Blick kritisch. Er wollte nicht, daß sich ein Mann an sie heranmachte, der kein Rückgrat hatte.
»Harry hat mir den Fahrweg gezeigt, den Sie bei Reverend Tones angelegt haben. Gute Arbeit.«
»Hat Spaß gemacht.« Mr. Tapscott lächelte. »Na, fühlen Sie sich stark?«
Travis, Stuarts Sohn, kam hinzu, um bei dem Manöver zu helfen. Die Männer stellten die schwere Rampe mühelos auf, und Harry, die auf dem Fahrersitz saß, ließ den Traktor an den Anhänger rollen. Dann schoben die Männer die Rampe in den Anhänger, indem sie sie gegen den Traktor lehnten.
Blair streckte seine Hand aus. »Danke, Mr. Tapscott.«
»War mir ein Vergnügen, dem Freund einer Freundin behilflich zu sein.« Er lächelte und wünschte ihnen einen guten Tag.
Harry fuhr ihren Transporter langsam, weil die Rampe möglichst wenig gegen den Traktor bumpern sollte.
»Ich bringe ihn zu mir, dann können wir den Traktor direkt rüberfahren. Anschließend können Sie mir helfen, die Holzrampe runterzuschieben. Ich wünschte, ich würde mal eine für meine Zwecke geeignete Aluminiumrampe finden, aber ich habe kein Glück.«
»Auf den Jagdtreffen habe ich Anhänger mit Rampen gesehen.«
»Sicher, aber diese Anhänger sind so teuer - vor allem die aus Aluminium, und das sind die besten. Mein Viehanhänger ist ganz brauchbar, aber nicht mit einem mit Rampe zu vergleichen, die sind einfach Spitze.«
Sie fuhr rückwärts an die Erdrampe heran. Beim zweiten Anlauf hatte sie es geschafft. Sie konnten Tucker im Haus bellen hören. Sie rollten den Traktor herunter, danach schoben und zogen sie an der Holzrampe.
»Wie wollen wir die da runterkriegen?« Blair war ratlos, denn die schwere Holzrampe saß bedenklich schief auf der Erdaufschüttung.
»Passen Sie auf.« Harry zog den Anhänger weg, sprang aus dem Transporter und kuppelte ihn aus. Dann stieg sie wieder in den Transporter und fuhr ihn rückwärts an den alten Heuwagen heran. An der langen Deichsel des Wagens hing eine Kette, ein Überbleibsel aus der Zeit, als er noch von Pferden gezogen wurde. Sie warf die Kette über die Kugelkopfkupplung an ihrer Stoßstange. Harry hatte klugerweise beide Kupplungstypen: die in die Bodenplatte ihres Transporters genietete Stahlplatte mit der Kugel für den Anhänger und außerdem die unter dem Transporter ans Fahrgestell angeschweißte Kupplung mit dem umsetzbaren Kugelkopf. Dann fuhr sie den Heuwagen neben die Erdaufschüttung.
»Okay, jetzt schieben wir die Rampe auf den Wagen.«
Blair, der trotz der Kälte schwitzte, schob die schwere Holzrampe auf die Erdrampe. »Geschafft.«
Harry stellte den Motor ab, kurbelte ihre Fenster hoch und stieg aus dem Transporter. »Blair, ich war wohl ein bißchen voreilig. Ich glaube, es fängt bald an zu schneien. Wir können den Traktor in meine Scheune stellen, oder Sie fahren ihn zu sich rüber, und ich komme mit Ihrem Transporter nach.«
Wie aufs Stichwort trudelten die ersten Schneeflocken vom dunkelnden Himmel.
»Lassen wir ihn hier. Ich kann die Maschine noch nicht bedienen. Wollen Sie's mir immer noch beibringen?«
»Klar, ist ganz einfach.«
Jetzt war es, als hätte sich am Himmel ein Reißverschluß geöffnet, und der Schnee rieselte nur so herunter. Die zwei gingen ins Haus, nachdem Harry den Traktor in die Scheune gestellt hatte. Freudig begrüßten die Tiere ihre Mutter. Sie setzte Kaffeewasser auf und kramte Luncheonmeat hervor, um Sandwiches zu machen.
