26

Dicke Arbeitshandschuhe schützten Blairs Hände, während er Grabsteine aufrichtete, die Grasnarbe wieder an Ort und Stelle rückte und feststampfte. Die kahlen Bäume säumten den klei­nen Friedhof wie trauernde Wächter. Blair brach seine Arbeit ab, als er den Polizeiwagen in die Zufahrt einbiegen sah. Schwungvoll zog er das Eisentor auf und lief Rock Shaw und Cynthia Cooper hügelab entgegen.

Ein kalter Wind wehte vom Yellow Mountain herüber. Blair bat Rick und Cynthia herein. Apfelsinenkisten mußten als Stüh­le herhalten.

»Wissen Sie, um diese Jahreszeit finden erstklassige Verstei­gerungen statt«, erklärte ihm Cooper. »Gucken Sie mal im Branchenverzeichnis nach. Ich habe mein Haus auch mit Hilfe solcher Versteigerungen möbliert.«

»Ich werde mich umsehen.«

Rick bemerkte, daß Blair sich einen schmalen Schnurrbart wachsen ließ. »Steht demnächst ein Job als Model an?«

»Wie haben Sie das erraten?« Blair lächelte.

Rick fuhr sich mit dem Finger unterhalb der Nase entlang. »Lassen Sie mich zur Sache kommen. Ich bin nicht zum Spaß hier, wie Sie sicher schon vermutet haben. In Ihren Polizeiakten steht, daß eine Schauspielerin, mit der Sie zusammen waren, brutal ermordet und zerstückelt wurde. Was haben Sie dazu zu sagen?«

Blair wurde blaß. »Es war furchtbar. Ich dachte, ich würde ei­ne kleine Erleichterung spüren, als die Polizei den Mörder fand. Habe ich wohl auch, denn da wußte ich, daß er niemanden mehr umbringen würde, aber das half nicht gegen die. Leere.«

»Gibt es jemanden in Crozet oder in Charlottesville, der von dieser Sache wissen könnte?«

»Nicht daß ich wüßte. Sicher, einige Leute kennen mein Ge­sicht aus Zeitschriften, aber hier kennt mich keiner. Es sieht wohl nicht gut für mich aus, wie?«

»Sagen wir, Sie sind ein unbekannter Faktor.« Rick verlagerte sein Gewicht. Die Apfelsinenkiste war nicht bequem.

»Ich habe niemanden umgebracht. Ich glaube, ich könnte aus Notwehr töten oder um jemanden zu beschützen, den ich liebe, aber ansonsten glaube ich nicht, daß ich es könnte.«

»Was der eine als Notwehr definiert, könnte ein anderer als Mord definieren.« Cynthia betrachtete Blairs schönes Gesicht.

»Ich bin bereit, in jeder Form mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Und ich habe mich geweigert, mit der Presse zu sprechen. Die machen alles nur noch schlimmer.«

»Möchten Sie mir nicht erzählen, was in New York passiert ist?« Ricks Stimme war fest, emotionslos.

Blair fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Wissen Sie, Sheriff, ich möchte das gerne vergessen. Deswegen bin ich hierhergekommen. Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute war, als der Kopf aus dem Kürbis gezogen wurde?«

Der Ton des Sheriffs wurde sanfter. »Das war für keinen von uns ein schöner Anblick.«

Blair atmete tief ein. »Ich kannte Robin Mangione von Auf­nahmen für Baker und Reeves, das große New Yorker Kauf­haus. Das dürfte vor drei Jahren gewesen sein. Eins führte zum anderen, und wir ließen unsere anderen Bekanntschaften sausen und fingen eine Beziehung an. Wir mußten beide oft außerhalb der Stadt arbeiten, aber in New York waren wir immer zusam­men.«

»Sie haben nicht zusammengewohnt?« fragte Rick.

»Nein. In New York ist es ein bißchen anders als hier. In einer Stadt wie Crozet heiraten die Leute. In New York kann man ein Leben lang so gut wie verheiratet sein und trotzdem getrennte Wohnungen haben. Vielleicht braucht man wegen der Millionen von Menschen stärker als hier das Gefühl, für sich sein zu kön­nen, einen Platz für sich allein zu haben. Außerdem hatte ich nie das Ziel, mit jemandem zusammenzuwohnen.«

»Und Robins Ziele?« Cooper war höchst skeptisch, was dieses Getrenntwohnen anging.

