Spät in der Nacht klingelte bei Harry das Telefon.
Susan entschuldigte sich in aufgeregtem Ton. »Ich weiß, du schläfst, aber ich mußte dich wecken.«
»Alles in Ordnung mit dir?« antwortete eine verschlafene Stimme.
»Ja. Ned ist vor ungefähr einer Viertelstunde aus dem Büro nach Hause gekommen. Er war Bens Anwalt, wie du weißt. Rick war bei ihm im Büro und hat ihm eine Menge Fragen gestellt, von denen Ned nicht eine beantworten konnte, weil er für Ben ausschließlich in Grundstücksgeschäften tätig war. Also, der Sheriff und die Bank haben sich nach Überprüfung der Bücher Bens Privatkonten vorgenommen. Ben Seifert hatte siebenhundertfünfzigtausend Dollar angesammelt, verteilt auf die Bank, die Börse und den Warenmarkt. Sogar Cabell Hall war erstaunt, wie raffiniert Ben war.«
Jetzt war Harry hellwach. »Siebenhundertfünfzigtausend Dollar? Susan, er kann bei der Bank allerhöchstens fünfundvierzigtausend im Jahr verdient haben. Banken sind bekanntlich knauserig.«
»Ich weiß. Sie haben auch seinen Steuerberater kommen lassen und seine Steuererklärungen genau nachgeprüft. Er hat die Gelder ziemlich schlau deklariert. Die meisten Einkünfte hat er als Kursgewinne ausgewiesen, so nennt man das, glaube ich. Der Steuerberater hat erklärt, Ben hätte gesagt, er wollte ihm seine Aufstellungen schicken, aber er hätte es nicht getan. Er sagte, er hätte Ben oft genug gewarnt. Wenn keine Unterlagen da seien, sei die nächste Steuerprüfung Bens Problem. Vorausgesetzt, daß der Tag jemals käme.«
»Komisch.«
»Was ist komisch?«
»Bei der Einkommensteuer hat er nicht betrogen, aber irgendwo muß er betrogen haben. Eigentlich klingt es nicht nach Betrug. Es klingt nach Schmiergeldern oder Geldwäsche.«
»Ich hätte Ben nie für so gerissen gehalten.« »War er auch nicht«, bestätigte Harry. »Aber wer immer mit ihm da drin steckte, der war gerissen. Oder ist es.«
»Gerissene Leute morden nicht.«
»Doch, wenn sie in die Enge getrieben werden, schon.«
»Willst du nicht in die Stadt kommen und eine Weile bei mir wohnen?«
»Warum?«
»Du weißt doch, was Cynthia Cooper uns von Blair erzählt hat. Von seiner Freundin, meine ich.«
»Ja.«
»Er scheint mir ziemlich gerissen zu sein.«
»Sagt dir dein Instinkt, daß er ein Mörder ist?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken oder fühlen soll.«
Harry setzte sich im Bett auf. »Susan, mir ist gerade etwas eingefallen. Hör zu, kannst du morgen früh bei mir vorbeikommen, bevor ich zum Dienst gehe? Es hört sich verrückt an, aber ich habe ein kleines Opossum gefunden.«
»Hör mir auf mit deinen Pflegefallen, Harry! Ich hab das Eichhörnchen mit dem gebrochenen Bein aufgenommen, weißt du noch? Es hat meine Kleider angeknabbert.«
»Nein, nein. Der kleine Kerl hatte in seinem Nest einen Ohrring. Er ist verbogen, aber, nun ja, ich weiß nicht. Es ist ein sehr teurer Ohrring, und er kann ihn überall aufgelesen haben. Wenn er nun etwas mit diesen Todesfällen zu tun hat?«
»Okay, ich komm morgen rüber. Schließ deine Türen ab.«
»Hab ich schon.« Harry legte auf.
Mrs. Murphy sagte zu Tucker, die auch auf dem Bett lag.
»Manchmal ist sie schlauer, als man meint.«