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Harry hatte sich's mit dem neuesten Roman von Susan Isaac im Bett gemütlich gemacht, als zu ihrer Verwunderung das Telefon klingelte.

Fairs Stimme knatterte in der Leitung. »Kannst du mich hö­ren?«

»Ja, einigermaßen.«

»Die Leitungen sind am Vereisen. Vielleicht bist du bald ohne Strom und Telefon. Bist du allein?«

»Was soll die Frage. Und du? Bist du allein?«

»Ja. Ich mach mir Sorgen um dich, Harry. Was alles gesche­hen könnte, wenn du von der Welt abgeschnitten bist!«

»Mir passiert schon nichts.«

»Das kannst du nicht wissen. Daß noch nichts passiert ist, muß nicht heißen, daß du nicht in Gefahr bist.«

»Vielleicht bist du in Gefahr.« Harry seufzte. »Fair, soll das etwa eine Entschuldigung sein?«

»Äh... hm, ja.«

»Ist bei Boom Boom der Lack ab?«

Lange war nur ein Knistern in der Leitung zu hören, bis Fair schließlich sagte. »Ich weiß nicht.«

»Fair, ich war deine Frau, und davor war ich eine deiner be­sten Freundinnen. Vielleicht können wir mit der Zeit wieder gute Freunde werden. Sag mal: Hast du einen Haufen Geld für Boom Boom ausgegeben?«

Diesmal war das Schweigen quälend. »Ich denke ja, für meine Verhältnisse. Harry, es ist nie genug. Ich kauf ihr was Schönes - stell dir vor, Zaumzeug aus England, und diese Sachen sind ja nicht billig. Aber egal, ich kauf ihr zum Beispiel das englische Zaumzeug, und sie fällt über mich her vor lauter Glück. Zwei Stunden später ist sie am Boden zerstört, ich hätte kein Gespür für ihre Bedürfnisse. Ist sie mit ihren Bedürfnissen denn nie am Ende? Macht sie das mit Frauen genauso, oder hat sie diese Masche für Männer reserviert?«

»Mit Frauen macht sie es genauso. Denk nur mal an die Jam­mergeschichte, die sie Mrs. MacGregor aufgetischt hat, und wie Mrs. MacGregor ihr ausgeholfen und ihr Pferde geliehen hat - das war lange bevor sie mit Kelly verheiratet war. Mrs. Mac­Gregor hatte es bald satt. Sie mußte das Sattelzeug und das Pferd saubermachen, weil Boom Boom nach dem Ausreiten immer gleich verschwand. Sie ist einfach, ach, ich weiß nicht. Sie ist eben unzuverlässig. Daß Kelly Craycroft sie geheiratet hat, das war das Beste, was ihr je passiert ist. Er konnte sie sich leisten.«

»Das ist es ja eben, Harry. Kelly hat ihr ein beachtliches Ver­mögen hinterlassen, und sie jammert, wie arm sie ist.«

»Mitleid holt mehr Geld aus den Leuten heraus als andere Emotionen, schätze ich. Bist du pleite? Hast du sehr viel ausge­geben?«

»Hm. Mehr, als ich mir leisten konnte.«

»Kannst du die Miete für das Haus und deine Praxis bezah­len?«

»Das ist aber auch alles, was ich noch bezahlen kann.«

Harry überlegte eine Weile. »Wenn du deine Einrichtung auf Pump gekauft hast, kannst du geringere Raten aushandeln, bis du wieder bei Kasse bist. Und wenn du deine Beiträge für den Jagdclub nicht aufbringen kannst, Jock ist da sehr verständnis­voll. Er wird sie dir stunden.«

»Harry« - Fair erstickte fast an seinen Worten -, »ich war ein Trottel. Ich wünschte, ich hätte dir das Geld gegeben.«

Tränen kullerten Harry über die Wangen. »Mein Lieber, das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Komm wieder auf die Beine, und nimm Urlaub von den Frauen - einen Jahresurlaub.«

»Haßt du mich?«

»Das war einmal. Ich bin drüber weg, hoffentlich. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen. Das Ganze hat meinem Ego einen ziemlichen Schlag versetzt, und das hat mir gar nicht gepaßt, aber wem paßt so was schon? Es ist erstaunlich, wie unvernünftig die vernünftigsten Leute werden, wie sie von allen guten Geistern verlassen werden, wenn Liebe oder Sex ins Spiel kommt. Existiert so was überhaupt? Ich weiß gar nicht mehr, was das ist.«

