Simon hörte Harry die Leiter hinaufklettern. Er freute sich auf sie, weil sie ihm gestern abend leckere Hühnerknochen, altbackene Kekse und Hershey's Schokoküsse nach draußen gestellt hatte.
Mrs. Murphy schlug ihre Krallen in den Holm der Holzleiter und hangelte sich auf den Heuboden, bevor die Menschen oben anlangten.»Du brauchst keine Angst zu haben, Simon. Harry bringt eine Freundin mit.«
»Mehr als einen Menschen kann ich unmöglich ertragen.« Simon verkroch sich tiefer in die Heu- und Luzerneballen.
Harry und Susan hockten sich vor Simons Nest.
»Berechnest du ihm was für die Einrichtung?« witzelte Susan.
»Er nimmt sich alles, was nicht niet- und nagelfest ist.« Mrs. Murphy lachte.
»Ich nehme nur gute Qualität«, flüsterte das Opossum.
»Hier.« Harry holte den Ohrring aus dem Nest.
Susan nahm ihn in die Hand. »Gute Arbeit Tiffany.«
»Sag ich doch.« Harry nahm den Ohrring und hielt ihn ans Licht. »Dir gehört er nicht, und mir gehört er nicht. Und Elizabeth MacGregor hat er auch nicht gehört.«
»Was hat Mrs. MacGregor damit zu tun?«
»Die einzigen Frauen hier draußen an der Yellow Mountain Road sind ich, du, wenn du mich besuchst, und früher Elizabeth MacGregor. Ach ja, Miranda kommt auch manchmal vorbei, aber solche Ohrringe sind nicht ihr Stil. Zu jugendlich.«
»Stimmt. Aber wir werden nie rauskriegen, wo er hergekommen ist.«
»Vielleicht doch. Wir wissen, daß dieses Nest die Basis ist. Das Territorium eines Opossums hat allerhöchstens einen Umkreis von zweieinhalb Kilometern. Wenn wir diesen Umkreis nach Norden, Osten, Süden und Westen abschreiten, haben wir eine ziemlich gute Vorstellung, wo der Ohrring hergekommen sein könnte.«
»Ich kann's ihr sagen«, rief Simon aus seinem Versteck.
»Sie kann dich nicht verstehen, aber sie wird sich 's ausrechnen«, sagte Mrs. Murphy.
»Und die andere, ist die in Ordnung?«
»Ja«, versicherte die Katze.
Simon steckte den Kopf über den Luzerneballen, dann bewegte er sich vorsichtig auf die beiden Frauen zu. Harry hielt ihm ein großes Erdnußbutterplätzchen hin. Er kam näher, setzte sich, nahm das Plätzchen und legte es in sein Nest.
»Ist der putzig«, flüsterte Susan. »Du konntest schon immer gut mit Tieren umgehen.«
»Dafür nicht mit Männern.«
»Die zählen nicht.«
Simon verblüffte sie, als er Harry den Ohrring entriß und damit in sein Nest flitzte.»Meiner!«
»Vielleicht ist er ein Transvestit.« Harry lachte Simon an, dann kam ihr eins von jenen delikaten Häppchen in den Sinn, die einem bei der Lektüre historischer Werke aufgetischt werden. Unter der Herrschaft Elizabeths I hatten in England nur die maskulinsten Männer Ohrringe getragen.
Noch immer lachend, kletterten sie die Leiter hinunter.
»Na?« fragte Tucker.
»Wir müssen das Territorium des Opossums einkreisen«, dachte Harry laut.
»Laß uns zum Friedhof rennen und gucken, ob sie uns folgen.« Tuckers Vorschlag klang vernünftig.
»Du kennst Harry - sie wird gründlich vorgehen.« Die Katze ging zur Stalltür hinaus, Tucker hinterher.
Begleitet von den Tieren, schritten die zwei Frauen die Grenzen des Opossumterrains ab. Als sie am Friedhof vorüberkamen, zogen beide den Schluß, es könnte eine wenn auch entfernte Möglichkeit geben, daß der Ohrring von dort kam.
Susan blieb an dem Eisenzaun stehen. »Woher sollen wir wissen, daß es nicht Blairs Ohrring ist? Er könnte seiner Freundin gehört haben. Oder es gibt vielleicht eine Frau, von der wir nichts wissen.«
»Ich frag ihn.«
»Das ist vielleicht nicht so ratsam.«
Harry überlegte. »Ich bin da zwar anderer Meinung, aber ich werde mich nach deinem Rat richten.« Sie machte eine Pause. »Was schlägst du denn vor?«
»Daß wir vorsichtig unsere Freundinnen fragen, ob eine einen Ohrring verloren hat und wie er aussieht.«
»Herrgott, Susan, wenn wir es mit einer Mörderin zu tun haben oder wenn eine Frau da mit drinsteckt, dann wird das.«
Susan hob die Hände. »Du hast recht. Hast ja recht. Nächster Plan: Wir durchsuchen die Schmuckkästen unserer Freundinnen.«
»Das ist leichter gesagt als getan.«
»Aber es läßt sich machen.«