»Harry, Ihr Transporter hat keinen Vierradantrieb, oder?«
»Nein.«
»Heben Sie mir meine Sandwiches noch zwanzig Minuten auf. Ich rase zu Market und kaufe ein bißchen was ein, denn es sieht nach einem richtigen Schneesturm aus Ihre Vorratskammer ist fast leer und meine auch.«
Ehe sie protestieren konnte, war er schon weg. Eine Stunde später kam er mit acht Tüten Lebensmitteln zurück. Er hatte ein Brathuhn gekauft, einen Schweinebraten, Kartoffeln, Chips, Cola, Kopfsalat, diverse Käse, Gemüse, Äpfel, auch welche für die Pferde, Pfannkuchenmischung, Milch, Butter, Brownie- Mischung, eine Sechserpackung mexikanisches Bier, teuren Bohnenkaffee, eine Kaffeemühle und zwei Tüten Katzen- und Hundefutter. Harry staunte nicht schlecht, als er die Sachen wegräumte und im Küchenkamm Feuer machte, unter Zuhilfenahme eines großen Holzscheits und von etwas gespaltenem Holz, das sie auf der Veranda gestapelt hatte. Ihr Protest wurde ignoriert.
»Jetzt können wir essen.«
»Blair, ich weiß nicht, wie man Schweinebraten macht.«
»Sie machen gute Sandwiches. Wenn es so weitergeht, wie der Wetterbericht sagt, haben wir bis morgen mittag einen halben Meter Schnee. Dann komm ich rüber und zeig Ihnen, wie man Schweinebraten macht. Können Sie Waffeln backen?« »Ich hab meiner Mutter immer dabei zugeguckt. Kann ich bestimmt.«
»Sie machen Frühstück, und ich mach Abendessen. Dazwischen streichen wir Ihre Sattelkammer.«
»Haben Sie auch Farbe gekauft?«
»Ist hinten im Wagen.«
»Blair, die wird doch fest bei der Kälte.« Harry sprang auf und lief hinaus, gefolgt von Blair. Sie lachten, während sie die Farbe in die Küche schleppten, die Haare mit Schneeflocken getüpfelt, die Füße naß. Sie aßen zu Ende, zogen die Schuhe aus und setzten sich wieder, die Füße am Feuer.
Mrs. Murphy streckte sich vor dem Kamin aus, Tucker ebenso.
»Warum haben Sie mich nicht gefragt, wieso ich mit Boom Boom auf dem Knickerbocker-Ball war?«
»Das geht mich nichts an.«
»Ich entschuldige mich dafür, daß ich Sie nicht gefragt habe, aber Boom Boom hat mir sehr geholfen, und zwei Sekunden lang fand ich sie reizvoll, und da dachte ich, ich nehm sie mit ins Waldorf, gewissermaßen als Dankeschön.«
»Wie Ihr Einkauf?«
Er dachte darüber nach. »Ja und nein. Ich mag Leute nicht ausnutzen, und Sie haben mir beide geholfen. Sie hat dort einen Studienkollegen von mir kennengelernt, Orlando Heguay. Der hat groß eingeschlagen bei ihr.«
»Reich?«
»Hm, und obendrein sieht er gut aus.«
Harry lächelte. Es wurde dunkler, und ein mildes Purpurrot legte sich wie ein melancholisches Netz über den Schnee. Blair erzählte Harry von seinen ständigen Kämpfen mit seinem Vater, der gewollt hatte, daß er Arzt würde wie er selber oder aber Geschäftsmann. Er erzählte von seinen zwei Schwestern und seiner Mutter, und schließlich kam er auf seine ermordete Freundin zu sprechen. Blair erklärte, er fühle sich erst jetzt allmählich wieder wie ein Mensch, obwohl es schon anderthalb Jahre her sei.
Harry zeigte Mitgefühl, und als er sie nach ihrem Leben fragte, erzählte sie ihm, wie sie auf dem Smith College Kunstgeschichte studiert, ihre berufliche Bestimmung aber nicht gefunden hatte und schließlich bei dem Job im Postamt gelandet war, der ihr wirklich Freude mache. Ihre Ehe sei wie ein zweiter Job gewesen, und nach der Scheidung habe sie sich gewundert, wieviel freie Zeit sie hatte. Sie wolle sich nach etwas umsehen, das sie neben dem Postdienst tun könnte. Sie habe an eine Agentur für Pferdebilder gedacht, aber sie kenne sich auf dem Markt nicht genügend aus. Sie habe jedoch keine Eile. Auch sie habe das Gefühl, daß sie langsam aufwache.
Sie überlegte, ob sie ihn bitten solle zu bleiben. Sein Haus war so kahl, aber es schien ihr nicht richtig, ihn jetzt schon zu fragen. Harry lag es nicht, etwas zu überstürzen.
Als er aufstand, um nach Hause zu fahren, umarmte sie ihn zum Abschied, dankte ihm für die Lebensmittel und sagte: »Dann bis morgen.«
Sie sah seinen Rücklichtern nach, als er die kurvige Zufahrt hinunterfuhr. Dann zog sie ihre Jacke an und brachte Essensreste für das Opossum nach draußen.