»Ich auch nicht.« Er schluckte. »Aber ich weiß, daß du mich geliebt hast. Du hast mich nie belogen. Du hast so hart geschuftet wie ich und hast nie etwas verlangt. Ich weiß nicht, wie uns das Feuer abhanden gekommen ist. Eines Tages war es aus.«

Jetzt schwieg Harry zur Abwechslung eine Weile. »Wer weiß, Fair, wer weiß? Können die Menschen dieses Gefühl zurückho­len? Manche vielleicht, aber ich glaube nicht, daß wir es ge­konnt hätten. Das heißt nicht, daß wir schlechte Menschen sind. Es ist uns irgendwie entglitten. Mit der Zeit werden wir das Gute am anderen und die gemeinsamen Jahre zu schätzen wis­sen - ich nehme an, das ist der richtige Ausdruck. Die meisten Leute in Crozet glauben nicht, daß das zwischen einem Mann und einer Frau möglich ist, aber ich hoffe, wir können bewei­sen, daß sie sich irren.«

»Das hoffe ich auch.«

Als er aufgelegt hatte, rief Harry Susan an und erzählte ihr al­les. Sie heulte Rotz und Wasser. Susan tröstete sie und war froh, daß Harry und Fair vielleicht Freunde werden könnten. Als Harry sich ausgeweint hatte, kam sie wieder auf das Thema zu sprechen, das für sie gegenwärtig im Mittelpunkt stand, das Thema, das sie nur mit Susan ausführlich erörterte: die Morde.

»Das Geld in Bens Portefeuille liefert keine Anhaltspunkte?«

»Nicht, daß ich wüßte, dabei hab ich sogar Cynthia Cooper im Supermarkt ausgequetscht«, antwortete Susan. »Und Ned hat Cabell bearbeitet. Er nimmt es sehr schwer.«

»Und in der Bank fehlt nichts?«

»Nein, sie haben doppelt und dreifach geprüft. Alle stellen dieselbe Frage. Es treibt Cabell zum Wahnsinn.«

»Hast du dir noch mehr Schmuckkästen vorgenommen?«

»Sehr witzig. War wohl doch keine so gute Idee von mir.«

»Ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, als ich Miranda bat, ihre Sachen durchzusehen. Sie ist in Weihnachtsstimmung. Nicht mal die Post kann sie bremsen. Hast du ihren Baum gese­hen? Ich glaub, der ist höher als der vorm Weißen Haus.«

»Mich haut ihre Christbaum-Brosche um, die vielen kleinen blinkenden Lichter an ihrem Busen. Sie muß einen Kilometer Draht unter ihrer Bluse und ihrem Rock haben.« Susan lachte.

»Gehst du auf Mims Party?«

»Ich wüßte nicht, daß es uns gestattet wäre, ihr fernzublei­ben.« »Ich zieh den Ohrring an. Das ist unsere einzige Chance.«

»Harry, tu das nicht.«

»Doch, ich tu's.«

»Dann sag ich's Rick Shaw.«

»Sag's ihm hinterher. Sonst beschlagnahmt er den Ohrring. Dabei fällt mir ein, hast du einen einzelnen Ohrring.?«

»Heißen Dank!«

»Nein, nein, so hab ich das nicht gemeint. Ich hab so wenige Ohrringe, und ich hatte gehofft, du könntest mir einen überlas­sen, am liebsten einen großen.«

»Wofür?«

»Damit ich mit dem Opossum tauschen kann.«

»Harry, um Himmels willen, das ist ein Tier. Gib ihm was zu fressen.«

»Tu ich sowieso. Der kleine Kerl liebt glänzende Sachen. Ich muß ihm einen Ersatz geben.«

Susan seufzte theatralisch. »Ich werd schon was finden. Du bist plemplem.«

»Und was sagt das über dich aus? Du bist schließlich meine beste Freundin.« Mit dieser Bemerkung legten sie auf.

Mrs. Murphy fragte Tucker:»Hast du gewußt, daß Katzen im alten Ägypten goldene Ohrringe trugen?«

»Ist mir schnuppe. Schlaf jetzt.« Tucker wälzte sich herum.

»So ein Banause«, dachte die Katze bei sich, bevor sie unter die Decke kroch. Sie liebte es, mit ihrem Kopf neben Harrys auf dem Kissen zu schlafen.

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