»Ehrlich gesagt, sie war unabhängiger als ich. Jedenfalls, die Männer beteten Robin an. Sie konnte den ganzen Verkehr auf­halten. Ruhm, und zwar jede Art von Ruhm, bringt Gutes und Schlechtes mit sich. Das Strandgut des Ruhms, wie ich das nenne. Und Robin wurde manchmal von Verehrern belästigt. Gewöhnlich ließ sich das Problem mit einem scharfen Wort von ihr oder von mir aus der Welt schaffen. Außer für den Kerl, der sie umgebracht hat.«

»Was wissen Sie über ihn?«

»Kaum mehr als Sie, nur, daß ich ihn dann in der Gerichtsver­handlung gesehen habe. Er ist klein, mit einer Halbglatze, einer von diesen Typen, die einem auf der Straße nie auffallen wür­den. Er schickte Briefe. Er rief an. Sie besorgte sich eine andere Nummer. Er wartete vor dem Theater auf sie. Ich habe sie dann immer abgeholt, weil er so lästig wurde. Er begann zu drohen. Wir haben die Polizei informiert. Das Resultat ist bekannt.« Rick sah einen Moment zu Boden, während Blair fortfuhr: »Und eines Tages, als ich zu Aufnahmen auswärts war, hat er das Schloß aufgebrochen und ist in ihre Wohnung eingedrun­gen. Sie war allein. Den Rest kennen Sie.«

Den kannten sie allerdings. Stanley Richard, der wahnsinnige Verehrer, war in Panik geraten, nachdem er Robin getötet hatte. In New York City eine Leiche zu beseitigen würde sogar den Erfindungsreichtum eines weitaus intelligenteren Mannes als Stanley auf eine harte Probe stellen. Er steckte sie in die Bade­wanne, schlitzte ihr Kehle, Hand- und Fußgelenke auf und ver­suchte, soviel Blut wie möglich aus der Leiche auslaufen zu lassen. Dann zerstückelte er sie mit Hilfe eines Fleischermes­sers. Er warf Teile der Leiche in den Müllschlucker, aber durch die Knochen war er schnell verstopft. Verzweifelt verbrachte der Mann dann den Rest der Nacht damit, die Leiche in kleinen Stücken nach draußen zu schleppen und im Osten, Westen, Norden und Süden abzuladen. Den Kopf bewahrte er für Sheep Meadow mitten im Central Park auf, wo er ihn erschöpft ins Gras legte. Er wurde im Morgengrauen von einem Jogger beo­bachtet, der die Sache dem ersten Polizisten meldete, der ihm über den Weg lief.

Weder Rick noch Cynthia hielten es für nötig, diese Einzelhei­ten wieder aufzuwärmen.

»Finden Sie es nicht seltsam, daß.«

»Seltsam?« fiel Blair Rick ins Wort. »Es ist krankhaft!«

»Haben Sie irgendwelche Feinde?« fragte Cynthia.

Blair verstummte für eine Weile. »Manchmal meine Agen­tin.«

»Wie heißt sie?« Rick hatte Bleistift und Block gezückt.

»Gwendolyn Blackwell. Sie ist nicht meine Feindin, aber sie wird sauer, wenn ich nicht jeden Job annehme, der sich bietet. Die Frau würde mich vorzeitig ins Grab bringen, wenn ich sie ließe.«

»Ist das alles? Keine wütenden Ehemänner? Keine sitzenge­lassenen Damen? Kein eifersüchtiger Nebenbuhler?«

»Sheriff, das Leben eines Fotomodells ist nicht so glamourös, wie Sie vielleicht meinen.«

»Ich dachte, ihr Jungs wärt alle schwul«, entfuhr es Rick.

»Halb und halb, würde ich sagen.« Blair hatte das so oft ge­hört, daß er sich nicht darüber aufregte.

»Fällt Ihnen irgend jemand ein - egal, wenn es noch so abwe­gig scheint -,irgendwer, der genug weiß, um zu wiederholen, was mit Robin passiert ist?«

Blair sah Cynthia tief in die Augen. Sie bekam Herzklopfen. »Kein Mensch. Ich glaube wirklich, es ist ein grausiger Zufall.«

Als Rick und Cynthia gingen, waren sie so ratlos wie zuvor, als sie gekommen waren. Sie würden Blair im Auge behalten, aber sie behielten ja jeden im Auge.

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